Zum Inhalt springen

Karnevals Lust und Leid

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Paul von Schönthan
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Karnevals Lust und Leid
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 171–172
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[171]

Karnevals Lust und Leid.

In Briefen aus der Karnevalsaison mitgetheilt von Paul von Schönthan.
I.0 „Lust.“

Verehrter Freund! Die Erfüllung Ihrer brieflich ausgesprochenen Bitte, Ihren Neffen, der den ersten Winter in Berlin verbringt, um sich zum Bauführer-Examen vorzubereiten, einigermaßen zu überwachen und Ihnen von Zeit zu Zeit über dessen Lebensweise vertrauliche Mittheilungen zu machen, betrachte ich als eine heilige Freundespflicht, und ich hätte nicht so lange geschwiegen, wenn nicht der Anbruch des Karnevals, der Ihren Neffen nach verschiedenen außerhalb seiner Berufsstudien liegenden Richtungen in Anspruch nimmt, meine Beobachtungen wesentlich erschwert hätte. Als Ihr Neffe vor ungefähr zwei Monaten in Berlin ankam, bedurfte es nur der Versprechung, daß ich mit ihm die eine oder die andere Sehenswürdigkeit Berlins betrachten werde, und pünktlich auf die Minute stellte sich mein junger Baukünstler bei mir ein; – jetzt ist es anders – seit drei Wochen haben wir verabredet, die Einrichtungen der Reichsdruckerei gemeinschaftlich beaugenscheinigen zu wollen, aber er kommt nicht und findet bald diese, bald jene Entschuldigung. – Ich habe endlich den Entschluß gefaßt, ihn in seiner Wohnung aufzusuchen. Es war Mittags – er war nicht da. „Zu dieser Zeit macht er Besuche, Sie müssen recht früh kommen,“ sagte man mir. Ich erschien des Morgens um acht Uhr. „Ich werde sehen, ob er schon zu Hause ist,“ meinte seine Wirthin. Auf diese Antwort war ich nicht vorbereitet. „Er schläft noch,“ sagte sie zurückkommend, „er ist wohl erst wieder gegen Morgen nach Hause gekommen, und da darf ich ihn vor Nachmittag drei Uhr nicht wecken.“ Ich theilte der Frau mit, daß ich in seinem Zimmer eine schriftliche Nachricht hinterlassen wolle, und trat leise ein. Er lag im Bette – aber denken Sie sich meinen Schrecken, er trug einen langen wallenden Vollbart, der ihm doch unmöglich in den paar Wochen gewachsen sein konnte, seit ich ihn nicht gesehen. Auf dem Tische lag eine Mönchskutte, das erklärte die Ueberraschung; vermuthlich war er in einem Zustande nach Hause zurückgekehrt, in welchem er an den Umhängebart nicht mehr dachte.

Uebrigens erfüllt es mich mit einer gewissen Genugthuung, daß er ungeachtet seines heiteren Lebenswandels den eingewurzelten Ernst für die Aufgaben seines Berufes nicht eingebüßt hat, wofür mir die Thatsache bürgt, daß er plötzlich mit dem ungeheuchelten Ausdrucke fachmännischer Befriedigung im Traume „Brillant gebaut!“ ausrief.

In diskreter Weise suchte ich über die Lebensweise meines Schützlings Näheres zu erfahren, und die ehrliche Frau machte mir kein Hehl daraus, daß ihn die gesellschaftlichen Verpflichtungen, die öffentlichen Vergnügungen des Karnevals so vielfach beschäftigen, daß er zu einer Tageseintheilung seine Zuflucht nehmen mußte, die mir vollständig erklärlich macht, daß er für die Reichsdruckerei und das Postmuseum – Sehenswürdigkeiten, die eben nur von zehn bis zwei Uhr geöffnet sind, keine Zeit übrig hat – er schläft nämlich bei Tage, er frühstückt seit einigen Wochen am späten Nachmittage, ißt um Mitternacht Mittagsbrot und nimmt seine letzte Mahlzeit bei grauendem Morgen im „Café Bauer“ ein. –

