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Goethe’s Aeltern

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Textdaten
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Autor: Arnold Schloenbach
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Titel: Goethe’ Aeltern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 447–449
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Goethe’s Aeltern.

Ein Gedenkblatt zu Goethe’s Geburtstag: 28. August.
von Arnold Schloenbach.

„Vom Vater hab’ ich die Statur,
Des Lebens ernstes Führen;

Vom Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabuliren!“

So kurz und treffend bezeichnet Goethe seine Aeltern und den Einfluß, den dieselben auf ihn gehabt haben; den Vater, den am 31. Juli 1710 geborenen und am 27. Mai 1782 gestorbenen kaiserlichen Resident und Rath, Johann Kasper Goethe, Dr. jur., schildert am Treffendsten Lavater in seinen psychologischen Fragmenten, indem er dessen Bild mit den Worten giebt: „Das Bild des vortrefflich geschickreichen, Alles wohl ordnenden, bedächtiglich und klug anstellenden, aber auf keinen Funken dichterischen Genies Anspruch machenden Mannes.“

Goethe’s Vater war eine Erscheinung echt deutscher Art der sogenannten „alten guten Zeit"; eine Erscheinung specifisch hervorgewachsen aus dem Boden der alten, freien Reichsstadt Frankfurt, mit den nur ihr gehörenden bedingenden Elementen. Den Grund seiner gelehrten Bildung hatte er auf dem damals berühmten Coburger Gymnasium gelegt; in Regensburg, Gießen und Wetzlar weitumfassend Jurisprudenz studirt, und auf großen Reisen durch Deutschland, Holland, Frankreich und Italien weite Anschauungen von Völker-, Wissenschafts- und Kunstverkehr gewonnen; dazu reiche Sammlungen gelehrter Werke, Gemälde, Zeichnungen, Radirungen, Statuen, Gypsabgüsse, Marmore, Gefäße u. dgl. – Er gab große Summen dafür aus, die einzelnen Fächer seiner Bibliothek in durchaus gleicher Form aufstellen zu können, natürlich auch in demselben Einband; die Gemälde hatten alle gleichen Rahmen, die Zeichnungen gleiche Einfassung; dabei hatte er aber keine Vorliebe für alte Gemälde, sondern er meinte, es sei nothwendiger, die lebenden Künstler zu beschäftigen, und so war wohl kein mitlebender Künstler seiner Vaterstadt, der nicht Bestellungen von ihm empfing. Er liebte aber die Gemälde auf tüchtigen Eichenbrettern mehr, als die auf der „leichtsinnigen Leinewand;“ zu dem Zwecke hatte er stets eine Anzahl besonders guter Bohlen in petto, und es kam nicht selten vor, daß er ein weniger gutes Bild auf der deutschen Eiche lieber hatte, als ein besseres auf holländischer Leinewand, so sehr er auch auf Holland große Stücke hielt. Dies aber noch weit mehr auf Italien, das ihm – mit Ausnahme der Gasthäuser – das Land aller Länder und der einzige Gegenstand war, bei dem der sonst sehr lakonische Mann redselig wurde.

Aus Italien zurückgekommen, bot er sich seiner Vaterstadt zu einem Dienste ohne Besoldung und Belohnung an, doch unter der Bedingung, daß man ihn ohne Ballotage erwähle; da dies nach alten Normen nicht zugelassen wurde, verschwor er ein für allemal jeglichen Dienst für seine Vaterstadt, ließ sich vom deutschen Kaiser zum Rath machen, vergrub sich noch tiefer in seine gelehrten und künstlerischen Studien, in seine Schrullen und Sonderbarkeiten, und konnte sich erst in seinem 39sten Jahre entschließen, eine Tochter der Stadt zu heirathen. Das mußte denn aber auch eine der Ersten sein, und so vermählte er sich am 31. Juli 1748 mit der siebzehnjährigen Katharina Elisabeth, der dritten Tochter des wirklichen kaiserlichen Rathes, Stadt- und Gerichtsschultheißen, Johann Wolfgang Textor.

