Geschichten des Herrn Direktors

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Autor: Ernst Lenbach
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Titel: Geschichten des Herrn Direktors
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7–8, S. 112–115, 127–131
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Die Frau Collega
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Geschichten des Herrn Direktors.

Nacherzählt von Ernst Lenbach.
1.0 Kollege Logarithmikus.

Es giebt nichts Heilkräftigeres als die Zeit. Wer lange lebt, der hat’s erfahren. Seit dem Tode meiner lieben Frau ist jetzt bald ein Vierteljahrhundert verflossen. Diese lange Zeit hat dem Bilde, das ich im Herzen trage, nichts von seinen Zügen und Farben genommen; allmählich aber und ganz unvermerkt hat sie von meinen geistigen Augen den dunklen Flor weggezogen, durch den ich rückschauend jahrelang so Freude wie Leid in die eine trübe Farbe einer unsäglichen Wehmut gekleidet sah. Nun kann ich heiteren Blickes im Garten der Erinnerung neben den Cypressen und Rosen auch wieder so manches bunte lustige Blümlein finden, das an unserem Lebenswege aufsproßte, um uns so ganz für uns eine kleine närrische Freude zu machen. Und wahrhaftig, närrisch genug ist es oft mit uns zugegangen. Zum Beispiel gleich mit unserer Verlobung. Verliebt war ich ja in meine spätere Lebensgefährtin und wie sie behauptete, sie auch in mich gleich vom ersten Tage an, wo der junge Gymnasiallehrer mit dem winzigen Gehalt die kleine Lehrerin ohne Vermögen kennenlernte: aber daß wir uns endlich aussprachen und einander bekamen, daran war doch eigentlich nur mein Kollege Dr. Meurer mit seiner Leidenschaft für die Logarithmentafel schuld.

Wir waren damals unser vier unverheiratete Lehrer im Kollegium – ein ganz merkwürdiges Kleeblatt. Drei von uns waren noch jung und jeder hatte eine besondere Schwärmerei – der wissenschaftliche Hilfslehrer schwärmte für Entdeckungsreisen in Afrika, der Zeichenlehrer für niederländische Gemälde, nebenbei auch für die auf ihnen so vorzüglich behandelten Tafelfreuden, ich schwärmte, natürlich ganz im stillen, für meine Ida – unser Kollege von der Mathematik aber übertraf uns alle durch die Glut seiner Leidenschaft und durch das rein wissenschaftliche Ideal, dem sein fünfzigjähriges Herz geweiht war: er jagte auf Druckfehler in Logarithmentafeln. Mit diesem seltsamen Namen bezeichnet man bekanntlich jene recht dickleibigen Bücher, in denen die Logarithmen – eine für den Mathematiker unschätzbare Sorte von Zahlen – alle fertig ausgerechnet hinter einander stehen; und man weiß, daß die Verleger dieser nützlichen Handbücher jeden Nachweis eines Druckfehlers mit einem Goldstück zu belohnen pflegen. Es war der größte Stolz unseres Kollegen Meurer, daß er bereits ein Dutzend solcher Stücke besaß, die er in einem rotsamtenen Beutelchen bei sich trug, um sich in weihevollen Stunden an ihrem Anblick zu begeistern. Es war aber keineswegs schnöde Gier nach dem Besitze solcher im Verhältnis zu der aufgewandten Mühe lächerlich geringen Belohnungen, was ihn antrieb – die Druckfehlerjagd war für ihn längst zu einer reinen Leidenschaft geworden, die sich kaum noch um des guten Scheins willen ein ganz dünnes wissenschaftliches Mäntelchen umhing. Er pirschte auf verdruckte oder verschriebene Ziffern mit derselben Sucht, wie andere Leute auf Hasen pirschen und um der Aussicht willen, ein- oder zweimal im Jahr ein solches Tierchen zu erbeuten, Tausende von Mark an Pachtgeld ausgeben. Im übrigen war unser Dr. Meurer kein Spielverderber, eingefleischter Hagestolz freilich, aber ein trefflicher Lehrer, verträglicher Kollege und überhaupt was man eine Seele von einem Menschen nennt; aber wenn seine Leidenschaft über ihn kam – es war wie eine Art Quartalsrausch – dann war er für nichts anderes zu haben und vor allem von einer geradezu beispiellosen Zerstreutheit.

Nun, wir saßen eines Tages nach unserem gemeinsamen Mittagsessen beisammen – der wissenschaftliche Hilfslehrer hatte, weil sein Geburtstag war, eine Flasche zum Besten gegeben – und plauderten über die schlechten Gehalts- und Pensionsverhältnisse, was auch damals schon das beliebteste Thema war, wenn ein paar Schulmenschen beisammen saßen. Da läßt irgend wer – ich fürchte, ich war es selber – so halb im Scherz die Bemerkung fallen: „Wenn wir es einmal mit einem Viertellos in der Staatslotterie versuchten? In vier Wochen ist Ziehung.“

Der Einfall zündete. Kollege Meurer unterließ zwar nicht, uns auf Grund der Wahrscheinlichkeitsrechnung fachwissenschaftlich nachzuweisen, daß die Aussicht auf Gewinn für jeden von uns eine bedeutend kleinere Summe bedeute, als er an Einsatz zahlen müsse; aber schließlich war er doch auch mit dabei und übernahm es als Mann der Zahlen sogar, das Los zu kaufen und zu bewahren.

Als wir ihn am folgenden Morgen darüber befragten, sah er uns zuerst verständnislos an. Er trug die Logarithmentafel unter dem Arm, offenbar hatte er über Nacht wieder einen Anfall bekommen. Endlich aber begriff er doch. „Das Los – ja natürlich, das habe ich gestern abend gleich gekauft. Bei Marcus Seligmann, ja.“0 „Wissen Sie denn die Nummer?“ fragte unser Zeichenlehrer mißtrauisch, „ich meine: können Sie uns die Zahl nennen?“

„Aber gewiß,“ erwiderte Dr. Meurer stolz und zog ein Blättchen aus seinem Logarithmenbuch, „die Zahl – warten Sie, hier habe ich sie notiert, hier: drei–eins–vier–eins–sechs.“ Wir notierten uns die Nummer. „Merkwürdig,“ brummte der Wissenschaftliche, „die Zahl kommt mir so bekannt vor.“0 „Das ist ein gutes Zeichen,“ meinte ich.

Und es war auch eins. Vier Wochen darauf – es war gerade die Zeit des großen Herbstjahrmarkts, während dessen unser kleinstädtisches Gymnasium nach einem uralten Herkommen drei Tage Ferien hatte – komme ich des Vormittags an unserem Gasthof „Zum Schwarzen Engel“ vorüber, da sitzt der Zeichenlehrer hinterm offenen Fenster vor einer Flasche Rheinwein und einem erschreckend üppigen Frühstück und winkt mich mit dem gefüllten Römer freundlich hinein.

