Gesellschaftliche Unsitte

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Titel: Gesellschaftliche Unsitte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 318–319
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[318] Gesellschaftliche Unsitte. Es ist in neuester Zeit Mode geworden, daß auch unsere Gelehrten und Schriftsteller Gesellschaften in großem Stil geben, ja man spricht von einer Residenzstadt, in welcher hierin ein Wetteifer unter den namhaften Autoren herrscht, so daß manche Kreise geneigt sind, die Bedeutung des Schriftstellers nach der Größe seiner Salons, der Zahl der eingeladenen Gäste, dem Rang derselben, je nachdem besternte Diplomaten und Aristokraten und mit Millionen ausgestattete Geheimräthe sich in denselben bewegen, und nach der Qualität der aufgetischten Speisen und Getränke zu messen. Diese Gerüchte mögen übertrieben sein, aber es ist gewiß ein Körnchen Wahrheit darin. Der Aufwand unseres gesellschaftlichen Lebens ist viel größer geworden als früher, und in gleichem Verhältniß ist die Freudlosigkeit unserer Gesellschaften gestiegen. Unsere großen Dichter kannten solchen Ehrgeiz nicht und waren nicht in der Lage, ihm zu huldigen; selbst die Symposien im Goethe-Hause waren bescheidener Art; auch die Berliner Salons eines Varnhagen von Ense, einer Gräfin Ahlefeld öffneten sich nur wenigen Auserwählten.

In seiner Selbstbiographie spricht sich Gustav Freytag, ein Schriftsteller, dessen Ruf gewiß keine gesellschaftliche Folie brauchte, dessen Vermögenslage überdies stets eine sehr günstige war, über sein geselliges Leben in Leipzig aus. Er macht dabei sehr beachtenswerthe Bemerkungen, deren Nutzanwendung sich das nach fashionabeln Lorbeern strebende Schriftstellerthum der Gegenwart nicht entgehen lassen sollte:

„Zu Leipzig fühlte ich mich fest in den Herzen alter Freunde verankert und ich denke oft mit Sehnsucht der lieben Kameradschaft. Einem jüngeren Geschlechte aber möchte ich das einfache, häusliche und ehrbare Leben des Kreises, der mich dort umgab, gern empfehlen. Jedem war selbstverständlich, daß die Abendstunden, in denen der Mann von seiner Tagesarbeit ausruht, vor allem andern der Hausfrau und der Familie gehörten. Es ist ein übler Brauch, wenn der Mann den Abend im [319] Klub oder in Restaurationen verlebt, und wer einen neuen Haushalt einrichtet, sei er reichlich oder bescheiden, der möge sich vor dem schweren Unrecht wahren, das er dadurch seinen Liebsten zufügt. Da ein Mann aber auch den frohen Verkehr mit andern und den Austausch kluger Worte nicht entbehren kann, so war unter uns nach dem Arbeitstage eine Stunde festgesetzt, in der wir uns in einer Tafelrunde zusammenfanden: es war nur eine Stunde, aber sie bot zur Genüge die Anregung und Erfrischung, welche wohlthaten. Und wenn wir uns des Abends gegenseitig in unsern Haushalt luden, mit den Frauen oder auch für Männergespräch, so war festgesetzt, daß nicht mehr als ein, höchstens zwei Gerichte aufgesetzt werden durften, und kein theurer Wein. Bei solcher Ordnung schwirrten wir vergnügt wie die Heimchen. Seitdem ist der gesellschaftliche Verkehr viel anspruchsvoller, umständlicher und üppiger geworden, auch in den Kreisen, welchen vor Allen obliegt, das Leben der Deutschen gesund zu erhalten. Sogar unsere Gelehrten ergeben sich verschwenderischen Mahlzeiten zu später Abendstunde; wohl Jeder empfindet, wie ihm den andern Morgen das Haupt beschwert, die Nerven abgespannt sind; viele beklagen die Unsitte, aber sie fügen sich dem unholden Brauch und laden auch wohl ihre Studenten dazu ein, damit diese für ihr späteres Leben Sehnsucht und Bedürfniß nach ähnlicher Erschwerung des Daseins erhalten. Dies abgeschmackte Auftischen soll man doch solchen überlassen, welche kein besseres Selbstgefühl haben, als ihren Wohlstand durch Bärenschinken und eingeführte Kostbarkeiten zu zeigen. Gegenüber dieser Verschlemmung, welche in unser Tagesleben eindringt, ist es Zeit, daran zu mahnen, daß alle diese reichlichen Zuthaten zu dem äußern Leben, nicht allein bei der Tafel, auch in der gesammten Einrichtung des Hauses, ein unnützer Ballast sind, der da, wo er zur Herrschaft kommt, den Menschen nicht heraufhebt, sondern hinabdrückt.“

Das sind beherzigenswerthe Worte. Unsere Schriftsteller und Dichter mögen viellecht das Bestreben haben, der Welt zu zeigen, daß sie nicht mehr in Dachstübchen zu wohnen brauchen, wie Kotzebue’s „Armer Poet“, und daß ihnen mehr offen steht als der Himmel des Zeus; doch auch die profane Welt weiß, daß die Bedeutung der Dichter zu ihren Einnahmen meist nicht im geraden, sondern im umgekehrten Verhältniß steht. Das Genie im Dachstübchen ist noch immer kein Anachronismus, wenn auch die luxuriös eingerichtete Mittelmäßigkeit, die sich breit in den Vordergrund schiebt, darüber zu täuschen sucht.