Hochschulfragen im allgemeinen
Literatur:
[Bearbeiten]- Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400. 1885.–
- Ewald Horn, „Akademische Freiheit“. 1905. –
- Georg Kaufmann, Die Geschichte der deutschen Universitäten. Bd. 1, 1888; Bd. 2, 1896. –
- Georg Kaufmann, Universität Breslau. Festschrift zur Feier des 100j. Bestehens. 2 Bd. 1911. –
- Max Lenz, Geschichte der Universität Berlin. 4 Bd. 1910. –
- Fr. Paulsen. Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium. 1902. –
- Wilh. Schrader, Geschichte der Friedrichs-Universität zu Halle. 2 Bd 1894. –
- Fr. Schulze und P. Ssymank, Das deutsche Studententum von den ersten Zeiten bis zur Gegenwart. 1910. –
- C. Varrentrapp, Joh. Schulze und das höhere preussische Unterrichtswesen. 1889. –
- Wilhelm Wundt, Die Leipziger Hochschule im Wandel der Jahrhunderte. (Reden und Aufsätze 1913). –
- Theobald Ziegler, Geschichte der Pädagogik. 3. Aufl. 1909. –
- Theobald Ziegler, Der deutsche Student. 11. und 12. Aufl. 1912.–
- Theobald Ziegler, Über Universitäten und Universitätsstudium. 1913.
Die Universitäten sind im Mittelalter entstanden. Das Pariser Studium generale ist das Muster gewesen auch für die ältesten deutschen Universitäten. Sie standen unter weltlicher und geistlicher Oberhoheit zugleich, waren aber selbständig sich verwaltende Körperschaften mit eigener Gerichtsbarkeit und selbstgewählten Rektoren. Der Name universitas magistrorum et scolarium bezeichnet die Korporation als die Gesamtheit der Dozenten und Studenten, während daraus erst später die universitas literarum als Zusammenfassung des ganzen wissenschaftlichen Lehrbetriebs geworden ist. Die Wissenschaft, die auf den mittelalterlichen Hochschulen getrieben und tradiert wurde, war die Scholastik, die in ihrer Blütezeit nichts Verknöchertes und Pedantisches, nichts Totes und Unfruchtbares an sich hatte, sondern voll reichen bewegten Lebens, voll geistreicher Lehrer und lustiger Scholaren, voll schriftlicher und mündlicher Produktion, voll frischer fröhlicher Kämpfe sich uns darstellt. Nur freilich eine freie Wissenschaft war sie nicht; das Damoklesschwert des kirchlichen Bannes, der Exkommunikation, schwebte über ihr; was sie zu lehren und als wahr zu erweisen hatte, das stand als kirchliches Dogma zum voraus fest. Nicht zum wenigsten durch diesen inneren Widerspruch war gegen Ende des 15. Jahrhunderts die scholastische Wissenschaft alt und [132] schal geworden, und die Universitäten als ihre Organe bedurften wie sie selbst einer gründlichen Reform.
Diese kam durch den Humanismus. Zwar wurde nirgends eine rein humanistische Universität gegründet, auch in Wien vermochte sich das Collegium poetarum et mathematicorum der Universität gegenüber als selbständige Anstalt nicht zu behaupten. Aber nicht nur die zahlreichen neu entstandenen, sondern auch die alten Universitäten nahmen neben der scholastischen Wissenschaft den humanistischen Geist in sich auf und fügten des zum Zeichen den vorhandenen philosophischen und theologischen neue humanistisch-philologische Lehrstühle hinzu. Diese Neuerung wurde bestätigt und verstärkt durch die Reformation, welche die Kenntnis der drei Sprachen (Latein, Griechisch und Hebräisch) für die Theologen zur Bedingung machte. Aber auch der Katholizismus nahm an der humanistischen Bewegung teil und suchte sie durch den Jesuitenorden der alten Kirche dienstbar zu machen; so gerieten die meisten katholischen Universitäten nach und nach in die Hände der Jesuiten und wurden zu Ordensschulen mit den Privilegien von Hochschulen. Durch den kirchlichen Gegensatz wurden aber auch die protestantischen Universitäten streng konfessionell, auch die protestantische Theologie wurde scholastisch oder blieb es, und die libertas philosophandi fehlte, wie das Bedenken Spinozas gegen seine Berufung nach Heidelberg zeigt, auch ihnen und den freiesten unter ihnen durchaus.
Doch brachte der 30jährige Krieg langsam die Einsicht, dass die konfessionellen Streitigkeiten und Gegensätze ein Unglück seien für unser Volk, und von den Niederlanden, von England und Frankreich wehte ohnedies ein freierer Lufthauch herüber, der alsbald auch den deutschen Universitäten zugute kam. In Preussen, wo der Grundsatz „cuius regio eius religio“ zuerst durchbrochen wurde, dachte der Grosse Kurfürst daran, in einer brandenburgischen Stadt für Gelehrte aller Welt, die durch Glaubensverfolgung oder sonstige Tyrannei aus ihrem Vaterland verbannt waren, ein Asyl zu eröffnen, wo sie unbehelligt ihrer wissenschaftlichen Arbeit leben könnten. Verwirklicht aber wurde dieser utopische Gedanke in der anspruchsloseren Form der alten Universitäten durch seinen Nachfolger Friedrich III. an der 1694 neugegründeten Hochschule zu Halle. Allein auch hier lebte die alte intolerante Praxis rasch wieder auf, das zeigen die Intriguen der Pietisten gegen den Philosophen Chr. Wolff und dessen brutale Ausweisung aus Preussen durch Friedrich Wilhelm I. Und so hat doch erst Hannover durch die Gründung Göttingens im Jahre 1737 den Ruhm, eine auf dem Prinzip der freien Forschung aufgebaute Universität ins Leben gerufen zu haben; und gleich darauf folgte Erlangen, 1743 vom Markgrafen von Brandenburg-Bayreuth gegründet, diesem Beispiel nach. Der Rationalismus, der unter Friedrich dem Grossen Preussens Königsthron bestieg, besiegelte diese Errungenschaft weiterhin und sorgte überhaupt für Befreiung der weltlichen Wissenschaft von den theologischen und konfessionellen Fesseln auch in Deutschland.
Die zwei ersten ganz modernen Universitäten aber traten doch erst im 19. Jahrhundert, 1810 in Berlin und 1811 in Breslau, ins Leben. Ihnen prägte sich der Geist Schleiermachers und Wilhelm v. Humboldts, der Geist des Neuhumanismus und unserer an Kant sich anschliessenden idealistischen Philosophie von Anfang an aufs glücklichste und wirksamste auf und ein. Aber noch vorher war es doch der Geist der Aufklärung, „die berlinische Freiheit zu denken und zu schreiben“, die namentlich die erstere als gutes Erbteil mitbekommen hat. Der Grundsatz: „die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“ wurde freilich erst in die Grundrechte des Frankfurter Parlaments aufgenommen, kodifizierte aber nur, was sich seit den Tagen der Aufklärung allmählich durchgesetzt hatte. Er war von nun an recht eigentlich die Magna Charta der deutschen Universitäten. Breslau aber war, im Gegensatz zu den bisherigen in allen Fakultäten einseitig konfessionell orientierten Universitäten, die erste nichtkonfessionelle simultane Anstalt mit zwei getrennten theologischen Fakultäten. Dass daneben auch in der philosophischen Fakultät aus Gründen praktischer Natur für das Fach der Philosophie eine Doppelbesetzung mit je einem Katholiken und einem Protestanten angeordnet wurde, war freilich ein böses Kuckucksei, das noch im 20. Jahrhundert im Fall Spahn und in dem Geheimvertrag mit der Kurie an der Strassburger Universität als Präzedenzfall übel nachgewirkt hat. Indem W. von Humboldt die allgemeine Freizügigkeit der deutschen Studenten durchsetzte, schuf er damit über die Grenzen Preussens [133] hinaus einen gemeinsamen Typus der deutschen Universitäten, der bei aller Verschiedenheit und individuellen Gestaltung der einzelnen doch im grossen Ganzen hinfort ein allgemeiner deutsch nationaler war.