„Nanu,“ sage ich, „Sie haben wohl geerbt?“ „Setzen Sie sich,“ antwortet er, „mir scheint, Sie wissen noch nichts von der Sache, es könnte Sie angreifen. Ja, sehen Sie, lieber Herr Kollege, das“ – er deutete mit einer großartigen Handbewegung über die gedeckte Tafel hin – „das können wir uns jetzt alle Tage leisten. Und morgen lasse ich mir vom Buchhändler das Rembrandtwerk kommen. Die Sache ist nämlich die – aber Fassung, Freund! – unser Los ist mit dem zweiten Hauptgewinn heraus. Macht auf den Mann 14,000 Thaler netto. – Da liegt die Liste, sehen Sie hier: Nr. 31416.“

Im ersten Augenblicke benahm es mir doch den Atem; und dann fuhr es mir wie ein Wirbelwind durch den Kopf: „Ida – Verlobung – Heirat – eigenes Heim!“

Unterdes hatte sich auch unser Hilfslehrer eingefunden. Der hatte seinen Plan schon fertig: zum Ostertermin wollte er um seine [114] Entlassung aus dem Staatsdienst einkommen und den Bahnen Barths, Vogels und anderer großen Reisenden nach dem Innern Afrikas folgen. „Vorher muß ich mich noch trainieren,“ bemerkte er mit einem mißbilligenden Blick auf die lukullische Schwelgerei des Kollegen; „die Hauptsache für einen Entdeckungsreisenden ist, daß er nichts bedarf und alles verträgt. Ich habe bisher immer einen großen Greuel vor Kreuzspinnen gehabt, aber ich wette, in vier Wochen esse ich sie auf dem Butterbrot.“ – Dann ließ er sich von dem Kellner ein Glas Wasser bringen, streute eine starke Prise gestoßenen Pfeffer hinein und trank es unter greulichen Grimassen aus. „Das ist das gewöhnliche Volksgetränk in den Ländern am Tschad-See,“ erklärte er unter heftigem Husten.

Der Zeichenlehrer sah den zukünftigen Erforscher des Dunklen Weltteils mit einer Mischung von Bewunderung und Mitleid an, dann füllte er seinen Römer, rief: „Es lebe das Los Nummer 31416!“ und leerte ihn langsam und bedächtig.

„Ja, das Los,“ fragte ich, „wo ist denn das? Und wo steckt Kollege Meurer?“

„Das ist ja gerade das Pech, daß wir das nicht wissen,“ antwortete unser Rembrandt. „Ausgekniffen ist er, das heißt, natürlich nur auf drei Tage. Verdenken kann ich es ihm nicht, daß er dem Jahrmarktslärm aus dem Wege geht – warum muß der Mensch auch gerade am Markte wohnen. Nach Wormsdorf hat er sich geflüchtet, in den ‚Roten Ochsen‘ – natürlich mit seiner Logarithmentafel. Vermutlich weiß er noch gar nichts von unserem Glücksfall. Ich denke, wir nehmen uns gleich einen Wagen und holen ihn im Triumph ab. Fahren Sie mit, Kollege?“

Ich entschuldigte mich mit einem dringenden Besuche. Wir verabredeten noch rasch, wann ich die anderen in Meurers Wohnung treffen sollte; dann eilte ich davon – selbstverständlich zu Ida.

Eine Stunde später hatten wir uns „ausgesprochen“ und ich war im Besitze eines Schatzes, gegen den mir alle Lotteriegewinne der Welt gering dünkten. Aber freilich hatte mir erst der so unverhofft erlangte Mammon den Mut gegeben, ein Wort zu wagen, das Ida – wie sie mir errötend gestand – schon längst erwartet hatte. Fast fühlte ich etwas wie Beschämung, daß ich mich nicht eher getraut hatte, allen irdischen Bedenken zum Trotz die Hand nach dem Glück auszustrecken. Die Erste, der wir unsere Verlobung mitteilten, war Idas treffliche Wirtin und mütterliche Freundin, die Witwe unseres früheren Konrektors – eine herzensgute Frau, immer freundlich und hilfsbereit, nur ein wenig gesprächig; in unseren Kreisen hieß sie einfach die Frau Collega. Mit großer Freude gratulierte sie uns und fügte natürlich hinzu, daß sie „so etwas“ schon längst geahnt habe. „Wissen Sie, Herr Collega“, sagte sie zu mir, „Sie bekommen eine Perle von Frau – ich darf das schon sagen, und wissen Sie, wenn es auch anfangs mal was knapp geht“ – von unserem Gewinn hatte ich ihr nichts verraten – „schadet nichts! Mit Liebe gekocht, ist alles Essen Himmelsspeise.“ Dann ließ sie uns allein, „nur für einen Augenblick“, weil sie eben einer Nachbarin etwas zu bestellen habe, und wir konnten nun ziemlich sicher darauf rechnen, daß die halbe Stadt in ein paar Stunden um unsern Herzensbund wisse.

Als ich dann zur bestimmten Zeit der Wohnung des Kollegen Meurer zusteuerte, sah ich just den Wagen mit den drei anderen quer durch das Marktgewühl herannahen. Dr. Meurer saß auf dem Rücksitz, die lange hagere Gestalt wie gewöhnlich ganz in Hechtgrau gekleidet und unter dem Arme den wohlbekannten dicken, in Leder gebundenen Logarithmenband; übrigens sah er etwas verwirrt und gedrückt drein, und auch durch die Glückwünsche der beiden anderen zu meiner Verlobung klang eine gewisse unbefriedigte Stimmung durch. „Na, Sie haben Ihren Hauptgewinn schon, Herr Kollege,“ sagte der Zeichenlehrer, „aber unser Los müssen wir uns erst noch suchen. Uff, die Hitze! War das eine Fahrt! Wissen Sie, wo wir den Herrn Kollegen Meurer gefunden haben? Hinter Wormsdorf, im Walde lag er unter einer Eiche, mit Büchern und Papieren, und rechnete an seinen Logarithmen herum. Von unserem Los wußte er natürlich noch nichts.“ „Ach, dieses verwünschte Los,“ stöhnte der Mathematiker, „das heißt, natürlich, meine Herren, es ist ja ein Glücksfall, aber wenn ich mich nur entsinnen könnte, ich habe es ja noch besonders sorgfältig weggeschlossen – nun gottlob, da sind wir ja an meiner Wohnung, nun werden wir das Papier wohl gleich haben.“

Darin täuschte er sich aber. Nach einer halben Stunde war das sonst so peinlich geordnete Heim des Mathematikers in ein wildes Chaos von aufgerissenen und durchwühlten Schubfächern, Schränken, Wäschebeuteln etc. verwandelt, aber von dem Los war keine Spur zu finden. Der unglückliche Herr des Zimmers saß geknickt inmitten der Zerstörung, geduldig schweigend zu allen Vorwürfen und Flüchen der Kollegen und nur immer ängstlich bemüht, daß seine Logarithmentafel nicht in den allgemeinen Schiffbruch hineingezogen werde. „Ach, bitte, Herr Kollege,“ bat er kläglich und dringend, „werfen Sie das Buch nicht so unvorsichtig hin und her, es liegen wichtige Notizen darin.“ Da schien dem Zeichenlehrer etwas zu dämmern. „Hören Sie mal, Herr Kollege Meurer,“ fragte er, „sollten Sie das Los nicht in Ihre Logarithmentafel gelegt haben?“

