Jüdische Altertümer/Buch VI
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Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 32 Jahren.
Inhalt.1. Unglück der Palaestiner infolge des göttlichen Zornes wegen der Wegnahme der Lade. Wie sie dieselbe den Hebräern zurücksandten.
2. Kriegszug der Palaestiner gegen die Hebräer. Sieg der Hebräer unter Führung des Propheten Samuel.
3. Wie Samuel seines hohen Alters wegen die Verwaltung seinen Söhnen anvertraute.
4. Wie das Volk, erzürnt über deren schlechte Amtsführung, einen König verlangte.
5. Samuel entrüstet sich darüber, bezeichnet aber auf Gottes Befehl einen König mit Namen Saul.
6. Saul führt gegen die Ammaniter Krieg, schlägt und plündert sie. Wie die Palaestiner wiederum die Hebräer angriffen, aber von ihnen geschlagen wurden.
8. Sauls Krieg mit den Ammanitern und sein Sieg.
9. Wie Saul die Befehle des Propheten missachtete, und Samuel deshalb auf Befehl Gottes heimlich einen anderen König mit Namen David erwählte.
10. Wie die Palaestiner einen neuen Kriegszug gegen die Hebräer unter Sauls Regierung ins Werk setzten.
11. Davids Zweikampf mit Goliath, dem Tapfersten der Palaestiner. Goliaths Fall und Niederlage der Palaestiner.
12. Wie Saul in Bewunderung von Davids Tapferkeit diesem seine Tochter zur Ehe gab.
13. Wie später der König, der gegen David Verdacht schöpfte, ihm nach dem Leben trachtete.
14. Wie David einigemal durch Saul in Lebensgefahr geriet, aber unverletzt entfloh, dann zweimal den Saul in seine Gewalt bekam, ihn aber verschonte.
15. Niederlage der Hebräer im Kriege mit den Palaestinern. Saul und seine Söhne fallen auf dem Schlachtfelde.
[317]
(1.) 1 Als die Palaestiner die heilige Lade der Hebräer weggenommen hatten, wie dies im Vorstehenden beschrieben ist, brachten sie dieselbe in die Stadt Azot und stellten sie wie eine Art Beutestück neben ihren Gott Dagon. 2 Als sie aber am anderen Tage sämtlich beim Morgengrauen in den Tempel kamen, um ihren Gott anzubeten, fanden sie ihn von dem Gestell, auf welchem er bisher gestanden, herabgestürzt und am Boden liegend; so hatte er sich vor der Lade gedemütigt. Sie waren hierüber sehr ärgerlich und setzten den Gott wieder auf das Gestell. Da sie aber, so oft sie zu Dagon gingen, ihn gewissermassen in Anbetung vor der Lade auf der Erde fanden, gerieten sie in Angst und Bestürzung. 3 Gleichzeitig sandte Gott der Stadt Azot und dem ganzen Lande schwere Verwüstung und Krankheiten. Die Menschen starben an heftigen Unterleibsqualen; sie litten schwer und endeten schrecklich, da ihnen vor dem Tode infolge der Krankheit die Eingeweide verfaulten und aus dem Körper herausfielen. Das Land aber verwüsteten Mäuse, die zahllos auftraten und weder Halm noch Frucht verschonten. 4 Als so die Azotier von grosser Drangsal heimgesucht wurden, und das Elend ins Unerträgliche gestiegen war, erkannten sie, dass an all dem Unheil nur die Lade Gottes schuld sei, und dass ihr Sieg und die Wegnahme der Lade ihnen teuer zu stehen komme. Sie schickten deshalb zu den Askalonitern und liessen sie bitten, die Lade bei sich aufzunehmen. 5 Diesen kam die Bitte gelegen, weshalb sie dieselbe gern bewilligten. Als sie aber die Lade bei sich hatten, kam auch über sie dasselbe Unheil, das mit der Lade von den Azotiern fortgezogen zu sein schien. Die Askaloniter gaben deshalb die Lade wieder weiter; 6 doch blieb [318] sie nirgends lange, denn mit ihr kamen auch die Krankheiten, und dann schickte man sie schleunigst zur nächsten Stadt weiter. Also wanderte die Lade durch fünf Palaestinerstädte und forderte gewissermassen von jeder derselben ihren Tribut dafür, dass sie zu ihnen kam.
(2.) 7 Nun aber sannen sowohl diejenigen, die von dem Strafgericht fast aufgerieben worden waren, als auch die, welche nur davon gehört hatten und durch das Beispiel der anderen davor gewarnt waren, die Gegenwart der Lade zu so teurem Preise zu erkaufen, auf Mittel und Wege, sich derselben zu entledigen. 8 Es kamen daher die Vorsteher der fünf Städte Gitta, Akkaron, Askalon, Gaza und Azot zusammen und beratschlagten‚ was zu thun sei. Einige meinten, man solle die Lade den Hebräern zurückschicken, da es offenbar sei, dass Gott selbst aus Rache für deren Niederlage über sie und ihre Städte so schwere Drangsal verhängt habe. 9 Andere aber hielten dies für unzweckmässig, da die Ursache des Unheils nicht an der Lade liege. Denn diese habe gar keine so grosse Macht, und wenn Gott etwas an ihr gelegen wäre, hätte er sie doch nicht in die Hände fremder Menschen geraten lassen. Sie empfahlen daher, man solle sich ruhig halten, die Leiden mit Gleichmut ertragen und deren Ursachen in der Natur suchen, die in den Leibern, der Erde, den Pflanzen und allem Vergänglichen in gewissem Zeitwechsel derartige Veränderungen bewirke. 10 Über die vorgenannten Meinungen trug aber den Sieg davon der Rat derjenigen Männer, die von allzeit erprobter Einsicht und Klugheit waren und auch jetzt zur Entscheidung des Streites am geeignetsten erschienen. Diese hielten dafür, man solle die Lade nicht ohne weiteres zurücksenden, sie aber auch nicht behalten; vielmehr solle man für jede Stadt eine goldene Bildsäule verfertigen und sie Gott weihen dafür, dass er die Bürger errettet und ihr Leben erhalten habe, als sie von Übeln bedrängt worden seien, denen sie nicht zu widerstehen vermocht hätten. Dann solle man ebenso [319] viele goldene Mäuse giessen, ähnlich denen, welche die Felder verheert und verwüstet hätten. 11 Die Bildsäulen und die Mäuse solle man in einen Behälter verschliessen, sie auf die Lade legen und für das Ganze einen neuen Wagen anfertigen lassen. Vor diesen solle man dann Kühe spannen, die gekalbt hätten, ihre Kälber aber zu Hause verwahren und verschliessen, damit sie den Kühen nicht nachliefen und sie behinderten, und damit die Kühe, von Verlangen nach ihnen getrieben, möglichst schnell wieder nach Hause eilten. Die Kühe, die den Wagen mit der Lade zögen, solle man an einen Scheideweg führen und sie dann ziehen lassen, wohin sie wollten. 12 Wenn sie nun auf die Hebräer angingen, solle man daraus ersehen, dass die Lade an den Drangsalen schuld sei; nähmen sie aber den entgegengesetzten Weg, so solle man daraus schliessen, dass sie keine Macht habe, solchen Schaden zu stiften, und alsdann sie wieder zurückführen.
(3.) 13 Diesen Rat hielt man für weise und gut und setzte ihn sogleich ins Werk. Und nachdem man alles in besagter Weise ausgeführt hatte, leitete man das Gefährt an den Scheideweg, überliess es dort sich selbst und zog sich nach Hause zurück. Die Kühe aber gingen gerades Wegs weiter, als ob sie geführt würden, und hinterdrein folgten die Vorsteher der Palaestiner, um zu erforschen, wo die Kühe Halt machen und wo sie sich hinwenden würden. 14 Bei einem Dorfe nun im Stamme Judas, mit Namen Bethsama, blieben die Kühe, obwohl noch ein schönes und grosses Feld vor ihnen lag, stehen und hielten den Wagen an. Das war für die Bewohner des Dorfes ein freudiges Schauspiel. Denn da es gerade im Sommer war, und alle sich der Ernte wegen auf dem Felde aufhielten, liessen sie, sobald sie die Lade gewahrten, ihre Arbeit ruhen und kamen sogleich voller Freude zu dem Wagen gelaufen. 15 Dann hoben sie die Lade samt dem Kasten, der die Bildsäulen und die Mäuse enthielt, vom Wagen und stellten sie auf einen im Felde liegenden Felsblock. Und nachdem sie Gott feierlich geopfert und geschmaust [320] hatten, brachten sie den Wagen nebst den Kühen als Opfer dar. Als dies die Vorsteher der Palaestiner sahen, wandten sie sich und kehrten nach Hause zurück.
(4.) 16 Der Zorn Gottes traf aber auch die Bethsamiter, und es wurden ihrer siebzig vom Blitze erschlagen, weil sie unwürdig gewesen, die Lade zu berühren, und dies dennoch gethan hatten, obgleich sie keine Priester waren. Die so Getöteten wurden von allen Einwohnern des Dorfes beweint; man trug um sie dieselbe Trauer, wie man sie um diejenigen zu tragen pflegt, die von gottgesandtem Strafgericht ereilt werden, und ein jeder beklagte seine umgekommenen Angehörigen. 17 Aus diesem Grunde hielten sie sich für unwürdig, die Lade länger bei sich zu behalten, und schickten deshalb Boten an den gemeinsamen Rat der Hebräer mit der Meldung, die Palaestiner hätten die heilige Lade zurückgegeben. Sobald die Hebräer das erfuhren, brachten sie die Lade nach Kariathiarim, einer Stadt nahe bei Bethsama‚ 18 wo sie sie im Hause des Leviten Aminadab, der wegen seiner Gerechtigkeit und Gottesfurcht hohes Ansehen genoss, aufstellten; denn der Ort, wo ein gerechter Mann wohne, sei Gott angenehm. Dessen Söhne besorgten auch den Dienst bei der Lade, und zwar zwanzig Jahre lang; denn so lange blieb dieselbe in Kariathiarim, nachdem sie bei den Palaestinern vier Monate gewesen war.
(1.) 19 Als nun das ganze Volk während der Zeit, da die Lade in Kariathiarim stand, dem Gebet und Opfer fleissig oblag und viel Frömmigkeit und Eifer im Gottesdienste bewies, hielt der Prophet Samuel es für angebracht, von der Freiheit und deren Nutzen zu reden. Er wandte sich deshalb an die Israëliten mit [321] eindrucksvollen und überzeugenden Worten 20 und sprach: „O ihr Männer, die ihr zwar an den Palaestinern noch hartnäckige Feinde habt, aber Gottes Gnade und Freundschaft wieder anfangt zu geniessen, ihr müsst die Freiheit nicht nur erstreben, sondern auch das thun, wodurch ihr sie erringen könnt. Ihr dürft nicht daran denken, von fremder Herrschaft befreit zu werden, wenn ihr fortfahrt, das zu begehen, was euch zu Sklaven herunterdrückt. 21 Pflegt also die Gerechtigkeit, tragt Sorge, die Verruchtheit aus euren Herzen zu verbannen, wendet euch mit ganzem Gemüt zu Gott und verharrt in seiner Verehrung. Wenn ihr das thut, wird euch Gutes in Fülle zuströmen, ihr werdet frei werden von der Knechtschaft und eure Feinde euch unterjochen, was ihr sonst weder mit Waffen, noch durch Körperstärke, noch mit grosser Heeresmacht erreichen könnt. Denn nicht solchen Mitteln hat Gott den Erfolg verheissen, sondern der Frömmigkeit und Gerechtigkeit. Ich verspreche euch, dass diese Verheissungen in Erfüllung gehen werden.“ 22 Diesen Worten spendete das Volk Beifall, nahm die Ermahnungen mit Freuden auf und erklärte sich bereit, das zu thun, was Gott wohlgefällig sei. Samuel rief sie darauf in die Stadt Masphath zusammen. Dieser Name bedeutet in hebraeischer Sprache „etwas weit Sichtbares.“ Daselbst schöpften sie Wasser und gossen es Gott zu Ehren aus, fasteten einen ganzen Tag und beteten.
(2.) 23 Diese Zusammenkunft blieb den Palaestinern nicht verborgen, und als sie davon Kunde erhalten, überfielen sie mit grosser Truppenmacht die Hebräer in der Hoffnung, sie ahnungslos und unvorbereitet anzutreffen. 24 Hierüber gerieten die Hebräer in Bestürzung, Aufregung und Schrecken, und sie liefen zu Samuel und sprachen zu ihm: „Im Andenken an die neuliche Niederlage sind unsere Gemüter voll Schrecken und Verwirrung. Deshalb möchten wir uns gern ruhig verhalten, um die Feinde nicht noch mehr zu reizen. Denn ganz wehr- und waffenlos treffen sie uns hier an, [322] die wir unter deiner Führung nur zu Gebet, Opfer und Gelöbnis hier zusammengekommen sind. Wir wissen also keine andere Zuflucht als zu dir und zu Gott, den du bitten wollest, er möge uns aus den Händen der Palaestiner befreien.“ 25 Samuel hiess sie ganz beruhigt sein und versprach ihnen Gottes Beistand. Dann nahm er ein säugendes Lamm, brachte es für das Volk zum Opfer dar und bat Gott, er möge sie in der Schlacht vor der Macht der Palaestiner schützen und sie nicht wiederum ins Unglück stürzen lassen. Und Gott erhörte ihre Bitten, nahm das Opfer gnädig an und verhiess ihnen Sieg und Vermehrung ihrer Kraft. 26 Als nun das Opfertier noch auf dem Altare lag und noch nicht ganz verbrannt war, rückten die feindlichen Truppen aus ihrem Lager und rüsteten sich zum Kampf in der sicheren Hoffnung auf Sieg, da sie die Juden völlig machtlos wähnten, weil sie weder Waffen hätten noch sonst auf den Kampf vorbereitet seien. Die Sache nahm aber einen ganz anderen Ausgang, als man vorausgesehen hatte. 27 Denn zunächst liess Gott unter den Palaestinern die Erde erbeben und erschütterte dieselbe so heftig, dass sie keinen sicheren Schritt thun konnten, sondern hin und her schwankten und hier und da in neugebildete Erdspalten versanken. Dann erschreckte er sie durch heftige Donnerschläge und so schrecklich auf sie zuckende Blitze, dass es schien, als ob ihre Gesichter verbrannt würden, sodass sie die Waffen wegwarfen und flohen. 28 Samuel stürzte sich mit dem ganzen Volke auf die Fliehenden, tötete viele und verfolgte die übrigen bis zu einem Ort, der Korraea heisst. Hier richtete er als Wahrzeichen des Sieges und der Flucht der Feinde einen Felsblock auf, den er „den Starken“ nannte zum Zeichen, dass Gott ihnen Stärke gegen ihre Feinde verliehen hatte.
(3.) 29 Nach dieser Niederlage wollten die Palaestiner keinen Krieg mehr mit den Israëliten führen, sondern in furchtsamem Gedenken dessen, was ihnen zugestossen, Ruhe halten. Das Vertrauen aber, das früher die [323] Palaestiner beseelt hatte, war nach dem Siege auf die Israëliten übergegangen. 30 Deshalb zog Samuel mit grosser Truppenmacht gegen sie, brachte ihnen eine schwere Niederlage bei und demütigte ihren Stolz vollends. Auch nahm er ihnen das Land weg, das sie früher den Juden im Kriege geraubt hatten, und das sich von Gitta weithin bis nach Akkaron erstreckte. Die übrigen Chananäer aber pflegten in dieser Zeit mit den Israëliten Frieden und Freundschaft.
(1.) 31 Darauf teilte Samuel das Volk zweckmässig ein und wies jedem Teil eine Stadt an, wo die Zusammenkünfte, zur Schlichtung von Streitigkeiten stattfinden sollten. Er selbst aber besuchte zweimal im Jahre die Städte, hielt darin Gericht und übte lange Zeit eine weise Rechtspflege.
(2.) 32 Als er aber alt und gebrechlich geworden war, sodass er die gewohnten Amtsverrichtungen nicht mehr besorgen konnte, übertrug er die Regierung und die Sorge für des Staates Wohl seinen Söhnen, von denen der ältere Joël, der jüngere Abia hiess. Der eine von ihnen sollte zu Bethel, der andere aber zu Barsube residieren und Recht sprechen, und jedem war eine Hälfte des Volkes zur Regierung zugeteilt. 33 Sie boten aber ein augenfälliges Beispiel dafür, dass nicht alle Kinder ihren Eltern an Charakter gleich sind, sondern dass schlechte Eltern oft gute und brave, gute Eltern aber oft missratene Kinder haben. 34 Der letztere Fall traf bei ihnen zu. Denn sie wichen von dem Edelsinn und Eifer des Vaters für alles Gute ab und gingen den entgegengesetzten Weg, verkehrten aus Sucht nach Geschenken und Gewinn [324] das Recht und handelten bei ihren Urteilen nicht der Wahrheit gemäss, sondern zu ihrem eigenen Vorteil. Sie waren der Schwelgerei und Wollust ergeben und widersetzten sich sowohl dem Willen Gottes als der Autorität des Propheten, ihres Vaters, der so viele Mühe darauf verwendet hatte, im Volke den Sinn für Gerechtigkeit zu pflegen.
(3.) 35 Als das Volk sah, dass die Söhne des Propheten durch ihre Frevel die frühere gute Ordnung ins Wanken brachten, ward es unwillig und strömte in hellen Haufen zu Samuel, der damals in Armatha wohnte, berichtete ihm die Unthaten seiner Söhne und bat ihn, da er selbst wegen seines hohen Alters die Geschäfte nicht mehr führen könne, ihnen einen König auszuwählen, der sie lenken und regieren und die Palaestiner wegen ihrer Ungebühr zur Verantwortung ziehen könne. 36 Diese Reden beunruhigten und ängstigten den Samuel sehr, da er bei seiner angeborenen Gerechtigkeitsliebe gegen die Königsherrschaft eingenommen war. Vielmehr hatte er eine besondere Vorliebe für die Herrschaft der Vornehmsten, die die Völker glücklich und fast göttlich zu machen imstande sei. 37 Daher machte ihn das Ansinnen des Volkes so sorgenvoll und ängstlich, dass er Speise und Nachtruhe vergass und sich ganze Nächte mit Gedanken über den Stand der Dinge plagte.