Dazu kam, dass nach den Befreiungskriegen, an denen Professoren und Studenten mit Wort und Tat ruhmvollen Anteil genommen haben, gerade sie die entschiedensten Vorkämpfer des deutschen Einheits- und Freiheitsgedankens und damit die Pfleger und Träger des nationalen Bewusstseins in Deutschland wurden, was 1848 im Frankfurter Parlament, das ein rechtes Professorenparlament gewesen ist, noch einmal kräftig in die Erscheinung getreten ist. Dass das Volk hinter seinen Professoren stand, dieses schöne Vertrauen hatten sich diese erworben durch die tapfere Tat der Göttinger Sieben, die gegen die Aufhebung der hannoverischen Verfassung protestierten und sich lieber absetzen als zum Huldigungsrevers zwingen liessen, weil sie mit Eiden kein leichtfertiges Spiel getrieben wissen wollten.
Im neuen Reich haben die Universitäten und ihre Professoren aufgehört, die politischen Führer zu sein. Doch zeigt die Überschrift über dem Kollegiengebäude der 1872 neu wiederaufgerichteten Universität zu Strassburg: literis et patriae, dass der enge Zusammenhang zwischen Universität und nationalen Gedanken und Aufgaben nach wie vor besteht und nicht zum wenigsten auch von dem grossen Realisten Bismarck in seiner Bedeutung und werbenden Kraft anerkannt worden ist.
Am Ende des 19. Jahrhunderts kam noch einmal etwas Neues, ein frischer Zweig am alten Stamm der deutschen Universitäten. Bei der Hundertjahrfeier der Charlottenburger Technischen Hochschule im Jahr 1899 wurde dieser und mit ihr sämtlichen technischen Hochschulen Preussens das Promotionsrecht zum Doktor-Ingenieur verliehen und damit die Gleichberechtigung dieser modernen Anstalten mit den älteren Universitäten öffentlich ausgesprochen; auch hier folgten die übrigen deutschen Staaten dem Vorgehen Preussens alsbald nach. Manche sahen darin freilich so etwas wie eine Minderung des Ansehens der Universitäten: gewiss nicht mit Recht. Es war nur ein Zeichen unserer realistisch und immer mehr auch technisch gewordenen Zeit und eine Anerkennung der Wichtigkeit und des Wertes der Technik für unsere Kultur. Die Gründung besonderer Lehranstalten für sie war nicht viel älter als 100 Jahre. Paris hat mit der école polytechnique am Ende des 18. Jahrhunderts auch hier wieder den Anfang gemacht und das Muster gegeben. Auf die Höhe einer Hochschule aber wurde zuerst das eidgenössische Polytechnikum in Zürich um die Mitte des 19. Jahrhunderts gehoben, dem sich dann die deutschen rasch anschlossen; und so war jene Verleihung des Universitätscharakters im Jahre 1899 nur das äussere Siegel auf die innere, rasche und stetige Entwicklung dieser Anstalten selbst. Hineinzuwachsen in den freien Geist der älteren Schwestern ist hinfort ihre Sache, und ist eine Aufgabe, die sich nicht so ohne weiteres von selbst versteht. Es ist freilich auch, namentlich neuestens bei den Universitätsplänen für Dresden, der Gedanke aufgetaucht und ventiliert worden, ob es nicht möglich und rätlich sei, beide hohe Schulen, Polytechnikum und Universität, zu einer einzigen Anstalt zu vereinigen, etwa durch Angliederung einer technischen an die naturwissenschaftliche Fakultät der alten Universitäten. In ganz kleinem Massstab ist das in Göttingen verwirklicht. Allein nicht nur die Praxis, auch die Theorie neigte sich doch dahin, beide wie bisher getrennt weiter marschieren und den gegenseitigen Wetteifer als Sporn zum rastlosen Vorwärtsstreben wirken zu lassen. Wenn sie von uns sich den Weg der Freiheit weisen lassen, so lernen unsere Studenten von ihnen vielleicht den geregelten Fleiss.
Die Frage nach dem Verhältnis der Theorie und der Praxis im Unterrichtsbetrieb unserer Universitäten lässt sich jedoch allgemein erst beantworten, wenn man sich über ihren Zweck klar geworden ist und verständigt hat. Unsere Universitätsprofessoren sind Forscher und Lehrer zugleich, der eine mehr dieses, der andere mehr jenes; wer nur eines von beiden wäre, wäre auf der Hochschule nicht an seinem richtigen Platz. Daraus ergibt sich auch eine Zweiheit der Zwecke: einerseits sollen die Universitäten als Forschungsinstitute die Wissenschaft fördern, andererseits die Jugend wissenschaftlich unterrichten. Wie sich die modernen Forschungsinstitute in ihrer Sonderstellung zu den Universitäten verhalten und weiter entwickeln, ob sie losgelöst von ihnen verkümmern oder ihnen umgekehrt Abbruch tun und sie auf die zweite Stufe herabdrücken werden, das sind Zukunftsfragen, die sich heute noch nicht übersehen und entscheiden lassen. In Leipzig [134] hält man an der Verbindung der Forschungsinstitute mit der Universität fest und tut gewiss Recht daran. Was aber die Aufgabe des wissenschaftlichen Unterrichts anlangt, so ist natürlich auch hier möglich, dass die Universität der Wissenschaft und der Forschung zugleich dient, indem sie junge Leute zur Wissenschaft und zu Lehrern der Wissenschaft heranzieht. Allein ihre eigentliche und regelmässige Aufgabe ist das doch nicht. Die Wissenschaft ist nicht um der Wissenschaft, sondern um des Menschen und um des Lebens willen da. Nicht zur Wissenschaft, sondern zu einem Beruf – als Geistliche oder Richter, als Ärzte oder Lehrer – sollen die jungen Leute ausgebildet werden; nicht zur Wissenschaft, aber nach unserer deutschen Auffassung auch nicht ohne Wissenschaft, durch Drill und Routine. Und so heisst der Zweck: Erziehung durch Wissenschaft zum Beruf. Hier liegt nun freilich eine doppelte Schwierigkeit: eine eingebildete und eine wirkliche. Jenes, wenn sich die Wissenschaft zu vornehm dünkt, um auf die Praxis Rücksicht zu nehmen. Doch haben Medizin und Naturwissenschaften, Jurisprudenz und Theologie dieses Vorurteil längst schon abgestreift; nur aus den Reihen der philosophischen Fakultät heraus hört man gelegentlich noch das Wort: „Schulamtskandidaten kennen wir nicht unter unseren Zuhörern, wir kennen nur Studierende der Philologie.“ Das ist falsch und nur falsch; es ist aber auch unklug, sich auf diesen selbstherrlichen Ton zu stimmen und die öffentliche Meinung dadurch zu brüskieren und herauszufordern; das „vitae, non scholae“ gilt doch auch für die Hochschulen. Auch in der Aschenbrödelstellung der Pädagogik an den meisten deutschen Universitäten zeigt sich wohl noch jenes Vorurteil und diese Abneigung der philosophischen Fakultäten gegen Konzessionen an die Praxis. Umgekehrt freilich nehmen viele und nicht die schlechtesten unter den Professoren der klassischen wie der neueren Philologie, Historiker und Geographen längst schon volle Rücksicht auf das, was die künftigen Lehrer für Unterricht und Schule nötig haben; ihre Teilnahme an den wissenschaftlichen Prüfungskommissionen weist sie ja ohnedies schon darauf hin. Und so bricht sich das richtige Verhältnis von Theorie und Praxis auch in der philosophischen Fakultät mehr und mehr Bahn. Auch hier heisst es: Erziehung durch die theoretische Wissenschaft zur Praxis des Berufs und zur Arbeit im Beruf.