Der Mathematiker sah ihn erfreut an. „Sehen Sie,“ erwiderte er, „das ist ein guter Einfall. Ja, das scheint mir sogar sehr wahrscheinlich. Da will ich doch einmal gleich nachsehen.“ Er blätterte in dem Buche herum und nahm eine Menge darin liegender, mit Ziffern bedeckter Zettel liebevoll zur Hand. „Das ist es nicht – das auch nicht – und das nicht, nein – aber hier, das dürfte das Gesuchte sein.“

„Ist die Möglichkeit!“ brummte der Hilfslehrer, indem er das verhängnisschwere Papier musterte; „da schleppt der Mann sich mit dem Buche hinaus in den Wald und wieder zurück in die Stadt und weiß nicht, daß so ein Wertstück drin steckt. Und die Rückseite ganz mit Ziffern bedeckt – sagen Sie ’mal, da haben Sie wohl Logarithmen drauf ausgerechnet?“

„Ich glaube ja,“ antwortete Doktor Meurer kleinlaut, „ich erinnere mich, daß ich an jenem Abend noch gearbeitet habe – es wird hoffentlich der Gültigkeit keinen Abbruch thun?“

„Nein, das glaube ich nicht,“ versetzte der andere und drehte das Papier um, „aber ums Himmels willen, was ist denn das? Mensch, das ist ja die verkehrte Nummer!“

Die Schreckensscene, die nun folgte, vermag ich nicht zu beschreiben. Es war eine Orgie der Enttäuschung! Aber an der Thatsache ließ sich nichts ändern. Das Los trug groß und deutlich die Nummer 31415. Dahinter waren mit Bleistift in den eigenartigen Schriftzügen des Mathematikers noch drei weitere Ziffern gesetzt: 926.

„Ja, das verstehe ich auch nicht,“ sagte Doktor Meurer, als er endlich zu Wort kam. „Aber halt wissen Sie, meine Herren, jetzt kommt mir ein Verdacht. Ich muß doch an jenem Abend etwas zerstreut gewesen sein. Sehen Sie nur – 31415926 – das ist ja die bekannte, so sehr wichtige Verhältniszahl pi, – wissen Sie, mit der man den Durchmesser eines Kreises multiplizieren muß, um die Länge des Umkreises zu erhalten. Ich erinnere mich, ich hatte das gerade an jenem Tage in der Klasse durchgenommen. Und da habe ich vermutlich in der Zerstreutheit die drei weiteren Ziffern so ganz in Gedanken ergänzt und hernach die Zahl wieder auf fünf Stellen reduciert natürlich unter Abrundung der 5 auf 6, wegen der folgenden 9. Wirklich, ich muß etwas zerstreut gewesen sein damals.“

Und dabei sah er uns der Reihe nach so unschuldig ins Gesicht, daß wenigstens zwei von uns – der Zeichenlehrer und ich – bei aller Enttäuschung in ein lautes Lachen ausbrachen.

Der Hilfslehrer aber rannte wie besessen im Zimmer herum, wobei er sich den Kopf mit beiden Händen festhielt. „O, o,“ stöhnte er, „also die Zahl pi! Darum kam mir diese verfluchte Nummer gleich damals so bekannt vor! Aber Mensch, Sie sind ja –“

„Nicht wahr, es ist ein merkwürdiger Zufall?“ meinte der Mathematiker freundlich.

Jetzt brach aber bei dem dicken Zeichenlehrer die Wut aus. „Ein netter Zufall, wahrhaftig!“ rief er. „Wissen Sie, daß mich mein Freudenmahl von heute morgen meinen letzten Viertelmonatsgehalt kostet?“

„Aber, lieber Herr Kollege,“ erwiderte Doktor Meurer, „das werde ich Ihnen natürlich ersetzen. Meine Herren, ich bin ja gern bereit, allen Schaden wieder gut zu machen.“

„So?“ rief der erboste Zeichenlehrer und deutete auf mich, „der Herr Kollege da hat sich auf den vermeintlichen Lotteriegewinn hin verlobt, können Sie da auch helfen?“

Kollege Meurer sah mich freundlich an. „Ach, das bedaure ich aber wirklich,“ sagte er, „ja, das ist allerdings eine schwierige Sache … Aber sagen Sie mal, ließe sich das denn nicht vielleicht noch rückgängig machen?“

[115] „Kinder, ein Gedanke!“ rief der Hilfslehrer plötzlich, „wie, wenn das richtige Los da auch mit einem Gewinn heraus gekommen wäre? Sogleich laufe ich in den ‚Schwarzen Engel‘ und sehe in der Liste nach! Alsdann könnte ich ja vielleicht doch noch nächstes Jahr nach Afrika!“ Und damit hatte er auch schon die Hand an der Klinke und stürmte hinaus.

Der arme Kerl! Er ist weder im nächsten Jahr noch überhaupt in das Land seiner Sehnsucht gelangt. Nachdem er noch ein paar Jahre auf eine definitive Anstellung mit vollem Gehalt gewartet, ließ er sich bereden, einen Posten als Konservator im Landesmuseum in irgend einem thüringischen Kleinstaat anzunehmen. Dort ist er allmählich zwischen und mit seinen Sammlungen vertrocknet und versteinert, bis er schließlich als Titular-Hofrat starb und im Schatten jener thüringer Berge bestattet wurde, die er seit seiner Berufung nicht wieder verlassen hatte. Der Zeichenlehrer war ihm schon um etliche Jahre in die Ewigkeit vorausgegangen, nachdem er ungefähr um dieselbe Zeit mit dem Afrikaliebhaber den Dienst des Staates und der Kunst quittiert hatte, um als Gatte und Geschäftsteilhaber einer reichen Gaschäftsbesitzerin eine seinen tiefsten Neigungen völlig entsprechende Stellung zu finden.

Ich muß es übrigens den beiden zum Ruhme nachsagen, daß sie ihren Groll gegen den zerstreuten Mathematiker nicht alt werden ließen. Bei unserer Hochzeit – denn natürlich hatten Ida und ich uns durch die überraschende Wendung nicht irremachen lassen – waren sie alle drei friedlich beisammen und Kollege Meurer hielt einen schönen Trinkspruch, worin er unter anderem ausführte, daß ich nun doch jedenfalls das große Los gewonnen hätte. Er hat nie ein wahreres Wort gesprochen!

Als ihm aber damals mein liebes junges Frauchen für den schönen Trinkspruch dankte, lächelte er etwas verlegen und meinte mit seiner ganzen treuherzigen Offenheit: „Ach, wissen Sie, ich hatte mir die Rede eigentlich viel schöner ausgedacht. Ich hatte sie sogar aufgeschrieben, ja. Aber wie ich sie heute morgen suchte, konnte ich sie nirgendwo finden. Und jetzt fällt mir auf einmal ein, wo ich sie hingelegt habe. Nämlich in meine Logarithmentafel.“

[127]
2.0 Der Amerikaner.