(4.) 38 In dieser verzweifelten Lage erschien ihm Gott und tröstete ihn mit folgenden Worten: „Du musst über das Begehren des Volkes nicht ärgerlich sein, denn nicht dich, vielmehr auch mich selbst haben sie als ihren Herrscher gar oft nicht anerkennen wollen, und zwar schon von dem Tage an, da sie aus Aegypten auszogen. In kurzer Zeit werden sie darüber schwere Reue empfinden, durch die freilich das Geschehene nicht ungeschehen gemacht werden kann. Aber sie werden es doch bitter beklagen, dass sie mich verachtet und sich ebensowohl gegen meine Ratschlüsse als gegen dich, ihren Propheten, so undankbar bewiesen haben. 39 Ich will nun, dass du ihnen einen König erwählst, den ich [325] dir zeigen werde. Setze ihnen jedoch zuvor die Unbilden auseinander, die sie unter Königen zu erdulden haben werden, und mache sie darauf aufmerksam, in welche Veränderung sie sich kopflos stürzen wollen.“
(5.) 40 Als Samuel das vernommen, rief er bei Tagesanbruch die Juden zusammen und erklärte sich bereit, ihnen einen König zu erwählen. Doch müsse er ihnen auch kundthun, wie es ihnen unter Königen ergehen würde, und von welchen Schicksalen sie würden heimgesucht werden. „Wisset denn,“ fuhr er fort, „der König wird euch zunächst eure Söhne nehmen und die einen zu Wagenlenkern, die anderen aber zu Reitknechten und Trabanten machen, wieder andere zu Läufern, Obersten und Hauptleuten. Auch zu Handwerkern, Waffenschmieden‚ Wagenbauern und Werkzeugfabrikanten‚ Feldarbeitern, Verwaltern und Winzern wird er sie sich heranziehen. 41 Überhaupt giebt es nichts, was sie nicht auf seinen Befehl nach Art der Lohndiener zu thun haben werden. Ferner wird er eure Töchter zu Salbenbereiterinnen, Köchinnen und Bäckerinnen machen und ihnen überhaupt alle Arbeiten auferlegen, denen sich sonst notgedrungen nur Sklavinnen aus Furcht vor Schlägen und Quälereien unterziehen. Dann wird er euch auch eure Besitzungen nehmen und sie seinen Verschnittenen und Säckelmeistern geben, eure Viehherden aber an diesen und jenen verteilen. 42 Um es kurz zu machen, ihr werdet mit euren Angehörigen nichts anderes sein, als Diener und Sklaven des Königs. Und wenn ihr das alles erdulden müsst, dann werdet ihr vielleicht dieser meiner Worte gedenken und Gott reumütig bitten, dass er sich euer erbarmen und euch von euren Königen wieder befreien möge. Er aber wird euch nicht erhören, euch vielmehr euch selbst überlassen und euch dafür büssen lassen, was ihr in eurem Unverstande euch gewünscht habt.“
(6.) 43 Aber die Menge war für die Vorhersagungen taub und bestand fest auf ihrer vorgefassten Meinung, die übrigens schon eingewurzelt war. Und wie sie sich von [326] ihrem Vorhaben nicht abbringen liessen, so kümmerten sie sich auch um Samuels Worte nicht, forderten vielmehr hartnäckig einen König, indem sie wegen ihrer Zukunft sich nicht im mindesten besorgt zeigten. 44 Denn um sich an ihren Feinden rächen zu können, bedürften sie eines Königs, der mit ihnen in den Krieg ziehe. Es sei doch nichts Widersinniges, dass, da die benachbarten Völker Könige hätten, sie auch einen solchen haben wollten. Als nun Samuel sah‚ dass alle seine Ermahnungen und Warnungen nichts fruchteten, und dass sie fest bei ihrer Meinung beharrten, sagte er: „Geht jetzt wieder nach Hause, und sobald ich von Gott vernommen habe, wen er euch zum Könige bestimmt, werde ich euch wieder rufen lassen.“
(1.) 45 Es war aber ein Mann aus dem Stamme Benjamin von edler Herkunft und guten Sitten, mit Namen Kis. Dieser hatte einen Sohn, der von hervorragender Gestalt, schlankem und herrlichem Wuchs und, was noch erwähnenswerter ist, von grossem Mut und glänzenden Geistesanlagen war. 46 Der Sohn hiess Saul. Eines Tages nun waren dem Kis einige seiner schönsten Eselinnen von der Weide abhanden gekommen (er hatte nämlich unter seinem sonstigen Besitztum einen besonders reichen Bestand an Eseln), und er schickte deshalb seinen Sohn mit einem Knechte aus, um dieselben zu suchen. Nachdem der Sohn den väterlichen Stamm auf der Suche nach den Eselinnen durchforscht hatte, wandte er sich zu anderen Stämmen, suchte aber auch hier vergebens und beschloss daher, nach Hause zurückzukehren, damit sich sein Vater keine Unruhe um seinen Verbleib mache. 47 Da er nun in die Nähe der Stadt Armatha kam, und sein Knecht ihn darauf aufmerksam machte, es wohne hier ein echter Prophet, von dem man erfahren könne, [327] wo die Eselinnen geblieben seien, sagte er, er habe nichts, was er dem Propheten dafür bezahlen könne, da der Verzehr auf der Reise seine Mittel erschöpft habe. 48 Der Knecht entgegnete darauf, er habe noch den vierten Teil eines Sekels, den man dem Propheten geben könne; sie wussten nämlich nicht, dass der Prophet keine Belohnung annahm. Als sie sich darauf zu den Propheten begaben, trafen sie am Stadtthor einige Mädchen, die Wasser holen gingen, und fragten diese, wo der Prophet wohne. Die Mädchen zeigten ihnen das Haus, bemerkten aber, sie müssten sich beeilen, wenn sie den Propheten noch antreffen wollten, ehe er zu Tische gehe; er habe nämlich gerade viele Gäste zu Tisch geladen und pflege vor den Eingeladenen Platz zu nehmen. 49 Samuel aber hatte um einer bestimmten Ursache willen mehrere zu Tisch geladen. Da er nämlich täglich zu Gott flehte, er möge ihm den künftigen König bezeichnen, verhiess ihm Gott am vorhergehenden Tage, er werde es ihm morgen kundthun und ihm um diese Zeit einen Jüngling aus dem Stamme Benjamin senden. Samuel sass daher an diesem Tage auf dem Dache seines Hauses und erwartete des Jünglings Ankunft. Sobald aber die bestimmte Zeit da war, stieg er hinunter und begab sich zu Tisch. 50 Er traf nun den Saul vor der Hausthür, und da gab ihm Gott ein, das sei der, der des Volkes König werden solle. Saul trat auf Samuel zu, grüsste ihn und fragte, wo der Prophet wohne, denn er sei fremd hier. 51 Samuel antwortete ihm, er sei es selbst, führte ihn zu Tisch und sagte ihm, um die Eselinnen, die er suche, stehe es gut; er selbst aber werde die höchste Würde erlangen. Da sprach Saul: „Das übersteigt alle meine Erwartung, o Herr, und mein Stamm ist viel zu gering, als dass aus ihm Könige hervorgehen sollten; auch ist meine Familie unansehnlicher als alle übrigen. Du treibst wohl deinen Scherz mit mir, da du mir von grösseren Dingen redest, als ich je erreichen kann.“ 52 Der Prophet aber geleitete ihn zu Tische und setzte ihn und seinen Knecht über alle anderen Geladenen, die im ganzen siebzig an der [328] Zahl waren; auch befahl er seinen Dienern, dem Saul eine königliche Portion vorzusetzen. Als nun die Zeit der Nachtruhe herankam, gingen die anderen Gäste nach Hause, Saul aber blieb mit seinem Knecht bei dem Propheten über Nacht.
(2.) 53 Am frühen Morgen weckte Samuel den Saul auf und gab ihm das Geleit auf den Weg. Sobald sie aber aus der Stadt heraus waren, hiess er den Knecht vorangehen; Saul dagegen bat er stehen zu bleiben, da er ihm etwas ohne Zeugen zu sagen habe. 54 Als Saul nun seinen Knecht vorausgeschickt hatte, zog der Prophet ein Gefäss hervor, goss Öl auf das Haupt des Jünglings, küsste ihn und sprach: „Sei König nach dem Willen Gottes, bekämpfe die Palaestiner und räche die Hebräer. Was ich dir jetzt ankündige, soll dir ein Wahrzeichen davon sein. 55 Wenn du von hier weggehst, wirst du auf dem Wege drei Männern begegnen, die nach Bethel wandern, um Gott dort anzubeten. Der erste von ihnen wird drei Brote tragen, der zweite einen Bock, und der dritte einen Schlauch mit Wein. Sie werden dich begrüssen und freundlich anreden und dir zwei Brote geben; die sollst du annehmen. 56 Wenn du dann weiter zum Grabe der Rachel kommst, wirst du wieder einen Mann treffen, der dir verkündigen wird, wo du die Eselinnen finden kannst. Dann kommst du nach Gabatha, wo du eine grosse Anzahl Propheten antreffen wirst, und du wirst selbst vom göttlichen Geiste ergriffen werden und weissagen, sodass alle, die es hören, staunen und fragen werden: Wie ist denn der Sohn des Kis zu solchem Glücke gekommen? 57 Wenn du diese Zeichen siehst, so erkenne daran, dass Gott dir beisteht, und dann gehe und begrüsse deinen Vater und deine übrigen Verwandten. Wenn ich dich nun bescheide, kommst du nach Galgala, damit wir Gott für seine Hilfe Friedopfer darbringen.“ Als er dies gesagt und verkündigt hatte, entliess er den Jüngling. Dem Saul aber begegnete alles so, wie Samuel es vorhergesagt hatte.
(3.) 58 Als er nun nach Hause kam, und sein Verwandter [329] Abener, den er vor allen anderen liebte, ihn fragte, wie die Reise verlaufen sei und was sie auf derselben erlebt hätten, verhehlte er ihm nichts, auch nicht, dass er den Propheten Samuel besucht und dass dieser ihm gesagt habe, die Eselinnen seien gut aufgehoben. 59 Von dem Königtum aber und was sich darauf bezog, schwieg er, da er glaubte, es möchte Neid erregen und werde doch keinen Glauben finden. Und obgleich jener ihm sehr befreundet war, und er ihn von seinen Verwandten am meisten liebte, hielt er es doch nicht für sicher und klug, es ihm mitzuteilen. Zweifellos überlegte er nämlich, dass die menschliche Natur nun einmal so beschaffen sei, dass selbst der beste Freund und Verwandte nicht immer Wohlwollen an den Tag lege, und dass, sobald Gott jemand reichliches Glück verleihe, selbst die Gesinnung der Edelsten in Übelwollen und Neid umzuschlagen pflege.
(4.) 60 Hierauf berief Samuel das Volk in die Stadt Masphath und sprach auf Geheiss Gottes, wie er sagte, also zu ihm: „Ich habe euch die Freiheit verschafft und euch eure Feinde unterjocht, und doch wisst ihr mir für diese Wohlthaten wenig Dank, da ihr sogar Gott das Recht, euch zu regieren, absprecht und nicht einseht, dass sich unter seiner Regierung am besten leben lässt; denn Gott ist der beste Herrscher. 61 Trotzdem wollt ihr lieber einen König haben, der euch wie das Vieh unterjochen, ganz nach seiner Willkür und den Eingebungen seiner Leidenschaften über euch herrschen und seine Macht zügellos gebrauchen wird. Keineswegs wird er aber das Menschengeschlecht beschützen und erhalten wie Gott, der es geschaffen hat. Weil ihr aber einmal so wollt und Gott einen solchen Schimpf anthut, so teilt euch nach Stämmen und Familien und werfet dann das Los.“
(5.) 62 Da die Hebräer das thaten, traf das Los den Stamm Benjamin. Als man dann weiterging nach Familien, fiel das Los auf die Familie Matris, und als man dann noch nach einzelnen Männern loste, wurde [330] König: Saul, der Sohn des Kis. 63 Sobald Saul dies erfuhr, verbarg er sich, um nicht den Schein zu erwecken, als ob er begierig nach der Königswürde sei. Denn er zeigte eine so grosse Mässigung und Bescheidenheit, dass er weit entfernt war, sich der neuen Würde zu rühmen, ja dass er sogar sich vor denen verbarg, über die er herrschen sollte, und sich von ihnen mühsam suchen liess, während die meisten Menschen schon dann, wenn ihnen ein kleines Glück zu teil wird, sich kaum vor Freude halten können und sich den Blicken aller zeigen müssen. 64 Da sich nun Saul nirgends sehen liess und das Volk deshalb in Sorge und Unruhe geriet, bat der Prophet Gott, er möge ihm doch kundthun, wo Saul sei und den Jüngling allen sichtbar machen. 65 Als er darauf von Gott Sauls Versteck erfahren hatte, liess er ihn holen und stellte ihn mitten unter das Volk. Und Saul ragte weit über alle anderen hinaus und bot eine wirklich königliche Erscheinung dar.
(6.) 66 Darauf sprach der Prophet: „Diesen Jüngling hat euch Gott zum Könige gegeben; seht, wie er über alle hervorragt und sich als wahren König zeigt.“ Da jubelte das Volk: es lebe der König! Der Prophet aber, der alle künftigen Ereignisse aufgeschrieben hatte, las diese Aufzeichnungen dem Volke in Gegenwart des Königs vor und legte dann das Buch in die Hütte Gottes, damit es für alle Zeiten zum Zeugnis diene, dass er das alles vorhergesagt habe. 67 Darauf entliess er das Volk nach Hause, er selbst indes kehrte in seine Vaterstadt Armatha zurück. Saul aber zog wieder in seine Heimat Gabatha und ward von vielen Gutgesinnten begleitet, die ihm die dem Könige gebührenden Ehrenbezeugungen erwiesen; anderseits gab es aber auch manche, die ihn verachteten, die übrigen verhöhnten, ihm keine Geschenke brachten und in Wort wie That kein Hehl daraus machten, dass Saul auf ihren Beifall nicht rechnen könne.
[331]
(1.) 68 Ungefähr einen Monat nachher befestigte Saul sein Ansehen durch einen Krieg, den er mit Naases, dem Könige der Ammaniter, führte. Dieser hatte einen Kriegszug gegen die jenseits des Jordan wohnenden Juden unternommen und sie hart bedrängt, 69 da er nicht nur ihre Städte eingenommen, sondern auch den mit Gewalt Unterjochten durch eine schlaue und listige That es unmöglich gemacht hatte, sich seiner Botmässigkeit wieder zu entziehen, falls sie dies je gelüsten sollte. Er liess nämlich denen, die sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben hatten oder kriegsgefangen in seine Gewalt gelangt waren, das rechte Auge ausstechen in der Absicht, sie zum Kriege untauglich zu machen, 70 da das linke Auge ja durch den Schild verdeckt wurde. 71 Als der König der Ammaniter so gegen die Juden jenseits des Jordan gewütet hatte, führte er sein Heer auch wider die Galadener. Bei deren Hauptstadt Jabis schlug er sein Lager auf und liess den Einwohnern durch Gesandte die drohende Verkündigung zugeben, sie sollten sich ihm entweder ergeben und sich das rechte Auge ausstechen lassen, oder sie hätten eine Belagerung und vollständige Zerstörung ihrer Städte zu gewärtigen; sie hätten also die Wahl, ob sie ein Glied ihres Körpers verlieren oder vollends zu Grunde gehen wollten. 72 Die Galadener gerieten darob in grossen Schrecken und wagten auf beides keine Antwort zu geben, ob sie sich freiwillig ergeben oder lieber das Kriegsglück versuchen wollten. Sie baten deshalb um einen siebentägigen Waffenstillstand, um ihre Stammesgenossen um Hilfe angehen zu können. Gewährten diese die Hilfe, so wollten sie den Krieg versuchen, im anderen Falle aber sich ergeben auf Gnade und Ungnade.
(2.) 73 Naases, der die Galadener samt ihrer Antwort verachtete, bewilligte ihnen den Waffenstillstand und liess [332] ihnen sagen, sie möchten nur zu Hilfe rufen, wen sie wollten. Daher liessen die Galadener an alle Städte der Israëliten die Botschaft ausrichten, in welche Not sie durch die Drohungen des Naases geraten seien, 74 und alle Israëliten weinten und trauerten, als sie von dem Unglück der Jabisener erfuhren, und liessen vor Furcht alles liegen und stehen. Und als die Boten auch in die Stadt des Königs Saul kamen und die gefahrvolle Lage der Jabisener meldeten, wurde deren Bevölkerung von gleichem Schmerze ergriffen, und sie empfanden grosse Trauer über das Elend ihrer Brüder. 75 Da nun Saul von der Feldarbeit nach der Stadt zurückkam, seine Mitbürger in Thränen aufgelöst fand und auf seine Frage erfuhr, was die Gesandten gemeldet und was ihnen so grossen Kummer verursache, kam göttliche Erleuchtung über ihn. 76 Er schickte die Jabisener zurück und versprach ihnen, er werde ihnen am dritten Tage zu Hilfe kommen und die Feinde vor Tagesanbruch zu Boden schlagen, sodass die aufgehende Sonne sie selbst als Befreite und Sieger begrüssen werde. Nur einige von den Boten hiess er bleiben, um ihm als Wegweiser zu dienen.
(3.) 77 Weil nun Saul das Volk zum Kriege gegen die Ammaniter durch Furcht vor körperlichem Schaden anreizen und es so schnell wie möglich zusammenbringen wollte, liess er seinen Ochsen die Sehnen durchschneiden und drohen, so werde er alle die behandeln lassen, die nicht am folgenden Tage mit ihren Waffen am Jordan erscheinen und ihm und dem Propheten Samuel folgen würden. 78 Aus Furcht vor der angedrohten Strafe kamen die Bewaffneten massenweise heran und wurden in der Stadt Bala gezählt, wobei sich ohne den Stamm Judas, der allein siebzigtausend zählte, gegen siebenhunderttausend Mann ergaben. 79 Darauf überschritt Saul den Jordan, marschierte die ganze Nacht zehn Schoinen[1] [333] weit und kam vor Sonnenaufgang an seinem Ziele an. Er teilte dann das ganze Heer in drei Abteilungen und griff den nichts ahnenden Feind von allen Seiten an; und es fiel in der Schlacht eine grosse Menge der Feinde, unter ihnen auch der König Naases selbst. 80 Diese herrliche Kriegsthat vermehrte Sauls Ruhm bei allen Israëliten, die über ihn voll des Lobes und der Bewunderung waren. Selbst die, die ihn früher verachtet hatten, änderten ihre Ansicht, ehrten ihn und hielten ihn für den besten von allen. Denn Saul war nicht damit zufrieden, die Jabisener gerettet zu haben, sondern er fiel auch ins Land der Ammaniter ein, verheerte und verwüstete es, machte reiche Beute und kehrte ruhmbedeckt nach Hause zurück. 81 Diese glücklichen Erfolge freuten das Volk sehr, und es war stolz darauf, einen solchen König zu haben. Gegen die aber, die ihn früher nicht für fähig gehalten hatten, ihr Land zu schützen, erhob sich lautes Geschrei, und man wollte sie dafür zur Strafe ziehen, schmähte sie auch, wie das Volk zu thun pflegt, wenn das Glück es übermütig macht gegen die, die seine Urheber verachtet haben. 82 Saul lobte ihren Eifer und ihre gute Gesinnung gegen ihn, schwur aber hoch und teuer, dass kein Stammesgenosse an diesem Tage die Todesstrafe erleiden solle. Denn es sei widersinnig, einen von Gott verliehenen Sieg dadurch zu beflecken, dass man an seinen Stammesgenossen blutigen Mord begebe. Vielmehr gezieme es sich, dass sie den Tag in gegenseitiger Liebe und mit Freudenmahlen feierten.
(4.) 83 Da nun Samuel verkündigte, es bedürfe einer nochmaligen Einsetzung und Bestätigung Sauls als König, versammelten sich alle in der Stadt Galgala, wie Samuel befohlen hatte. Hier salbte er im Angesichte des Volkes nochmals den Saul mit heiligem Öl und legte ihm den Königstitel bei. So wurde der Staat der Hebräer in ein Königreich verwandelt. 84 Denn unter Moyses und seinem Schüler Jesus, der das Heer führte, war die Regierung in den Händen der Vornehmsten. Nach dem Tode des Jesus aber entbehrte das Volk achtzehn Jahre [334] lang eines Oberhauptes. 85 Darauf kehrte es wieder zu der früheren Regierungsform zurück, sodass die oberste Entscheidung jedesmal dem anvertraut wurde, der sich im Kriege durch Tapferkeit besonders ausgezeichnet hatte. Deshalb nennt man die ganze Zeitperiode, in der diese Regierungsform üblich war, die der Richter.
(5.) 86 In einer darauf folgenden Versammlung sprach der Prophet zu den Hebräern: „Ich beschwöre euch bei dem allmächtigen Gott, der die beiden grossen Brüder Moyses und Aaron erschaffen und eure Väter aus der Knechtschaft der Aegyptier erlöst hat, ihr wollet mir ohne Scheu und Furcht und ohne irgend einem anderen Gefühle nachzugeben, sagen, ob ich irgend etwas Schlechtes und Ungerechtes gethan habe, sei es aus Gewinnsucht oder Rechthaberei oder aus Gefälligkeit gegen andere. 87 Könnt ihr mich beschuldigen, dass ich jemand sein Kalb oder Schaf oder sonst dergleichen genommen habe, obwohl man doch von Schuld frei ist, wenn man solches zum notwendigen Lebensunterhalt nimmt, oder dass ich jemandes Zugtier zu meiner Arbeitsverrichtung gebraucht und ihn dadurch betrübt habe? Wisst ihr dergleichen, so sagt es hier, in Gegenwart eures Königs, frei heraus.“ Sie aber riefen, er habe derartiges nie gethan, sondern immer gerecht und gewissenhaft dem Volke vorgestanden.