Soeben bin ich durch den Besuch Ihres Neffen in meinem Briefe unterbrochen worden, er ist in Folge meiner zurückgelassenen Karte bei mir erschienen. – Das großstädtische Karnevalsleben scheint in der That sein ganzes Denken auszufüllen, in einer kurzen halben Stunde erzählte er mir, daß er bei Professor Müller gestern den Kotillon kommandirt und mit einigen neuen Figuren, die er sich ausgedacht, immensen Erfolg gehabt habe; er drängte mir zwei Billets zum Maskenballe im „Wintergarten“ auf, die ich mit dem Hinweis auf die Zurückhaltung, die mir meine Stellung als Kammergerichtsrath und mein hohes Alter auferlegen, ablehnte, und als er einmal das Taschentuch hervorzog, streute er dabei Knallbonbons aus. Beim Abschiede bat er mich nach einer Einleitung, die mir das Ernsteste ankündigte, ihm zu rathen, ob er zu dem Kostümfeste bei X-s als Pole oder als spanischer Grande erscheinen soll. Ich hielt den Zeitpunkt nicht für geeignet, um Ihrem lebenslustigen Neffen ernstere Gesprächsthemata nahezulegen. – Wollen wir hoffen, daß er über das ihm bevorstehende Examen mit der Leichtigkeit und Eleganz hinwegtänzelt, die ihn in anderem Sinne zum Liebling der hiesigen Gesellschaftskreise gemacht zu haben scheint.
Ihr alter Kollege N. N. 

*               *
*

Liebe einzige Kläre! Dies nur in fliegender Eile. Ich kann leider Eure Einladung zum Thee nicht annehmen, wir sind ja morgen Mittwoch bei Geheimrath W. und am Freitag ist Juristenball. Auf ersterem Balle erscheint man ohne Larve, es ist bloß ein bal travesti; ich gehe als Schneeflocke, ganz weiß, mit Puderquasten im Haar, auf den Achseln, den Schuhen, und wo sich’s sonst gut macht. Es sieht furchtbar chic aus. Der Doktor, der Dir neulich auf dem –schen Jour fixe vorgestellt wurde, wird auch da sein – ich finde ihn sehr nett, er ist für mich das Ideal der Männlichkeit, und als Arzt soll er sehr gesucht sein – er geht jeden Tag von elf bis ein Uhr an unserem Hause vorüber – ich habe mich zuerst nicht mehr ans Fenster getraut – jetzt geht’s. Ich beschwöre Dich, verbrenne diese Zeilen.
Deine Freundin Eva. 

P. S.0 Kannst Du mir unauffällig „Heine’s Buch der Lieder“ oder etwas von Byron schicken, so wäre es mir lieb, aber es hat höchste Eile. Damit Mama nichts merkt, mußt Du die Bücher einwickeln und sagen lassen, „eine schöne Empfehlung und hier wäre die englische Grammatik.“ Aber zusiegeln!

*               *
*

Liebste Anna! Gestern haben wir den Entschluß gefaßt, am 16. d. M. einen kleinen Ball zu veranstalten, meine Töchter sind, wie Du Dir denken kannst, Feuer und Flamme für dieses Projekt, und mein Mann hat wenigstens nichts dagegen. Du bist die Erste, die die Neuigkeit erfährt, damit Minchen und Tinchen Zeit haben, ihre Toilette besonders gewählt vorzubereiten, denn daß Ihr nicht fehlen dürft, ist selbstverständlich.

