Zum Inhalt springen

Goethe’s Minchen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Goethe’s Minchen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 686–687
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[686] Goethe’s Minchen. (Mit Illustration S. 687.) Außer den unsterblichen Mädchen- und Frauengestalten, die unser großer Dichter geschaffen, gehören auch der Litteraturgeschichte jene Mädchen und Frauen an, die ihm im Leben begegnet, die kürzere oder längere Zeit seinem Herzen nahe standen und seine Phantasie zu ihren unsterblichen Schöpfungen anregten. Zu diesen gehört auch Wilhelmine Herzlieb, die Pflegetochter des Frommann’schen Hauses in Jena: man kannte bisher einige dichterische Huldigungen, die ihr Goethe gewidmet, aber über ihr eigenes Empfinden gegenüber dem Dichterfürsten fehlten alle Mittheilungen; Wilhelmine hatte keine schriftstellerischen Neigungen; ja sie war, wie ihre Hausgenossen berichten, „entsetzlich schreibfaul“, führte also auch keine Tagebücher, in denen sie die Chronik ihrer Erlebnisse, ihre Stimmungen und Gefühle niederlegte. Gleichwohl ist es einem Goethe-Forscher, Karl Theodor Gaedertz, gelungen, 6 bisher ungedruckte Briefe des Mädchens aufzufinden, die er in einer Schrift „Goethe’s Minchen“ mit dem bisher unbekannten Portrait derselben veröffentlicht hat (Bremen, Müller). So tritt uns Wilhelmine Herzlieb, die bisher in einem gewissen geheimnißvollen Dunkel geblieben, menschlich näher; denn der Stil ist der Mensch, und einige Zeilen dieser Briefe geben auch einen Einblick in ihr Empfinden und zeugen von dem oft bestrittenen Antheil, den sie dem Dichter schenkte, von der Neigung, die sie ihm entgegenbrachte.

Wilhelmine Herzlieb war am 22. Mai 1789 zu Züllichau geboren als Tochter des dortigen Superintendenten. Ihre Eltern starben frühzeitig und sie kam 1798 in das Haus des Buchhändlers Frommann, der damals von Züllichau nach Jena übersiedelte. Hier lernte Goethe das artige Kind kennen und widmete ihm die folgenden Verse:

„Als kleines artiges Kind durch Feld und Auen
Sprangst du mit mir so manchen Frühlingsmorgen;
Für solch ein Töchterchen mit holden Sorgen
Möcht’ ich als Vater segnend Häuser bauen.
Und als du anfingst, in die Welt zu schauen,
War deine Freude häusliches Besorgen:
Solch eine Schwester und ich wär’ geborgen;
Wie könnt’ ich ihr, ach wie sie mir vertrauen.“

Doch das Kind erwuchs zur Jungfrau, „zur lieblichsten aller jungfräulichen Rosen“; das Portrait, von Johanne Frommann, der Pflegemutter, kurz vor der Zeit gemalt, ehe Goethe’s Herz sich dem schönen Mädchen zuwandte, dies bisher unbekannte Portrait giebt uns ein Bild von der Art und Macht ihrer Schönheit. „In der That,“ sagt Gaedertz, „liegt ein ganz eigenthümlicher Duft über dem wunderholden engelgleichen Angesicht ausgegossen; anmuthig und thaufrisch sind die kindlich reinen Züge; die großen dunkelbraunen ‚Augen‘ – mehr sanft als freundlich und feurig – schauen unschuldsvoll fragend drein; klein und köstlich sind die rosenrothen Lippen; schwarzes reich geringeltes, in Locken nach vorn fallendes Haar umrahmt den feinen ovalen Kopf und erhöht die Zartheit des Teints; man möchte meinen, eine Madonna vor sich zu sehen. Doch nicht bloß Haupt und Büste, ihre ganze Gestalt war schön, von klassischem Ebenmaß, schlank und biegsam, edel und graziös in allen Bewegungen, die Kleidung stets einfach, aber geschmackvoll; sie liebte schlichte, weiße Kleider, wie wir’s auf dem Bilde sehen.“

Im November und December 1807 verweilte Goethe längere Zeit in Jena: damals war Minna Herzlieb die begeisternde Muse des Dichters; er selbst schreibt 1813 an seinen Freund Zelter, er habe Minna schon als Kind zu lieben angefangen und in ihrem sechzehnten Jahre mehr als billig geliebt. Der Romantiker Werner, der Dichter der „Weihe der Kraft“ und des „Kreuzes an der Ostsee“, war in jener Zeit nach Jena gekommen und hatte Goethe mit der damals grassirenden „Sonettenwuth“ angesteckt. Diese Wuth ergriff den Dichter und die schöne Minna Herzlieb wurde die Heldin dieser Sonette. Da ruft er in dem einen aus:

„Nun kann das schöne Wachsthum nichts beschränken;
Ich fühl’ im Herzen heißes Liebestoben.
Umfass’ ich sie, die Schmerzen zu beschwicht’gen?