Handelt es sich in diesem Fall um ein blosses Vorurteil, das abzutun und zu zerstören und das auch tatsächlich immer mehr im Schwinden begriffen ist, so liegt dagegen die wirkliche Gefahr für die Universitäten seitens der Praxis an einer ganz anderen Stelle. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Andererseits aber hat der Staat und haben für die theologischen Fakultäten namentlich auch die Kirchen ein Interesse daran, dass die künftigen Staats- und Kirchendiener wirklich auch für den Staat oder für die Kirche, d. h. in ihrem Sinn und in ihrem Interesse ausgebildet werden. Dadurch wird die Lehrfreiheit, in erster Linie der theologischen Dozenten, gefährdet und es kommt zu Konflikten, aus denen die freie Wissenschaft nicht immer als Siegerin hervorgeht. Im höchsten Masse gilt das von der katholisch-theologischen Fakultät. Im Streit um den Fall Spahn wurde wohl zum erstenmal dieser entgegengehalten, dass sie ein „Fremdkörper“ sei inmitten der auf freie und voraussetzungslose Forschung gestellten Universitäten. Demgegenüber wies man katholischerseits darauf hin, dass keine Wissenschaft ganz voraussetzungslos sei. Das ist natürlich ein Streit um den Ausdruck. Wohl treten wir alle mit gewissen der wissenschaftlichen Tradition entnommenen Voraussetzungen an unsere Facharbeit heran; aber wir andern sind in diesen Voraussetzungen absolut frei, an keine von ihnen schlechthin gebunden und vor allem zu keiner von aussenher verpflichtet; wir erkennen es vielmehr als unser Recht und als unsere Pflicht an, jede solche Voraussetzung in dem Moment fallen zu lassen, wo sich uns begründete Zweifel gegen sie erheben. Die Voraussetzungslosigkeit ist somit keine Tatsache, aber um so mehr eine „Idee“ im Kant’schen Sinn des Worts, d. h. eine Aufgabe, eine Pflicht und ein Recht. Dieses Recht ist dem katholischen Theologen entzogen, diese Pflicht darf er nicht anerkennen und erfüllen; darum ist er kein voraussetzungsloser Forscher, kein freier wissenschaftlicher Arbeiter. Das alles war schon immer so; der durch das Motu proprio vom 1. September 1910 vorgeschriebene Antimodernisteneid hat es nur in erschreckender Weise offenbar gemacht, wie unfrei der katholische Theologe in seinem „Lehren, Reden und Schreiben“ eigentlich ist. Nun sind die Professoren an den Staatsuniversitäten vorläufig freilich noch von diesem Eid dispensiert. Aber nur, weil sie „in ihrer bisherigen Lehrtätigkeit stets die in der Eidesformel zusammengefassten Grundsätze vertreten haben“, und lediglich in der „Absicht, der eigenartigen [135] Lage und staatsrechtlichen Stellung der Fakultäten gerecht zu werden und den Kirchenfeinden jeden Anlass zu kirchenpolitischer Agitation zu nehmen“. Da aber alle künftig zu weihenden Priester den Eid zu leisten haben, so werden trotz dieses Dispenses über kurz oder lang sämtliche Mitglieder der katholisch-theologischen Fakultäten den Antimodernisteneid geschworen und sich verpflichtet haben, „alles und jedes für wahr anzunehmen, was von dem unfehlbaren Lehramt der Kirche definiert, behauptet und erklärt worden ist, insbesondere jene Lehrpunkte, die den Irrtümern unserer Zeit direkt entgegengesetzt sind.“ So hat sich durch diese unglückselige Eidesforderung ein Riss durch unsere Dozentenkollegien aufgetan oder ist durch sie erweitert und als ein vorhandener aller Welt vor Augen geführt worden, ein Riss, angesichts dessen die Weiterexistenz der katholisch-theologischen Fakultäten doch recht ernstlich in Frage gestellt ist. Und so war es nur konsequent, wenn Tübinger Professoren auf dem vierten deutschen Hochschullehrertag den Antrag stellten, dass mit dem Eid belastete katholische Gelehrte von den Lehrstühlen deutscher Hochschulen auszuschliessen seien, und wenn erklärt wurde, dass diejenigen Mitglieder akademischer Lehrkörper, die den Antimodernisteneid geleistet haben, an einer deutschen Universität nichts zu suchen haben, „weil sie damit verzichten auf unabhängige Erkenntnis der Wahrheit und Betätigung ihrer wissenschaftlichen Überzeugung und so einen Anspruch auf die Ehrenstellung eines unabhängigen Forschers verwirkt haben“. Aber auf der anderen Seite hat doch die Errichtung einer katholisch-theologischen Fakultät in Strassburg unter dem Widerstand des elsässischen Klerus gezeigt, dass die katholischen Fakultäten eine nationale Bedeutung haben und es im Interesse unserer nationalen Einheit und unserer einheitlichen deutschen Bildung und Kultur gelegen ist, dass die künftigen katholischen Priester in ihrer Studienzeit in Berührung und Fühlung bleiben mit ihren weltlichen Kommilitonen und ihnen Gelegenheit gegeben wird, über ihre konfessionell-kirchlichen Scheuklappen hinaus- und hineinzusehen in die Gebiete freier deutscher Forschung und freier deutscher Wissenschaft. Von den Hoffnungen, die sich an jene Gründung geknüpft haben, sind freilich bei weitem nicht alle in Erfüllung gegangen, nicht einmal die Vorlesungen gutgläubiger Historiker und Philosophen wurden von den Zöglingen des Strassburger Priesterseminars besucht; und auch von Freiburg hat der badische Unterrichtsminister noch 1912 konstatiert, dass „die Wechselbeziehungen zwischen Lehrern und Studierenden der katholisch-theologischen Fakultät einerseits und der anderen Fakultäten andererseits bedauerlicherweise nicht mehr so lebhafte seien wie früher“. Aber auch das Wenige, das hier erreicht wird, ist schon viel, und so können wir wohl begreifen, dass die Regierungen von einer radikalen Exstirpation dieses Fremdkörpers aus dem Leben unserer Universitäten wenigstens vorläufig noch nichts wissen wollen. Zwei Interessen stehen sich hier gegenüber, die einen Ausgleich noch nicht gefunden haben, vielleicht überhaupt nicht finden können.
Und um so weniger finden können, als auch auf anderen Gebieten eine solche reinliche Scheidung und Lösung nicht vorgenommen ist. In weitem Abstand zwar von den katholischen sind doch auch die Dozenten der protestantisch-theologischen Fakultäten nicht ganz „voraussetzungslos“ und frei. Das zeigen gelegentliche Konfliktsfälle, in denen eine Lösung dadurch herbeigeführt zu werden pflegt, dass dem liberalen ein orthodoxer Vertreter der Dogmatik oder des Neuen Testaments als sogenannter Strafprofessor zur Seite gestellt wird. Der eigentliche Konflikt liegt hier aber überhaupt erst jenseits der Universität, liegt darin, dass Geistliche für Anschauungen gemassregelt werden, die sie als Studenten von ihren Theologieprofessoren gehört und angenommen haben.