Ein Schulmann, der es treu mit seinem Beruf meint, bekommt auf seinem Lebenswege aus manchem bitteren Quell zu trinken, und wer ein halbes Jahrhundert der Jugend gedient und sich einen Orden dritter Klasse mit der Zahl Fünfzig zugezogen hat, der darf annehmen, daß er den Berufsärger in allen Sorten und Jahrgängen kennt. Ich habe Haare dabei lassen müssen; die ich noch an Schläfen und Scheitel trage, sind schlohweiß geworden; und es mag sein, daß an dem Ausfallen der einen und dem Ergrauen der anderen auch die Erfahrungen mit schuld sind, die ich mit einigen Musterschülern machen mußte: Jungen, die ihren Weg von der Sexta bis zum Abgangszeugnis als stille und sittsame Tugendbolde durchmaßen, um dann vor dem ersten kräftigen Hauche des freien Lebens abzufallen wie wurmige Obstblüten, oder als Streber und Feiglinge unserm Herrgott die Welt zu verhunzen. Aber ausgelassene, bengelhafte Burschen – was man so gemeinhin einen Thunichtgut nennt –, du lieber Gott, ich habe ihrer genug gehabt, aber ich denke nicht, daß mir um ihrer einen ein graues Haar gewachsen ist. Auch nicht um Paul Haselberg.

Zwar ein wilder Schlingel war er und unter keine Disciplin zu bringen. Schlanke, kräftige Glieder, urscharfe Sinne und einen rotborstigen Kopf voll sonderbarer Anschläge hatte er aus seiner Heimat mitgebracht, irgend einer sagenhaft abgelegenen Moorlandschaft da draußen im Flachland, wo zwischen Wallhecken und Tümpeln unzählige scheckige Rinder weiden und die Menschen in einsamen langgiebligen Häusern mit roten Schindeldächern noch ungefähr so leben, wie sie Tacitus kennenlernte. Ich hätte mir Paul Haselberg ganz gut in diese Welt hinein denken können und gewiß alles, was er dort trieb und anstiftete, nur als eine nützliche Illustration zum bessern Verständnis meines Tacitus begrüßt. Daß er aber das Leben eines jungen Germanen auch in den Klassenzimmern und Alumnatsälen fortsetzen wollte, wurde die nie versiegende Quelle der Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und mir, zumal nachdem ich als sein Ordinarius und als Inspektor des damals noch bestehenden Alumnats doppelt für den elternlosen Schlingel verantwortlich geworden war. In einer Hinsicht freilich erleichterte er mir das Leben sehr; seit ich seinen Rotkopf aus der mir ganz besonders anvertrauten Herde hervorleuchten sah, bedurfte es vorkommenden Falles keiner Untersuchung mehr, um bei irgend einer Massenversündigung gegen die Schulgesetze den Rädelsführer herauszufinden; Paul Haselberg hatte von vornherein den Verdacht gegen sich, und er machte auch kaum jemals einen Versuch, diesen Verdacht zu entkräften, und nahm seine Strafe stets mit einer ruhigen Gelassenheit hin. Er schien sie als die ordnungsmäßige Begleichung eines Geschäfts zu betrachten, bei dem er der Lieferant war und seine Nichtsnutzigkeiten die Ware vorstellten.

Ich gestehe, daß ich unpädagogisch genug war, an dieser Gemütsruhe, die vor allem völlig davon absah, einen Kameraden mit in die Tinte zu reiten, eine gewisse Freude zu haben; und jedenfalls bewies auch er durch baldige Erneuerung, daß er mit dem Geschäftsverhältnis zufrieden war. „Nachtragig“ war er überhaupt nicht, zeigte sich stets bereit und vergnügt, wenn er für meine Frau – wir wohnten im Alumnat – einen Gang oder sonst eine kleine Besorgung übernehmen durfte, und behandelte insbesondere unser Nesthäkchen, die Ilse, mit einer Art ritterlichen Fürsorge, die denn allerdings sehr an die Grazie seiner vierfüßigen Landsleute draußen auf den Moorweiden erinnerte.

Na, dumm war er ja nicht, und er hatte sich denn auch glücklich trotz aller Verweise, Arreststrafen und sogar eines gelinden consilium abeundi bis in die Obertertia heraufgesessen. Hier aber stolperte er – über einen Strohhalm, wenn man einige seiner früheren Streiche in Vergleich zieht. Sein Maß war eben voll. Wir hatten damals gerade eine frische Kraft an die Spitze unseres Provinzialschulkollegiums bekommen, einen sehr umsichtigen Herrn, der neben anderen Reformen vor allem auch die Einführung gesundheits- und anstandsfördernder Klassenausstattungen ins Auge faßte. Mit Reskript Nr. 4711 wurde demgemäß an jedes Gymnasium eine Anzahl schön lackierter und sehr geräumiger Spucknäpfe versandt, die an geeigneter Stelle in den einzelnen Klassen aufzustellen und „im Bedürfnisfalle“ zu benutzen seien. Unser Direktor ließ die netten Dinger einstweilen vom Pedell auf den Speicher tragen, und dort standen sie noch, als eines Freitagsnachmittags die Anzeige eintraf, daß der Herr Schulrat andern Morgens die Anstalt inspizieren werde. Nun kamen die amtlichen Gefäße zu Ehren. Der Direktor ließ sie noch selbigen Nachmittags vor seinen eigenen Augen in den Ecken aufstellen; sogar im Kreuzgang – unser Gymnasium war damals noch in dem alten halbverfallenen und sehr lichtarmen Augustinerkloster untergebracht – fanden ihrer zwei ein Ehrenplätzchen, und alle wurden gemäß Bestimmung des Reskripts schön halbhoch mit Wasser gefüllt. Es sah ordentlich feierlich aus.

Am folgenden Morgen traf denn auch der hohe Besuch pünktlich ein. Der Direktor – natürlich im Frack wie wir Lehrer alle – hatte die Schüler vollzählig, nach Klassen geordnet, auf dem Schulhof Aufstellung nehmen lassen, in militärischer Haltung; auch das gehörte zu den Neigungen des neuen Vorgesetzten und durfte nicht versäumt werden. Ich verbrachte einige peinliche Minuten, da mein Flügelmann fehlte – Paul Haselberg; glücklicherweise kam er noch im letzten Augenblicke mit einigen anderen angesetzt – es blieb keine Zeit, sie über die Ursache der Verspätung zu befragen, denn bereits erschien zur Rechten des Direktors der Gewaltige, sichtlich angenehm überrascht von der tadellosen Paradeaufstelluug. Dann folgte die übliche Vorstellung des Kollegiums – eine kurze Ansprache des Rates, worin er uns unter anderem die tröstliche Mitteilung machte, daß in der Angelegenheit des Neubaues unserer Anstalt „Erwägungen schwebten“ – sie haben noch ein Vierteljahrhundert länger geschwebt; inzwischen könne ja immerhin schon manches zur sanitären Hebung und zur Verschönerung der Räume geschehen.