Alle seine Eigenthümlichkeiten trug er nun in „Handhabung“ seines Ehelebens und namentlich seiner Kindererziehung über. Er hatte ein ebenso großes Mißtrauen in die Schulen, als Vertrauen zu sich selbst, und wurde daher auch der Lehrer seiner Kinder; dies nach einem Erziehungs- und Unterrichtskalender, der so strenge festgehalten wurde, daß, wenn durch Krankheit und andere Zufälligkeiten Stunden und Aufgaben ausgefallen [448] waren, dieselben stets wieder nachgeholt werden mußten. Alles was ihm Freude machte, was er konnte, sollte auch Andern Freude machen, sollten auch Andere können, und so stopfte er in die jungen Gemüther eine Unmasse Stoff hinein; dies aber auch mit einer werkwürdigen Gabe: Alles lebendig, anschaulich und gegenständlich zu machen und auf das thatsächliche Leben zu beziehen. Um auch selbst den Zeichnenunterricht leiten und überwachen zu können, lernte er noch als Fünfziger diese Kunst, mit unermüdlicher Geduld ganze Sammlungen Blatt für Blatt copirend. Die Zeichnungen des Sohnes zog er selbst auf, umgab sie mit Linien und ließ in manche noch die Perspectivlinien von geübter Hand nachzeichnen. Musik mußt ihm fleißig getrieben werden, er begleitete dazu auf der Flöte. Das Italienische lernten die Kinder fast wie ihr Deutsch, und beim Tanzunterricht verschmähte er nicht, mit ungemeiner Würde selbst vorzutanzen. Daneben wurden die Kinder noch schrecklich geqält mit des Vaters leidenschaftlicher Liebe zur Seidenzucht, die er im eigenen Hause betrieb. Eine gründliche Verachtung hatte der Vater gegen die Fucht, und um dieselbe den Kindern zu vertreiben, wenn sie allein in ihr dunkles, einsames Schlafzimmer mußten, erschien er ihnen oft plötzlich mit umgewandtem Schlafrock und drohender Stimme, wodurch die Armen dann erst recht in Furcht kamen.

Seine Begeisterung für Friedrich II. war ebenso groß, als sein Haß und seine Verachtung gegen die Franzosen, und er ließ Beiden mit starrer Unerbittlichkeit auch dann freien Lauf, als der französische General Thorane, der Königslieutenant, bei ihm einquartirt war, wodurch er in höchst schwierige, ja einmal lebensbedrohende, Conflicte gerieth, ohne aber auch dabei sich zu verleugnen.

Seine Ruhe in Gefahr war eben so groß, als sein Jähzorn in Momenten der Erregung, und wir sehen ihn bei einem so furchtbaren Gewitter, wie es vielleicht in Frankfurt je erlebt wurde, wo Frauen und Kinder betend und heulend auf den Straßen lagen und Männer flüchteten, ganz ruhig die noch nicht zerschlagenen Fenster und Spiegel ausheben und abnehmen. – Gründlich verachtete er auch das Kartenspiel; noch mehr die Gasthäuser; er wünschte deshalb die alte, gute Zeit mit den Hospitälern zurück und schenkte – namentlich reisenden Künstlern, Gelehrten und Virtuosen – die lieberalste Gastfreundschaft. Dagegen war er förmlich knauserig bei Ausflügen zu Landparthien, wobei er selten etwas verzehren ließ. Durchaus praktisch, mußten seine Bedienten zugleich Schneider sein, und für ihn und den Sohn die Kleider machen; dies aber auch stets vom feinsten Tuche, das er stets in reicher Auswahl vorräthig hatte. – Die Poesie war ihm ein hoher Kultus; doch so verhaßt die ungereimte Poesie, daß Klopstock’s Werke ihm nie vor die Augen kommen durften, und es heftige Scenen gab, als er entdeckte, daß dieselben in seinem Hause heimlich gelesen wurden, in Manchem auswendig gelernt waren.