Endlich beweisen Vorgänge der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiet der Nationalökonomie, dass die Wissenschaft auch mit dem Staat in Konflikt kommen kann. Auch da hilft man sich wie im Fall der protestantischen Theologen gelegentlich durch Ernennung von „Strafprofessoren“. Denn eine prinzipielle Lösung gibt es auch hier nicht: an Stelle des Prinzips entscheidet als ultima ratio die Macht, und diese ist auf Seiten des Staates, teilweise auch der Kirche, nicht auf Seiten der Wissenschaft. Im allgemeinen aber muss und kann sich der Staat und ebenso auch die protestantische Kirche damit begnügen, dem Forscher zweierlei ins Gewissen zu schieben: 1. dass er alles, was er zu sagen hat, so sagt, dass es sich pädagogisch rechtfertigen lässt; und 2. wenn er gegen den Staat, der ihn angestellt hat, oder gegen die Kirche, die ihm die Erziehung ihrer Diener anvertraut hat, grundstürzend [136] vorzugehen sich veranlasst und innerlich verpflichtet fühlt, dass er dann aus dem Dienst dieses Staates oder dieser Kirche ausscheide und nicht als ihr Angestellter und Mandatar, sondern als freier Schriftsteller hinfort sage, was er in diesem Sinn sagen zu müssen für sein Recht und für seine Pflicht hält. So sind diese Konflikte doch grundverschieden von denen zwischen Wissenschaft und katholischer Kirche. Hier kommen sie von innen heraus, nicht von aussen herein, von einer fremden Macht ultra montes; dort hilft Gewissen und guter Wille der Beteiligten, hier hilft auch der beste Wille und der Appell ans Gewissen nichts; darum ist hier das Problem so prinzipiell und so verzweifelt.
Die herkömmliche Weise des akademischen Unterrichts ist die der Vorlesungen – früher wirkliches Vorlesen eines Lehrbuchs oder eines selbstgefertigten Manuskripts, neuerdings immer mehr, und von den Studenten auch so erwartet, in der Form des freien Vortrags. Man hat gegen die Sitte der Vorlesungen allerlei eingewendet: es sei Zeitverschwendung, weil rascher und besser gedruckt gelesen werden könne, was hier unter Umgehung der Vorteile der Buchdruckerkunst mündlich vorgetragen werde; und seitens der Studenten sei das Nachschreiben eine Gedankenlosigkeit und ein Mechanismus ohne vielen Gewinn und Wert. Beides ist falsch. Das erstere, weil die lebendige Rede doch etwas anderes ist und ganz anders wirkt, als der tote Buchstabe des Drucks. Hinter ihr steht eine Persönlichkeit, die sich für das Gesprochene unmittelbar einsetzt und daher ganz anders zum Mitgehen oder zum Widersprechen anregt; und auch das Unfertige und Suchende solcher mündlichen Vorträge, die ja nicht vor dem Spiegel einstudiert zu werden pflegen, lässt die Hörer voll Interesse teilnehmen an der Gedankenarbeit selber. Für diese aber ist die Kunst, das Wesentliche aus dem Vorgetragenen herauszufinden, ein treffliches Bildungsmittel, das durch die vielen Beispiele der Gedankenlosigkeit beim Nachschreiben nicht entwertet wird. Aber Vorlesungen sind nie die einzige Form gewesen. Im Mittelalter kamen die Disputationen hinzu, die die Schlagfertigkeit und Redegewandtheit, freilich auch die Rechthaberei und Streitlust mächtig förderten. Sie sind heute ganz oder fast ganz veraltet und aufgegeben, vielleicht über Gebühr. Dann kamen in der Humanistenzeit die Deklamationen auf, Redeübungen, die dem Bildungsideal jener Zeit, der Gabe der lateinischen eloquentia, dienen sollten. Auch diese Übung ist heute verlassen, und sie mit Recht; schon zur Zeit ihres Bestehens wurden die Reden meist statt von den Studenten selber für sie von den Professoren angefertigt und verfehlten so ihr Ziel. Dafür ist heute bei den Geisteswissenschaften die Mitarbeit der Studenten am Forschen selber in den Seminarien getreten, die Seminararbeit ist die Vorstufe der Doktorarbeit als der ersten selbständigen wissenschaftlichen Leistung des jungen Mannes am Ende seiner Studienzeit. Philologische Seminare hat es lange schon gegeben; dass nun für alle Fächer solche Seminarien und Seminarübungen eingerichtet sind, das ist zuerst an der neugegründeten Strassburger Universität Sitte geworden und hat sich dann rasch überall eingebürgert. Auf naturwissenschaftlicher und medizinischer Seite aber drängte vollends alles auf solche selbständige Forscherarbeit und -mitarbeit hin; in Laboratorien und beim Experimentieren, in Kliniken und Polikliniken, in Krankenhäusern und Operationssälen liegt heute der Hauptnachdruck auf dem Selbersehen nicht nur, sondern auch auf der eigenen Mitbetätigung unserer angehenden Naturforscher und Ärzte. Dabei kann man etwa sagen: in den ersten Semestern überwiege das rezeptive Verhalten in den Vorlesungen, in den späteren Semestern dagegen trete die Selbsttätigkeit immer mehr in den Vordergrund.
Dadurch ergeben sich nicht nur neue Probleme dessen, was man Hochschulpädagogik nennt, ohne dass diese doch als besondere Disziplin aufgefasst werden dürfte; dafür ist der Universitätsunterricht viel zu individuell: es kommen auch Probleme der äusseren Gestaltung des Lehrbetriebs. Georg Kaufmann[1] hat in der übermässigen Ausdehnung der Massenuniversitäten Berlin, München und Leipzig eine Gefahr gefunden, die durch die Worte „Weltuniversität“ und „Provinzialuniversität“ bezeichnet werde. In dem Sinn, wie er es meint – „den Freund der Universitäten beschleicht die Sorge, dass daraus ein Werkzeug des alten Grundsatzes Divide et impera erwachse“ –, kann ich das nicht zugeben, wohl aber deswegen, weil bei diesen Studentenanhäufungen gerade die Mitarbeit und Selbsttätigkeit der jungen Leute wieder in Frage gestellt und illusorisch gemacht wird. In [137] der Vorlesung freilich wirkt die Masse anregend und anfeuernd auf den Dozenten. Wenn aber in einem Seminar 100 und mehr bloss noch zuhören, statt selber mitzutun, in der Klinik, am Krankenbett oder am Operationstisch 200 und mehr kaum mehr sehen, was geschieht, in Laboratorien Leute Semester lang keinen Platz mehr finden können, so kommt auf den Einzelnen zu wenig Teilnahme und Mitarbeit, der Professor lernt ihn nicht kennen und kann auf ihn, auf seine Bedürfnisse und Fragen nicht eingehen; und so geht gerade das, was wir als den Hauptwort dieser seminaristischen und praktischen Kurse ansehen und rühmen, zum grossen Teil wieder verloren. Die Qualität des akademischen Unterrichts leidet unter der Überfüllung der Universitäten. Ein Mittel gebe es freilich, um diesem Übel entgegenzuwirken und abzuhelfen, – Neugründung von Universitäten, Vermehrung der Stellen, Verteilung der Hörer und Teilnehmer an den Übungen und praktischen Kursen, unter Einführung eines numerus clausus für den einzelnen Dozenten, an eine grössere Anzahl von Lehrern. Aber einmal kostet das alles sehr viel Geld und stösst daher bei dem Staat und seinen Finanzen auf Schwierigkeiten; und auf der andern Seite lässt sich auch der Student nicht so ohne weiteres von einem, vielleicht besonders beliebten Professor weg an einen weniger beliebten und belobten abschieben. Und auch die Dozenten werden sich gegen solches Wegnehmen sträuben. Eine Beschränkung der Zahl der Ausländer oder gar deren Ausschluss von unseren deutschen Hochschulen wäre hiergegen auch nur ein Tropfen auf einen heissen Stein, und überdies eine Einbusse an nationalem Ansehen nach aussen und das Aufgeben eines Mittels zum sich Kennenlernen und Verstehen der Völker hin und her. Nur bevorzugt vor den Innländern dürfen die Fremden natürlich nicht werden, und schlechte Sitten aus ihrer Heimat an unsere Hochschulen zu verpflanzen, haben sie ebensowenig ein Recht.