Der Direktor beeilte sich zu versichern, daß er in dieser Hinsicht es an nichts fehlen lasse, und als er den Vorgesetzten an der Spitze des Kollegiums in das Gebäude geleitete, wußte er den Weg so zu nehmen, daß die berühmten Gefäße im Kreuzgang gar nicht zu übersehen waren. Der Besuch öffnete den Mund zu einer lobenden Bemerkung – und schloß ihn wieder, stumm vor Staunen, wir aber kämpften mit erstickenden Lachanfällen – in den schönen blaulackierten Vasen schwamm je ein munteres Paar Goldfischchen, und wie die weitere Besichtigung ergab, war auch in allen Klassenzimmern das betreffende Gerät gleicherweise in ein Aquarium verwandelt!

Dieser Streich brach unserm Paul Haselberg – denn natürlich war er es wieder gewesen – den Hals; es wurde ihm nicht einmal als mildernder Umstand angerechnet, daß er sein ganzes Taschengeld darauf verwandt hatte, in einer unfern des Gymnasiums aufgeschlagenen Jahrmarktsbude den anmutigen Klassenschmuck einzuhandeln.

Seine Relegierung trug er übrigens mit einer Gelassenheit, die mich fast auf den Verdacht brachte, daß er es auf dieses Ende abgesehen hatte, um seinen Lieblingswunsch – zur See zu gehen – endlich erfüllt zu sehen; und in der That mußte sich sein Vormund [128] auch schließlich zu dieser ultima ratio verstehen. Vor seiner Abreise nach Bremen besuchte er mich noch einmal und dankte meiner Frau und mir ganz höflich und herzlich „für alle Nachsicht“. Mich rührte das ordentlich, ich ließ es nicht an guten Ermahnungen fehlen, er hörte sie ernsthaft an und versuchte sogar zum Abschied unserer dreijährigen Ilse einen Kuß zu geben.

Bei alledem traute ich seinen guten Vorsätzen und zumal dem Versprechen, uns „auch mal zu schreiben“, nur sehr mäßig. Aber nach Jahr und Tag bekam ich von ihm einen ganz netten, ausführlichen Brief von drüben aus Amerika; es gehe ihm jetzt soweit gut, auf der See habe es ihm nicht gefallen, aber er sei jetzt „beim Vieh“ und verdiene seinen Unterhalt, – ob er mir dann und wann einmal wieder schreiben dürfe, um nicht das Deutschschreiben zu verlernen? Na, ich schickte ihm denn eine entsprechende Antwort – nach irgend einem Neste mit einem großartigen Namen in Kansas oder da herum, und von da an bekam ich regelmäßig Nachrichten von ihm, – nicht allzu oft, aber immer erfreulich nach Stil und Inhalt. Meine Kollegen trauten der Sache nicht recht, und als ich ihnen nun gar so etwa sechs Jahre nach seiner Abreise einen Brief von dem jungen Manne zeigte, des Inhalts: er habe seine Farm verkauft, sei als Lieutenant in ein deutsches Freiwilligen-Regiment eingetreten und schon auf dem Marsche nach Süden, gegen die Secessionisten, – da waren sie so ziemlich einig darin: dies wird des Raben Ende sein. Aber in der Schlacht bei Richmond kommandierte er ein Bataillon und hatte sich, wie er fröhlich schrieb, „mit einer Schmarre quer über den Kopf das Majorspatent erworben“, und ein paar Jahre nach dem Krieg saß er mitten in dem Lande, das er für die Union mitzurückerobert hatte, irgendwo in Texas als Farmer und Viehzüchter, aber „en gros“, so zu sagen schon mehr Vieh-Baron. Und immer derselbe frische, treuherzige Ton in seinen Briefen, dieselbe Anhänglichkeit an die alte Heimat bei aller verständigen Würdigung der neuen. Meine Kollegen fingen an, Respekt vor dem Thunichtgut zu bekommen; ich hatte ihn schon längst, und es überraschte mich nicht, als ich nun während unserer großen Kriegszeit in den Zeitungen, die er mir sandte, seinen Namen immer obenan bei den Sammlungen und sonstigen Veranstaltungen der Deutschamerikaner seines Distrikts fand, noch immer Paul Haselberg, nicht Hazelmount oder so.

Dann ein paar Jahre nach dem Kriege – unsere Ilse war inzwischen zu einer stattlichen Jungfrau erblüht, die an Stelle ihrer frühverstorbenen Mutter mein kleines Heim regierte, und ich war zum Direktor „aufgestiegen“ – da meldete sich eines Tages ein Besuch von drüben, ein würdig aussehender, noch ziemlich junger Herr, der mir einen Brief von meinem früheren Schüler überreichte und sich als Kollege auf der Studienreise vorstellte; er sei beauftragt, nach seiner Rückkehr drüben ein „College“ nach deutschem Muster einzurichten, und möchte unter anderem auch meine Ansichten und Methode kennenlernen, auf Wunsch und Empfehlung von „Mister Hesselberg“; das ehemalige Schreckenskind unseres Alumnats war jetzt Mayor in jener allem Anscheine nach mächtig aufgeblühten Stadt und auch in Schulangelegenheiten ein größerer Herr als mancher Schulrat bei uns daheim. Der amerikanische Kollege wurde ordentlich beredt, als er uns – mir und Ilse – die Verdienste seines Vorgesetzten auseinanderzusetzen suchte.

Und schließlich ein Jahr darauf kam er selber; zu Besuch in meinem Hause, das hatte ich mir ausbedungen. Es war zu Anfang der großen Ferien, meine zwei ältesten Enkel – die Söhne von meinem Ältesten waren just tags vorher angelangt und brachten ihn mir jubelnd ins Haus: er hatte sie unterwegs getroffen und, wie er lachend sagte, „gleich das Pädagogenblut erkannt.“ Aber war der Mensch stattlich geworden! Breit und hoch, mit einem prächtigen blonden Vollbart, zwar die roten Haare über der breiten Narbe von anno 1865 noch immer widerborstig, „das hält sich, das liegt nun mal in der Rasse“, meinte er.

