Helena (Lenau)

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Autor: Nikolaus Lenau
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Titel: Helena
Untertitel: Dramatisches Bruchstück
aus: Nicolaus Lenau’s dichterischer Nachlaß, Seite 79–87
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Auflage:
Entstehungsdatum: 1830
Erscheinungsdatum: 1858
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Erscheinungsort: Stuttgart und Augsburg
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Fragment eines Dramas, Grundlage ist eine Sage um Helena, Tochter des Königs Heinrich und die Entstehung der Burg Přimda[WS 1]
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[79]

Helena.

Dramatisches Bruchstück.

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[81]
Erster Aufzug.
Erster Auftritt.
Ausgereuteter Platz vor einer fast vollendeten Burg, tiefst im Böhmerwalde; nebenan ein Blockhaus. – Nacht mit Vollmond.
Ritter Albrecht. Kurt, sein Edelknecht. Zuletzt Werkner.

Albrecht.

Laß uns verschwatzen diese lange Stunde;
Die Kerle schlafen alle noch wie Felsen;
Ein störrisch widerwärtig Volk! ich darf
Nicht stören ihren Schlaf, zur Arbeit rufen,
Weil sie mich sonst verlassen, wie sie drohten.
Noch ist nicht fertig meine feste Burg,
Darin ich all mein Glück verschanzen will;
Mit jedem Stein wächst meine Ungeduld.

[82]

Der Mond scheint hell – ein ärgerliches Licht
Für einen, der sich nach dem Morgen sehnt.
Gibt’s auf der Welt ein Weib wie Helena?

Kurt.
Ich kenne keins; der König ist zu schlecht,
Daß er sie Tochter nennt, und Leidenschaft
Ein ganzes Heldenherz voll ist sie werth.

Albrecht.
O, mehr als Leidenschaft verdient ihr Liebreiz!

Kurt.
Die Jungfrau ist von wunderbarer Schönheit.

Albrecht.
Ihr würd’ger Freier wäre nur der Wahnsinn,
Wenn er nicht häßlich wäre anzuschaun.
O Helena! wann werd’ ich dich umarmen?

Kurt.
In wenig Tagen ist die Burg vollendigt;
Die Zwingeln sind gebaut, die innern Mauern,

[83]

Die Letzen und die Thürme all gerüstet,
Mit Binsen ist die Diele schon bestreut,
Und eingerichtet sind die Kemenaten.
Mundvorrath ist gesammelt auch für Jahre,
Und gestern Abends fällten sie die Eiche,
Ein tüchtig Brautbett Euch daraus zu zimmern.

Albrecht.
Dann eil’ ich, ihrem Vater sie zu rauben,
Der stolz sich unserm Glücke widersetzt.
Daß ich den Vater und den König kränke,
Das gilt mir nichts, der König fraß den Vater;
Sonst würd’ er nicht das Herz dem Kind zerreißen
Und mich verwerfen; ich gewann ihr Herz.
Hast du gehört die schmachvoll bittern Worte,
Die er gesprochen mir zu Eresburg,
Als ich die tapfern Ungarn hingestreckt,
Und durch die Wetterschwärme der Kumanen
Mit meinem Schwerte ihn herausgehauen?
Ich trat vor ihn und bat um seine Tochter,
Er sprach: ich lohne reich mit Land und Leuten,
Nur nicht mit meinem Kinde dich, Vasall!

[84]

Du hast für mich dein treues Blut verspritzet;
Doch fordre nicht dafür mein Kind, mein Blut;
Nicht Blut um Blut verwettet man dem König,
Wenn man nicht selbst von fürstlichem Geschlecht.

Kurt.
Ein stolzer König, doch ein guter Vater;
Er hielt sie weich und gütig wie sein Auge.

Albrecht.
Hat er sein Auge je von sich gestoßen?
Mich dünkt, dich schläfert, dein Gedächtniß auch,
Das helle Mondlicht bleicht dir die Erinn’rung.
So hast du denn vergessen, wie sie weinend
Zu seinen Füßen sank in jener Stunde?
Wie er sie von sich stieß und wüthend rief:
Kein Wort davon! pfui! pfui! du riechst vom Knecht!
Mach’ deine Mutter nicht im Grab verdächtig.
Wie gerne hätt’ ich ihm den Kopf gespalten!
Doch weinend flehte Helena: verzeih!
Dein Zorn vernichtet unser letztes Hoffen. –
Und wenn er auch der beste Vater wäre,

[85]

Ich raubte sie, wenn er sie mir nicht gäbe;
Die Liebe ist das ältste Recht auf Erden.

Kurt.
Ich aber raubte sie auf alle Fälle.
Wenn Vater, Mutter, Basen auch und Vettern
Die Brautnacht uns zuschanzen, hat es was
Vom ekelig Bequemen einer Treibjagd.
Die Brautnacht mögen Andre sich erbeuten
Im Parke als ein müdgehetzt Kaninchen,
Wir jagen sie als Gemse im Gebirg.

Albrecht
(an das Blockhaus der Werkleute horchend).
Sie schlafen noch – ihr Klötze! schlafet schneller!

(An die Thür pochend.)
Holla! wacht auf! der Morgen dämmert schon!

(Stimme von innen.)
Gebt Ruh! noch ist es Nacht, es scheint der Mond;
Gebt Ruh! im Mondlicht strecken sich die Bäume,
Da strecke sich der Mensch auf seinem Lager.
Wir sind noch müd und schläfrig; gute Nacht!

[86]

Albrecht.
Auf! Auf! zur Arbeit! jegliche Minute,
Die bis zur Dämmerung noch verstreichen mag,
Bezahl’ ich Jeglichem mit einem Goldstück.

(Die Thür öffnet sich, die Werkner treten heraus.)

Maurer.
Was drängt Ihr uns so hastig ungestüm?
Baut sich ein Schloß so schnell denn wie ein Grab?
Ihr macht’s gerad wie jener Erbe jüngst,
Der mit der Leiche auf den Kirchhof kam,
Und den versoffnen Todtengräber schalt,
Daß er das Grab vergessen zu bereiten,
Der unter Flüchen ihn zur Arbeit trieb,
Weil schon dem Erben übel roch die Leiche.

Albrecht.
Hier treibt das Leben, nicht der Tod zur Eile;
Mach fort! ein Goldstück hast du schon verplaudert.

(Der Maurer geht zur Arbeit ab.)

Zimmermann.
Diesmal will ich verkürzen meinen Schlaf,

[87]

Ich denke das Versäumte nachzuholen,
Wenn euer Geld ich lege unter’s Kissen.
(Geht zur Arbeit.)

Albrecht.
Seyd rasch! auch eine gute Mahlzeit soll
Den Fleiß belohnen und ein Faß vom Rhein.

Schlosser.
Wohlan! ich folge; bis der Morgen dämmert,
Hab’ ich ein hübsches Geld mir zugehämmert.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vergleiche dazu:
    • J. Görres: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg 1807, S. 85 Deutsches Textarchiv
    • Damon [= Magnus Daniel Omeis]: Der Teutsche Paris / oder die Liebe zwischen Grafen Albrecht von Altenburg / und Helena / Kaiser Heinrichs Fräulein Tochter. In: Die in Eginhard verliebte Emma. 1680, S. 117 Google