Von besonderer Wichtigkeit ist dann weiter die Frage der Autonomie und des Korporationscharakters unserer Universitäten. In der Erteilung oder Versagung der venia legendi sind die Fakultäten souverän, sollen es jedenfalls sein. Missbräuche, die sich dabei wohl auch einstellen können, sind nicht eben häufig, Beschränkungen aber immer gehässig und verbitternd; die lex Arons in Preussen war kein glücklicher Griff. Bei der Besetzung von Professuren – ordentlichen und ausserordentlichen – haben die Fakultäten wenigstens ein Vorschlagsrecht, das die Regierung zwar nicht respektieren muss, aber tatsächlich doch in der Regel respektiert. Ich habe in langjähriger Praxis gefunden, dass dieses Recht von den Fakultäten im allgemeinen sehr gewissenhaft und sachlich ausgeübt wird. Gleichwohl lässt sich die Möglichkeit von Missgriffen und emotionellen Vorschlägen zu gunsten einer bestimmten Richtung oder Partei oder zur Fernhaltung eines unbequemen Konkurrenten nicht bestreiten; solche Fälle kommen vor, weil auch die Fakultätsmitglieder nur Menschen sind. Darum ist es gut, dass die Entscheidung über die Vorschläge der Regierung vorbehalten ist und dass sich diese nicht an die drei oder vier auf der Liste genannten zu halten hat. Aber ebenso gut ist, dass sie dies in der Regel doch tut, da die Fakultät die Bedürfnisse der eigenen Universität und die Qualifikation der für die Stelle in Betracht Kommenden doch wohl am besten kennt. Die in Bayern neuerdings geforderte Äusserung über nicht vorgeschlagene Landeskinder ist eine schwere Schädigung der so Zurückgewiesenen, denen dadurch ausdrücklich ein Makel angehängt würde. So ergänzt sich also die Korporation in gewissem Sinn selber. Aber wer gehört zur Korporation[WS 1]? Kaufmann[2] sagt: Korporationen mit Selbstverwaltung müssen aristokratisch sein. Gewiss. Aber wer gehört zu dieser Aristokratie? Im Mittelalter alle, Dozenten und Studenten; sie zusammen wählten sich ihr Oberhaupt, den Rektor. Allmählich verengte sich der Kreis, vielfach bis auf die kleine Zahl der Ordinarien. Demgegenüber machen sich neuerdings unter den ausgeschlossenen Extraordinarien und Privatdozenten Bestrebungen geltend, die auch sie an der Selbstverwaltung teil gewinnen lassen wollen. Dafür können sie sich auf die Geschichte einerseits und andererseits auf ihre Mitarbeit berufen und darauf, dass die Universitäten vielfach auf diese angewiesen seien; und je grösser sie sind, desto mehr. Allein Wert und Glück unserer Privatdozentums liegt eben darin, dass die Privatdozenten keine Beamtenanwärter sind, sondern, ganz freie Lehrer und Forscher, die ausser der venia legendi keine anderen Rechte, aber darum auch keine Pflichten und keinerlei Abhängigkeit haben ausser der Wissenschaft und den Hörern gegenüber, die sie durch ihre eigene Persönlichkeit um sich zu versammeln wissen. Ihnen diesen [138] Charakter des ganz Privaten nehmen, hiesse der Universität immer mehr, und mehr noch als dies schon geschehen ist, den Beamtencharakter geben und dadurch allerdings auch die Lehrfreiheit gefährden. Daher wird man vor allem differenzieren müssen. Kaufmann[3] hat die ausserordentlichen Professoren – denn nur um diese kann es sich handeln – in fünf Gruppen eingeteilt; es wird genügen, zwei Klassen zu unterscheiden: solche, die Vertreter notwendiger Fächer und als solche vielleicht auch Leiter von Instituten sind, ohne deren Mitarbeit also der Universitätsunterricht eine Lücke aufzeigte; und zweitens solche, die vom Privatdozenten aufgestiegen im wesentlichen noch den Charakter eines solchen haben und nur den Namen – den Titel und Rang – eines Professors führen. Von den ersteren ist es nun durchaus berechtigt und gut, dass sie an der Verwaltung der Universität und Fakultät ihren vollen Anteil verlangen und bekommen; bei den letzteren dagegen liegt dafür kein Grund und kein Rechtsanspruch vor: sie sollten es meines Erachtens nicht einmal anstreben, sondern sich vielmehr ihrer goldenen Freiheit freuen. Dagegen ist es vernünftig, dass alle Extraordinarien im Plenum den Rektor und eventuell auch den Vertreter der Universität in der Ersten Kammer mitwählen. Auch davon bleiben die Privatdozenten, von denen die jüngeren die Bedürfnisse einer Universität gerade auch nach ihrer Verwaltungsseite hin noch nicht kennen, also auch nicht beurteilen können, wer zu ihrer Vertretung nach aussen hin der rechte Mann ist, besser ausgeschlossen; sie sollten überhaupt keine weiteren Rechte anstreben; denn dafür müssten ihnen auch Pflichten auferlegt und sie dadurch in ihrer Freiheit beschränkt werden.
Hinter allen diesen Fragen aber verbirgt sich schliesslich doch immer wieder nur das eine grosse Gegenwartsproblem unserer Universitäten: das Verhältnis dieser sich selbst verwaltenden Körperschaften zum Staat. Wir sind schon bisher immer wieder darauf gestossen. Die Wissenschaft braucht Geld, unsere Universitäten werden immer teurer. Es ist das grosse Verdienst Althoffs, ihnen reichlich Mittel verschafft und sie dadurch zu Blüte und Glanz gebracht zu haben. Dafür mussten sie eine immer wachsende Abhängigkeit vom Staat und seinen Vertretern in Kauf nehmen, und mussten ihre Professoren immer mehr zu Staatsbeamten werden. Und so treffen denn auch in der Gehaltsfrage die beiden Konkurrenten und die beiden konkurrierenden Anschauungen alsbald wieder auf einander. Es ist zunächst etwas Abnormes, dass die Professoren für ihre Leistungen gewissermassen doppelt bezahlt werden, einmal vom Staat in Form des Gehaltes und dann von den Studenten in Form des Kollegienhonorars. Die gegen dieses letztere vorgebrachten Gründe, dass dadurch eine grosse Ungleichheit in den Einkünften und in der Lebenshaltung der Professoren herbeigeführt werde und dass der Professor dem Studenten gegenüber in eine schiefe Stellung komme, kann ich nicht anerkennen. Wenn Ungleichheit – was schadet sie denn? und kommen tut sie ja doch; man denke nur an die ärztliche Praxis grosser Kliniker und an die Rechtsgutachten hervorragender Juristen. Von einer schiefen Stellung aber oder gar von einer gewissen Abhängigkeit den Studenten gegenüber ist mir nie etwas entgegengetreten oder auch nur zum Bewusstsein gekommen. Ebensowenig kann ich freilich den Hauptgrund der Gegenseite gelten lassen, dass der Professor einzig oder doch hauptsächlich durch das Kolleggeld bestimmt werde, eifrig und gewissenhaft zu sein im Halten seiner Vorlesungen und sich für sie die rechte Mühe zu geben: als ob unsere Beamten nicht auch ohne solche besonderen Einkünfte ebenso gewissenhaft ihre Berufspflichten erfüllten. Aber allerdings zeigt das Beispiel des Beamten, dass durch das Kolleggeld die Unabhängigkeit des Professors vom Wohlwollen oder Übelwollen einer Regierung, wie sie durch den Korporationscharakter der Universitäten gefordert und im Interesse der Lehr- und Redefreiheit des Professors besonders notwendig wird, in der Tat am besten gewahrt ist. Da aber das Titel- und Ordenswesen an unseren Universitäten nachgerade ebenso blüht wie in unserer Beamtenschaft und durch Verleihung oder Vorenthaltung von solchen Nichtigkeiten die Abhängigkeit ebenso markiert werden kann, so ist dieser Grund durchschlagend bloss für den, der auch auf Titel und Orden zu verzichten bereit ist. Nur dann halten sich die Gründe für und wider das Kollegienhonorar die Wage; so wie die Dinge heute liegen, würde ich mich, schon um des bösen Scheines willen, der ihm anhaftet, entschieden auf die Seite der Gegner dieser Einrichtung stellen. Dass mit dem Auskunftsmittel, das Preussen gefunden hat, einen Teil dieser privaten Einkünfte für Universitätszwecke einzuziehen, das [139] Wort der Lösung für diese Streitfrage gefunden sei, vermag ich nicht anzuerkennen; nur das scheint mir daraus hervorzugehen, dass die Tage des Kolleggelds gezählt sind und die Einrichtung auch bei uns im Absterben begriffen ist, wie sie ja in Österreich wirklich schon beseitigt ist. Womit dann freilich der Professor noch mehr als bisher den Beamtencharakter annehmen wird. Und damit wird sich noch deutlicher und immer wieder als der eigentliche Kern wie in dem ganzen Problem des Verhältnisses von Universität und Staat so auch hier die Frage der Lehrfreiheit und ihrer Erhaltung herausstellen, an der schliesslich dem Staat doch ebensoviel gelegen sein sollte, wie der Wissenschaft und ihren Vertretern selbst. Denn wohin eine unfreie Wissenschaft führt und wie sie degradiert, korrumpiert und ruiniert, das zeigt ja der Antimodernisteneid schon heute als hinlänglich abschreckendes Beispiel. Und er zeigt auch, dass es mit dem einzigen Vorteil der Unfreiheit, mit der grösseren Bequemlichkeit für die Regierungen, nichts ist.