An dem ersten Abend – die Jungens waren von ihrer Tante diesmal mit einiger Mühe endlich zu Bett kommandiert worden – saßen wir noch lange beisammen, unser Gast, ich und Ilse; sie war ihm aus unserem Briefwechsel der letzten Jahre schon besser bekannt, hatte auch ein paarmal für mich geschrieben. Es gab viel zu erzählen, und er erzählte gut. Das Gedächtnis dieses Menschen erschien mir ebenso wunderbar wie sein treues, echt niedersächsisches Gedenken an die Zeiten und Stätten der Jugend. Es rührte mich wahrhaft, als er sogar noch allerlei Brocken aus dem Schulsack auskramte und verschiedene lateinische Genusregeln mit Feierlichkeit deklamierte; nur ein paarmal mußte Ilse verbessernd eingreifen. Aber von seinem Gedächtnis sollte ich noch eine merkwürdigere Probe kennenlernen. Folgenden Morgens führten wir unseren Gast in dem ferienöden Schulbau herum – es war noch immer das alte Kloster – „und hier, das ist unsere Obertertia von damals“, sagte er. „Richtig,“ erwiderte ich, „nur ist jetzt die Oberprima drin; aber das Zimmer ist noch wie früher.“ „O, warten Sie,“ meinte er, „dann muß da hinten neben der Bank, in einer Nische unterm Fenster, ja auch noch die Eselsbrücke zum Julius Cäsar liegen, die ich damals dort versteckt habe. Ich wollte sie der Klasse vermachen, aber Sie relegierten mich zu schnell.“ Das reizte mich nun doch etwas. „Sie werden vergeblich suchen,“ sagte ich, „meinen Sie, die Klassenzimmer würden bei uns nicht revidiert und sauber gehalten? Ihre Eselsbrücke – von der ich übrigens leider erst heute höre! – wird längst verschwunden sein, wie alle Hilfsmittel ihresgleichen. An meiner Anstalt haben die Schüler keinen Anlaß, sich solcher Mittelchen zu bedienen, und sie thun es auch nicht!“ Aber während ich noch spreche, kriecht mein Amerikaner schon unter dem Fenster herum, und wie er sich aufrichtet, hält er so ein paar nichtsnutzige grüne Hefte in der Hand und zeigt sie ruhig lächelnd meiner Ilse. „O, sehen Sie, Fräulein, aber es ist nicht die meinige, diese hier sind nicht für den Cäsar, sie sind für den Sophokles, ja, und Tacitus. Und sie sind noch sehr neu!“

Na, was das dann noch für ein Nachspiel nach den Ferien gegeben hat, für gewisse andere Leute – das gehört ja wohl nicht hierher. Die Nische habe ich gleich zumauern lassen. – Wir Drei haben aber einige sehr vergnügte Wochen miteinander verlebt; und erst die beiden Jungens! Die waren gar nicht mehr aus dem Zimmer zu bringen, wenn unser Gast anfing zu erzählen, von dem Leben drüben auf den Viehranchos und aus dem großen Bürgerkriege. „Lieber Freund,“ sage ich eines Abends, „Sie verderben mir die Jungen noch ganz. Heute haben sie wieder den ganzen Nachmittag Cowboy gespielt, und nächstens werden sie mir wohl noch durchbrennen, oder wenn das nicht ist, stecken sie meinem Kollegen in ihrer Vaterstadt wenigstens die ganze Sexta und Quarta an mit ihren abenteuerlichen Spielen.“ Da lächelt er so in seiner Art. „O,“ meint er, „ich denke, es macht nichts, wenn die Bubcn etwas wild sind. Wissen Sie – ich selber möchte Ihnen noch einmal so einen rechten Streich spielen, ehe ich abreise.“ Die Ilse lacht, und ich lache auch und sage: „So? Das ist ja noch schöner. Vergessen Sie nicht, daß Sie hier unter meiner Disciplin stehen. Einen Streich werden Sie mir ja wahrscheinlich spielen – denn das weiß ich von früher, wenn Sie das mal wollen, so thun Sie’s auch – aber dann bekommen Sie auch Ihre Strafe: Sie werden mir das Brückenbaukapitel aus dem Cäsar schriftlich ins Deutsche übersetzen, und eher lasse ich Sie nicht wieder fort.“ „Das ist hart!“ meinte er, und da hatte er ja wohl recht, denn was dieses Kapitel angeht, so weiß jeder, der mal in Tertia saß, was es bedeutet, dazu alle Vokabeln aufzuschlagen. Wie er mich so erschrocken ansieht, sage ich: „Nun, Sie können sich meinetwegen von meiner Tochter helfen lassen!“ Und das durfte ich schon sagen – denn was eines alten Schulmeisters Tochter ist, die lernt so wie so mit der Zeit schon einiges mit, aber die Ilse hat ja ordentlich Latein bei mir gehabt – warum? Nun, es machte ihr Freude, und mir auch – und alsdann kann’s ja mal nicht schaden, obzwar, wenn man’s obligatorisch machte auf unseren Mädchenschulen – na, ich möchte den Posten nicht haben! …

Ein paar Tage darauf, wie ich auf meinem Studierzimmer sitze, fällt mir der Scherz wieder ein, und wie das so geht, fällt mir auch gleich ein, daß ich schon längst eine Stelle im Cäsar nachsehen wollte. Wie ich aber nach dem Buche greife, ist’s aus dem Regal verschwunden, und ich suche und suche vergebens. „Ilse,“ frage ich bei Tisch, „weißt Du nicht, wo mein „Caesar de bello Gallico“ steckt – weißt Du, die Ausgabe von Nipperdey, in Großoktav?“ „Die habe ich, Herr Direktor, und auch Ihr Lexikon dazu,“ bemerkt mein Amerikaner ganz gelassen, „ich übersetze an meiner Strafarbeit. Aber es ist sehr schwer, Fräulein Ilse wird mir viel müssen helfen.“ „Aber Mensch,“ sage ich, „Sie werden doch nicht …?“ „Ich werde,“ antwortet er – „ich werde Ihnen ja auch den Streich spielen!“

Tags darauf frage ich meinen ältesten Enkel: „Junge, wo steckt Deine Tante?“ „Die sitzt mit Onkel Paul beim Lernen, im Gartenzimmer,“ antwortet er. Und richtig, wie ich da hineingehe, [130] sitzt unser Gast da am Tisch vor Büchern und Papier, die Ilse guckt ihm über die Schulter ins Buch und fragt, wie sie mich hört: „Du, Vater, das mußt Du uns aber schon erklären“ – aber ich zog mich schleunigst wieder zurück – denn unter uns, so ganz leicht ist mir die Erzählung Cäsars von seinem Brückenbau auch nie gewesen. „Laß die beiden allein fertig werden,“ sagte ich zu mir.

Und das wurden sie denn auch: denn ein paar Tage darauf, als ich nichtsahnend auf meinem Zimmer sitze, geht auf einmal die Thür auf und mein Amerikaner steht da, Hand in Hand mit der Ilse, hält mir einen beschriebenen Bogen Papier hin und sagt: „Hier, Herr Direktor, ist die Strafarbeit aber ich fürchte, Sie werden viel Fehler darin finden. Und seien Sie nicht böse, daß ich Ihnen den Streich gespielt habe – ich habe mich nämlich mit Ihrer lieben Tochter verlobt!“

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Nun, da war ja schließlich nichts mehr gegen zu machen. Es ist mir freilich hart gefallen, sehr hart, mein Kind von mir fort zu lassen, über das Weltmeer hin; aber sie hoffte ja so gewiß, dort, an seiner Seite ihr Lebensglück zu finden – ich durfte es mit ihr hoffen – und sie hat es gefunden. Besucht habe ich die beiden nie, trotz all ihrer Bitten – es ist doch ein zu langes Ende Weg für einen alten Mann; aber sie selber sind ja alle drei oder vier Jahre mal zu mir gekommen – und jetzt zum Herbst kommen sie wieder: sie bringen ihren Aeltesten mit, der soll in der alten Heimat studieren – denn er will absolut Philologe werden, was doch eigentlich ein merkwürdiges Stück ist von einem Amerikaner und ein schöner Beweis, daß so ein richtiges deutsches Philologenblut gar nicht kleinzukriegen ist – es schlägt immer wieder durch. Na, dem werde ich aber einmal ein nettes Stück Uebersetzungskunst von seinen Eltern zeigen! Dieses Brückenkapitel! Ich habe es mit roter Tinte korrigiert – es ist mehr rot als schwarz daran. Einundzwanzig ganze und dreizehn halbe Fehler – „durchaus ungenügend!“