(6.) 88 Als nun alle dem Samuel ein so glänzendes Zeugnis erteilten, fuhr er fort: „Da ihr also zugebt, dass ihr mir nichts Böses vorwerfen könnt, nun wohl, so will ich euch auch frei heraussagen, wie sehr ihr euch dadurch gegen Gott verfehlt habt, dass ihr einen König begehrtet. 89 Ihr müsst euch doch noch erinnern, dass euer Vorfahre Jakob mit nur siebzig Personen unseres Stammes infolge einer Hungersnot nach Aegypten gezogen ist. Als sich hier sein Geschlecht bis auf viele Tausende vermehrt hatte und von den Aegyptiern in harter und schmachvoller Knechtschaft gehalten Wurde, hat Gott auf das Flehen eurer Väter ohne einen König das Volk von dieser Not befreit und ihm die Brüder Moyses und [335] Aaron gesandt, die euch in dieses Land geführt haben, welches ihr jetzt besitzt. 90 Aber trotz dieser Wohlthaten Gottes habt ihr Frömmigkeit und Gottesdienst vernachlässigt. Nichtsdestoweniger hat er euch abermals aus der Gewalt eurer Feinde erlöst. Denn zuerst hat er euch den Sieg über die Assyrier verliehen, dann über die Ammaniter und Moabiter, und zuletzt über die Palaestiner. Und das alles habt ihr nicht unter einem Könige, sondern unter Führung Jephthes’ und Gedeons vollbracht. 91 Was für eine Thorheit hat euch also ergriffen, dass ihr euch der Herrschaft Gottes entzieht und euch einem Könige unterwerft? Doch habe ich euch, da ihr nicht anders wolltet, den König erwählt, den Gott bezeichnete. Damit es euch aber offenbar wird, dass Gott euch zürnt, weil ihr die Herrschaft eines Königs gewünscht habt, so will ich es bewirken, dass Gott durch ein untrügliches Zeichen dies kundthue. Denn ich werde Gott bitten, euch jetzt mitten im Sommer ein Unwetter zu senden, wie es noch niemand in dieser Gegend erlebt hat.“ 92 Kaum hatte Samuel dies zum Volke geredet, so bekräftigte Gott alle seine Worte durch ein so fürchterliches Gewitter mit Hagelschlag, dass sie von Angst und Entsetzen ergriffen bekannten, sie hätten aus Unverstand gefrevelt. Und sie baten den Propheten, er möge als gütiger und milder Vater Gottes Gnade für sie erflehen, damit er ihnen diese Sünde, durch die sie so viel Schande und Unheil erzeugt hätten, verzeihe. 93 Samuel versprach ihnen, er werde Gottes Verzeihung für sie erbitten, ermahnte sie aber auch, dass sie sich eines gerechten und guten Wandels befleissigen und stets gedenken sollten, in welches Unglück sie durch Abweichen vom Wege der Tugend geraten seien. Auch sollten sie sich erinnern der Wunder, die Gott gewirkt, und der Gesetze, die Moyses ihnen gegeben habe, wenn ihnen ihr Wohlergehen und ihres Königs Glück am Herzen liege. 94 Wenn sie aber seine Ermahnungen missachteten, würden sie samt ihrem Könige schwer von Gott heimgesucht werden. Hierauf entliess Samuel die [336] Hebräer nach Hause, nachdem er den Saul abermals als König bestätigt hatte.
(1.) 95 Saul wählte nun aus dem Volke gegen dreitausend Mann aus, bestimmte davon zweitausend zu seiner Leibgarde und residierte in Bethel; den Rest der Mannschaft überliess er seinem Sohne Jonathas als Leibwache und sandte ihn nach Gaba. Er selbst unternahm die Erstürmung eines Lagers der Palaestiner, das nicht weit von Galgala entfernt war. 96 Denn die Palaestiner, welche Gaba bewohnten, hatten die Juden unterworfen, sie ihrer Waffen beraubt und in ihre Festungen Besatzungen gelegt, ihnen auch für die Folge die Fabrikation von eisernen Gegenständen verboten. Infolge dieses Verbots mussten die Ackerer, wenn sie neuer Geräte bedurften, als Pflugschar, Hacke und anderer landwirtschaftlichen Werkzeuge, dieselben bei den Palaestinern anfertigen lassen. 97 Als nun die Palaestiner von der Zerstörung ihres Lagers Kunde erhielten, ergrimmten sie gewaltig und rüsteten sich, um die ihnen zugefügte Unbill zu rächen, zum Kriege gegen die Juden. Ihr Heer bestand aus dreihunderttausend Fusssoldaten, dreissigtausend Wagen und sechstausend Reitern, 98 und sie schlugen ihr Lager bei Machma auf. Als der König Saul das vernahm, zog er nach Galgala, sandte Herolde im ganzen Lande umher und rief das Volk zum Schutze seiner Freiheit und zum Kriege gegen die Palaestiner auf, indem er deren Macht als geringfügig und verächtlich hinstellen liess, sodass die Juden nicht das mindeste Bedenken zu tragen brauchten, den Kampf mit ihnen aufzunehmen. 99 Als aber Sauls Truppen die gewaltige Menge der Palaestiner erblickten, wurden sie sehr bestürzt. Ein Teil von ihnen verbarg sich in Höhlen und unterirdischen [337] Gängen, die meisten aber flüchteten in das Land jenseits des Jordan, das den Stämmen Gad und Rubel gehörte.
(2.) 100 Saul aber schickte Boten zu dem Propheten und beschied ihn zu sich, um mit ihm wegen des Krieges und über sonstige Angelegenheiten Rat zu pflegen. Samuel liess sagen, er möge ihn erwarten und Opfer bereit halten; nach sechs Tagen werde er zu ihm kommen, am siebenten Tage Opfer darbringen, und alsdann sollten sie mit dem Feinde kämpfen. 101 Saul wartete nun zwar, bis der Prophet kam, wie dieser befohlen hatte; doch kam er seinem Befehle nicht in jeder Beziehung nach. Denn als er merkte, dass der Prophet sich verzögerte, und dass seine Streiter anfingen, sich zu zerstreuen, brachte er selbst das Opfer auf dem Altare dar. Als er dann von Samuels Ankunft hörte, ging er ihm entgegen. 102 Dieser warf ihm vor, er habe nicht recht daran gethan, seinem Befehle zuwiderzuhandeln und seine Ankunft nicht abzuwarten; verwegen sei Sauls Unterfangen gewesen, selbst das Opfer darzubringen, weil er allein von Gott dazu bestimmt sei, Gebete und Opfer für das Volk abzuhalten. 103 Saul entschuldigte sich darauf und sagte, er habe ja so viele Tage zugewartet, als Samuel vorgeschrieben, und nur die Not habe ihn dazu verleitet, das Opfer darzubringen, da sein Heer aus Furcht vor dem bei Machma lagernden Feinde angefangen habe, sich zu zerstreuen, der Feind selbst aber im Begriffe gewesen sei, nach Galgala aufzubrechen. 104 Samuel aber entgegnete ihm: „Wenn du mir verständig gefolgt und nicht durch deine unnötige Eile die Befehle Gottes, die er dir durch mich gab, übertreten hättest, so hättest sowohl du als deine Nachkommen die Herrschaft länger behalten.“ 105 Hierauf ging Samuel, ärgerlich über das Vorgefallene, nach Hause; Saul aber begab sich mit nur sechshundert Mann und seinem Sohne Jonathas nach der Stadt Gabaon. Von seinen Leuten hatte der grösste Teil noch nicht einmal Waffen, da in dieser Gegend weder Eisen noch Waffenschmiede zu finden waren; denn wie oben gesagt, hatten [338] die Palaestiner dies verboten. 106 Die Palaestiner teilten sodann ihr Heer in drei Abteilungen, brachen auf ebensovielen Wegen in das Gebiet der Hebräer ein und verwüsteten es, während Saul und sein Sohn Jonathas ruhig zusehen und die Verheerung des Landes zulassen mussten, da sie ja nur 600 Mann hatten. 107 Als nun Saul nebst seinem Sohne und dem Hohepriester Achias, einem Nachkommen des Hohepriesters Eli, auf einem Hügel sass und die Verwüstung des Landes sah, wurden sie heftig erschüttert, und Sauls Sohn beschloss, mit seinem Waffenträger sich heimlich in das Lager der Feinde zu schleichen und dort Lärm und Schrecken zu erregen. 108 Und da der Waffenträger gelobte, ihm überallhin zu folgen, wenn es ihm auch das Leben kosten sollte, stieg er mit ihm von dem Hügel herab und nahm den Weg auf die Feinde zu. Deren Lager aber lag in einer abschüssigen Gegend, die in drei hochragende Bergspitzen auslief und rings von Klippen umgeben war, sodass sie den Anblick einer durch Bollwerke geschützten Festung bot. 109 Man hatte daher auch keinen sonderlichen Wert auf Bewachung gelegt, da die Beschaffenheit der Gegend so fest erschien, dass wohl niemand sich getraute, ihr zu nahen, geschweige denn sie zu ersteigen. 110 Als die beiden nun an das Lager herangekommen waren, ermahnte Jonathas seinen Waffenträger, er möge gutes Muts sein, und fuhr dann fort: „Wir wollen uns jetzt an die Feinde heranmachen; wenn sie, sobald sie uns erblickt haben, uns zu ihnen heraufsteigen heissen, so kannst du daraus ein Anzeichen unseres Sieges erkennen, schweigen sie jedoch still und rufen uns nicht, so wollen wir wieder umkehren.“ 111 Als sie dann bei Tagesanbruch sich dem feindlichen Lager noch mehr näherten, und die Palaestiner sie gewahr wurden, sprachen diese zu einander: „Die Hebräer kriechen aus ihren Höhlen und Schlupfwinkeln hervor!“ Den Jonathas aber und seinen Waffenträger redeten sie also an: „Kommt, steigt zu uns herauf, damit ihr für eure Tollkühnheit die verdiente Strafe empfangt.“ 112 Sobald Sauls Sohn den Ruf vernommen hatte, [339] erkannte er darin freudigen Herzens ein Siegeszeichen und schritt von dem Orte, wo die Feinde sie erblickt hatten, weiter bis zu einem Felsen, an den man seiner Festigkeit wegen keine Wache gelegt hatte. 113 Hier klommen sie mit vieler Mühe bergan, überwanden glücklich die natürlichen Schwierigkeiten des Ortes und drangen auf die Feinde ein, überfielen sie im Schlafe und töteten ihrer gegen zwanzig. 114 Die übrigen aber waren derart verwirrt und bestürzt, dass einige ihre Waffen wegwarfen und flohen, die meisten hingegen wiedereinander fochten, da sie aus vielerlei Völkerschaften zusammengelesen waren und sich daher gegenseitig nicht kannten, vielmehr einander für Feinde hielten; davon, dass nur zwei Hebräer sie angegriffen hatten, hatten sie keine Ahnung. So töteten sie sich teils gegenseitig mit den Waffen, teils stürzten sie einander von den Felsklippen herab.
(3.) 115 Als nun die Kundschafter Sauls diesem die Nachricht brachten, im Lager der Palaestiner gehe alles drunter und drüber, forschte er nach, ob jemand von den Seinen sich entfernt habe. Nachdem er dann vernommen, sein Sohn werde nebst dessen Waffenträger vermisst, befahl er dem Hohepriester, sein priesterliches Gewand anzulegen und ihm die Zukunft zu weissagen. Er erhielt zur Antwort, er werde die Feinde besiegen, und sogleich zog er gegen die Palaestiner und griff sie an, als sie in ihrer Verwirrung noch immer gegeneinander kämpften. 116 Auf die Nachricht von Sauls Sieg stiessen auch diejenigen wieder zu ihm, die sich vorher in Erdgängen und Höhlen versteckt hatten. Als sein Heer so auf zehntausend Hebräer angewachsen war, verfolgte er die Feinde, die sich in der ganzen Gegend umher zerstreut hatten. Sei es nun aber aus Freude über den unverhofften Sieg (denn die, denen ein so grosses Glück zu teil wird, pflegen jeder vernünftigen Überlegung bar zu sein), sei es aus Unverstand, genug, Saul beging einen schweren Fehler und eine tadelnswerte Thorheit. 117 Denn in der Absicht, sich an den Palaestinern zu rächen und sie gebührend zu bestrafen, verfluchte und verwünschte er jeden Hebräer, [340] der Speise zu sich nehmen und von der Tötung der Feinde ablassen würde, bevor die Nacht die weitere Verfolgung unmöglich mache. 118 Als Saul dies verkündigt hatte, kamen die Hebräer in einen dichten, bienenreichen Wald, der zum Stamme Ephraïm gehörte. Jonathas aber, der von dem Fluche seines Vaters und der Zustimmung des Volkes dazu nichts gehört hatte, presste den Honig aus einer Scheibe und verzehrte ihn. 119 Inzwischen erfuhr er, dass sein Vater unter schweren Verwünschungen verboten hatte, vor Sonnenuntergang Speise anzurühren, und hörte nun zwar auf zu essen, missbilligte aber das Verbot seines Vaters: denn die Hebräer würden, wenn sie sich durch etwas Speise erfrischt hätten, mit grösserer Ausdauer und Behendigkeit die Verfolgung fortsetzen und viel mehr Feinde töten und gefangen nehmen.
(4.) 120 Nachdem nun viele Tausende von den Palaestinern umgebracht waren, machten sich die Hebräer gegen Abend an die Plünderung des Lagers derselben und nahmen viele Beute und besonders viel Vieh weg. Das Vieh schlachteten sie und verzehrten es mitsamt dem Blute. Dem Könige aber wurde von seinen Schreibern gemeldet, dass die Krieger sich beim Opfer gegen Gott versündigten, weil sie, ehe das Blut gänzlich vom Fleische entfernt und so das Fleisch gereinigt war, davon genossen hätten. 121 Da befahl Saul, einen grossen Felsblock heranzuwälzen und das Vieh darauf zu schlachten, aber unter keinen Umständen Fleisch und Blut zusammen zu geniessen, weil das Gott höchst missfällig sei. Als nun alles Volk diesem Befehl des Königs gemäss gethan, errichtete Saul an dieser Stelle einen Altar und brachte Gott auf demselben ein vollständiges Opfer dar. Das war der erste Altar, den Saul erbaute.
(5.) 122 In der Absicht, sogleich nach dem Lager der Feinde aufzubrechen und dasselbe vollends zu zerstören, bevor es tage, berief der König, zumal da sich auch das Volk dessen nicht weigerte, vielmehr eine grosse Bereitwilligkeit zur Vollziehung seiner Befehle bekundete, den Hohepriester Achitob und hiess ihn nachforschen, ob [341] Gott erlauben würde, dass sie zum feindlichen Lager zögen und alle noch darin Befindlichen niedermachten. 123 Der Hohepriester aber gab zur Antwort, Gott wolle sich hierüber nicht aussprechen, worauf Saul ausrief: „Gott hat gewiss seinen guten Grund dafür, dass er uns die Antwort verweigert, obgleich er uns früher über alles Bescheid erteilte, selbst wenn wir ihn nicht fragten. Irgend eine geheime Sünde unsererseits ist die Ursache dieses Schweigens. 124 Bei Gott selbst schwöre ich, dass ich den Frevler töten werde, und sollte es auch mein Sohn Jonathas sein. Auf diese Weise hoffe ich Gott zu versöhnen. Mein eigen Fleisch und Blut werde ich dafür bestrafen, gerade als ob es ein mir völlig Fremder wäre.“ 125 Da das ganze Volk hierzu seine Zustimmung äusserte, stellte Saul dasselbe an einem Orte zusammen; er selbst indes trat mit seinem Sohne auf die andere Seite und warf das Los, um den Schuldigen zu ermitteln. Das Los aber traf den Jonathas. 126 Da nun der Vater ihn fragte, was er verbrochen habe und welcher gottlosen That er sich bewusst sei, erwiderte dieser: „Vater, nichts anderes habe ich gethan, als dass ich gestern bei der Verfolgung des Feindes Honig gegessen habe, da ich von dem Fluch und der Verwünschung nichts wusste.“ Da schwur Saul, er werde ihn töten und sich nicht durch Verwandtschaft und natürliche Zuneigung bestimmen lassen, seinen Eid zu brechen. 127 Jonathas zeigte sich durch die Androhung des Todes nicht im mindesten erschreckt, sondern trat mitten unter das Volk und sprach mutig und frei: „Ich bitte dich nicht, Vater, meiner zu schonen, denn süss ist mir der Tod, den ich um deiner Gottesfurcht willen und nach einem so glänzenden Siege erleiden soll. Den grössten Trost finde ich darin, dass ich die Hebräer als Sieger über die Palaestiner zurücklasse.“ 128 Durch diese Worte wurde das ganze Volk schmerzlich bewegt und bejammerte sein trauriges Schicksal, schwur auch, es werde nicht zugeben, dass Jonathas, der doch der Urheber ihres Sieges sei, sterben solle. So befreite ihn das Volk von dem Fluche [342] des Vaters und betete für den Jüngling zu Gott, dass er ihm seine Sünde verzeihen möge.
(6.) 129 Darauf kehrte Saul heim in seine Stadt, nachdem gegen sechzigtausend Feinde umgebracht waren. Er regierte dortselbst glücklich, bekriegte die benachbarten Völkerschaften und unterjochte die Ammaniter, Moabiter, Palaestiner, Idumäer und Amalekiter, sowie auch den König von Soba. Saul hatte drei Söhne, Jonathas, Jesus und Melchis, und zwei Töchter, Merob und Michal. Sein Heerführer war Abener, der Sohn seines Oheims Nerus. 130 Dieser Nerus nämlich und Kis, der Vater Sauls, waren Brüder und Söhne des Abiel. Saul besass eine grosse Menge Streitwagen und eine zahlreiche Reiterei, weshalb er in jedem Kriege Sieger blieb. Unter ihm brachten es die Hebräer zu grossem Wohlstand und Glück und wurden mächtiger als alle anderen Völker. Seine Leibwache bildete er aus den grössten und schönstgewachsenen Jünglingen.
(1.) 131 Darauf kam Samuel zu Saul und sagte ihm, er sei von Gott gesandt, um ihn zu ermahnen, dass, da Gott ihn vor allen anderen zum König erwählt habe, es nun auch billig sei, dass er Gott gehorche und nach seinem Willen lebe; denn wie Saul über Völker regiere, so sei Gott Herr über ihn und über alles Erschaffene. 132 Gott habe also zu ihm geredet: „Weil die Amalekiter den Hebräern in der Wüste seit ihrem Auszug aus Aegypten bis zu ihrem Einzug in dieses Land viele Unbilden zugefügt haben, so befehle ich, dass du sie mit Krieg überziehst und nach errungenem Siege keinen von ihnen am Leben lässt, 133 sondern sie alle samt Weib und Kind vernichtest und sie so zur Bestrafung heranziehst für das Böse, das sie deinen Vorfahren zufügten. Selbst das Gross- und Kleinvieh sollst du nicht verschonen, [343] noch es zu deinem Nutzen verwenden, sondern alles Gott opfern; und den Namen Amalek sollst du, wie Moyses es vorgeschrieben, vom Erdboden vertilgen.“
(2.) 134 Saul versprach, dem Befehl Folge zu leisten, und glaubte, seinen Gehorsam gegen Gott nicht nur dadurch beweisen zu müssen, dass er überhaupt ein Heer gegen die Palaestiner führe, sondern noch mehr dadurch, dass er dies mit der grössten Pünktlichkeit und Schnelligkeit thue. Er berief deshalb seine gesamten Truppen zusammen, musterte sie in Galgala und fand vierhunderttausend Mann ohne den Stamm Judas, der allein schon dreissigtausend Mann stark war. 135 Mit diesem Heere fiel er in das Gebiet der Amalekiter ein und stellte auch eine starke Truppenmacht in einem Hinterhalt am Flusse auf, um die Feinde nicht nur in offener Schlacht zu bedrängen, sondern sie auch unerwartet auf den Strassen anzugreifen, zu umzingeln und niederzumachen. Als der Kampf kaum begonnen hatte, wandten die Feinde sich schon zur Flucht; Saul aber verfolgte sie und tötete sie sämtlich. 136 Und da das Unternehmen, wie Gott vorhergesagt, so glücklich verlief, griff er auch die Städte der Amalekiter an und brachte sie teils durch Kriegslist, teils durch Anlegen von Minen und Aufwerfen von Belagerungswerken, teils durch Aushungern und auf andere Weise zu Fall und in seine Gewalt. Dann ging er dazu über, Weiber und Kinder niederzumetzeln, und er glaubte damit nichts Grausames oder Unmenschliches zu begehen, einerseits weil es Feinde waren, andererseits weil er es auf Gottes Befehl that, dem er den Gehorsam nicht verweigern dürfe. 137 Den König der Amalekiter, Agag, nahm er gefangen‚ liess ihn jedoch wegen seiner Schönheit und seines stolzen Wuchses am Leben. Hiermit handelte er indes nicht nach dem Willen Gottes, vielmehr folgte er nur seiner persönlichen Milde und gab zur Unzeit und zu seinem eigenen Schaden dem Mitleid nach. 138 Denn Gott hasste das Volk der Amalekiter derart, dass er nicht einmal [344] die Kinder verschont wissen wollte, mit denen man doch sonst grösseres Mitleid zu haben pflegt. Saul aber liess sogar ihren König, der der Urheber so vieler Leiden der Hebräer war, am Leben und verachtete den Befehl Gottes, indem er sich durch die körperliche Schönheit des Feindes dazu verleiten liess. 139 Und in gleicher Weise wie er sündigte auch das Volk, denn es verschonte das Gross- und Kleinvieh und raubte dasselbe, obgleich doch Gott befohlen hatte, nichts davon am Leben zu lassen. Überdies nahm das Volk auch noch andere Gegenstände und Reichtümer fort und vernichtete nur das, was kaum einen Wert hatte.