Neben dem Kolleggeld stehen als Klippe auch die Doktor- und Promotionsgebühren; das Wort „Doktorenfabrik“ wirft kein eben erfreuliches Licht auf solche wissenschaftliche Betriebsamkeit. Aber problematisch ist auch schon der Wert der Doktorarbeiten selber, wenn der Professor bei Stellung des Themas nicht an den Studenten, sondern an seine eigenen wissenschaftlichen Bedürfnisse denkt und ihm zu deren Befriedigung wissenschaftliche Kärrnerarbeit zumutet. Und auch an sich ist der Wert der meisten Dissertationen nicht allzu gross. Daher hat man neuerdings wieder vorgeschlagen, sie ungedruckt zu lassen und sich mit der Zusammenstellung kurzer Referate daraus und darüber zu begnügen. Wer aber die Zeiten erlebt hat, in denen das an vielen Universitäten üblich war, wird die Kontrolle durch den Druck und das so allein ermöglichte Urteil der Fachkollegen nicht entbehren wollen, selbst auf die Gefahr hin, dass wir dadurch in gedrucktem Papier versinken und ertrinken.
Der Vertreter des Staats bei den Universitäten ist der Kurator, während der Kanzler in Tübingen eher als Vertreter der Universität bei der Regierung anzusehen ist. Ob solche besondere Vertretung überhaupt notwendig ist, darüber kann man streiten; Baden wird auch ohne Kuratoren fertig, und Heidelberg und Freiburg blühen darum nicht weniger. Die Konferenz von Universitätslehrern im September 1849 hat die Frage verneint und Böckh zugestimmt, der ausdrücklich erklärte: „Die korporative Selbständigkeit der Universität kann mit einem Kurator nie bestehen.“ Heute hat man sich fast überall in Deutschland so sehr an diese Einrichtung gewöhnt, dass man die Gefahr kaum mehr achtet, mit der sie jene Selbständigkeit bedroht. Und dankbar hat man sich auch gewöhnt, über den ganz wenigen grossen und bedeutenden Kuratoren, deren Meister und Muster immer Goethe bleiben wird, das Gros der einfluss- und verständnislosen und die paar herrschsüchtigen und intriganten Kuratoren zu vergessen, von denen jene den Universitäten nichts nützen und diese ihnen schweren Schaden zufügen.
Aber nicht nur die Korporation und ihre Stellung im Staat, auch die Studentenschaft unserer Tage hat ihre Probleme. Auch ihre Geschichte; und es wäre nicht uninteressant zu sehen, wie das moderne Studententum aus grosser Dumpfheit und Wüstheit und Roheit allmählich herausgewachsen und zu dem geworden ist, wie es sich uns in seiner Eigenart heute darstellt. Es hängt mit der Umgestaltung des Charakters unserer Universitäten selbst, aber auch mit äusseren politischen und kulturellen Verhältnissen aller Art zusammen: auf den neuen Universitäten leben eben auch neue Studenten. Den grossen Umschwung führte aber doch erst die Teilnahme des deutschen Studenten an der grossen vaterländischen Tat der Befreiungskriege herbei. Dadurch kam Ernst, wie in die Zeit überhaupt, so auch in die deutsche akademische Jugend; und er blieb auch nach dem Krieg. Die Gründung der deutschen Burschenschaft mit ihrer Tendenz, die Einheit und Freiheit des Vaterlands vorzubereiten, ist die grosse Tat des deutschen Studententums und sein berechtigter Stolz für alle Zeiten. Dass durch den Übereifer und den Fanatismus einzelner Stürmer und Dränger Metternich und der Reaktion die Handhabe gegeben wurde, diese durchaus richtigen und edlen Bestrebungen zum Gegenstand heftiger Verfolgungen und niederträchtiger Quälereien zu machen, und dass dadurch so bald schon ein Reif auf jene schöne Maienblüte des deutschen Studentenlebens gefallen ist, ist ewig zu bedauern und gehört mit zu den mancherlei Tragödien unserer deutschen Geschichte. Der Burschenschaft wäre es aber auch ohne das schwerlich gelungen, die gesamte Studentenschaft in sich zu einer grossen Einheit zusammenzufassen; und vielleicht war das sogar [140] ein Gewinn, dass an Stelle eines einzigen grossen und leicht einförmigen Bundes die bunte Mannigfaltigkeit vieler Korporationen getreten und geblieben ist.
Auch für den Studenten ist das A und das O die akademische Freiheit – in ihren drei Bedeutungen : als Lehrfreiheit des Professors, damit der Student zu diesem in das richtige Vertrauensverhältnis komme; als Lernfreiheit für sich selber, damit er in der Arbeit selbständig wähle und lerne pflichtmässige Arbeit freiwillig tun; und als Lebensfreiheit, dass er in diesen Jahren studentischer Ungebundenheit und Rücksichtslosigkeit sich vorbereite auf die freiwillige und doch nicht sklavische Unterwerfung unter die Sitte, soweit sie vernünftig und soweit sie sittlich ist. Bei alledem müssen freilich „Jünglinge gewagt werden, um Männer zu werden.“ Aber auf alle Gefahr hin: auf dieser Freiheit beruht der tief sittliche Wert und der ganze Reiz unseres deutschen Studentenlebens.
Die Träger dieses Lebens nach aussen hin waren lange Zeit fast ausschliseslich die farbentragenden Verbindungen. Neuerdings tritt ihnen eine andere Form, die freie Studentenschaft, gegenüber. Sie repräsentiert die Gegenwartsgedanken: die Notwendigkeit des Erwerbs einer allgemeinen, auch künstlerischen Bildung, sozialen Geist und soziale Leistungen, Pflege des Sports, das demokratische Element und das allgemeine. Wahlrecht auch auf studentischem Boden. Damit stehen sie zu der Romantik der Farbentragenden von gestern als die Vertreter des Realismus von heute in ausgesprochenem Gegensatz. Auf absehbare Zeit hin aber werden sich diese beiden Elemente, das romantische und das moderne, auf unseren deutschen Hochschulen nebeneinander behaupten und sich hin und her zu vertragen haben. Schwierigkeit macht nur die Frage, wer zu der freien Studentenschaft gehören soll. Alle, wie diese selber beansprucht und sich als Vertretung aller nichtinkorporierten Studenten fühlt, oder nur diejenigen, welche ausdrücklich von ihr vertreten sein wollen? Einstweilen erkennen die akademischen Behörden nur das letztere an, und es wird Sache der Freistudentenschaft sein, durch das, was sie bietet und das, was sie leistet, soviel Anziehungs- und Werbekraft zu entfalten, dass die meisten Nichtinkorporierten sich ihr anschliessen und sie als ihre Vertreterin betrachten; sonst ist die Gefahr, dass sie eben wieder nur eine Korporation wird neben und unter den anderen. Einsiedler und einsame Menschen wird es freilich auch unter den Studenten immer geben.
