Künstler und Dilettant
[131] Künstler und Dilettant. „Kulturgeschichtliche Charakterköpfe“ hat Altmeister W. H. Riehl ein Buch überschrieben, das kürzlich bei Cotta erschienen ist. Er hat darin eine Reihe von Persönlichkeiten gezeichnet, die für ihre Zeit eine gewisse typische Bedeutung hatten, gezeichnet mit jener plastischen Klarheit, wie man sie von einem Manne erwarten darf, der wie Riehl zugleich Meister der Beobachtung und des Stils ist. Unsere Leser erinnern sich gewiß der prächtigen Skizze „Eine Rheinfahrt mit Josef Viktor Scheffel“, welche die „Gartenlaube“ in Halbheft 15 des vorigen Jahrgangs veröffentlichte. Diese und manche andere in engerem oder weiterem Sinne verwandte sind in diesem „Buch der Erinnerung“ gesammelt zu einer außerordentlich anziehenden literarischen Porträtgallerie.
Unter den Charakterköpfen, welche Riehl so mit gewandtem Stift theils leicht hinwirft, theils genauer ausführt, erscheint auch Moritz von Schwind, der phantasie- und gemüthvolle Schöpfer jenes Bildercyklus zu dem Märchen von den „Sieben Raben“. Riehl erzählt von ihm u. a. eine prächtige Geschichte, welche die unter Umständen etwas „unverblümte“ Art des Künstlers trefflich kennzeichnet. Zu Schwind kam einmal ein vornehmer Dilettant und bat ihn, er möge ihn doch auf einige Tage oder Wochen in seine Schule nehmen und ihn namentlich in seiner meisterhaften Kunst der Bleistiftskizze unterweisen, er möge ihm zeigen, wie er das eigentlich anfange. Darauf erwiderte Schwind. „Hierzu bedarf es keiner Tage und Wochen, lieber Herr Baron, ich kann Ihnen in drei Minuten sagen, wie ich’s anfange. Hier liegt mein Papier – wollen Sie sich gefälligst notieren – ich kaufe es bei Bullinger, Residenzstraße 6; dies sind meine Bleistifte – A. W. Faber – ich beziehe sie von Andreas Kant, Kaufingergasse 10; von derselben Firma habe ich auch dieses Gummi, gebrauche es aber wenig, desto öfter benutze ich dieses Federmesser, um die Bleistifte zu spitzen, es ist von Tresch, Dienersgasse 10, und sehr empfehlenswerth. Habe ich nun alle diese Dinge beisammen auf dem Tische liegen und dazu einige Gedanken im Kopf, dann setze ich mich und fange an zu zeichnen. Und jetzt wissen Sie alles, was ich Ihnen sagen kann.“
Als aber der Maler August von Wörndle aus Wien ihn über seine Art der Freskomalerei befragte, da ließ er gleich einen Bewurf im Atelier machen und malte ihm frischweg ein Studium an die Wand!