(3.) 140 Als nun Saul sämtliche Völkerschaften, die von Pelusium in Aegypten bis ans Rote Meer wohnten, unterjocht hatte, verwüstete er das feindliche Land und verschonte nur das Volk der Sikimiter, die mitten im Gebiet der Madianiter wohnten. Ihnen hatte er vor Beginn des Krieges durch Boten sagen lassen, sie sollten auswandern, damit sie nicht das Schicksal der Amalekiter teilen müssten. Denn er wollte ihrer schonen, weil sie ihm durch Raguel, den Schwiegervater des Moyses, verwandt waren.
(4.) 141 Hierauf zog Saul voll Freude über seine Erfolge nach Hause zurück, gerade als ob er nichts von dem ausser acht gelassen, was ihm der Prophet befohlen hatte, als er sich zum Kriege gegen die Amalekiter rüstete, sondern als ob er nach dem Siege über die Feinde alles genau nach Vorschrift ausgeführt hätte. 142 Gott aber missfiel es sehr, dass der König der Amalekiter verschont worden war und dass das Volk gegen seinen Befehl das Vieh als Beute fortgetrieben hatte. Denn er hielt es für sündhaft, dass, da sie durch seine Hilfe die Feinde besiegt und unterjocht hatten, sie ihn verachteten und geringschätzten und ihn nicht einmal wie einen menschlichen König behandelten. 143 Er verkündete daher dem Propheten Samuel, es reue ihn, den Saul zum König gemacht zu haben, da dieser seine Befehle nicht befolge, sondern thue, was ihm beliebe. [345] Als Samuel das vernahm, erschrak er sehr und flehte die ganze Nacht hindurch zu Gott, er möge dem Saul verzeihen und ihm nicht länger zürnen. 144 Aber wie sehr auch der Prophet bat: Gott verweigerte dem Saul die Verzeihung, denn er hielt es für unzweckmässig, die Sünden auf die Fürbitte des Samuel hin nachzulassen, da diesen durch nichts mehr Vorschub geleistet werde als durch eine zu grosse Nachsicht von seiten derer, gegen die sie begangen würden. In dem Ruhme nämlich, den der Verzeihende durch seine Milde und Güte sich erwirbt, pflegt er nicht zu beachten, dass er dadurch der Sünde noch sogar Vorschub leistet. 145 Da also Gott dem Propheten die Erfüllung seiner Bitte verweigerte, und es feststand, dass er seinen Entschluss nicht ändern werde, begab sich Samuel frühmorgens zu Saul, der sich damals in Galgala befand. Sobald der König ihn erblickte, eilte er ihm entgegen, begrüsste ihn und sprach: „Ich danke Gott, der mir den Sieg verliehen, und ich habe alles gethan, was er befohlen hat.“ 146 Samuel aber entgegnete ihm: „Wie kommt es denn, dass ich im Lager das Geschrei von Gross- und Kleinvieh höre?“ Der König sagte darauf, das Volk habe dasselbe zum Opfern aufbewahrt; das Volk der Amalekiter dagegen sei nach dem Befehle Gottes vollständig ausgerottet‚ und es sei niemand am Leben gelassen worden als der König, den er gefangen mit sich geführt habe. Was mit ihm geschehen solle, das wolle er jetzt mit dem Propheten überlegen. 147 Da entgegnete der Prophet, Gott habe nicht so sehr Wohlgefallen an Opfern als an guten und gerechten Menschen. „Das sind aber,“ fuhr er fort, „diejenigen, die seinem Willen und Befehl Folge leisten, und die nur das für wohlgethan halten, was Gott ihnen zu thun geboten hat. Denn wisse, man verachtet Gott nicht dadurch, dass man nicht opfert, sondern dadurch, dass man gegen ihn ungehorsam ist. 148 Von denjenigen aber die ihm nicht gehorchen, nimmt Gott keine Verehrung wohlgefällig an, wenn sie auch viele und herrliche Opfer und die ausgesuchtesten Weihgeschenke [346] von Gold und Silber ihm darbringen. Vielmehr wendet er sich von ihnen ab und hält die Opfer nicht für Beweise ihrer Frömmigkeit, sondern ihrer Schlechtigkeit. 149 An denjenigen dagegen, die seiner Gebote und Verkündigungen gedenken und lieber den Tod erleiden, als etwas davon übertreten wollen, hat er seine Freude und verlangt von ihnen nicht einmal ein Opfer. Wenn sie aber trotzdem ihm Opfer darbringen, so hat er an dem geringen Opfer des Armen mehr Wohlgefallen als an den glänzenden Opferspenden des Reichen. 150 Erkenne daraus, dass Gott schwer über dich zürnt, denn du hast seine Gebote verachtet und übertreten. Wie kannst du glauben, Gott sehe wohlgefällig auf dein Opfer, das du von demjenigen bereitet hast, was er zur Vernichtung bestimmte? Es müsste denn sein, du hieltest Gott opfern und vernichten für ein und dasselbe. Deshalb hast du zu erwarten, dass er dir deine königliche Gewalt wieder entreissen wird, durch welche du stolz und übermütig geworden bist und die du wider den Geber missbraucht hast.“ 151 Saul aber bekannte darauf, dass er unrecht gehandelt, und leugnete seine Sünde nicht ab. Doch habe er dem Befehl des Propheten nur aus Furcht zuwidergehandelt, da das Kriegsvolk, nach Beute und Plünderung lüstern, sich nicht habe bezwingen lassen. Er bat daher um Verzeihung und gütige Nachsicht, versprach auch, künftighin nicht mehr zu sündigen, und ersuchte den Propheten, er möge zurückkehren und Gott Friedopfer darbringen. Samuel aber wusste, dass es für Saul keine Hoffnung mehr auf Versöhnung mit Gott gab, und schickte sich an, nach Hause zu gehen.
(5.) 152 Saul jedoch wollte den Samuel zum Bleiben bewegen und ergriff ihn beim Mantel, und da Samuel sich mit Gewalt losmachte, um fortzukommen, zerriss ihm sein Kleid. 153 Der Prophet aber sagte zu Saul, so solle auch sein Königreich von ihm gerissen und einem guten und gerechten Manne übertragen werden. Denn Gott beharre fest bei seinen Entschliessungen, und seiner Allmacht sei es [347] nicht eigen, gleich wie ein gebrechlicher Mensch seine Meinung zu ändern oder von ihr abzuweichen. 154 Da bekannte Saul, dass er gefehlt habe; weil er aber das Geschehene nun einmal nicht ungeschehen machen konnte, bat er den Propheten, er möge ihm wenigstens die Ehre erzeigen, vor allem Volke Gott für ihn anzurufen. Dazu war Samuel bereit, und so ging er mit ihm davon, um zu Gott zu flehen. 155 Hierauf führte man Agag, den König der Amalekiter, vor ihn. Als dieser die Sprache darauf brachte, wie bitter der Tod sei, erwiderte ihm der Prophet: „Wie du vielen hebraeischen Müttern, deren Söhne du getötet hast, Kummer und Trauer bereitetest, so sollst du auch deiner eigenen Mutter Schmerz anthun, indem sie von deinem Tode Kunde erhalten wird.“ Und sogleich liess er ihn in Galgala hinrichten; er selbst aber kehrte nach Armatha zurück.
(1.) 156 Saul aber sah ein, welches Leid er über sich gebracht, da er sich Gott zum Feinde gemacht hatte, und begab sich nach seiner Residenz Gaba (der Name bedeutet „Hügel“), kam auch nach diesem Tage dem Propheten nicht wieder zu Gesicht. 157 Und da Samuel über sein trauriges Los Schmerz empfand, befahl ihm Gott, damit er diese Bekümmernis fahren lasse, er solle heiliges Öl nehmen, sich in die Stadt Bethleëm zu Jesse, dem Sohne des Obed, begeben und von dessen Söhnen denjenigen zum König selben, den er ihm bezeichnen werde. Weil Samuel aber befürchtete, Saul möchte das erfahren und ihm deshalb heimlich oder durch offene Gewalt Verderben bereiten, verhiess ihm Gott für die Reise seinen Schutz, und so begab er sich auf den Weg nach der genannten Stadt. 158 Dort begrüssten ihn alle und [348] frugen ihn nach dem Grunde seiner Ankunft. Er aber entgegnete, er sei gekommen, um Gott zu opfern. Nachdem er nun den Gottesdienst verrichtet hatte, lud er den Jesse mit seinen Söhnen zum Opfermahle ein, und da er den ältesten Sohn betrachtete, der gross und schön war, glaubte er aus seiner herrlichen Gestalt schliessen zu müssen, das sei der zukünftige König. 159 Doch täuschte er sich hierin; denn als er Gott fragte, ob er den Jüngling, den er bewundert und des Königtums wert gehalten habe, salben solle, antwortete Gott ihm, seine und der Menschen Urteile seien nicht dieselben. 160 „Du,“ sagte er, „siehst nur auf die herrliche Gestalt des Jünglings und hältst ihn deshalb für geeignet zur Königswürde. Ich aber verleihe diese Würde nicht als ein Geschenk für körperliche Schönheit, sondern für Vorzüge des Geistes, und ich verlange einen Mann, der mit Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Gehorsam und allen anderen Tugenden geschmückt ist, in welchen die Schönheit der Seele besteht.“ 161 Als Gott so geredet, hiess Samuel den Jesse seine Söhne herbeiführen. Dieser liess darauf fünf Söhne eintreten, die der Reihe nach (der älteste, Eliab, war schon da) hiessen: Aminadab, Samal, Nathanaël, Raël und Asam. 162 Als der Prophet sie sah und wahrnahm, dass sie an Gestalt dem ältesten Sohne nicht nachstanden, fragte er Gott, welchen von diesen er zum König erwählen solle. Und da er zur Antwort erhielt, keinen von ihnen, fragte er den Jesse, ob er noch mehr Söhne habe. 163 Dieser sagte, er habe noch einen mit Namen David, der ein Hirt sei und jetzt gerade die Herde weide. Da befahl der Prophet, ihn zu rufen, weil sie mit dem Mahle nicht beginnen dürften, bevor er zur Stelle sei. 164 Wie nun David kam, stellte er sich als einen blonden, schönen Jüngling mit lebhaftem Blicke dar. Dieser ist es, dachte Samuel bei sich, den Gott zum Könige bestimmt hat, setzte sich zu Tisch und zunächst neben sich den David, danach auch den Jesse und seine übrigen Söhne. 165 Hierauf nahm er vor den Augen Davids Öl, salbte ihn damit [349] und raunte ihm heimlich ins Ohr, Gott habe ihn zum König erwählt, und die Salbung sei das Zeichen dafür. Auch ermahnte er ihn, er solle die Gerechtigkeit pflegen und den Geboten Gottes gehorchen: dann werde er lange regieren und sein Haus werde glänzend und berühmt sein. Er werde die Palaestiner besiegen und alle Völker, mit denen er Krieg führe, auch werde er glänzenden Kriegsruhm erwerben und ihn seinen Nachkommen hinterlassen.
(2.) 166 Darauf entfernte sich Samuel, und der Geist Gottes verliess den Saul und ging auf David über, sodass er anfing zu weissagen. Den Saul aber plagten allerhand Unruhen und böse Geister, die ihn ersticken und erwürgen wollten. Hiergegen wussten die Ärzte keinen besseren Rat, als dass man einen erfahrenen Sänger und Harfenspieler suchen müsse, der, sobald den Saul sein Übel befalle und die bösen Geister ihn heimsuchten, sich zu seinen Häupten hinstellen, Harfe spielen und Lieder singen solle. 167 Saul befahl nun, man solle sich sogleich nach einem solchen Menschen umsehen. Und da einer der Anwesenden bemerkte, er habe zu Bethleëm den Sohn des Jesse gesehen, der zwar noch jung, aber wohlgestaltet und schön sei und ausser sonstigen vorzüglichen Eigenschaften auch die Kunst besitze, Harfe zu spielen und Lieder zu singen, zudem sich im Kriegswesen auszeichne, sandte Saul Boten an Jesse und befahl, dass David von der Weide geholt und zu ihm geführt werde; denn er wolle ihn sehen, da das Gerücht ihm so vieles von seiner herrlichen Gestalt und Schönheit gemeldet habe. 168 Jesse schickte darauf seinen Sohn und gab ihm auch Geschenke mit, die er dem Saul überbringen sollte. Als Saul ihn sah, war er hocherfreut, machte den David zu seinem Waffenträger und hielt ihn in hohen Ehren. Sobald nun Saul aufgeregt und von den bösen Geistern behelligt wurde, sang David, der sein einziger Arzt war, Lieder und spielte die Harfe, wodurch er den Saul wieder zu sich brachte. 169 Saul schickte daher zu Jesse und bat, er möge [350] den David bei ihm lassen, da dessen Anblick einen wunderbaren Einfluss auf ihn ausübe. Dieser glaubte dem Saul nicht widersprechen zu dürfen und gestattete somit, dass David bei ihm blieb.
(1.) 170 Bald danach brachten die Palaestiner abermals eine grosse Truppenmacht zusammen und überzogen die Israëliten mit Krieg. Ihr Lager schlugen sie zwischen Sochus und Azeka auf. Saul führte sein Heer gegen sie, setzte sich mit demselben auf einem Berge fest und zwang die Palaestiner, ihr Lager zu verlassen und ein neues auf einem Berge ihm gegenüber zu beziehen. 171 So trennte die beiderseitigen Heere ein Thal, das sich zwischen den Bergen hinzog, auf welchen sie lagerten. Da stieg aus dem Lager der Palaestiner einer herab mit Namen Goliath, aus der Stadt Gitta stammend, ein Mann von riesiger Statur, denn er war vier Ellen und eine Spanne hoch. Seine Waffenrüstung entsprach seiner Körpergrösse, denn sein Brustharnisch wog fünftausend Sekel; sein Helm aber und seine ehernen Beinschienen waren so gross, dass sie seine kolossalen Glieder gerade bedeckten. Einen sehr schweren Speer trug er nicht in der rechten Hand, sondern auf seiner Schulter; seine Lanze wog sechshundert Sekel, und es folgten ihm noch viele Waffenträger. 172 Dieser stellte sich zwischen die beiden Heere, schrie mit lauter Stimme und rief dem Saul und den Hebräern zu: „Ich will euch von des Kampfes Not und Gefahr erlösen. Denn wozu ist es nötig, dass unsere Heere aufeinander treffen und sich bekämpfen? 173 Stellt mir vielmehr einen von euch, dass er mit mir einen Zweikampf bestehe. Dann soll, um den Krieg zu beendigen, gelten, dass dasjenige Volk, [351] dessen Kämpfer unterliegt, dem anderen dienstbar sein muss. Denn es ist besser und erspriesslicher, dass einer allein, als dass alle die Gefahr bestehen.“ 174 Nach diesen Worten kehrte er in sein Lager zurück. Am folgenden Tage aber kam er wieder hervor und sprach dasselbe, und so forderte er vierzig Tage lang den Gegner heraus. Saul und sein Heer gerieten darob in grossen Schrecken und rüsteten sich zur Schlacht, doch keine von beiden Parteien wollte den Gegner zuerst angreifen.
(2.) 175 Beim Beginne dieses Krieges hatte Saul den David zu Jesse zurückgeschickt und sich mit den drei anderen Söhnen desselben begnügt, die er zum gefahrvollen Kriegsdienst gesandt hatte. 176 David aber hütete nun wieder die Herden seines Vaters. Nicht lange danach schickte ihn sein Vater in das Lager der Hebräer, um seinen Brüdern Proviant zu bringen und nachzufragen, wie es ihnen gehe. 177 Als nun Goliath wieder hervortrat, die Hebräer herausforderte und schmähte‚ dass keiner den Mut habe, mit ihm zu streiten, geriet David, der gerade den Brüdern die Aufträge ihres Vaters mitteilte und vernahm, wie der Palaestiner schimpfte und sich breitmachte, in hellen Zorn und erklärte seinen Brüdern, er sei bereit, den Zweikampf anzunehmen. 178 Sein ältester Bruder Eliab aber schalt ihn, dass er eine seinem Alter so wenig ziemende Tollkühnbeit zur Schau trage und dass er noch nicht zu wissen scheine, was sich passe; er solle sich zu seinen Herden und nach Hause scheren. Aus Scheu vor seinem Bruder ging David weg, erzählte aber einigen anderen Kriegern, er wolle es mit dem frechen Palaestiner aufnehmen. 179 Diese hinterbrachten sein Anerbieten dem Saul, der ihn sogleich zu sich beschied und ihn fragte, was er zu sagen wünsche. Da sprach David: „O König, lass dich nicht erschrecken und entmutigen; ich will den Übermut des Feindes bezwingen, und wenn ich mit ihm kämpfe, werde ich ihn trotz seiner Grösse und Stärke schon unterkriegen. 180 Dann soll er allen zum Spott [352] dienen; dein Heer aber soll allen Ruhm davontragen, wenn er nicht von einem kriegsgewandten und erfahrenen Manne, sondern von einem, der ein Knabe zu sein scheint und es seinem Alter nach in der That auch ist, umgebracht wird.“
(3.) 181 Saul bewunderte nun zwar Davids Mut und Kühnheit, traute ihm aber seiner Jugend wegen nicht und meinte, er sei doch zu schwach, um mit einem kampfgewohnten Manne zu streiten. David aber entgegnete ihm: „Mein Versprechen leiste ich im Vertrauen auf Gott, dessen Hilfe ich auch sonst schon erfahren habe. 182 Denn als einst ein Löwe meine Herde anfiel und ein Lamm geraubt hatte, bin ich ihm nachgeeilt, habe ihn ergriffen und das Lamm ihm aus dem Rachen gerissen, und da er sich gegen mich aufbäumte, packte ich ihn beim Schwanz, schlug ihn zu Boden und tötete ihn. 183 Ebenso bin ich einmal gegen einen Bären verfahren. Jenen Feind schätze ich aber immerhin geringer, als eine solche Bestie. Gott wird ihn in meine Hände geben, weil er unser Heer schmäht und unseren Gott lästert.“
(4.) 184 Da bat Saul zu Gott, er möge dem Jüngling zu seinem kühnen Unternehmen Erfolg verleihen, und hiess ihn sich zum Kampfe rüsten. Dann legte er ihm seinen Helm und seinen Panzer an und umgürtete ihn mit seinem Schwerte; darauf entliess er ihn. 185 David aber trug an der Rüstung sehr schwer, denn er war nicht daran gewöhnt, und er sprach: „Das, o König, sei dein Waffenschmuck, der du ihn zu tragen verstehst. Mir aber, deinem Knecht, gestatte zu kämpfen, wie ich es will.“ Hierauf entledigte er sich der Rüstung, nahm einen Stock, that fünf Steine aus dem Bach in seine Hirtentasche, fasste in die rechte Hand eine Schleuder und ging auf Goliath an. 186 Als dieser ihn so daherkommen sah, verlachte und verspottete er ihn, da er zum Kampf nicht mit Waffen komme, wie sie zwischen Männern üblich seien, sondern mit solchen, deren man sich gegen Hunde zu bedienen pflege. Ob er ihn denn für einen Hund und nicht für einen Menschen halte? [353] David entgegnete darauf, er halte ihn noch für viel schlechter als einen Hund. Da geriet Goliath in heftigen Zorn, schleuderte greuliche Fluchworte gegen David und schwur bei Gottes Namen, er wolle sein Fleisch den Tieren des Landes und den Vögeln der Luft zur Speise geben. 187 David erwiderte ihm: „Du kommst mit Schwert und Spiess und Panzer daher, meine Waffenrüstung dagegen ist Gott, der dich und euer ganzes Heer durch unserer Hände Kraft verderben wird. Denn noch heute werde ich dir dein Haupt abschlagen und deinen Körper den Hunden vorwerfen, die deinesgleichen sind; und allen wird es kund werden, dass Gott der Schutz der Hebräer ist, und seine Fürsorge unsere Waffe und unsere Stärke. Nichts vermag eine andere Rüstung und Kraft, wenn Gott unser Beginnen nicht segnet.“ 188 Der Palaestiner, der vom Gewicht seiner Rüstung sehr behindert wurde, ging dem David langsamen Schrittes entgegen, verlachte ihn und höhnte, er werde den waffenlosen Knirps ohne Mühe beiseite schaffen.