Gleichzeitig wollte ich Dich bitten, mich wissen zu lassen, ob Du so nett sein möchtest, mir für diesen Tag ein Hausmädchen – ihr habt doch noch die Marie aus Insterburg? – zum Serviren für die paar Stunden zu überlassen? Vielleicht bist Du so freundlich, Emil, Deinen reizenden Jungen, herüberzuschicken und mir Bescheid zu sagen – es wäre allerliebst, wenn Dein Söhnchen bei der Gelegenheit uns mit seiner bewunderungswürdigen Handschrift beispringen würde, mein Alex schreibt so schlecht, daß ich ihm die Einladungen gar nicht anvertrauen kann, er macht mehr Kleckse als Buchstaben. Läßt Du Emil durch Dein Mädchen begleiten, so könntest Du der Letzteren vielleicht den Samovar mitgeben, den Du mir schon neulich leihen wolltest – ich wüßte nicht, wie ich sonst den Thee serviren lassen sollte. Ich freue mich schon heute bei dem Gedanken, wie sich Deine Mädchen amüsiren werden, die lieben Geschöpfe, ich lege nämlich das Hauptgewicht auf Tänzer, o, sie sollen nicht sitzen bleiben, die reizenden Mädchen – dabei fällt mir ein, daß es uns mit den Stühlen recht knapp geht, und da man sich solcher Dinge wegen nur an die vertrautesten Bekannten wenden kann, frage ich Dich, meine älteste und liebste Freundin, ob Ihr an diesem Abend etwa ein Dutzend Stühle entbehren könnt? Sollte der Ausziehtisch, den mir Walters borgen, sich als zu klein erweisen, kann ich ja dieserwegen noch immer Deine Güte in Anspruch nehmen. „Entweder – oder“ sage ich mir, und es soll fein werden; wirst Du mir glauben, daß ich gestern die ganze Stadt ablief, um einen Hermes von Praxiteles, wie er bei Euch beim Salonfenster steht, zu bekommen? – aber umsonst; und gerade der fehlt unserem Salon, und es ist mir peinlich, daß dieser Mangel just bei unserem Ballfest bemerkbar werden soll. Agnes meinte gestern, wie pompös sich Eure beiden japanischen Lampen in unserem Salon ausnehmen würden, aber ich möchte um Alles in der Welt nicht so unbescheiden erscheinen, selbst wenn es gälte, Deinen Lampen einen Triumph zu bereiten – jedenfalls wäre demjenigen, dem Du sie zum Transport anvertraust, größte Sorgfalt anzuempfehlen, auch ist auf die hübschen seidenen Schirme zu achten, und die dazu passende Stutzuhr müßte aufrecht getragen werden – doch nun zu dem hauptsächlichen Theil meines Briefes. Mein Mann raucht, wie Du weißt, gar nicht, er hat keinen Cigarrenverstand und weiß kaum, bei welchem Ende sie angezündet werden; würde Dein liebenswürdiger Gatte, der eine Autorität darin ist, die Freundschaft für unser Haus so weit treiben, ein Kistchen Cigarren – nicht zu theuer – für uns zu jenem Abend zu besorgen – es kann eine ziemlich gewöhnliche Sorte sein, da wir die rothen Papierringe, die wir noch vom letzten Mal haben, selber daraufstecken. Wenn Du mir sagen läßt, ob ich auf den Hermes von Praxiteles und auf die Marie von Insterburg rechnen darf, könntest Du vielleicht gleich beifügen, ob Dein lieber Gatte sich uns durch diesen Liebesdienst verpflichten will! Doch nun Adieu, ich habe mir die Zeit rein abgestohlen, um mit meiner treuesten Freundin wieder ein wenig zu plaudern. Ach, was muß noch alles im Haus, in Küche und Keller geschehen! Wir haben alle Hände voll zu thun und wissen kaum, wo zuerst anfangen – wir könnten noch ein halbes Dutzend Hände brauchen. – Warum lassen sich Deine lieben Kinder gar nicht bei uns blicken?
In herzlicher Umarmung 
Deine P—. 

*               *
*

Liebe Freundin! Triumph! ich halte das Billet zum Subskriptionsball in den vor heimlicher Erregung zitternden Händen – Karl’s Widerstand ist gebrochen, nicht durch Bitten, nicht durch Thränen, sondern durch einen Akt der Resignation, der mich keine Minute Bedenken gekostet hat. Karl rechnet, wie Du weißt, vor allen Dingen, und pekuniäre Rücksichten waren bisher das Haupthinderniß. Durch meine feierliche Verzichtleistung:

1) auf die Wiederaufnahme meines Jour fixe,
2) auf die Badereise nach Gastein

[172] hat er sich herabgelassen, nachzugeben und mir die erforderlichen Summen für Schmuck und Toilette zu bewilligen. Es ist mein erster großer Ball, meine Freundin, weißt Du, was das bedeutet: die erste Schlacht eines Generals – ich werde übermorgen in der Zeitung stehen, es kann nicht fehlen, ich werde Aufsehen erregen. Herr Bohlke, der Schneider, der mir die Toilette geliefert hat, ist ein Genie, das Kled ist ein aus Spitzen und Duft gewobener Traum – Bohlke, den ich Dir aufs Angelegentlichste für solche Zwecke empfehle, hat damit ein Kunstwerk geschaffen, welches unmöglich übertroffen werden kann. Ich trete mit voller Sicherheit auf – ich habe noch nie einen Subskriptionsball gesehen – alle unsere Bekannten sind da – o, es ist zu schön: man setzt sich schon um sechs Uhr in den Wagen, denn die Auffahrt dauert stundenlang, und während der ganzen Zeit läßt man sich von den Spaziergängern, die neugierig in die Wagen blicken, bewundern – das würde mir schon genügen, Dir doch auch? – Wenn Du abkommen kannst, und wenn Du Deine Freundin im vollen Glanze ihrer subskriptionsballmäßigen Schönheit bewundern willst, so müßtest Du spätestens ein halb sechs Uhr bei mir sein. Ich schließe, die letzte Anprobe harrt meiner, eine selige Vorempfindung.
Tausend Küsse 
Aurelie. 