3.0 Liktor Kallmeyer.

Liktor Kallmeyer! – Manchem früheren Schüler unseres alten Gymnasiums zu St. Augustin werden diese zwei Worte das ganze Bild der Schulzeit wieder vor die Seele rufen, deutlicher und vielleicht auch angenehmer als es der Name irgend eines Lehrers vermöchte. Vierzig Jahre lang war der ehemalige Unteroffizier Pedell an unserer Anstalt. Während dieser langen Zeit verwuchs seine Persönlichkeit so ganz mit dem Gymnasium, daß man sich eigentlich eins ohne das andere nicht mehr denken konnte. Generationen von Schülern hatte er Jahr um Jahr, von der Sexta bis zur Prima alltäglich mit dem Geläut der Schulglocke zur Pflicht gerufen, unzählige mehr oder minder berufseifrige Pädagogen hatten sein Gesichtsfeld durchkreuzt, und als einmal jemand bei einer Bismarckfeier darauf hinwies, daß unser großer Staatsmann vier preußischen Königen nacheinander gedient habe, bemerkte der Alte selbstbewußt: „Na, wissen Sie, ich stehe jetzt hier auch schon unter dem vierten Direktor!“ Seitdem wollten einige vorwitzige Leute ihm den Spitznamen „Kanzler Kallmeyer“ anheften.

Aber die geschmacklose Erfindung verschwand alsbald vor einer besseren, als ihn nämlich unser Primaner Mahrholtz – er ist jetzt ein angesehener Maler – in Wasserfarben malte, wie er als römischer Liktor mit dem Beil und dem Rutenbündel im Arme vor mir herschritt. Ich habe es dem Mahrholtz damals scharf verwiesen, denn es schickt sich nicht, daß ein Schüler – selbst an einem humanistischen Gymnasium – seinen Direktor in altrömischer Tracht darstellt, noch dazu mit der Glatze eines Cäsar, und das Blatt habe ich natürlich konfisziert, aber sorgfältig aufbewahrt und oft mit Vergnügen betrachtet; denn die Ausführung war gar nicht übel, und die Idee auch nicht. Wenn unser Kallmeyer vor der Andacht auf den Katheder stieg, um die Bibel zurechtzulegen und im Winter die Wachskerzen anzuzünden, – wenn er bei Schulfeierlichkeiten vor dem Rednerpulte stand, mit all seinen Dienstschnallen und militärischen Ehrenzeichen auf dem schwarzen Rock, aufmerksam des Augenblickes harrend, wo er als Erster mit hochgehobener Rechten in das von dem Redner zum Schluß ausgebrachte Hoch auf Seine Majestät einfallen werde, – oder wenn er mit einem klirrenden Schlüsselbund von mittelalterlich grausigem Aussehen irgend einen armen Sünder in das Karzerstübchen geleitete, – stets war seine hagere Erscheinung von einer Würde umflossen, die sich wirklich nur mit dem Amtsbewußtsein eines römischen Liktoren vergleichen ließ. Ihren vollsten Ausdruck aber fand diese Würde in Mienen und Haltung des Alten, wenn er zu Beginn und Ausgang der Stunden, den Blick auf die große Schuluhr gerichtet, an das Glockentürmchen auf dem Klosterhof trat und das Läutseil ergriff. In diesem Augenblick fühlte er sich vollkommen als die entscheidende Persönlichkeit, den Herrn über Freiheit und Schicksal aller dreihundertfünfzig Schüler an St. Augustin.

Mit der Zeit hatte sich von dem Selbstbewußtsein auch etwas in seine Ausdrucksweise gemischt, was sich besonders darin zeigte, daß er mir gegenüber von meinen direktorialen Sorgen und Obliegenheiten stets nur in der ersten Person Pluralis sprach: „Herr Direktor, wir werden heute nachmittag wohl Hitzferien machen müssen,“ – „Herr Direktor, wir müssen einmal die Schulgesetze in Erinnerung bringen, unsere Jungens werfen beim Spielen mit Steinen,“ – „wollen Herr Direktor nicht vergessen, daß wir heute um sechs Uhr Konferenz haben.“ Wenn das Abiturientenexamen nach Wunsch ausgefallen war, so sagte er: „Na, Herr Direktor, diesmal haben wir ja einen guten Jahrgang gehabt,“ – hatte es aber wenig Befreiungen vom „mündlichen“ oder gar einige Zurückgewiesene gegeben, so sah er mich wehmütig tröstend an und meinte: „Nun, Herr Direktor, nächstes Jahr werden wir wohl besser abschneiden!“ Denn er hatte ein Herz für die Schüler wie für die Schule, und ein guter Examensabschluß war ihm so etwas wie eine persönliche Auszeichnung.

Nachgerade waren wir beide grau geworden, ich fing an, mich auf das Leben im Pensioniertenstand vorzubereiten, – nur den Einzug in unser neues Gymnasium, dessen Bau gerade damals begonnen hatte, wollte ich noch abwarten, um dann einer jüngeren Kraft Platz zu machen. Der alte Kallmeyer wollte lange nichts von dergleichen wissen – „Herr Direktor, wir halten es noch eine Weile aus!“ Die Sorge ums Brod war es nicht, die ihn an seinem kleinen Amte festhielt; seine Tochter – ein hübsches braves Mädchen, die blonde Heldin mehrerer Jahrgänge Primanerlyrik – war mit einem Gärtner verheiratet, einem wohlhabenden Manne, der draußen eine knappe Stunde vor der Stadt wohnte, und sie hätten es längst gern gesehen, daß ihr Vater nicht mehr den Schulhof ausspritzte und die Schulglocke zog – aber wie gesagt, er wollte nicht dran. Eines Tages aber, bei der Andacht, da konnte er es mit dem Stehen nicht mehr aushalten und mußte sich vorn auf einer Schülerbank niederlassen. Tags daraus trat er bei mir an und meldete mir sein Abschiedsgesuch. „Es geht nicht mehr, Herr Direktor – da müssen wir eben hinter die Front.“ Er sagte mir das in militärischer Haltung und möglichst stramm, aber seine Stimme zitterte wunderlich, und seine braune, runzlige Hand auch.