(5.) 189 Der Jüngling aber schritt seinem Feinde unter dem unsichtbaren Schutze Gottes entgegen, nahm aus seiner Hirtentasche einen von den Steinen hervor und steckte ihn in seine Schleuder. Dann schleuderte er ihn gegen Goliath und traf diesen damit so heftig an der Stirn, dass er bis ins Gehirn eindrang. Den Goliath aber befiel Schwindel, und er stürzte auf sein Angesicht zu Boden. 190 Da lief David eilends herzu, stellte sich auf den darniederliegenden Feind, zog dessen Schwert hervor, da er selbst kein solches hatte, und hieb ihm das Haupt ab. 191 Nach seinem Falle ergriffen die Palaestiner, da auch sie damit überwunden waren, die Flucht. Denn als sie sahen, dass ihr ansehnlichster Mann niedergestreckt war, verzweifelten sie am glücklichen Ausgange und hielten nicht mehr stand, gedachten vielmehr in schimpflicher Flucht ihr Heil zu suchen. Saul aber und das ganze Heer der Hebräer erhoben ein gewaltiges Geschrei, stürzten sich auf die Feinde, töteten viele derselben und [354] verfolgten die übrigen bis in das Gebiet von Gitta und bis zu den Thoren Askalons. 192 Es fielen von den Palaestinern gegen dreissigtausend, und mehr als die doppelte Anzahl wurden verwundet. Darauf wandte sich Saul wieder zurück nach dem feindlichen Lager, zerstörte seine Befestigungen und steckte es in Brand. Das Haupt des Goliath aber trug David in sein Zelt, und sein Schwert weihte er Gott.
(1.) 193 Die Weiber aber schürten Sauls Neid und Hass gegen David. Als nämlich das Kriegsheer im Triumph einzog, ging ihm das ganze Volk mit Cymbeln, Pauken und aller Art Freudenbezeugung und Gesang entgegen. Die Weiber riefen‚ Saul habe viele tausend Palaestiner erschlagen, die Jungfrauen dagegen, David habe zehntausend umgebracht. 194 Als der König hörte, dass man ihm weniger Lob zolle wie dem Jüngling, dem man die Erschlagenen zu Zehntausenden zuschreibe, überlegte er, dass dem David nach dieser glorreichen Lobpreisung eigentlich nichts mehr fehle als die Königswürde, und er fing an, ihn zu fürchten und zu beargwöhnen. 195 Er entfernte ihn daher von seinem früheren Amte, weil es ihm schien, dass er als Waffenträger sich in seiner allzugrossen Nähe befinde, und machte ihn zum Kriegsobersten. Zwar war diese Stelle noch besser als die frühere, aber, wie es Saul schien, sicherer für ihn selbst, den König. Denn er gedachte ihn den Gefahren des Krieges auszusetzen, damit er desto eher umkäme.
(2.) 196 David aber genoss auf Schritt und Tritt des göttlichen Schutzes, und alles schlug zu seinem Glücke aus, sodass ihn nicht allein das Volk seiner hervorragenden Tapferkeit wegen besonders schätzte, sondern auch [355] Sauls jungfräuliche Tochter in Liebe zu ihm entbrannte. Ihre Neigung stieg so mächtig, dass sie sie zuletzt nicht mehr verbergen konnte, und die Kunde davon ihrem Vater zu Ohren kam. 197 Dieser erblickte darin eine willkommene Gelegenheit, dem David Verderben zu bereiten, und sagte denen, die ihm von der Liebe seiner Tochter berichtet hatten, er wolle dem David gern seine Tochter zur Ehe geben; denn er hoffte, das werde die Ursache seines Unterganges sein. „Ich gelobe,“ sagte er, „dass ich dem David meine Tochter zur Ehe geben will, wenn er mir sechshundert Köpfe meiner Feinde bringt. 198 Da ihm eine so herrliche Belohnung winkt, und er den Ruhm aus einem so gefährlichen und fast unglaublichen Unternehmen gern davontragen wird, so wird er sich ungesäumt ans Werk geben. Dann aber wird er von den Palaestinern getötet werden und ich meine Absichten aufs schönste erreicht haben. Denn ich werde ihn dann los werden, ohne selbst Hand an ihn legen zu müssen.“ 199 Er befahl also seinen Dienern, Davids Gesinnung in Bezug auf die Ehe mit seiner Tochter zu erforschen. Diese stellten dem David vor, wie gern ihn der König und das gesamte Volk habe, und dass der erstere ihm sogar seine Tochter zur Ehe geben wolle. 200 Er aber entgegnete: „Haltet ihr es denn für etwas Geringes, Schwiegersohn des Königs zu werden? Mir scheint das nicht der Fall zu sein, zumal ich ein einfacher Mensch ohne Ruhm und Ehre bin.“ Als die Diener diese Antwort dem Saul meldeten, sagte er: „Verkündet ihm, ich begehre von ihm weder Geld noch Heiratsgut, denn das hiesse seine Tochter verkaufen, nicht aber aussteuern; ich begehre vielmehr nur einen Schwiegersohn, der sich durch Tapferkeit und andere Tugenden auszeichnet, wie er sie besitzt. 201 Ich verlange deshalb von ihm für die Heirat meiner Tochter weder Gold noch Silber, das er aus dem Vermögen seines Vaters mir zubringen müsste, sondern nur Rache an den Palaestinern und sechshundert Köpfe von ihnen. 202 Kein herrlicheres und köstlicheres Geschenk als dieses [356] kann mir gemacht werden, und es wäre auch meiner Tochter viel angenehmer wie das gebräuchliche Heiratsgut, wenn sie sich mit einem Manne verheiraten könnte, der einen so herrlichen Beweis seines Sieges über die Feinde beibrächte.“
(3.) 203 Als David das vernahm, freute er sich sehr, da er glaubte, der König wolle wirklich in ein so nahes Verwandtschaftsverhältnis zu ihm treten. Und ohne erst zu überlegen, ob er die ihm gestellte Bedingung auch erfüllen könne oder nicht, ging er sogleich mit seinen Waffengefährten dem Feinde entgegen und machte sich an das Werk, das er als Heiratsbedingung zu leisten hatte. Da ihm nun Gott alles leicht und möglich machte, tötete er wirklich eine Menge Feinde, hieb sechshundert von ihnen die Köpfe ab, brachte sie dem Könige und verlangte dafür von ihm dem Vertrags gemäss die Hand seiner Tochter. 204 Weil nun Saul keinen Vorwand hatte, sein gegebenes Versprechen nicht einzulösen, und es für schimpflich hielt, als Lügner zu erscheinen oder als ob er hinterlistigerweise die Heirat versprochen habe, um den David durch ein so schweres Unternehmen in Lebensgefahr zu bringen, gab er ihm seine Tochter Michal zur Ehe.
(1.) 205 Saul aber beruhigte sich hierbei nicht lange. Denn da er sah, dass David sowohl bei Gott als beim Volke beliebt war, konnte er sich der Befürchtung nicht enthalten, er möchte ihn um Königsthron und Leben bringen, wahrlich grosse Güter, davon auch nur eines zu verlieren schon ein grosses Unglück ist. Er gab deshalb seinem Sohne Jonathas und den Treuesten seiner Diener den Auftrag, ihn aus dem Wege zu räumen. 206 Jonathas [357] wunderte sich, dass sein Vater so sehr seine Gesinnung in betreff Davids geändert habe, dass er ihn nicht allein, obgleich er ihn früher so wohlwollend behandelt, leicht verletzen, sondern ihn sogar töten wolle. Da er nun den Jüngling liebte und wegen seiner Tugenden hoch achtete, verriet er ihm das geheime Vorhaben seines Vaters 207 und riet ihm, sich vorzusehen und sich am folgenden Tage nicht blicken zu lassen. Er wolle unterdes zu seinem Vater gehen unter dem Vorwande, ihn zu begrüssen, und die Gelegenheit benutzen, um von David zu reden. Erfahre er dann die Ursache seiner üblen Gesinnung, so wolle er ihm dieselbe als geringfügig hinstellen 208 und ihm sagen, man dürfe um einer solchen Kleinigkeit willen einen Mann, der sich um das Volk und den König so grosse Verdienste erworben, nicht umbringen; vielmehr müsse man ihm, wenn er auch noch so schwer gefehlt habe, billigerweise Verzeihung gewähren. Alsdann werde er ihn von seines Vaters Gesinnung in Kenntnis setzen. David folgte diesem guten Rat und hielt sich vom Könige fern.
(2.) 209 Am folgenden Tage ging Jonathas zu seinem Vater, und da er ihn heiter und gut aufgelegt antraf, fing er also mit ihm über David zu reden an: „Was für eine grosse oder kleine Sünde hat doch David nach deiner Meinung gegen dich begangen, dass du den Mann töten lassen willst, der dir selbst so viel Gutes gethan und den Palaestinern solche Niederlagen beigebracht hat, 210 der ferner das Volk der Hebräer von der Schmach und dem Spotte, dem es vierzig Tage lang preisgegeben war, befreit hat, da er allein von allen mit dem herausfordernden Feinde den Zweikampf zu bestehen wagte, und der die ihm aufgegebene Zahl Feindesköpfe beigebracht und dafür meine Schwester geheiratet hat, sodass sein Tod für uns jetzt um so betrübender sein würde, nicht bloss wegen seiner Tugenden, sondern auch wegen seiner nahen Verwandtschaft mit uns? Durch seinen Tod erleidet auch deine Tochter grosses Unrecht, da sie schon Witwe wird, noch ehe sie [358] Kinder aus der ehelichen Gemeinschaft erhalten hat. 211 Das erwäge bei dir, lass dich zur Milde stimmen und füge dem kein Leid zu, der uns allen die grosse Wohlthat erwiesen hat, dass er dich heilte, die bösen Geister, die dich bedrängten, vertrieb und deiner Seele die Ruhe wiedergab, und der auch dazu noch unsere Feinde zur Verantwortung gezogen hat. Es würde dir schlecht anstehen, wolltest du das alles vergessen.“ 212 Durch diese Worte wurde Saul besänftigt und versicherte seinem Sohne unter Eid, er werde dem David kein Leid zufügen. Seinen Zorn und seine Furcht nämlich hatte die gerechte Verteidigung durch Jonathas beseitigt. Der letztere liess hierauf den David zu sich kommen, teilte ihm die veränderte Gesinnung seines Vaters mit und führte ihn selbst zu ihm hin. Und David blieb beim Könige wie zuvor.
(3.) 213 Als darauf die Palaestiner wieder ihre Truppen gegen die Hebräer führten, ward David von Saul an der Spitze eines Heeres geschickt, um sie zu bekämpfen. Er brachte ihnen eine gewaltige Niederlage bei und kehrte siegreich zum Könige zurück. Doch Saul empfing ihn nicht so, wie er nach solchem Kriegsglück erwartet hatte, vielmehr verbitterten ihn seine Erfolge, als ob durch dieselben seine Königsherrschaft gefährdet würde. 214 Und da er einmal wieder von bösen Geistern geplagt und beunruhigt wurde, beschied er den David in das Gemach‚ wo er lag, und hiess ihn, während er selbst einen Speer in der Hand hielt, die Harfe schlagen und dazu singen. Als nun David seinem Befehle nachkam, schleuderte er den Speer nach ihm. Dieser aber wich dem Wurfe, da er ihn bemerkt hatte, aus, floh in sein Haus und blieb dort den ganzen Tag.
(4.) 215 Des Nachts schickte der König Wächter, um ihn zu bewachen, dass er nicht heimlich entfliehen und sich verbergen möchte, denn er wollte ihn vor Gericht stellen und die Todesstrafe über ihn verhängen lassen. Als aber Michal, Davids Gattin und des Königs Tochter, ihres Vaters Absicht merkte, ging sie, zwischen Furcht [359] und Hoffnung schwebend und auch um sich selbst besorgt, da sie ohne David nicht leben konnte, zu ihrem Manne 216 und sprach zu ihm: „Hüte dich, dass die aufgehende Sonne dich hier nicht mehr antreffe, sonst wird sie dich fürder nicht bescheinen. Fliehe im Dunkel der Nacht, und möge Gott dir dasselbe verlängern. Denn wisse, dass, wenn du ergriffen wirst, der Vater dich umbringen lassen wird.“ 217 Darauf liess sie ihn durchs Fenster hinab und rettete ihn so aus der Gefahr. Dann machte sie das Bett zurecht, als wenn es für einen Kranken bestimmt sei, und legte unter die Decke die Leber einer Ziege. Als nun bei Tagesanbruch ihr Vater nach David schickte, sagte sie, er sei die ganze Nacht unruhig gewesen, zeigte den Anwesenden das zugedeckte Bett und machte sie, da die Leber durch ihre Zuckungen die Decke bewegte, leicht glauben, David liege darunter und atme schwer. 218 Die Diener hinterbrachten dem Saul, dass David in der Nacht krank geworden sei; trotzdem befahl er, ihn herbeizuschaffen, möge er auch noch so krank sein, denn er wolle ihn umbringen. Sie kehrten also wieder um, und da sie das Bett aufdeckten und den von Davids Gattin angezettelten Betrug wahrnahmen, brachten sie dem Könige darüber Nachricht. 219 Dieser machte seiner Tochter Vorwürfe darüber, dass sie einen Feind gerettet, ihren Vater aber betrogen habe. Da erdachte sie sich folgende glaubwürdige Entschuldigung. Sie sagte, David habe sie mit dem Tode bedroht, und so habe die Furcht sie veranlasst, sich um seine Errettung zu bemühen. Es gebühre ihr dafür Nachsicht, da sie es nur aus Not und nicht freiwillig gethan habe. „Ich glaube auch nicht,“ fügte sie hinzu, „dass dir ebenso viel an dem Tode deines Feindes als an meiner Errettung liegen sollte.“ 220 Saul verzieh darauf seiner Tochter; David aber begab sich auf der Flucht nach Armatha zum Propheten Samuel, erzählte ihm die Nachstellungen des Königs und dass nicht viel gefehlt hätte, so wäre er von ihm mit dem Speere durchbohrt worden, obgleich er doch niemals etwas Böses gegen ihn [360] angestiftet, sich auch vor dem Feinde nie feige benommen, vielmehr mit Gottes Hilfe stets glücklich gekämpft habe. Aber eben das war die Ursache des Hasses, den Saul gegen David hegte.
(5.) 221 Als der Prophet vernommen hatte, wie ungerecht der König gegen David verfuhr, verliess er Armatha und begab sich mit David nach Gabatha, wo er mit ihm sich eine Zeitlang aufhielt. Sobald aber Saul davon Kunde erhielt, schickte er Diener dorthin mit dem Befehle, den David zu ergreifen und zu ihm zu führen. 222 Diese aber gerieten nach ihrer Ankunft in eine Prophetenversammlung, wurden vom Geiste Gottes erfüllt und fingen an zu weissagen. Darauf schickte Saul andere Diener, um den David festzunehmen, und als diesen dasselbe begegnete, schickte er wieder andere. Und da auch diese weissagten, geriet er in Zorn und eilte selbst dorthin. 223 Er war aber nicht mehr weit von dem Orte entfernt, als Samuel ihn erblickte und auch ihn zum Propheten machte. Als nun Saul zu ihm kam, ward er heftig vom Geiste bewegt, sodass er seiner selbst nicht mehr mächtig war. Er zog seine Kleider aus und lag so den ganzen Tag und die Nacht hindurch auf dem Boden hingestreckt vor den Augen Samuels und Davids.
(6.) 224 Von da ging David zu Jonathas, dem Sohne Sauls, erzählte auch ihm von den Nachstellungen seines Vaters und dass Saul ihm eifrigst nach dem Leben trachte, obwohl er ihm doch nie ein Unrecht oder Leid zugefügt habe. Dieser aber bat ihn, er möge weder seinem eigenen Verdachte, noch den Verleumdungen anderer nachgehen, sondern nur ihm vertrauen. Denn sein Vater habe durchaus keine derartigen Absichten gegen ihn; er würde es dann doch gewiss auch ihm mitgeteilt haben, da er alles nur in ihrem beiderseitigen Einvernehmen thue. 225 David aber schwur, es verhalte sich doch so, und bat ihn, er möge davon überzeugt sein und lieber an seine Errettung denken, statt die Wahrheit seiner Worte anzuzweifeln und erst dann daran zu glauben, wenn er sehen oder hören werde, dass er schon umgebracht [361] sei. Er fügte hinzu, sein Vater wolle ihm wohl deshalb nichts davon mitteilen, weil ihm ihre freundschaftliche Zuneigung nicht unbekannt sei.
(7.) 226 Jonathas, dem so die Wahrheit über Sauls Absichten beigebracht wurde, betrübte sich darüber sehr und fragte den David, ob er etwas für ihn thun könne. David erwiderte: „Ich weiss, dass du mir gern alles zu Gefallen thust. Morgen ist Neumond, und ich pflege an diesem Tage mit dem Könige zu speisen. 227 Hältst du es nun für ratsam, so will ich mich aus der Stadt begeben und mich auf dem Lande verbergen. Fragt dann der König nach mir, so sage ihm, ich sei mit deiner Erlaubnis nach meiner Vaterstadt Bethleëm gegangen, weil dort mein Stamm ein hohes Fest feiert. Wenn er dann, wie man seinen Freunden beim Antritt einer Reise zu thun pflegt, mir glückliche Reise wünscht, so kannst du daraus schliessen, dass er keine bösen und feindlichen Absichten gegen mich hat. Antwortet er aber anders, so magst du daraus entnehmen, dass er etwas gegen mich im Schilde führt. 228 Dann wirst du mir die Gesinnung deines Vaters kundthun, und zwar einesteils aus Barmherzigkeit, andernteils wegen der Freundschaft, die ich dir, und die du als Herr mir, deinem Knechte, erwiesen hast. Glaubst du aber, ich hätte irgend etwas Böses begangen, so komm deinem Vater zuvor und töte mich selbst.“
(8.) 229 Jonathas, den die letzten Worte in Bestürzung versetzten, versprach ihm, alle seine Wünsche zu erfüllen und, wenn der Vater sich hart und gehässig über ihn auslassen würde, ihm dies mitzuteilen. Und damit er ihm um so mehr vertraue, führte er ihn hinaus ins Freie und bekräftigte hier unter einem Eidschwur, dass er nichts unversucht lassen wolle, was David zum Vorteil dienen könne. 230 Er sprach: „Diesen Gott, von dem du weisst, dass er gross und allgegenwärtig ist und dass er meine Gedanken kennt, noch ehe ich sie ausgesprochen habe, rufe ich zum Zeugen des Bundes an, den ich mit dir schliesse, und dass ich nicht unterlassen werde, die [362] Gesinnung meines Vaters gegen dich auf jede Art zu erforschen, bis ich erfahre, ob irgend eine böse Absicht in seinem Herzen schlummert, 231 auch dass ich dich davon in Kenntnis setzen werde, sei er nun gegen dich wohl- oder übelgesinnt. Gott weiss auch, dass ich stets zu ihm für dich um seine Gnade flehe. Wie er jetzt mit dir ist, so wird er dich auch in Zukunft nicht verlassen und dir auch dann den Sieg verleihen, wenn mein Vater und selbst ich gegen dich sein sollten. 232 Du aber gedenke dieses meines Schwurs, und wenn ich sterben sollte, so nimm dich meiner Kinder an und vergilt ihnen, was du mir schuldest.“ Als er diesen Schwur geleistet, hiess er den David sich an einen versteckten Ort auf dem Felde begeben, wo Jonathas seine Leibesübungen vorzunehmen pflegte. Sobald er seines Vaters Gesinnung kenne, werde er dorthin nur in Begleitung eines Knaben kommen. 233 „Wenn ich nun, “ fuhr er fort, „drei Wurfspeere zur Zielscheibe entsende und dem Knaben befehle, dass er sie holen solle (sie werden nämlich gerade vor ihm liegen), so kannst du es für sicher halten, dass du von meinem Vater nichts zu befürchten hast. Hörst du mich aber gerade das Gegenteil sagen, so hast du auch das Gegenteil vom Könige zu erwarten. 234 Auf alle Fälle werde ich für deine Sicherheit sorgen, sodass dir kein Leid widerfahren wird. Kommen dann bessere Zeiten, so sei dessen eingedenk und lass dir die Sorge für meine Kinder angelegen sein.“ Als David diese Versicherungen von Jonathas erhalten hatte, ging er nach dem verabredeten Orte.