Die studentischen Korporationen sind nach den verschiedensten Gesichtspunkten gebildet – zur Pflege des nationalen Gedankens oder des studentischen Geistes oder heiterer Geselligkeit; es sind Turnvereine und Gesangvereine; auch wissenschaftliche Fachvereine sind darunter. Schon in diesen letzteren zeigt sich eine gewisse Einseitigkeit, das sogenannte Fachsimpeln wird hier fast zur Notwendigkeit und zur Pflicht. Ganz vom Übel aber sind die konfessionellen Vereine, die als katholische Studentenverbindungen auf unseren Hochschulen immer zahlreicher und immer zielbewusster werden. Von ihnen urteilt Kaufmann:[4] sie „entziehen einen erheblichen Teil der Studierenden katholischer Konfession dem näheren Verkehr mit ihren evangelischen Kommilitonen, was um so mehr zu bedauern ist, da durch die Ausbildung des theologischen Konvikts bereits die katholischen Theologen dem freien Verkehr mit den übrigen Studenten entzogen sind; diese Entwicklung ist durch den Duellzwang der meisten Korporationen gefördert, aber im ganzen ist sie ein Zeichen der Abkehr unserer Tage von dem Geiste der Gemeinschaft der Konfessionen.“ Sie sind aber, füge ich hinzu, auch eine nationale Gefahr, weil sie den für unser konfessionell zerteiltes Vaterland so notwendigen modus vivendi der Konfessionen unter einander erschweren und ihr Miteinanderleben und sich Zusammenfühlen schon in der Jugend und von Jugend an hintertreiben. Man kann daher nur wünschen, dass sie wieder verschwinden; nur freilich verbieten soll man sie nicht; das würde sie nur zu Märtyrern machen und eher stärken, als ihnen das Wasser abgraben. Und auch der Widerstand der antiklerikalen Studentenschaft selber hat nicht zu dem gewünschten Ziele geführt: die katholischen Korporationen blühen nach wie vor weiter und sind zahlreicher als je. Wohl aber mindert diese von Bischöfen, Parteimännern und theologischen Fakultäten geförderte Studentenabsonderung in konfessionellem Sinn den nationalen Wert, der den theologischen Fakultäten zugemessen wird, und untergräbt damit diesen auf die Dauer doch selber den Boden ihrer Existenz im Rahmen unserer Universitäten.
[141] Verstummt sind natürlich die Kämpfe der Studentenschaft gegen die besondere akademische Gerichtsbarkeit, da diese als eine privilegierte und exzeptionelle nirgends mehr besteht. Dagegen wird die Universität als Korporation nicht darauf verzichten können und mögen, unwürdige Elemente von sich auszuschliessen oder sie vor diesem letzten Schritt und Schnitt durch Warnung und Rüge auf den rechten Weg zurückzuführen; dass die Karzerstrafe verschwindet – von Anfang an in Strassburg, jetzt auch in Bayern, ist nur zu begrüssen. Ob freilich die Zusammensetzung unserer Disziplinarämter mit oder ohne Universitätsrichter eine durchaus geeignete ist, lässt sich fragen. Wenn sie die Form von Standes- und Ehrengerichten annehmen, so stände nichts im Wege, dass auch Vertreter der Studentenschaft selbst über die Kommilitonen mit zu Gericht sässen und Fragen wie die, ob einer noch als honoriger Student zu betrachten oder eine Verbindung nach ihren Grundsätzen und ihrer Führung mit dem Geist einer deutschen Universität verträglich sei, mit zu entscheiden hätten. Durch solche Mitbeteiligung würde vollends der Schein der Gehässigkeit von der akademischen Disziplin genommen und diese, wenn auch nicht erleichtert, so doch sicherlich zum Gewinn für das studentische Leben und insbesondere auch für das Verhältnis von Studenten und Professoren ausgestaltet werden können.
Dass neben dem Studenten heute auch mit gleichen Rechten die Studentin steht, ist eine Neuerung, die nur zu begrüssen ist. Das Frauenstudium hat lange Zeit gerade in Universitätskreisen besonders viele und zähe Gegner gehabt; inzwischen ist der Widerstand verstummt und die Gründe dagegen sind als zopfig und fadenscheinig erkannt. Dass den Frauen die Pforten der Universität geöffnet wurden, war eine Forderung der Gerechtigkeit und wirtschaftlich notwendig geworden. Nun es geschehen ist, haben sie zu zeigen, was sie neben oder im Unterschied von den Männern in der Wissenschaft zu leisten vermögen. Der vorläufige Eindruck, dass sie sich wesentlich rezeptiv dazu verhalten, schmälert ihr gutes Recht auf diese Betätigung in keiner Weise. Grösser ist die Sorge, dass sich auch manche ungeeigneten Elemente, weil es nun einmal Mode geworden ist, oder aus Sehnsucht nach der Ungebundenheit des Studentenlebens einzudrängen suchen. Und wie sich das freie Zusammenleben so vieler jungen Menschen verschiedenen Geschlechts auf die Dauer gestaltet, muss auch erst abgewartet werden. Die freie Studentenschaft hat dafür kaum schon die richtige Form gefunden.
Ein Haupthindernis des Frauenstudiums und seiner Anerkennung seitens der Universitäten lag anfänglich in der mangelhaften und zweifelhaften Art der Vorbildung studierender Frauen. Durch die Einrichtung besonderer Mädchengymnasien und weiblicher „Studienanstalten“ oder anderswo durch die Aufnahme von Mädchen in die höheren Knabenschulen (Koëdukation) ist diese Frage im Sinne der Gleichartigkeit oder Gleichwertigkeit mit der Vorbildung ihrer männlichen Kommilitonen geregelt. Wie für diese so ist auch für sie die einzige enge Pforte, die zur regelrechten Aufnahme in die Universität, zur Immatrikulation führt, die Bestehung des Abiturientenexamens. Denn der sogenannte „vierte Weg“ für die Abiturientinnen der Lehrerinnenseminare (Oberlyzeen) ist ein auf die Dauer nicht haltbarer Irrweg, vor dem die Frauen selber warnen.