Des Sohnes steigender Ruhm machte ihn selig und stolz, doch hätte er auch gleichzeitig einen tüchtigen Juristen in ihm gewünscht. Die höchste Bezeichnung, die er dem ruhmgekrönten Sohne gab, war die eines „singularen“ Menschen, wobei er aber auch behauptete: „Wenn ich Deine Talente gehabt hätte, ich würde ganz anders damit gewirthschaftet haben.“

Wie er, bei aller Gottesfürchtigkeit, die Priester im Ganzen nicht liebte, und sie wohl „schwarze Männer mit weißen Krägen“ nannte, so auch, bei allem Respekt vor Hoheit und Würde, die Fürsten nicht; er traute ihnen besonders keine Aufrichtigkeit und keine wahre Liebe zum Bürgerstande zu; er war daher auch schwer zu bewegen, den Sohn nach Weimar ziehen zu lassen, doch freute er sich unendlich, als derselbe von dort aus mit seinem großartigen Fürsten zuerst die Vaterstadt wieder besuchte, und er nun den fürstlichen Herrn und den fürstlichen Dichter mit Pracht und Glanz bewirthen durfte.

Kurz nach dem Tode des alten Rathes schrieb Herzog Karl August in seiner resoluten Manier an Merk: „Goethe’s Vater ist nun abgestrichen und die Mutter kann nun endlich Ruhe schöpfen“ und er setzte dann noch hinzu, daß dies wohl der einzige gescheidte Streich gewesen wäre, den der Alte in seinem Leben gemacht habe.

Man darf aber in dieser Aueßerung den edlen Karl August nicht verkennen; sie kam weniger aus Lieblosigkeit gegen den Vater, als aus Liebe und Verehrung für die Mutter, „die Frau Rath“ oder „Frau Aja“, die von den Höchsten und Edelsten ihrer Zeit geliebt und verehrt wurde. Wieland schreibt von ihr: „sie ist die Königin aller Weiber, die Herz und Sinnen des Verständnisses haben.“ – Dem Herzog Karl August scheint sie „eine Glorie um ihre alte Mütze zu tragen.“ Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen besuchen sie, wohnen bei ihr, fahren mit ihr in’s Theater, schnupfen mit ihr aus einer Dose, backen mit ihr Eierkuchen, pumpen Wasser mit ihr am Brunnen, daß die Oberhofmeisterinnen hinzu treten und Einhalt thun müssen. Sie ist der Schirm und Hort aller Dichter und Künstler, gleichsam die „Herbergsmutter“ der schönsten und edelsten Geister ihrer Zeit; mochte das nun der Poesie und Kunst, ober Würsten, Wein, Strümpfen und Bratenwendern gelten.

Bettina von Arnim hat ihr das schönste und charakteristische Denkmal gesetzt. Sie selbst hat ein solches hinterlassen in vielfachen Briefen. Hören wir sie selbst, wie sie z. B. an die Herzogin von Weimar schreibt:

„Am 11. April 1779. Durchlauchtigste Fürstin! Bei uns ist’s Messe!!! Weitmäuligte Laffen feilschen und gaffen, gaffen und kaufen. Bestienhaufen, Kinder und Fratzen, Affen und Katzen u. s. w. – Doch mit Respekt geredt, Frau Aja! Madame La Roche ist auch da!!! Theuerste Fürstin! Könnte Doctor Wolf (Goethe), den Tochtermann sehen, den die Verfasserin der „Sternheim“ ihrer zweite Tochter aufhängen will; so würde er nach seiner sonst löblichen Gewohnheit mit den Zähnen knirschen und ganz gottlos fluchen. Gestern stellte sich mir das Ungeheuer vor – Großer Gott!!! wenn mich der zur Königin der Erden (Amerika mit eingeschlossen) machen wollte; so – ja so – gebe ich ihm einen Korb. Er sieht aus – wie der Teufel in der siebenten Bitte in Luther’s kleinem Katechismus – ist so dumm wie ein Heupferd, und zu allem seinen Unglück ist er Hofrath. Wenn ich von all’ dem Zeug was begreife, so will ich zur Auster werden.“