Doch ach, nun muß ich dich als Fürstin denken;
Du stehst so schroff vor mir emporgehoben;
Ich beuge mich vor deinem Blick, dem flücht’gen.“

[687] Es war die Geliebte, die sich ablehnend gegen ihn verhielt. Auch in einem Silbenräthsel in Sonettenform feierte er sie:

„Zwei Worte sind es, kurz, bequem zu sagen,
Die wir so oft mit holder Freude nennen,
Doch keineswegs die Dinge deutlich kennen,
Wovon sie eigentlich den Stempel tragen!

Es thut gar wohl in jung’ und alten Tagen,
Eins an dem andern kecklich zu verbrennen,
Und kann man sie vereint zusammennennen,
So drückt man aus ein seliges Behagen.

Nun aber such’ ich ihnen zu gefallen
Und bitte, mit sich selbst mich zu beglücken;
Ich hoffe still, doch hoff’ ich’s zu erlangen,

Als Name der Geliebten sie zu lallen,
In Einem Bild sie beide zu erblicken,
In Einem Wesen beide zu umfangen.“

Jetzt nachdem Gaedertz diese Briefe aufgefunden, müssen wir annehmen, daß Minna die Neigung des Dichters erwiederte; er war zwar achtundfünfzig Jahre alt; doch wie die greise Minna selbst es aussprach: Goethe war immer jung, man merkte bei ihm nicht das Alter. In einem Briefe an eine Freundin vom 10. Februar 1808 schreibt sie: „Goethe war aus Weimar herübergekommen, um hier recht ungestört seine schönen Gedanken für die Menschheit bearbeiten zu können und so denen, die sich so sehr bemühen, immer besser zu werden, auf den rechten Weg zu helfen und ihnen Nahrung für Kopf und Herz zu verschaffen. Er wohnte im Schloß, zu unserer großen Freude; denn wenn wir seiner Wohnung nicht so nahe gewesen wären, wer weiß, ob wir ihn dann jeden Abend gesehen hätten; denn er muß sich doch auch ein Bischen nach seiner Gesundheit richten, die zwar jetzt im sehr guten Gleise ist. Er war immer so heiter und gesellig, daß es Einem unbeschreiblich wohl und doch auch weh in seiner Gegenwart wurde. Ich kann Dir versichern, liebe beste Christiane, daß ich manchen Abend, wenn ich in meine Stube kam und Alles so still herum war und ich überdachte, was für goldene Worte ich den Abend wieder aus seinem Munde gehört hatte, und dachte, was der Mensch doch aus sich machen kann, ich ganz in Thränen zerfloß.“

Und aus ihrer Heimathstadt Züllichau, wo sie zum Besuch bei ihrer Schwester war, schreibt sie am 15. Oktober 1808 an dieselbe Freundin: „Alles, was mich trübe machen konnte, verbanne ich aus meiner Seele; wer weiß, ob ich nicht ganz geheilt werde, und dann ist mir geholfen, wenn ich nur mein begangenes Unrecht wieder gut machen könnte!“

Wilhelmine Herzlieb.

Das sind zweifellose Liebesgeständnissc, und das letztere könnte sogar Bedenken erregen, ob Minna immer die Hoheit der Fürstin gewahrt.

Im Jahre 1812 hatte sie sich mit Professor Pfund verlobt. Doch löste sie das Verhältniß wieder. Goethe schrieb im Februar 1813 an die Malerin Luise Seidler: „Grüßen Sie Minchen. Ich habe immer geglaubt, dies Geistchen gehöre einem treueren Element an; doch soll man sich überhaupt hüten, mit der ganzen Sippschaft zu scherzen.“

Im Jahre 1821 heirathete sie Professor Walch in Jena. Doch die Ehe war nicht glücklich; die Gleichgültigkeit steigerte sich bis zu völliger Abneigung. Walch’s Tod 1853 löste das unglückliche Verhältniß. Die Greisin starb am 10. Juli 1865 in einer Heilanstalt für Geisteskranke zu Görlitz.

Minchen Herzlieb war, wie man wohl vermuthen darf, das Urbild für die Ottilie in den „Wahlverwandtschaften“. Das wäre das dauernde Denkmal, das ihr der große Dichter gesetzt hat.†