Soeben wird ein wunderbarer Fächer aus weißem goldgestickten Atlas mit Federnfranzen – so wie der von Erna, nur viel schöner, abgegeben ich vermuthe eine Galanterie meines Schwagers – er ist zu nett!


II.0 „Leid.“

Werther Freund! Ihr Neffe, unser fideler Bauführer in spe, hat mich soeben verlassen; auf seinem Gemüth lastet der schwere Druck einer reuevollen, selbstbeschaulichen Aschermittwochs-Stimmung. Nach seiner Darlegung belaufen sich die Schulden, zu denen er durch die außergewöhnlichen Ausgaben, die mit dem Karnevalsvergnügen verknüpft waren, gedrängt wurde, auf 300 Mark 50 Pfennig; unter den Kreditoren Ihres Neffen fungiren:

1) Dessen Wirthin, die mit entgegenkommender, wenn auch nicht zu billigender Bereitwilligkeit den Erlag der Miethe pro Februar im Betrag von 45 Mark postnumerando in Vorschlag brachte.

2) Die Hoflieferanten Müller’s Söhne mit 22 Mark für gelieferte Ballhandschuhe und dito Kravatten, laut beiliegender Nota.

3) Der Schuhmacher Lehmann mit 38 Mark für 2 Paar Lackstiefletten – Rechnung noch ausständig.

4) Die Buchhandlung E. T. Schulze mit 5 Mark für die Litteraturwerke: „Die Kunst, den Kontretanz zu kommandiren“ – 2) „Der angenehme Gesellschafter“ – 3) „Knallerbsen, oder du sollst und mußt lachen“.

5) Das Maskenverleihinstitut Jacob Lehmann mit 32 Mark für ein entliehenes Mönchsgewand und einen spanischen Grande; da letzterer in mangelhaftem Zustande zurückgeliefert wurde, ist eine Zusatzrechnung im Betrage von 6 Mark erfolgt.

6) Der Hutmacher Mayer mit 22 Mark 50 Pfennig für einen Klaquehut und diverse Reparaturen.

7) Endlich meine Wenigkeit mit 130 Mark bar Darlehn, zu denen ich mich in Folge Ihrer seinerzeitigen Weisung, ihm in dringenden Fällen finanziell auszuhelfen, verpflichtet sah.

Ich kann nicht umhin, nach diesen Mittheilungen der Ueberzeugung Ausdruck zu verleihen, daß in dem Gemüth ihres Neffen seit dem 10. März eine erfreuliche Wandlung sich vollzogen hat, daß er mit einem Eifer, der keiner besseren Sache würdig wäre, seinen Berufsstudien obliegt, und daß ich Ihnen unmaßgeblicher Weise nahelegen möchte, die reuige Stimmung, zu der er sich eben sammelt, nicht durch harte Vorwürfe steigern zu wollen. Ich bin überzeugt, daß ihn sein moralisches Bewußtsein im Laufe der angebrochenen Fastenzeit von selbst auf den rechten Weg leiten wird.
Ihr alter Kollege N. N. 

*               *
*

Liebe Kläre! Ich sitze mit einem Schnupfen, der meine Nase in einen durchaus nicht verehrungswürdigen Zustand verwandelt hat, zu Hause, und da Du in Folge Deines beim Tanzen „verknaxten“ Fußes nicht zu uns herüber kommen kannst, theile ich Dir auf diesem Wege mit, daß ich von diesem Karneval gerade genug habe und mit einer wahren Sehnsucht nach einer gründlichen Veränderung schmachte – ich möchte weit fort, hinaus in die weite Welt – fort von den Menschen! Wie sagt doch Heine in seinem „Buch der Lieder“, das ich Dir hiermit dankend zurückstelle, so schön:

„Jene Flammen sind erloschen,
Und mein Herz ist kalt und trübe“ ...