(9.) 235 Am folgenden Tage, da gerade Neumond war, begab sich Saul, nachdem er die gewohnte Reinigung vorgenommen hatte, zum Mahle. Und da zu seiner Rechten Jonathas, zu seiner Linken aber sein Feldherr Abener Platz genommen, und er den Platz Davids leer fand, schwieg er zunächst, weil er vermutete, dieser sei noch nicht rein vom Umgang mit seinem Weibe. 236 Als er aber auch am Tage nach dem Neumond noch nicht zur Stelle war, fragte Saul seinen Sohn Jonathas, warum [363] der Sohn Jesses sowohl gestern als auch heute dem Mahle fern geblieben sei. Dieser antwortete, er sei einer Verabredung gemäss und mit seiner Erlaubnis in seine Vaterstadt gegangen, wo sein Stamm ein Fest feiere, und er habe auch ihn zum Opfer eingeladen. „Und wenn du mir dies erlaubst,“ fuhr er fort, „möchte ich zu ihm reisen, denn du kennst meine grosse Liebe zu ihm.“ 237 Da nun sollte Jonathas kennen lernen, wie feindselig sein Vater gegen David gesinnt war. Denn Saul brauste in seinem Zorne auf, schimpfte über ihn, nannte ihn einen Sohn von Flüchtlingen und seinen Feind und sagte, er sei ein Genosse und Helfershelfer Davids; er scheue weder ihn noch seine Mutter, da er eine solche Gesinnung hege, und wolle nicht einsehen, dass, so lange David lebe, die Königsherrschaft ihnen nicht sicher sei. Darum solle er ihn herbeiholen lassen, damit er seine Strafe erleide. 238 Als aber Jonathas fragte, was er denn verbrochen habe, dass Saul so erbittert gegen ihn sei, liess dieser seinen Zorn nicht nur mehr in Worten und Schimpfreden aus, sondern ergriff einen Speer und drang auf Jonathas ein, um ihn zu töten. Er vollführte nun zwar diese That nicht, da seine Freunde ihn daran hinderten; aber seinem Sohne konnte es nicht mehr zweifelhaft sein, dass er den David mit grimmigem Hasse verfolge und ihn umzubringen beabsichtige; habe er doch beinahe um Davids willen seinen Sohn mit eigener Hand getötet.
(10.) 239 Hierauf schlich sich Jonathas von der Tafel weg, da er vor Leid keine Speise mehr anrühren konnte. Die Nacht brachte er schlaflos und mit Weinen zu, weil nicht nur sein eigenes Leben in Gefahr geschwebt, sondern auch weil für David der Tod unabwendbar erschien. In der Frühe aber ging er vor die Stadt aufs Feld, dem Scheine nach, um sich dort zu üben, in Wahrheit jedoch, um seinem Freunde mitzuteilen, wie der Vater gegen ihn gesinnt sei. 240 Und als er alles nach Verabredung gethan hatte, schickte er den ihn begleitenden Knaben in die Stadt zurück; er selbst aber begab [364] sich zu David, um mit ihm allein zu sprechen. David hatte ihn kaum erblickt, als er ihm zu Füssen fiel und ihn den Retter seines Lebens nannte. 241 Jonathas aber hiess ihn aufstehen, und sie umarmten sich beide, küssten sich lange und unter Schluchzen und beklagten ihre Jugend, den Hass, der ihre Freundschaft verfolge, und ihre zukünftige Trennung, die ihnen nichts anderes als der Tod selbst zu sein schien. Endlich ermannten sie sich von ihrer Trauer, schwuren sich gegenseitig, dass sie einander gedenken wollten und trennten sich sodann.
(1.) 242 Auf der Flucht vor dem Könige, der ihm den Untergang angedroht hatte, kam David in die Stadt Naba zu dem Priester Achimelech. Dieser verwunderte sich sehr, als er ihn so ohne Freund und Diener kommen sah und fragte ihn, weshalb er niemand mitgebracht habe. 243 David entgegnete, der König habe ihm einen geheimen Auftrag erteilt, zu dessen Ausführung er keines Begleiters bedürfe; doch habe er seinen Dienern befohlen, dort mit ihm zusammenzutreffen. Weiterhin bat er ihn um etwas Proviant, durch dessen Gewährung er ihm einen Freundschaftsdienst erweisen und das Geschäft unterstützen werde. 244 Als ihm dieser verabfolgt worden war, ersuchte er auch noch um ein Schwert oder einen Speer, die gerade zur Hand seien. Zufällig nun war auch ein Diener Sauls zugegen, ein Syrer Namens Doëk, der des Königs Maultiere hütete. Der Hohepriester erwiderte übrigens, er besitze keine Waffen ausser dem Schwerte des Goliath, das er nach der Tötung des Palaestiners Gott geweiht habe.
[365] (2.) 245 Dieses Schwert nahm David an sich und floh aus dem Gebiete der Hebräer in die Palaestinerstadt Gitta, wo der König Anchus regierte. Die Diener des Königs aber erkannten ihn und meldeten ihrem Herrn, David sei da, der so viele tausend Palaestiner umgebracht habe. Da nun David fürchtete, er möchte hier in dieselbe Gefahr geraten, der er bei Saul entflohen war, und es möchte sein Leben nicht sicher sein, gebärdete er sich wie wahnsinnig, schäumte mit dem Munde und stellte sich an wie ein Verrückter, um den König der Gittenser glauben zu machen, er leide an einer solchen Krankheit. 246 Dieser geriet in Zorn darüber, dass seine Diener einen geisteskranken Menschen ihm zuführten, und befahl ihnen, David so rasch wie möglich hinauszuwerfen.
(3.) 247 So entkam David aus Gitta und begab sich weiter in den Stamm Judas, hielt sich hier in einer Höhle nahe bei der Stadt Adullama auf und schickte zu seinen Brüdern, um ihnen sagen zu lassen, wo er sich befinde. Diese begaben sich mit ihrer ganzen Verwandtschaft zu ihm, und auch viele andere, die Not litten oder sich vor dem Könige Saul fürchteten, strömten bei ihm zusammen und erboten sich zu jedem Dienste, den er von ihnen verlangen würde. Es waren dies gegen vierhundert Mann. 248 David fasste nun wieder Vertrauen, weil seine Anhänger sich mehrten und Hilfe ihm zu teil wurde, verliess diesen Ort und begab sich zum Könige der Moabiter, den er bat, er möge seine Eltern in das Land aufnehmen und ihnen Schutz gewähren, bis er über sein zukünftiges Geschick im reinen sei. Der König erfüllte ihm diese Bitte und hielt die Eltern Davids, so lange sie bei ihm weilten, in hohen Ehren.
(4.) 249 David selbst verliess auf Befehl des Propheten die Wüste und wohnte im Stamme Judas, wo er in der Stadt Sara sich aufhielt. 250 Als Saul gehört hatte, David sei mit einem grossen Gefolge gesehen worden, geriet er in Furcht und Bestürzung. Denn da er Davids Tapferkeit und Selbstbewusstsein kannte, argwöhnte er, es möchte ihm etwas von seiner Seite zustossen, das ihn [366] in Trauer und Kummer bringen würde. 251 Er versammelte daher seine Freunde, seine Heerführer und den ganzen Stamm, aus dem er war, auf dem Berge, wo er seinen Königssitz hatte, setzte sich an eine Stelle, die Arura hiess, und sprach, umgeben von seinen Höflingen und seiner Leibwache, also zu ihnen: „Ich weiss wohl, ihr Stammesgenossen, dass ihr euch meiner Wohlthaten noch erinnert, als ich euch zu Herren von Ländereien gemacht und euch zu Amt und Würden gebracht habe. 252 Ich frage euch nun, ob ihr noch mehr und grössere Geschenke von dem Sohne des Jesse erwartet, denn ich habe erfahren, dass ihr alle zu ihm hinneigt, da selbst mein Sohn Jonathas eifrig für ihn wühlt und euch ihm günstig stimmen will. 253 Auch ist es mir nicht unbekannt, dass er mit David unter Eidschwur ein Bündnis geschlossen hat, und dass er mit Rat und That die Anschläge unterstützt, die gegen mich im Werke sind. Doch ihr kümmert euch nicht darum, sondern wartet ruhig ab, was weiter geschehen wird.“ 254 Als der König geendet hatte und niemand von den Anwesenden das Wort ergriff, sagte der Syrer Doëk, der Hüter der königlichen Maultiere, er habe gesehen, wie David in die Stadt Naba zum Hohepriester Achimelech gekommen sei, sich von ihm die Zukunft habe verkünden lassen und Proviant, das Schwert des Goliath sowie sicheres Geleit bis an sein Reiseziel erhalten habe.
(5.) 255 Saul liess darauf den Hohepriester und dessen ganze Familie zu sich kommen und sprach zu ihm: „Was hast du Übles von mir zu leiden gehabt, dass du den Sohn des Jesse, der nach meiner Königswürde strebt, bei dir aufnahmst und ihn mit Mundvorrat und Waffen versorgtest? Es war dir doch nicht unbekannt, dass er vor mir geflohen ist und mein Haus hasst!“ 256 Der Hohepriester leugnete das Geschehene nicht ab, sondern bekannte offen, dass er dem David behilflich gewesen sei; doch habe er das nicht diesem, sondern ihm, dem Könige, zu Gefallen gethan. „Ich habe nämlich,“ sagte er, „nicht gewusst, dass er dein Feind sei, vielmehr ihn [367] für deinen treuesten Diener und, was noch mehr heissen will, für deinen Schwiegersohn und Verwandten gehalten. 257 Denn diese Ehre pflegt man doch nicht seinen Feinden zu erzeigen, sondern solchen, denen man sein Wohlwollen bekunden will. Geweissagt habe ich ihm aber jetzt nicht zum erstenmal, sondern auch früher schon öfters und an anderen Orten. Und da er angab, er sei von dir mit einem eiligen Geschäfte beauftragt worden, so glaubte ich, wenn ich ihm sein Begehren abschlug, mehr dir als ihm mich ungefällig zu erzeigen. 258 Du brauchst also nicht übel von mir zu denken noch, wenn du von Anschlägen Davids hörst, meine Freundlichkeit gegen ihn zu verdächtigen. Denn deinem Freunde, Schwiegersohn und Kriegsobersten habe ich dieselbe erwiesen, nicht aber deinem Feinde.“
(6.) 259 Saul liess sich indes durch diese Worte des Hohepriesters nicht überreden, sondern seine Furcht war so stark, dass er selbst gerechte Entschuldigungen nicht glauben wollte. Er befahl daher den Bewaffneten, die ihn umgaben, jenen samt seinen Verwandten umzubringen. Da diese aber nicht wagten, an den Hohepriester Hand zu legen, und sich mehr scheuten, Gott zu beleidigen, als dem Könige den Gehorsam zu versagen, befahl er dem Syrer Doëk, den Mord zu vollziehen. 260 Dieser nahm noch andere Verbrecher zu sich und tötete den Achimelech und dessen Verwandtschaft, im ganzen dreihundertfünfundachtzig Personen. Alsdann schickte Saul Häscher nach der Priesterstadt Naba, liess alle Einwohner einschliesslich der Frauen und Kinder, sowie Leute von jedem Alter umbringen und die Stadt durch Feuer zerstören. 261 Nur einer von Achimelechs Söhnen mit Namen Abiathar blieb am Leben. So erfüllte sich, was Gott dem Hohepriester Eli verkündet hatte, dass nämlich wegen der Frevelthaten seiner beiden Söhne seine ganze Nachkommenschaft untergehen werde.
(7.) 262 An dieser grausamen That des Königs Saul, der ein ganzes Priestergeschlecht mit dem Schwerte umbringen liess und weder Kind noch Greis verschonte, [368] und der auch die Stadt, welche Gott zur Heimat und Heranbildung von Priestern und Propheten bestimmt hatte, von Grund aus zerstören liess, kann man so recht der Menschen wahre Natur erkennen. 263 Denn so lange sie sich im Privatleben befinden und mit Glücksgütern nicht gesegnet sind, sind sie gut und bescheiden, weil sie ihrem Naturtrieb nicht folgen können und nicht nach Willkür zu schalten wagen. Auch verlegen sie sich dann mit allem Eifer auf die Förderung der Gerechtigkeit, da sie überzeugt sind, dass Gott an allem Anteil nimmt, was die Menschen thun, und dass er nicht nur gegenwärtige Werke, sondern auch schon lange vorher die Gedanken durchschaut, aus denen diese entstehen. 264 Sobald sie dagegen zu Macht und Würde gelangt sind, legen sie alle ihre Sitten und Gebräuche, wie der Schauspieler die Maske, ab und kehren Waghalsigkeit, Übermut und Verachtung aller göttlichen und menschlichen Einrichtungen hervor. 265 Und obwohl es ihnen dann am besten anstände, sich der Frömmigkeit und Gerechtigkeit zu befleissigen, da ihre Gedanken und Werke der allgemeinen Aufmerksamkeit ausgesetzt sind, benehmen sie sich in allen Stücken so übermütig, als ob Gott sie nicht mehr sehe oder sogar sich vor ihrer Macht ängstige. 266 Und wenn sie dann auf irgend ein Gerücht hin etwas fürchten oder hassen oder auch, wenn es ihnen so passt, unvernünftig lieben, so meinen sie, das sei erprobt, wahr und Gott wie den Menschen wohlgefällig. 267 An die Zukunft aber denken sie nicht und ehren zunächst die, die für sie schwere Mühen bestanden haben, später aber beneiden sie dieselben. Ja, wenn sie jemand zu einer hohen Würde verholfen haben, nehmen sie ihm diese nicht nur später wieder, sondern trachten ihm auch wegen derselben nach dem Leben, und das infolge bösartiger und verleumderischer Anschuldigungen, die so ungeheuerlich sind, dass man sie kaum glauben mag. Strafwürdige Vergehen aber ahnden sie nicht, wüten vielmehr ohne jede Untersuchung und blos auf Verleumdungen und falsche Anschuldigungen hin nicht etwa gegen die, bei [369] welchen es erforderlich ist, sondern gegen wen sie eben können, sogar durch Verhängung der Todesstrafe. 268 Alles das hat Saul, der Sohn des Kis, der zuerst die Hebräer als König regierte, nachdem die Herrschaft der Vornehmsten und die Regierungsform der Richter abgeschafft waren, uns klar bewiesen, da er dreihundert Priester und Propheten wegen seines Verdachtes gegen den Achimelech töten, die Stadt derselben von Grund aus zerstören liess und das Heiligtum Gottes seiner Priester und Propheten beraubte, auch nicht einmal ihre Heimatstadt verschonte, wo nach ihnen andere hätten ausgebildet werden können.
(8.) 269 Abiathar, der Sohn des Achimelech, der allein von dem Priesterstamme übrig blieb, floh zu David und meldete ihm das Unglück, das die Seinen betroffen, insbesondere auch den Tod seines Vaters. 270 Dieser sagte ihm, er habe, nachdem er den Doëk gesehen, gewusst, dass ihnen so etwas zustossen würde; denn es sei ihm gleich der Verdacht aufgestiegen, dieser würde den Hohepriester beim Könige anschwärzen. Sich selbst aber klagte er darüber an, dass er indirekt ein so grosses Unglück verschuldet habe. Dann forderte er den Abiathar auf, bei ihm zu bleiben, da er nirgendwo anders sich so gut verborgen halten könne.
(1.) 271 Um diese Zeit erbot sich David, als er vernommen hatte, die Palaestiner seien in das Land der Killaner eingefallen und hätten dasselbe verwüstet, ein Heer gegen sie zu führen, wofern Gott, den er durch den Propheten um Rat fragen liess, ihm den Sieg verheissen würde. Und da Gott den Sieg wirklich in Aussicht stellte, griff er mit seiner Streitmacht die Palaestiner an, [370] bereitete ihnen eine gewaltige Niederlage, machte grosse Beute 272 und verblieb dann bei den Killanern, bis sie ihr Getreide von der Tenne nach Hause gebracht hatten. Sein Aufenthalt daselbst aber wurde dem Saul hinterbracht. Denn dass sein Unternehmen einen so glücklichen Erfolg gehabt, konnte nicht bloss in dem Lande, wo dasselbe stattgefunden, bekannt sein; vielmehr verbreitete sich der Ruf davon weithin und kam so auch dem Könige zu Ohren. 273 Saul freute sich sehr, als er hörte, dass David in Killa sei, da er glaubte, Gott habe ihn in seine Gewalt gegeben, weil er ihn in eine mit Mauern, Thoren und Riegeln wohlverwahrte Stadt eingeschlossen habe. Er befahl daher dem gesamten Kriegsvolke, Killa anzugreifen, den David gefangen zu nehmen und ihn umzubringen. 274 Als aber David von Gott vernahm, die Killaner würden ihn, wenn er bei ihnen bleibe, dem Saul ausliefern, flüchtete er sich mit vierhundert Männern aus der Stadt und begab sich in eine Wüste oberhalb Engedaïn. Nachdem nun Saul vernommen, dass David den Killanern entschlüpft sei, stellte er den Kriegszug gegen ihn ein.
(2.) 275 David gelangte von da zu einem Orte im Lande der Ziphener mit Namen Kaina („die Neue“), wo Sauls Sohn Jonathas ihn besuchte und begrüsste. Er ermahnte ihn, gutes Muts zu sein, von der Zukunft das Beste zu hoffen und sich durch die gegenwärtigen Übel nicht wankend machen zu lassen. Denn er werde König sein und die gesamte Truppenmacht der Hebräer unter seinem Oberbefehl haben; so erhabene Dinge pflege man aber nicht ohne grosse Anstrengungen zu erringen. 276 Darauf schwur er ihm nochmals, er werde die Treue und Freundschaft, die zwischen ihnen bestehe, in Zukunft pflegen, und rief Gott zum Zeugen des Fluches an, den er sich selbst androhte für den Fall, dass er ihr Bündnis verletzen würde. Und nachdem er ihn so getröstet und von Furcht und Kummer befreit hatte, verliess er ihn und begab sich wieder nach Hause. 277 Die Ziphener aber liessen dem Saul, um sich seiner Gunst [371] zu versichern, melden, dass David sich bei ihnen aufhalte, und dass sie ihn ausliefern wollten, falls er sich zu ihnen bemühen wolle. Denn wenn man den Engpass von Ziphene besetze, könne er nicht entwischen. 278 Der König lobte ihren Eifer, versprach ihnen für die Anzeige seinen Dank, den er ihnen in kurzem erstatten werde, und schickte Häscher ab, um den David aufzusuchen; er selbst wolle ihnen bald nachfolgen. 279 Diese beeilten sich, den David vor der Ankunft des Königs festzunehmen, da sie sich ein Anrecht auf seine Dankbarkeit nicht nur durch die Anzeige sichern wollten, sondern auch dadurch, dass sie den David in seine Hände lieferten. Obgleich sie jedoch ihren Eifer für Saul beweisen und ihm sich besonders gefällig erzeigen wollten, 280 indem sie den Liebling Gottes dem Tode zu überantworten und ihn dem Könige auszuliefern versprachen, schlug ihr boshaftes Vorhaben dennoch fehl. Als nämlich David von dem hinterlistigen Anschlage der Ziphener und der Ankunft des Königs Kunde erhalten hatte, verliess er durch den Engpass die Gegend und floh auf einen hohen Felsen in der Wüste Maon.
(3.) 281 Saul aber eilte dem David nach, und da er unterwegs hörte, David sei glücklich durch den Engpass entwischt, begab er sich auf die andere Seite des Felsens. Da aber rief ihn, als er nahe daran war, den David gefangen zu nehmen, das Gerücht ab, die Palaestiner hätten wiederum einen Einfall in das Gebiet der Hebräer unternommen. Er marschierte also wieder zurück und gegen dieselben, denn er hielt es für besser, deren Frechheit zu strafen, als das Land ihrer Gewalt zu überlassen, während er einem persönlichen Feind nachjage.