Vom 1. März 1783, aus der ersten Zeit ihrer Wittwenschaft: „Ich befinde mich, Gott sei Dank, gesund, vergnügt und fröhlichen Herzens, suche mir mein bischen Leben noch so angenehm zu machen als möglich. Doch liebe ich keine Freude, die mit Unruhe, Wirrwar und Unbequemlichkeit verknüpft ist. Denn die Ruhe liebte ich von jeher – und meinem Leichnam thue ich gar gern die ihm gebührende Ehre. Morgens besorge ich meine kleine Haushaltung, auch werden da Briefe geschrieben. Eine so lächerliche Correspondenz hat nicht leicht Jemand außer mir. Alle Monate räume ich mein Schreibpult auf, aber ohne Lachen kann ich das niemals thun. Es sieht darin aus wie im Himmel: alle Rangordnung aufgehoben – Hohe und Geringe, Fromme und Zöllner und Sünder – alles auf einem Haufen. Der Brief vom frommen Lavater liegt ganz ohne Groll beim Schauspieler Großmann. Nachmittags haben meine Freunde das Recht, mich zu besuchen, aber um vier Uhr muß Alles wieder fort. Dann kleide ich mich an – fahre entweder in’s Schauspiel oder mache Besuche, komme aber um neun Uhr wieder nach Hause.“

In ihr erstes Mädchenleben tritt eine ebenso sonderbare als mächtige Liebe, der sie durch ihr ganzes Leben mit rührender Pietät anhing, sie still im Herzen verbergend, und nur in tiefsten und trautesten Stunden bei den ihr Theuersten sie hervorholend aus dem heiligen Schrein: die Liebe zum jungen deutschen Kaiser Albrecht von Baiern, der im Jahre 1742 die Osterfeste in Frankfurt feierte. Um ihn eines Tages recht deutlich und lange sehen zu können, stieg sie auf einen Stuhl, stürzte herab und trug eine ernste Kniewunde davon; auch diese blieb bis zu ihrem Tode und beschleunigte denselbstn in erneutem, heftigem Aufbruche. –

Siebzehn Jahre alt, wurde sie verheirathet, und der jungen Mutter stand der Sohn im Alter näher als der Gatte; er wurde ihre Welt, ihr Himmel, ihr Alles; früher als bei andern Jünglingen ihr Freund, ihr Vertrauter; er verstand sie wie Niemand, und Niemand hat auch wohl ebenso den Knaben und Jüngling, dann den großen Dichter verstanden als sie; sie war ihm gegenüber Coriolan’s Volumnia in’s gute reichsstädtische Deutsch übertragen. Nannte Goethe die intimste Freundin der Mutter, das Fräulein von Klettenberg (siehe „Bekenntnisse einer schönen Seele“ in Wilhelm Meister) seinen „Rath,“ so nennt er dabei die Mutter als seine „That.“ – Und welch’ eine prächtige That war sie, als es nach Frankfurt strömte, um den durch „Götz,“ und „Werther“ rasch berühmt gewordenen Sohn zu sehen, zu hören und zu beschmausen. Da stellte sie sich das dar als die wirthschaftende Elisabeth im „Götz.“ Als die Grafen[WS 1] [449] Stollberge kamen, versetzte sie sich in’s Mittelalter, so als ob sie als Aja bei irgend einem Hofe des Orients angestellt sei; seit dieser Zeit blieb ihr der Name „Frau Aja.“ Goethe erzählt eine Scene aus der Anwesenheit der Grafen (im Auszug) also: „Die Grafen waren damals voll Ungestüm, und nach einer und der andern genossenen Flasche Wein kam der poetische Tyrannenhaß zum Vorschein, und man erwies sich lechzend nach dem Blute solcher Wütheriche. Um dies in’s Heitere zu wenden, verfügte sie sich in ihren Kellerm, wo ihr von den ältesten Weinen wohl unterhaltene große Fässer lagen, Jahrgänge 1706, 1719, 1726, 1748, von ihr selbst gepflegt und nur bei feierlich bedeutenden Gelegenheiten in Anspruch genommen. Mit diesem Gewächs erschien sie wieder vor den lautgewordenen Jünglingen und rief ihnen zu: „Hier ist das wahre Tyrannenblut! daran ergötzt Euch, aber alle Mordgedanken laßt mir aus dem Hause.“