So wurde er denn pensioniert – einen kleinen Orden bekam er auch – und ein jüngerer Anwärter, frisch vom Militär, trat an seine Stelle. Der Alte zog hinaus zu seiner Tochter; daß er es dort gut hatte, wußte ich unbesehen, und er sah auch recht sauber und wohlgepflegt aus, als ich ihm ein paar Monate später in der Stadt begegnete; aber es war doch etwas Gedrücktes in seinem Wesen. „Na, Kallmeyer, wo fehlt’s denn?“ fragte ich. „Ach, Herr Direktor,“ meinte er seufzend, „die Schule fehlt mir. Da draußen auf dem Gütchen, die Stille, und immer einen guten Tag um den andern – wissen Sie, das ist nichts für uns. – Ich muß sehen, daß ich wieder näher an die Schule komme.“

Das verstand ich nun erst nicht. Einige Wochen darauf aber hörte ich, daß er sich in einem Hause unfern der Schule ein Zimmerchen gemietet habe. Er hatte es nicht länger auf dem Lande ausgehalten. Nun konnte er doch alle Tage im Fenster liegen und sehen, wie die Schüler mit ihren Ranzen vorbeieilten und lärmten.

Eines Tages, um die Zeit der großen Morgenpause, stand er am Gitter des Schulhofes. „Nun, Kallmeyer,“ sagte ich, „immer munter?“ Er sah aber gar nicht munter drein. „Herr Direktor,“ seufzte er ganz kläglich, „es fehlt mir noch immer.“ „Was denn?“ Da deutete er traurig nach dem Glockentürmchen, wo der neue Pedell gerade die Klappthür öffnete und das Seil ergriff: „Das Läuten fehlt mir, Herr Direktor! Alle Tage hör’ ich es von dem Neuen, und ich selber hab’ es vierzig Jahre lang gethan – das ist hart!“

Ich erzählte meinen Kollegen von dem sonderbaren Schmerz des alten Liktoren. Sie lachten darüber, besonders die jüngeren. Aber eine Zeit lang darauf besuchte mich seine Tochter und klagte mir mit [131] thränenden Augen ihr Leid. Der Vater vergehe ganz in der Sehnsucht nach seiner Schulglocke, Tag und Nacht lasse es ihm keine Ruhe und der Arzt habe schon angedeutet, es werde ihm wohl die letzte Kraft vor der Zeit nehmen oder gar den Verstand. Ob ich ihm denn um Gottes willen nicht den Willen thun und ihn wieder läuten lassen wolle.

Das war nun eine wunderliche Sache. Ich selber war ja gern bereit, und die Kollegen nahmen es schon auf sich, die Sache den Schülern unauffällig zu erklären. Aber nun wollte der Neue nicht. Es sei ein Eingriff in seine Dienstpflichten, meinte er, und es schade seiner Reputation bei den Schülern und in der ganzen Stadt, wenn es aussehe, als ob er nicht einmal pünktlich genug sei, um zu läuten. Mit Mühe brachte ich ihn in einigen Tagen herum – eine kleine Geldsammlung unter den Kollegen – der Mann hatte glücklicherweise gerade Geburtstag – mußte nachhelfen. Während dieser Zeit hatte ich noch ein paar Besuche von der Tochter zu überstehen, und der Alte strich den ganzen Tag um den Schulhof herum, ganz blaß und gebückt und immer nur nach dem Glockentürmchen ausspähend.

Als er nun aber das Läutseil wieder anfassen durfte – diese Freude! Sogar der Neue wurde gerührt davon. „Herr Direktor,“ meinte er, „es ist mir jetzt ganz recht. Einem alten Kameraden muß man schon etwas zugute halten. Und wenn er mal nicht pünktlich ist, so werde ich schon aushelfen.“ Aber das war nicht nötig. Der alte Kallmeyer hatte während seiner ganzen Dienstzeit die Glocke nicht pünktlicher bedient als jetzt. Und ordentlich aufzuleben schien er bei ihrem dünnen, grellen Klang.

Eines Tages aber – es war ein paar Wochen vor dem Abiturientenexamen, dem letzten in unserem alten Klosterbau; das neue Gebäude war fertig, mit einem schönen Glockentürmchen und einer neuen Glocke darin – da winkte mir der Alte beim Vieruhrläuten so heimlich zu und deutete nach seiner Glocke hinauf. „Herr Direktor,“ flüsterte er, „sie hat einen Sprung!“ „Das weiß ich lange,“ sagte ich, „das müssen Sie doch auch wissen, man hört es ja schon seit Jahren!“ Aber er schüttelte den Kopf und meinte, er habe es nie vorher gemerkt.

Tags darauf fehlte der Alte beim Schulaufang; der Neue mußte für ihn einspringen. Ich schickte gleich nach der Wohnung des alten Liktors. Der Bote kam zurück mit einer Empfehlung von der Tochter: der Vater sei plötzlich schwer erkrankt, man habe sie noch in der Nacht hereinberufen.

Das gab mir ordentlich einen Stich ins Herz. Es war ja auch für mich wieder eine Mahnung, einer von den Boten des Todes, von denen das alte Volksmärchen erzählt, die er so höflich vor sich her zu einem schickt und die man so achtlos vorüberläßt.

Und da hat mir meine Prima – meine letzte – eine große Freude gemacht. Der Sprecher kam zu mir und verriet mir namens seiner Kameraden, daß sie schon vor Wochen heimlich sich an den Maler Mahrholtz gewandt und bei ihm – wohl mehr für gute Worte als Geld – ein Bild bestellt hatten, welches sie dem alten Liktor bei der Feier des Abschieds vom alten Gymnasium schenken wollten: es stellte ihn selber dar, wie er das Läutseil in der Hand, den Blick nach der Schuluhr gerichtet, seines Amtes waltete. Das Bild war just tags zuvor eingetroffen, nun baten sie, daß ich es – wenn der Arzt erlaube – mit ihnen unter Beisein meiner Kollegen jetzt schon dem Kranken überreichen möge.

„Eine reine Freude schadet nie,“ meinte der Arzt, und so haben wir dem Alten – man hatte ihn auf das Gütchen seiner Kinder hinausgebracht – das Bild folgenden Tages feierlich überreicht. Gewiß, eine reine und große Freude war es für ihn. Es hat immer an seinem Lager gestanden während der paar Wochen, die er noch so still und schmerzlos auslebte. Jetzt hängt es – ein Vermächtnis des Alten an die Schule – in dem neuen Konferenzzimmer.

Als ich ihn zuletzt besuchte, konnte ich ihm noch die Meldung bringen, daß meine letzten Abiturienten alle bestanden hatten. Da blickte er mit dankbarem Lächeln auf das Bild und flüsterte: „Es war aber auch ein sehr guter Jahrgang, Herr Direktor!“

Vier Tage darauf – an einem schönen, goldduftigen Frühherbsttage haben wir ihn bestattet, auf dem alten Augustinerkirchhof, unfern der Schule. Alle Schüler, das Kollegium an der Spitze, holten ihn von der Stadtgrenze ein. Das umflorte Schulbanner wurde über seiner Gruft gesenkt; und als der Prediger geendet, da klang – wie es der Alte sterbend gewünscht – von dem Klosterbau herüber durch die weiche Abendluft noch einmal das klingelnde, schmächtige Geläut des Schulglöckchens und mischte seinen hellen Ruf in das dumpfe Geräusch der niederkollernden Erdschollen.

Es waren Abschiedsklänge auch für mich. Als sich im nächsten Schuljahr die Pforten des neuen Gymnasiums öffneten, da hielt ein neuer Direktor die erste Andacht ab – und ein neues Glöckchen läutete sie ein.