(4.) 282 So wurde David unverhofft aus der Gefahr befreit und begab sich wieder in die Schluchten von Engedaïn. Nachdem die Palaestiner nun vertrieben waren, erhielt Saul die Nachricht, David halte sich im Gebiete der Engedaïner auf. 283 Und sogleich begab er sich mit einer auserlesenen Schar von dreitausend Bewaffneten dorthin. Als er nicht mehr weit von dem Orte entfernt [372] war, erblickte er nahe bei der Strasse eine tiefe Höhle von grosser Länge und Breite, in der sich zufällig David mit vierhundert Mann verborgen hielt. Und da er gerade ein Bedürfnis zu verrichten hatte, trat er allein in die Höhle ein. 284 Einer von Davids Begleitern aber hatte ihn erblickt und meldete dem David, jetzt biete ihm Gott eine Gelegenheit, sich an seinem Feinde zu rächen; er solle dem Saul den Kopf abschlagen und sich so von seinem ruhelosen Umherirren und seiner Not befreien. David erhob sich darauf, schnitt aber dem Saul nur einen Zipfel des Gewandes ab, welches er trug; denn sogleich erfasste ihn Reue, und er meinte, es sei ungerecht, seinen Herrn zu töten, zumal denjenigen, den Gott zur Königswürde erhoben habe. Wenn derselbe gegen ihn auch übelgesinnt sei, so sei es doch ein Frevel, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. 285 Als nun Saul wieder aus der Höhle hervortrat, eilte David ihm nach und rief ihm zu, er möge ihn doch anhören. Der König blickte zurück, und David fiel auf sein Angesicht nieder, wie es bei Ehrenbezeugungen Sitte war, und sprach: „O König, es steht dir schlecht an, böswilligen und gehaltlosen Verleumdungen dein Ohr zu leihen und zuzulassen, dass diejenigen verdächtigt werden, denen du als deinen wahren Freunden Glauben schenken kannst. 286 Denn Reden täuschen sehr leicht, während man aus den Werken die wahre Gesinnung erkennt. Worte können wahr und falsch sein, Thaten allein offenbaren die Seele, wie sie ist. 287 Aus meinen Thaten aber kannst du entnehmen, wie gut ich es mit dir und deiner Familie meine, und dass diejenigen dies nicht thun, die mir Thaten zur Last legen, welche ich weder ausdenken noch vollführen kann, obgleich du fortfährst, gegen mich erbittert zu sein, und Tag und Nacht auf nichts anderes sinnst‚ als wie du mich ums Leben bringen könntest. Das ist ungerecht von dir. 288 Wie kannst du in einem solchen Irrtum befangen sein, als ob ich dich umbringen wollte? Und wie kannst du so gegen Gott freveln, dass du mich töten willst, da ich mich heute an dir rächen konnte [373] und dich dennoch verschonte? Denn hätte ich dein Verderben gewollt, so würdest du mir nicht entschlüpft sein, 289 und wie ich dir einen Zipfel deines Gewandes abschnitt, hätte ich dir auch ebenso leicht das Haupt abschlagen können.“ Zur Bestätigung seiner Aussage zeigte hier David den Tuchlappen vor. „Ich habe mich aber,“ fuhr er dann fort, „gerechter Rache gegen dich enthalten; du dagegen scheust dich nicht, mich mit unversöhnlichem Hass zu verfolgen. Möge Gott zwischen uns entscheiden und unseren Wandel prüfen.“ 290 Da entsetzte sich Saul darüber, dass er einer so grossen Gefahr entgangen war, und indem er vor Davids Bescheidenheit und Edelmut verstummte, seufzte er auf. Das Gleiche that David, und Saul hob nun an zu sprechen: „Ich habe viel mehr Grund zu seufzen als du; denn du hast mir nur Gutes erwiesen, ich aber habe dir nur Übles zugefügt. Heute hast du gezeigt, dass in dir die Gerechtigkeit unserer Vorfahren fortlebt, die ihre in der Wüste gefangenen Feinde grossmütig am Leben liessen. 291 Hieraus erkenne ich, dass Gott dir die Königswürde bestimmt hat, und dass du über alle Hebräer herrschen wirst. Schwöre mir daher, du wollest dann mein Geschlecht verschonen und nicht im Hinblick auf meine Ungerechtigkeit meine Kinder dem Verderben weihen, vielmehr mein Haus unter deinen besonderen Schutz nehmen.“ David leistete denn auch den verlangten Schwur und liess den Saul heimkehren, er selbst aber zog sich in die Schluchten des Mastheron-Gebirges zurück.
(5.) 292 Um diese Zeit schied der Prophet Samuel aus dem Leben. Die grosse Verehrung, welche er bei den Hebräern genoss, zeigte sich besonders darin, dass man lange um ihn trauerte und jammerte, und dass man seine Bestattung und die Leichenceremonien mit grosser Feierlichkeit vollzog. 293 Die Beisetzung fand in seiner Vaterstadt Armatha statt, und man beweinte ihn nicht wie in öffentlicher Trauer, sondern gerade so, als ob jeder einzelne den Verlust erlitten hätte. 294 Von Natur war er mit einem besonderen Gerechtigkeitssinne begabt, und [374] Gott liebte ihn. Er war nach dem Tode des Hohepriesters Eli zwölf Jahre lang alleiniger Vorsteher des Volkes gewesen und zugleich mit Saul noch achtzehn Jahre lang.
(6.) 295 Damals lebte ein reicher, aus der Stadt Emma gebürtiger Ziphener, der eine Herde von dreitausend Schafen und tausend Ziegen auf der Weide hatte. David hatte den Seinigen strengstens anbefohlen, diese Herden mit Sorgfalt zu behandeln, und sie sollten sich weder aus Habgier, noch aus Not, noch weil sie in der Wüste unentdeckt zu bleiben hofften, verleiten lassen, etwas davon wegzunehmen. Vielmehr sollten sie letzteres als einen Frevel gegen Gott betrachten. 296 Diese Anweisungen gab er in der Hoffnung, sich dadurch einem guten und rechtschaffenen Manne gefällig erweisen zu können. Nabal indes (so hiess der Mann) war im Gegenteil ein hartherziger und übelberedeter Mensch, der sein Leben in Bosheit verbrachte, aber ein gutes, verständiges und dabei schöngestaltetes Weib hatte. 297 Zu diesem Nabal schickte David um die Zeit der Schafschur zehn der Seinigen, liess ihm seinen Gruss entbieten und zugleich den Wunsch aussprechen, er möge noch viele Jahre dieses Segens sich erfreuen. Dann liess er ihn bitten, Nabal möge ihnen von seinem Überfluss etwas mitgeben, zumal er von den Hirten vernommen habe, dass die Seinigen, obgleich sie sich nun schon lange in der Wüste aufhielten, ihm keinen Schaden zugefügt, vielmehr seine Hirten und Herden stets beschützt hätten. Es werde ihn auch später nicht reuen, dass er dem David etwas mitgeteilt habe. 298 Nabal aber nahm die Boten unfreundlich und mürrisch auf. Er fragte sie nämlich, wer David eigentlich sei. Und da er vernahm, jener sei ein Sohn des Jesse, entgegnete er: „So eitel denken also die von sich, die ihren Herren entlaufen sind und sich nun ungebührlich und hochmütig benehmen.“ 299 Als das dem David gemeldet wurde, geriet er in Aufregung, hiess vierhundert Bewaffnete ihm folgen, während er zweihundert zur Bewachung der Bagage zurückliess [375] (denn er hatte schon eine Schar von sechshundert Mann um sich), und rückte gegen Nabal aus, indem er schwur, er werde noch in derselben Nacht Nabals Haus und all sein Eigentum zerstören. David nämlich war nicht bloss deshalb über ihn erbittert, weil er sich so undankbar gezeigt, obgleich sie ihm mit grosser Freundlichkeit entgegengekommen waren, sondern auch darum, weil er sie noch obendrein geschmäht‚ obwohl sie ihm nichts Böses zugefügt hatten.
(7.) 300 Einer der Hirten Nabals aber erzählte seiner Herrin, dass David von ihrem Gatten einen Gefallen begehrt habe, von ihm indes mit Schmähreden beleidigt worden sei, obgleich doch David seine Herde beschützt und sich so besonders gütig gegen ihn gezeigt habe; das könne aber ihrem Herrn von Nachteil sein. 301 Als Abigaea (so hiess die Frau) dies erfuhr, liess sie ihre Esel satteln und mit allerlei Geschenken beladen und begab sich, ohne ihrem Manne, der sinnlos betrunken war, ein Wort davon zu sagen, auf den Weg zu David. In einem Engpass begegnete ihr dieser, der mit vierhundert Bewaffneten sich auf dem Marsche gegen Nabal befand. 302 Das Weib war seiner kaum ansichtig geworden, als sie von ihrem Esel herabsprang, auf ihr Angesicht fiel und ihn flehentlich bat, er möge doch der Worte Nabals nicht mehr gedenken, denn dieser sei thatsächlich so unvernünftig, wie sein Name besage (in hebraeischer Sprache bedeutet Nabal „Thorheit“). Sie selbst aber entschuldigte sich damit, sie habe keinen seiner Boten gesehen. 303 „Daher bitte ich dich‚“ fuhr sie fort, „mir zu verzeihen und Gott dafür zu danken, dass er dich abhält, deine Hände mit Menschenblut zu beflecken. Denn jener wird seiner Strafe doch nicht entgehen, wenn auch du dich vom Morde rein hältst; und zwar wird er seine Strafe von denen erhalten, die dir übel wollen. Auch wird das Unglück, das seiner harrt, auf die Häupter deiner Feinde zurückfallen. 304 Darum bitte ich dich, nimm diese Geschenke wohlgefällig an und lass deinen Zorn gegen meinen Gatten und sein [376] Haus fahren. Denn es geziemt dir wohl, Langmut und Menschenfreundlichkeit zu üben, da du zur Königswürde bestimmt bist.“ 305 David nahm die Geschenke an und sprach: „Gottes Gnade hat es gefügt, o Weib, dass du mir heute begegnetest, sonst würdest du den morgigen Tag nicht erlebt haben. Denn ich hatte geschworen, noch in dieser Nacht das Haus Nabals zu zerstören und niemand von der Familie des boshaften und undankbaren Menschen am Leben zu lassen. So bist du mir also durch Gottes Fürsorge so rechtzeitig begegnet, dass du meinen Zorn noch beschwichtigen konntest. Wenn aber Nabal auch jetzt durch dich seiner Strafe entgangen ist, so wird er derselben künftig doch verfallen; denn seine Bosheit wird ihn bei anderer Gelegenheit schon ins Verderben stürzen.“
(8.) 306 Nach diesen Worten liess er das Weib wieder heimkehren. Dort fand sie ihren Mann in zahlreicher Gesellschaft schmausend, und da er schwer vom Weine war, wollte sie ihm das Vorgefallene nicht gleich mitteilen. Am folgenden Tage aber, als er wieder nüchtern war, setzte sie ihm alles auseinander und erschütterte ihn dadurch so gewaltig, dass seine Kraft dahinschwand und sein Körper dem eines Toten glich. Er lebte danach nur noch zehn Tage. 307 Als nun David von seinem Tod Kunde erhielt, meinte er, dass Gott ihn mit Recht so gestraft habe, denn Nabal sei durch seine eigene Bosheit umgekommen, ohne dass er selbst nötig gehabt habe, seine Hände mit Blut zu beflecken. Er schöpfte daraus auch die Lehre, dass alle Bösen von Gott gezüchtigt würden, und dass dieser sich um jeden Menschen bekümmere und Gute sowohl wie Böse ganz nach Verdienst behandele. 308 Bald darauf liess er das Weib des Nabal zu sich kommen, um sie zur Ehe zu nehmen. Diese hielt sich zwar einer solchen Ehre für unwürdig; ja sie verdiene nicht, auch nur seine Füsse zu berühren. Dennoch kam sie in aller Unterwürfigkeit. Und David nahm sie zur Ehe wegen ihrer Bescheidenheit, Ehrbarkeit und schönen Gestalt. 309 Vorher hatte David noch eine andere [377] Gattin genommen, die aus der Stadt Abisar stammte; die Michal aber, König Sauls Tochter, welche gleichfalls mit David vermählt war, hatte ihr Vater an Pheltias, den Sohn des Lis aus der Stadt Gethla, verheiratet.
(9.) 310 Nicht lange danach meldeten einige Ziphener dem Könige, dass David wieder in ihrem Gebiet sich aufhalte, und dass Saul, wenn er kommen wolle, ihn leicht gefangen nehmen könne. Saul zog darauf mit dreitausend Mann dorthin und schlug mit Anbruch der Nacht sein Lager bei dem Orte Sekela auf. 311 Als aber David vernahm, der König ziehe gegen ihn heran, sandte er Kundschafter aus, die ihm melden sollten, bis wohin Saul schon vorgedrungen sei. Und da er hörte, dieser lagere bei Sekela, brach er heimlich des Nachts in Begleitung des Abisa‚ des Sohnes seiner Schwester Sarvia, sowie des Chettäers Achimelech auf und schlich sich zu Sauls Lager. 312 Während nun Saul nebst dem ganzen Kriegsvolke und seinem Heerführer Abener im Schlafe lag, schritt er in des Königs Zelt, welches an dem daneben aufgesteckten Speer kenntlich war. Doch wagte er weder selbst Hand an den König zu legen‚ noch erlaubte er das dem Abisa, der ein besonderes Verlangen danach bezeigte. Er hielt ihm vielmehr vor, es sei ein schweres Vergehen, den von Gott eingesetzten König zu töten, wie schlecht dieser auch sein möge; denn zu bestimmter Zeit werde er seine Strafe von dem erhalten, der ihm die Herrschaft verliehen habe. 313 Damit man aber merken könne, dass er in der Lage gewesen sei, den König zu töten, sich aber dennoch dessen enthalten habe, nahm er den Speer und die Wasserflasche, welche zufällig neben dem Lager stand, und schlich, ohne dass ihn einer bemerkt hätte, weil alle im Schlaf lagen, wieder aus dem Lager hinaus, nachdem er alles ausgeführt hatte, was er unter dem Schutze der Dunkelheit gegen die Kriegsleute des Königs geplant hatte. 314 Dann überschritt er einen Bach und stieg auf den Gipfel eines Berges, von wo man ihn leichter vernehmen konnte. Von hier aus schrie er den Kriegern Sauls und [378] dem Heerführer Abener laut zu und weckte sie so aus dem Schlafe. Und als der Heerführer dies vernahm und fragte, wer ihn beim Namen gerufen habe, antwortete ihm David: 315 „Ich, des Jesse Sohn, der sich vor euch hat flüchten müssen. Aber wie kommt es, dass du, ein so gewaltiger und beim König in hohen Ehren stehender Mann, so nachlässig deinen Herrn bewachst, und dass du lieber schläfst, als für sein Heil zu sorgen? Ihr habt den Tod verdient, weil ihr nicht gemerkt habt, dass einige von uns in das Lager bis zum Könige und seiner Umgebung eingedrungen sind. Sieh einmal nach, wo des Königs Speer und seine Wasserflasche sind, und dann wirst du erkennen, was im Lager Schlimmes vorgegangen, von euch aber nicht bemerkt worden ist.“ 316 Saul erkannte Davids Stimme, und da er einsah, dass er infolge der Nachlässigkeit seiner Wächter in Davids Gewalt gewesen, aber dennoch verschont geblieben sei, obgleich jener ihn mit vollem Recht hätte töten können, stattete er ihm seinen Dank ab und ermahnte ihn, er möge doch wieder Vertrauen zu ihm haben und nichts Böses mehr von ihm befürchten, sondern nach Hause zurückkehren. 317 Denn er sei jetzt überzeugt, dass er sich selbst nicht so liebe, wie er von ihm geliebt werde, da er ihn so oft schon beschützt und ihm Wohlthaten erwiesen habe, obgleich er von ihm verfolgt worden sei. Auch habe David ihm zu wiederholten malen das Leben gerettet, obgleich er ihn von seinen Freunden und Verwandten weg in die Verbannung getrieben und in die tiefste Bekümmernis versetzt habe. 318 David hiess sodann den Saul jemand schicken, um seinen Speer nebst der Wasserflasche abzuholen, und fügte hinzu: „Gott wird einen jeden von uns nach seiner Gesinnung und den daraus entspringenden Thaten richten, denn ihm ist es wohlbekannt, dass ich dich heute töten konnte, es aber nicht gethan habe.“
(10.) 319 Als Saul so zum zweitenmale den Händen Davids entgangen war, kehrte er in seine Königs- und Vaterstadt [379] zurück. David aber fürchtete, Saul möchte noch immer trachten, ihn zu ergreifen, wenn er weiter dort verweile, und hielt es daher für geraten, sich nach dem Lande der Palaestiner zu begeben. Er zog also mit den sechshundert Mann, die er bei sich hatte, zu Anchus, dem Könige von Gitta, einer der fünf Palaestinerstädte. 320 Anchus nahm ihn und seine Begleiter freundlich auf und wies ihnen Wohnungen an, und so lebte David zu Gitta nebst seinen beiden Gattinnen Achina und Abigaea. Saul, der dies erfuhr, nahm davon Abstand, Kriegsleute gegen ihn zu senden, denn er war durch die zweimalige Gefahr gewitzigt; hätte doch nicht viel gefehlt, dass er selbst in die Hände dessen geraten wäre, den er gefangen nehmen wollte. 321 Dem David aber gefiel der Aufenthalt in Gitta nicht. Er bat deshalb den König, dieser möge ihm, wie er ihn freundlich aufgenommen, jetzt einen ländlichen Ort zum Wohnsitz anweisen, denn er fürchte, durch längeren Aufenthalt in der Stadt ihm beschwerlich und lästig zu werden. 322 Darauf überliess ihm Anchus ein Dorf mit Namen Sekela, welches David so liebgewann, dass er später, als er zur Königswürde gelangt war, es als Privatbesitzung besonders pflegte; und ebenso thaten auch seine Nachkommen. Hierüber werde ich mich noch an anderer Stelle verbreiten. 323 David verweilte in Sekela vier Monate und zwanzig Tage. Während dieser Zeit unternahm er heimlich gegen die benachbarten Serriter und Amalekiter Kriegszüge, verwüstete deren Land und machte reiche Beute an Zugvieh und Kamelen. Die Menschen dagegen verschonte er aus Furcht, es möchte dem Könige Anchus angezeigt werden, wenn er sie umgebracht hätte; auch schickte er diesem immer einen Teil der Beute als Geschenk zu. 324 Fragte ihn aber der König, welchen Feinden er die Beute abgejagt habe, so antwortete er: „Den Juden, die gegen Süden und in der Ebene wohnen.“ Das glaubte ihm denn auch Anchus, weil er hoffte, David werde nun ein Feind seines Volkes bleiben, ihm selbst aber [380] während seines ganzen Lebens dienstbar sein und in seinem Lande wohnen.
(1.) 325 Um diese Zeit beschlossen die Palaestiner einen neuen Feldzug gegen die Israëliten, und da sie ringsum zu ihren Bundesgenossen geschickt hatten, um dieselben nach Renga zu bescheiden, von wo aus der gemeinsame Vorstoss gegen die Hebräer erfolgen sollte, bat der König der Gittenser, Anchus, auch den David, ihm mit seiner Mannschaft gegen die Hebräer Hilfe zu leisten. 326 David erklärte sich hierzu bereit und sagte, dies sei für ihn eine Gelegenheit, seinen Dank für die Wohlthaten, die man ihm erwiesen, und für die genossene Gastfreundschaft zu erstatten. Um aber seine Bereitwilligkeit noch zu steigern, versprach ihm der König, er wolle ihn, wenn er siege und der Krieg nach seinem Wunsch ausfalle, in seine Leibwache einreihen.