Ihres Sohnes Abgang nach Weimar geschah mit durch ihre Vermittelung; aber sie selbst reisete erst dorthin, als nach dem Tode des Vaters der Sohn sie einlud. Sie führte ihr Haus und ihre Wirthschaft ganz in alter Weise fort bis 1794, wo sie Alles verkaufte und eine kleinere, aber freundlich-behaglicher Miethwohnung an der „Hauptwache“ bezog. – Im Jahr 1797 bekam sie Besuch von Goethe’s ehelicher Freundin, der viel genannten Vulpius, später erst Goethe’s Gemahlin. Es spricht wohl sehr für diese viel Geschmähte, daß die herrliche Frau Rath sie stets sehr gern und respektirt hatte; sie nannte sie in vielfacher Correspondenz ihre „liebe, liebe Tochter,“ und verstand ganz praktisch sicher, daß gerade diese Natur durchaus für ihren Sohn passe. Das ist wohl beachtenswerth. – Das Theater blieb ihr bis zum Tode eine Hauptleidenschaft, und die Matrone benahm sich darin als Hauptperson und wie zu Hause; dies als ganz natürlich angesehen von den Frankfurtern, die hier alle mögliche Huldigungen ihr darbrachten. Im Goethe-Zelter’schen Briefwechsel wird z. B. erzählt: „Es wurden Goethe’s „Geschwister“ gegen; das Haus war wegen der Hitze sehr leer. Da rief sie auf’s Theater: Herr Verdy, spielen Sie nur tüchtig, ich bin da, worauf Verdy und alle übrigen sehr gut, ja begeistert spielten.“ Als Alles vorüber war, schrie sie ganz laut: „Ich bedanke mich schön und will es auch meinem Sohn schreiben.“ Darauf fing sie eine Unterhaltung an, und das ganze Publikum hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, bis die Frau Rath das Haus verlassen hatte.“

Gern möchten wir die außerordentliche Matrone noch begleiten durch die zwei letzte Jahre ihres Lebens, wo sie im Umgang mit dem wunderbaren Mädchen Bettina sich noch so recht in vollstem Glanze ihres Herzens und Geistes und im Phantastischen zeigte; wo die herrlichsten Lebens- und Herzensäußerungen von ihr ausgingen; gern noch schildern die rührende prächtige Scene, wo sie sich im reichsten Anzuge der berühmtesten Frau ihrer Zeit, der Frau von Staël, vorstellte mit den Worten! „Je suis la mère de Goethe!“ gern noch ausführlich erzählen, wie Tiek ihr als Dr. Gall vorgestellt wurde und sie ihm sogleich ihren weißen Kopf hinhielt, damit derselbe untersuchen sollte, was ihr Sohn von ihr habe; wie sie dann aber hell auflachte, angeführt zu sein; noch lieber möchten wir genau die wunderbare Ruhe und Heiterkeit beschreiben, mit der sie ihren Tod herannahen sah; doch der Raum geht zu Ende, wir müssen Abschied nehmen von der herrlichen Frau, wie sie nun auch Abschied nahm von der Erde. Am Morgen ihres Todestages, den 13. September 1808, war sie noch zu einer Gesellschaft eingeladen; da ließ sie wohlgemuth antworten: „Die Frau Rath kann nit kommen, sie hat alleweil zu sterben.“ – Nun ordnete sie ihr Leichenbegängniß auf’s Pünktlichste an; bestimmte den Wein und Kuchen, der bei ihrem Begräbniß gegeben werden sollte, gebot den Mägden, ja nicht zu wenig Rosinen in die Kuchen zu geben und meinte dabei: „Das konnt’ ich mein Lebtag nit leiden und würde mich noch im Grabe darüber ärgern.“ Sie starb in der Nacht; als die ächte „Frau Rath,“ als die wahre „Frau Aja,“ ruhig, weise, liebevoll, in alttestamentlicher Gottesfurcht, „voll Zuversicht auf den unwandelbaren Volks- und Familiengott.“

Anmerkungen (Wikisource)