Übrigens ist die Frage der Vorbildung für die Universitäten neuerdings überhaupt zu einem Problem geworden durch die Gleichstellung der drei neunklassigen Schulanstalten und die Zulassung und den Zudrang der Realschulabiturienten zum Universitätsstudium. Unsere Hochschulen und ihr Unterrichtsbetrieb sind auf humanistischer Grundlage aufgebaut und auf Studierende mit humanistischer Bildung zugeschnitten. Daher wird es jedenfalls solchen, die kein Latein verstehen, immer schwer fallen, daran teilzunehmen und den vollen Gewinn davon zu haben. Das hat sich in den kurzen Jahren seit Zulassung der Realschulabiturienten erfahrungsmässig unzweifelhaft herausgestellt. Es liegt aber auch in der Natur der Sache selbst. Real- und Oberrealschulen sind nicht als Vorbereitungsanstalten für das Universitätsstudium gedacht und eingerichtet, sie bilden, abgesehen von ihrem Dienst für praktische Berufe aller Art, die Vorstufe für die technischen Hochschulen. Deshalb sollten sie auch nicht den Ehrgeiz haben, möglichst viele Universitätsstudenten zu züchten; das sollte nach wie vor als Ausnahme, als eine Art Berufswechsel angesehen werden, der auf diese Weise nur möglichst erleichtert werden soll. So wie die Dinge heute liegen, ist diese Ungleichheit der Vorbildung wirklich eine Erschwerung und [142] Schädigung des Universitätsunterrichts, der durch den stetig wachsenden Zudrang zu den Universitäten nur immer spürbarer wird. Dass die Qualität der Studenten neuerdings sinkt, ist ohnedies eine mehrfach laut werdende Klage. Daher können die Universitäten in ihrem eigenen und im Interesse der Studenten nur wünschen und fordern, dass das Abiturientenexamen nicht immer leichter gemacht, sondern dass dabei vielmehr nach dem Grundsatz: Landgraf werde hart! verfahren werde. Die grössere Strenge ist hier die grössere Barmherzigkeit, auch für die davon Betroffenen. Und das Staatsinteresse fordert sie ohnedies.
Eben deshalb sollten auch nicht alle möglichen Berufe, die ganz wohl ohne Maturitätszeugnis und akademisches Studium auskommen können – Kaufmann[5] nennt Postbeamte, Apotheker, Zahnärzte, Landwirte und Volksschullehrer –, dasselbe aus Standes- und „Ressorteitelkeit“ für sich zur Bedingung machen oder anstreben. Dass darüber vielfach die beste Zeit für die praktische Vorbereitung und die rechte psychologische Disposition dazu verloren geht und die Universitäten gezwungen werden, immer mehr auch „Schüler ohne die nötige Vorbildung und ohne wissenschaftliche Absicht aufzunehmen“, in dieser Klage kann ich Kaufmann nur beistimmen, wenn auch unter den von ihm Genannten noch einmal zu unterscheiden sein wird. Und jedenfalls muss dabei aller akademische und lateinische Hochmut ausdrücklich ferngehalten, im Interesse des allgemeinen Bildungsstrebens müssen die Tore der Universitäten weit aufgemacht werden; und so ist es nur zu begrüssen, wenn für manche Vorlesungen der Kreis der Hörer über die rite immatrikulierten Studenten hinaus erweitert und es mit dem Recht des Hospitierens nicht allzu ängstlich und eng genommen wird; zu Sport und Modesache darf freilich der Kollegienbesuch nie werden. Im ganzen sind ja für diese Universitätsausdehnung auf weitere Kreise die volkstümlichen Hochschulkurse da, in denen die Professoren ihr Wissen und die Ergebnisse ihrer Forschung in den Dienst der allgemeinen Volksbildung stellen. Dagegen hat sich die Hoffnung, dass man hierfür besonders die Arbeiter gewinnen werde, wenigstens bei uns in Deutschland nicht oder nur an ganz wenigen Orten erfüllt. Hält man aber diese Kurse auf dem Niveau des bildungseifrigen Volksschullehrers, so wird durch seine Vermittlung in Schule und Fortbildungsschule jener Zweck indirekt doch erreicht und die soziale Tendenz solcher Kurse auch so noch verwirklicht. Besser ist es den Studenten gelungen, in den elementaren Unterrichtskursen für Arbeiter an diese selbst heranzukommen und durch die soziale Arbeit, die sie hier tun, an der Überbrückung der Kluft zwischen Akademikern und Arbeitern in verdienstlicher Weise mitzuhelfen. Den grössten Gewinn davon haben aber doch die Studenten selber durch das Eintauchen in den sozialen Geist unserer Zeit und das Abtun törichter Vorurteile, in denen gerade unsere lateinlernende Jugend vielfach aufwächst.
Neben den alten sind im Augenblick drei neue Universitäten im Werden begriffen (denn auch in Hamburg und Dresden sind die Pläne schwerlich definitiv aufgegeben und begraben). In Hamburg soll das vorhandene Kolonialinstitut und das längst schon reich entwickelte Vorlesungswesen der Stadt zu einer Volluniversität ausgebaut werden. Darin liegt der Keim für ein Neues, wenn in der Hauptstadt unseres deutschen Seeverkehrs und Seehandels eine Universität die Ausbildung für den Dienst in unseren Kolonien in den Mittelpunkt ihrer Aufgaben stellt und so eine Bildungsstätte wird, die den Bedürfnissen unserer neudeutschen Machtstellung angepasst ist und dem genius loci, dem in die Ferne gerichteten Blick seiner grossen Handelsfirmen und dem wagemutigen Unternehmungsgeist des Hanseaten entspricht. In Dresden denkt man, wie schon gesagt, an eine Art Personalunion von Universität und technischer Hochschule. Und in Frankfurt a. M. handelt es sich um eine Stiftungsuniversität, die den Staat nichts kosten, sondern finanziell aus eigener Kraft heraus sich erhalten soll. Aber da sie die staatliche Anerkennung mit allen dazu gehörigen Berechtigungen einer Staatsuniversität anstrebt und als Universität anstreben muss, so braucht sie den Staat doch, und so soll es keine Städteuniversität werden, wie einst Bologna eine solche gewesen ist, ledig aller bureaukratischen Bevormundung und ledig auch der letzten Schranke, die Kirche oder Staat der akademischen Freiheit ziehen möchten. Völlig belanglos sind natürlich die Bedenken, die gegen diese Neugründung wegen des grossstädtischen Milieus oder wegen einer etwaigen Schädigung der Nachbaruniversitäten vorgebracht werden. Bedenklich dagegen ist der [143] geplante Verzicht auf theologische Fakultäten: die neuen Universitäten würden dadurch einer Reihe von Schwierigkeiten und Konflikten von vorne herein entnommen sein, aber sich auch arm machen an bedeutenden Menschen und an ehrenvollen und stählenden Geisteskämpfen; und so würden sie über kurz oder lang die Lücke doch ausfüllen müssen. Unklar und nicht ohne Gefahr ist in Frankfurt endlich auch die Stellung der Stadt und der Stifter, die durch Einsetzung eines ihre Interessen wahrenden Kuratoriums Einfluss ausüben wollen nicht nur auf die Verwaltung und finanzielle Gebahrung, sondern auch auf die Berufung der Professoren. Die Absicht dabei ist, eine völlig unabhängige, an keine politischen oder konfessionellen Beschränkungen gebundene Professorenschaft zu gewinnen. Die Frage aber ist, ob nicht die dreifache Konkurrenz von Staat, Kuratorium und Fakultät gerade umgekehrt wirken und eine weitere Abhängigkeitsnüance zu den bisher schon bestehenden hinzufügen wird; im demokratischen Nordamerika wirken solche lokalen Kommissionen vielfach in einem die Freiheit übel beschränkenden Sinn. Oder allgemeiner: auch hier wird sich das Problem der Autonomie der Universitäten und ihrer Wahrung gegen Eingriffe von oben und von aussen nur in anderer Form, aber kaum in verminderter Schwere und Schärfe als das eigentlich belastende Problem einstellen und wie zu neuen Lösungen, so gelegentlich auch zu neuartigen Konflikten führen.
Doch das sind Zukunftserwägungen. Einstweilen zeigen die Universitätspläne dieser hervorragenden und modern gerichteten Städte, dass das Alte noch lange nicht veraltet und der Stamm der deutschen Universitäten trotz seiner vielhundertjährigen Vergangenheit gesund und kraftvoll genug ist, um immer noch neue Äste und Zweige aus sich hervor zu treiben – wie wir hoffen, im Dienste unserer deutschen Wissenschaft, unserer germanischen Freiheit und unserer nationalen Machtstellung, und damit zugleich auch im Dienste humaner Bildung und allgemein menschlicher Kultur.
- ↑ Vorlage: Korperation