(2.) 327 Saul hatte die Wahrsager, Bauchredner und alle, die sich mit dergleichen Künsten befassten, aus dem Lande gejagt, ausgenommen die Propheten. Als er nun erfuhr, dass die Palaestiner im Anmarsch seien und nahe bei der Stadt Suna in der Ebene ihr Lager errichtet hätten, eilte er ihnen mit seinen Truppen entgegen. 328 Nachdem er aber zum Berge Gelboë gekommen war und sich dem Feinde gegenüber gelagert hatte, ward er in nicht geringen Schrecken versetzt, als er sah, dass derselbe ihm an Zahl und Kräften weit überlegen war. Er bat deshalb Gott durch die Propheten um Auskunft über den Erfolg des Kampfes. 329 Als aber Gott ihm nicht antwortete, geriet er in noch grössere Bestürzung und verlor allen Mut, weil er sein Unglück voraussah [381] falls Gott ihm nicht beistehen würde. Er befahl deshalb, man solle eine Bauchrednerin aufsuchen, die die Seelen der Verstorbenen beschwören könne, damit er von ihr erführe, ob seine Sache gut stehe. 330 Die Sippe der Bauchredner nämlich bringt die Seelen der Verstorbenen herauf und weissagt durch dieselben denen, welche es begehren, die Zukunft. Einer der Seinigen meldete ihm nun, ein derartiges Weib befinde sich in Endor, und nun begab er sich in Verkleidung und ohne Vorwissen aller anderen mit nur zweien seiner vertrautesten Diener bei Nacht dorthin und bat das Weib, sie möge ihm wahrsagen und die Seele dessen heraufbeschwören, den er ihr nennen werde. 331 Da sie ihm aber seine Bitte abschlug und sagte, sie fürchte sich vor dem König, der die Wahrsager aus seinem Reiche vertrieben habe, und es sei von ihm nicht menschenfreundlich gehandelt, sie hinterlistigerweise zu der verbotenen That zu verlocken, die ihr, wenn sie dabei ertappt würde, die Todesstrafe zuziehen könne, schwur er ihr, er werde es niemand wissen lassen und ihre Prophezeiung niemand kundthun, sodass sie nicht im mindesten Gefahr laufen würde. 332 Nachdem er ihr durch diesen Eidschwur alle Furcht benommen hatte, befahl er ihr, die Seele Samuels heraufzubeschwören, und obgleich sie nicht wusste, wer Samuel sei, rief sie ihn aus der Unterwelt herauf. Sobald sie ihn aber erblickt hatte, erschrak sie vor dem gewaltigen und in gottähnlicher Majestät erscheinenden Manne, und voll Entsetzen fragte sie: „Bist du nicht der König Saul?“ Samuel nämlich hatte ihr dies eingegeben. 333 Als Saul dies bejahte und sie fragte, weshalb sie so erschrocken sei, antwortete sie, sie sehe einen Mann von göttlicher Gestalt der Erde entsteigen. Und da er ihr weiter zu sagen befahl, wie jener aussehe und in welchem Alter er sei, entgegnete sie, er sei ein Greis von vornehmer Gestalt und mit einem Priestergewand bekleidet. 334 Daraus erkannte Saul, dass es Samuel war, und er fiel zur Erde, um ihn zu begrüssen und ihm die schuldige Verehrung zu bezeugen. Als nun die Seele [382] Samuels fragte, weshalb er sie aus ihrer Ruhe aufgestört und aus der Unterwelt heraufbeschworen habe, klagte Saul, er habe das nur aus Not gethan: denn gewaltige Feinde bedrängten ihn, und Gott habe ihn verlassen und wolle ihm weder durch die Propheten noch durch Traumerscheinungen die Zukunft kundthun. Deshalb habe er zu Samuel seine Zuflucht genommen, weil dieser auch früher für ihn gesorgt habe. 335 Samuel aber, welcher wusste, dass Sauls Lebensende bevorstehe, sagte, es sei überflüssig, von ihm die Zukunft erfahren zu wollen, da Saul von Gott schon verlassen sei. „Vernimm aber,“ fuhr er fort, „dass dem David die Königswürde vom Schicksal bestimmt ist, und dass er den Krieg glücklich beendigen wird. Du dagegen wirst, wie ich dir auch schon bei Lebzeiten verkündigt habe, Herrschaft und Leben zugleich verlieren, 336 weil du im Kriege gegen die Amalekiter Gott nicht gehorsam gewesen bist und seine Gebote übertreten hast. Wisse darum, dass dein Heer in die Hände der Feinde geraten wird, und dass du morgen mit deinen Söhnen in der Schlacht fallen und bei mir sein wirst.“
(3.) 337 Als Saul dies vernahm, verstummte er vor Betrübnis und fiel ohnmächtig zur Erde, sei es aus Schmerz über die Prophezeiung, sei es vor Mattigkeit, weil er den ganzen vorhergehenden Tag und die Nacht hindurch keine Speise zu sich genommen hatte. 338 Nachdem er dann mit Mühe wieder zu sich gebracht war, drang das Weib in ihn, er solle etwas Nahrung nehmen, und begehrte als Lohn für ihre verwegene Prophezeiung, die sie ihm trotz des Verbotes kundgethan, nichts weiter, als dass er sich zu Tische setzen, sich mit Speise erquicken und dann gestärkt zu seinem Heere zurückkehren möchte. Da er sich aber dessen weigerte und vor Betrübnis nichts anrührte, bat sie ihn noch inständiger, sodass er endlich nachgab. 339 Als Weib aber, die von ihrer Hände Arbeit lebte, besass sie nur ein einziges Kalb, das sie mit grosser Sorgfalt aufgezogen hatte; dieses schlachtete sie, bereitete das Fleisch zu und setzte es dem Saul und [383] seinen Dienern vor. Saul kehrte darauf, da es noch Nacht war, ins Lager zurück.
(4.) 340 Es geziemt sich, die willige Freundlichkeit dieses Weibes lobend hervorzuheben. Denn obgleich ihr die Ausübung ihrer Kunst, durch die ihre Lage sich bedeutend verbessert haben würde, vom Könige verboten worden war und sie ihn früher nie gesehen hatte, gedachte sie doch des ihr zugefügten Unrechtes nicht, verachtete ihn auch nicht wie einen fremden und unbekannten Mann, 341 sondern hatte Mitleid mit ihm, tröstete ihn, ermahnte ihn, die lang entbehrte Speise zu sich zu nehmen, und teilte ihm alles, was sie in ihrer Armut besass, reichlich und gern mit. Und hierfür erwartete sie nicht den geringsten Lohn noch zukünftigen Dank, da sie ja wusste, dass Saul sterben müsse. Die Menschen sind allerdings von Natur so geartet, dass sie erst dann anderen Gutes erzeigen wollen, wenn sie selbst vorher irgend einen Vorteil von ihnen erlangt haben. 342 Schön ist es deshalb, dem Beispiele dieses Weibes nachzueifern, alle Notleidenden zu unterstützen und nichts für vortrefflicher, dem Menschen geziemender und Gott wohlgefälliger zu halten. Hiermit genug von diesem Weibe. 343 Jetzt aber will ich noch einiges erwähnen, was Städten, Völkern und Geschlechtern nützlich und allen Guten angenehm sein kann, weil alle dadurch angeregt werden, die Tugend zu pflegen und sich so ein ewiges Gedenken zu sichern, ferner weil dadurch auch den Königen der Völker und den Vorstehern der Städte ein grosser Eifer für herrliche Thaten eingeflösst und sie zugleich angeregt werden, den Gefahren und Drangsalen zu trotzen und selbst den Tod fürs Vaterland nicht zu scheuen. 344 Veranlassung zu dieser Erwägung giebt mir der Hebräerkönig Saul. Denn obwohl er infolge der Weissagung des Propheten seinen Tod voraussah, wollte er ihm doch nicht entfliehen oder aus Liebe zum Leben sein Heer dem Feinde preisgeben und so seine Königswürde entehren, 345 sondern er setzte sich mit seinem ganzen Hause mutig der Gefahr [384] aus und hielt es für ruhmvoll, zugleich mit seinen Söhnen im Kampfe für sein Volk zu unterliegen. Denn er wollte lieber, dass seine Söhne heldenmütig den Tod suchten, als dass er sie in Ungewissheit über ihr zukünftiges Schicksal zurücklassen müsse. Statt Erben und Nachkommen zog er es eben vor, Ruhm und ein immerwährendes Gedenken zu hinterlassen. 346 Saul scheint mir deshalb ein gerechter, tapferer und kluger Mann gewesen zu sein, und wer ihm ähnlich ist, kann auf allgemeine Anerkennung rechnen. Ferner scheint es mir nicht recht gethan, dass diejenigen, welche mit der Aussicht auf Sieg und glückliche Heimkehr in den Krieg ziehen, von den Geschichtschreibern, die ihrer Erwähnung thun, tapfer genannt werden, wenn sie auch herrliche Thaten vollbracht haben. 347 Zwar gebührt auch ihnen ihr Lob; aber tapfer, unternehmend und Verächter von Gefahren können nur die genannt werden, die dem Saul nacheifern. Denn es ist sicherlich kein Zeichen tapferen Gemütes, sich aufs ungewisse hin in den Krieg stürzen, wenn man auch glänzende Thaten darin vollbringt. 348 Vielmehr halte ich den für wahrhaft tapfer, der, obgleich er im Kriege kein Glück zu erwarten hat, sondern voraussieht, dass er seinem Tode entgegengeht, dennoch ohne Furcht und Schrecken sich der Gefahr aussetzt. 349 Das hat Saul gethan und dadurch gezeigt, dass alle, welche nach ewigem Ruhm streben, ebenso handeln müssen, besonders aber die Könige, welche wegen der Erhabenheit ihrer Stellung ihren Untergebenen nicht nur nichts Böses, sondern ungewöhnlich Gutes erweisen sollen. 350 Von Saul und seiner hervorragenden Tapferkeit könnte ich noch mehr sagen, doch möge das Erwähnte genügen. Und damit es nicht den Anschein habe, als beabsichtige ich, ihn über Gebühr zu loben, will ich jetzt in meiner eigentlichen Erzählung fortfahren.
(5.) 351 Als die Palaestiner, wie oben erwähnt, ihr Lager aufgeschlagen und ihre Truppen nach Völkern und Geschlechtern gemustert hatten, rückte zuletzt mit seinem [385] Heere der König Anchus an, dessen Streitmacht David mit seiner Schar von sechshundert Kriegern sich beigesellte. 352 Als die Heerführer der Palaestiner ihn erblickten, fragten sie den König, woher die Hebräer kämen, und wer sie gerufen habe. Dieser erwiderte, das sei David, der vor seinem Herrn Saul geflohen sei und nun aus Dankbarkeit für die ihm erwiesene Gastfreundschaft und aus Rache gegen Saul ihnen Hilfe leisten wolle. 353 Die Führer aber tadelten ihn, dass er einen feindlich gesinnten Mann zu Hilfe nehme, und rieten ihm, David zu entlassen, damit er keinen Schaden verursache. Indem er nämlich ihre Kräfte schwäche, werde ihm Gelegenheit geboten, sich mit seinem Herrn wieder zu versöhnen. 354 Deshalb sollten sie sich wohl vorsehen und den David mit den sechshundert Mann wieder in seinen Wohnort zurückschicken. Denn das sei jener David, den die Jungfrauen wegen der Tötung von Zehntausenden der Palaestiner besungen hätten. Als der König der Gittenser das vernahm und die Ansicht als zutreffend anerkennen musste, liess er den David zu sich kommen und sprach zu ihm: 355 „Ich habe zwar deinen Eifer und deine Treue erprobt und dich deshalb auch als Bundesgenossen angenommen. Aber die Heerführer denken nicht ebenso von dir. Begieb dich daher sogleich wieder an den Ort, den ich dir geschenkt habe, und denke deswegen nicht schlecht von mir. Beschütze dort mein Land‚ damit die Feinde nicht in dasselbe einfallen können; denn auch so erweisest du dich als Bundesgenossen.“ 356 David gehorchte dem Befehle des Königs von Gitta und zog sich wieder nach Sekela zurück. In der Zeit aber, da er den Ort verlassen hatte, um den Palaestinern Hilfe zu bringen, hatten die Amalekiter einen Einfall gemacht und Sekela mit Gewalt eingenommen, es in Brand gesteckt und viele Beute aus diesem Orte wie aus dem übrigen Gebiete der Palaestiner weggeschleppt; darauf waren sie wieder heimgezogen.
(6.) 357 Als David vernahm, dass Sekela verheert und geplündert [386] sei, und dass man seine beiden Gattinnen nebst den Weibern und Kindern seiner Krieger in Gefangenschaft geschleppt habe, zerriss er sogleich seine Kleider 358 und weinte und jammerte so lange und heftig, bis die Thränen ihm ausgingen. Ja, er lief sogar Gefahr, von seinen Leuten, die sich vor Gram über die Gefangenschaft ihrer Weiber und Kinder nicht mehr zu halten wussten, zu Tode gesteinigt zu werden. 359 Nachdem aber David sich von seinem Schmerz etwas erholt hatte, richtete er sein Gemüt zu Gott, liess den Hohepriester Abiathar sein priesterliches Gewand anlegen und Gott fragen, ob er ihm, wenn er die Amalekiter verfolge, die Gnade gewähren wolle, sie zu schlagen, die Weiber und Kinder zu befreien und an den Feinden Rache zu nehmen. 360 Und da der Hohepriester befahl, man solle den Feinden nachsetzen, brach David sogleich mit seinen sechshundert Mann auf und kam bis zum Bache Basel, wo er einen Aegyptier antraf, der sich verirrt hatte und von Not und Hunger erschöpft war, da er drei Tage und Nächte hindurch keine Nahrung zu sich genommen hatte. David liess ihm Speise und Trank reichen, und nachdem er sich erholt hatte, fragte er ihn, wer und woher er sei. 361 Dieser entgegnete, er sei von Geburt Aegyptier und von seinem Herrn im Stich gelassen worden, da er wegen Krankheit nicht weiter gekonnt habe. Er habe zu denen gehört, die Sekela und andere Orte Judaeas in Brand gesteckt und geplündert hätten. 362 David benutzte nun den Mann als Wegweiser, verfolgte die Amalekiter und traf sie an, als sie sorglos auf dem Boden lagen, schmausten, sich betranken und sich der Beute und ihres Raubes erfreuten. Unversehens griff David sie an und machte viele von ihnen nieder; denn da sie waffenlos waren und an den Überfall nicht im entferntesten dachten, vielmehr sich nur mit Trinken und Essen beschäftigten, konnten sie leicht überwältigt werden. 363 Einige wurden bei der Mahlzeit niedergemacht, sodass Speise und Trank mit ihrem Blute besudelt wurde; andere wurden getötet, als sie sich gerade einander zutranken, [387] wieder andere, als sie vom Weinrausche in Schlaf gefallen waren. Diejenigen aber, die ihre Rüstung noch anlegen konnten und sich zur Wehr setzten, wurden ebenso leicht umgebracht. 364 Dieses Blutbad dauerte vom Morgen bis zum Abend, sodass nicht mehr als vierhundert Amalekiter am Leben blieben, die sich auf ihre Kamele setzten und so entflohen. Alles aber, was die Feinde geraubt, nahm ihnen David wieder ab, auch seine und seiner Krieger Gattinnen. 365 Als nun die Schar wieder umkehrte und an den Ort kam, wo sie die zweihundert Mann zur Bewachung der Bagage zurückgelassen hatte, weigerten sich die vierhundert, die Beute und den übrigen Raub mit ihnen zu teilen, weil sie zu feige gewesen seien, den Feind mit zu verfolgen; sie meinten, diese müssten schon zufrieden damit sein, dass sie ihre Weiber und Kinder wiedererhalten hätten. 366 Diese Meinung tadelte aber David als ungerecht; denn da Gott ihnen dazu verholfen habe, sich an ihren Feinden zu rächen und ihre ganze Habe wiederzuerlangen, so sei es billig, dass alle Krieger gleichmässig an der Beute Anteil bekämen, zumal da die anderen ja das Gepäck zu bewachen gehabt hätten. 367 Seit dieser Zeit galt das Gesetz, dass diejenigen, welche die Bagage bewachten, denselben Anteil von der Beute erhielten, wie die, welche in den Kampf gezogen waren. Als nun David nach Sekela gekommen war, schickte er allen Verwandten und Freunden vom Stamme Judas einen Teil von der Beute zu. So verhielt es sich mit der Plünderung von Sekela und der Niedermetzelung der Amalekiter.
(7.) 368 Als nun die Palaestiner mit den Hebräern zusammenstiessen, blieben sie nach heisser Schlacht Sieger und machten viele Hebräer nieder. Der König Saul und seine Söhne stritten tapfer und mit grosser Ausdauer und suchten ihren Ruhm nur darin, unverzagt zu kämpfen und schön zu sterben. 369 Sie durchbrachen die feindliche Schlachtlinie und richteten unter den Palaestinern ein gewaltiges Blutbad an, doch erlagen sie endlich der Übermacht. Sauls Söhne waren Jonathas, [388] Aminadab und Melchis. Als diese gefallen waren, wandten sich die Hebräer zur Flucht, und da der Feind ihnen auf dem Fuss folgte, gerieten sie in unbeschreibliche Verwirrung, und es kamen viele von ihnen ums Leben. 370 Auch Saul floh mit einer Schar der Seinigen; die Palaestiner aber sandten ihnen Bogenschützen und Schleuderer nach, die eine Menge von ihnen töteten. Saul selbst, der so wacker gekämpft und so viele Wunden erhalten hatte, dass er sich nicht mehr aufrecht halten konnte, auch zu schwach war, um sich selbst zu töten, befahl seinem Waffenträger, ihn mit dem Schwerte zu durchbohren, damit er nicht lebend in die Hände seiner Feinde gerate. 371 Der Waffenträger indes konnte es nicht über sich bringen, seinen Herrn zu töten, sodass Saul schliesslich selbst sein Schwert zog, dessen Spitze gegen sich richtete und sich hineinstürzte. Weil er aber nicht mehr soviel Kraft besass, um sich das Schwert vollends in den Leib zu stossen und sich zu durchstechen, wandte er sich um, und da zufällig ein Jüngling in der Nähe stand, fragte er ihn, wer er sei. Als er nun hörte, er sei Amalekiter, bat er ihn, ihm den erwünschten Tod zu geben, den er mit eigener Hand sich nicht mehr geben könne. 372 Dieser erfüllte Sauls Wunsch, zog ihm dann seine goldenen Armspangen vom Arm und vom Haupte die Königskrone und entfloh. Als aber der Waffenträger sah, dass Saul tot sei, brachte er sich selbst ums Leben. Keinem von der Leibwache des Königs gelang es, zu entkommen, sondern sie fielen alle auf dem Berge Gelboë. 373 Sobald die Hebräer, die im Thale jenseits des Jordan wohnten, und die, die ihre Städte in der Ebene hatten, hörten, Saul, seine Söhne und sein ganzes Heer seien gefallen, verliessen sie ihre Städte und zogen sich in die festesten derselben zurück. In den verlassenen Städten aber siedelten sich die Palaestiner an.
(8.) 374 Als die Palaestiner am folgenden Tage die gefallenen Feinde beraubten, stiessen sie auf die Leiber Sauls und seiner Söhne, denen sie, nachdem sie dieselben [389] ausgezogen, die Köpfe abschlugen. Dann schickten sie im ganzen Lande Boten herum mit der Nachricht, die Feinde seien in der Schlacht gefallen. Die erbeuteten Rüstungen hingen sie im Tempel der Astarte als Weihgeschenke auf, die Leiber aber schlugen sie vor den Mauern der Stadt Bethsana, die jetzt Skythopolis heisst, ans Kreuz. 375 Als aber die Einwohner von Jabis im Lande der Galaditer vernahmen, den Leibern des Saul und seiner Söhne seien die Köpfe abgeschlagen worden, hielten sie es für unwürdig, sie unbeerdigt liegen zu lassen. Deshalb brachen die tapfersten und verwegensten Männer, deren diese Stadt viele zählte, auf und marschierten die ganze Nacht hindurch bis nach Bethsana. 376 Dort machten sie sich an die Stadtmauern heran, holten die Leiber Sauls und seiner Söhne herunter und trugen sie nach Jabis, ohne dass die Feinde sie daran hinderten, sei es weil sie dies nicht wagten, sei es, weil sie dazu nicht imstande waren. 377 Darauf bestatteten die Jabisener unter Wehklagen die Leiber am schönsten Orte dieser Gegend, der Arura heisst, und sieben Tage lang beweinten sie dieselben mit ihren Weibern und Kindern, zerschlugen sich die Brust und trauerten um den König und seine Söhne so tief, dass sie weder Speise noch Trank zu sich nahmen.
(9.) 378 Das war das Ende des Saul, ganz wie Samuel es vorhergesagt hatte, weil er die Gebote Gottes hinsichtlich der Amalekiter übertreten, den Hohepriester Achimelech nebst dessen ganzer Verwandtschaft getötet und die Priesterstadt zerstört hatte. Er regierte bei Lebzeiten Samuels achtzehn und nach dessen Ableben noch weitere zweiundzwanzig Jahre, und er schied auf die angegebene Weise aus dem Leben.
- ↑ Aegyptisches Wegemass. Nach Herodot II, 5 beträgt ein Schoinos sechzig Stadien; obige Angabe ist demnach wohl übertrieben.
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