Der Stearinfleck auf dem Deckel muß schon bei Euch daraufgekommen sein, auch die Eselsohren bei den schönsten Gedichten rühren nicht von mir her. – Deine Anspielung auf den Arzt, die Dir neulich entfuhr, hat mir sehr weh gethan, und wenn Du mir einen Freundschaftsdienst erweisen willst, so erwähnst Du seiner nicht mehr, weder mündlich noch schriftlich. Ich weiß nicht, welches Interesse Papa an ihm nahm, kurz, er kultivirte seinen Umgang und er wäre beinahe in seinen Netzen hängen geblieben. Dieser saubere Herr Doktor hat meinem lieben Papa das Geständniß abzuschmeicheln gewußt, daß er zeitweise an der Leber leidet, und da er dafür Specialist zu sein vorgiebt, hat er Alles drangesetzt, um Papa in die Kur zu bekommen, denke Dir! Der Erbärmliche hatte es also nicht auf mein Herz, sondern auf Papas Leber abgesehen. Du kannst Dir die Empfindung vorstellen, welche diese Entdeckung in mir hervorrief, und der Ehrlose wagte es, mir etwas auf meinen kostbaren Autographenfächer zu schreiben, auf welchem sich schon der Rechnungsrath Miesebach und Dein Schwager Wilhelm verewigt haben. Es ist ein Glück, daß es lateinisch ist, ich wage es auch gar nicht, Jemanden zu fragen, was es heißt, es ist am Ende ein Recept. Ein solches Individuum (verzeih’ den häßlichen Ausdruck) ist zu Allem fähig.

Ich kann heute nicht mehr weiter schreiben, ich fürchte, die Erregung würde mich meinen Stolz vergessen lassen, und meine beleidigte Mädchenehre könnte sich hinreißen lassen, härter zu urtheilen, als er’s vielleicht verdient.
Deine unglückliche 
Eva. 

P. S.0 Mama läßt durch mich fragen, ob Ihr das gute Recept zu Bechamelle-Kartoffeln noch habt?

*               *
*

Liebe Anna! Es ist mir sehr peinlich, auf Deine erregten Zeilen in einem Tone antworten zu müssen, der Deiner Herausforderung angemessen, aber außerhalb der Art liegt, in der wir bisher verkehrt haben. Ich will unerwogen lassen, ob Deine Töchter, die im Laufe des Karnevals in unserem Hause manche Abende verbracht haben, die wir ihnen so angenehm wie möglich zu machen suchten – berechtigt waren, sich meiner bescheidenen Leopoldine und der schüchternen Agnes gegenüber in den Vordergrund zu drängen; die abfällige Art, wie Minchen die Toilette meiner beiden Mädchen beurtheilt hat, zeugt jedenfalls von einer nichts weniger als wohlwollenden Gesinnung für unser Haus. Ihre Aeußerungen, welche Euer Hausmädchen Marie meiner Köchin Anna hinterbracht hat, sind mindestens lieblos, und ich weise die Zumuthung, als hätten, wie sich Euer Mädchen ausdrückte, Leopoldine Roth und Agnes Weiß aufgelegt gehabt, mit mütterlicher Entschiedenheit zurück. Soweit sind wir noch nicht! – –

Was den Samovar betrifft, so genügt Dir vielleicht die mit seinem Ehrenworte bekräftigte Versicherung meines Mannes, daß derselbe schon beim ersten Aufsetzen merklich leckte und uns in eine Verlegenheit brachte, aus der uns nur die Entschlossenheit unseres Vetters Emil, der das Loch geschickt zu verstopfen wußte, befreien konnte. Ein Anderes ist es mit Eurer Hermesbüste, die durch das Verschulden des etwas kurzsichtigen Doktor Wenzel beim Tanzen leider umgestoßen wurde. Die Büste soll in tadellosem Zustande wieder in Euren Besitz gelangen, mein Alex kittet schon den ganzen Vormittag daran, und es wird dem fleißigen Knaben wohl gelingen, die Spuren des Unfalls möglichst zu verbergen.

Mein Mann ersucht Dich ferner, die Nota für die in Folge meiner Bitte von Deinem Gatten besorgten Cigarren uns sogleich zukommen zu lassen; vielleicht hat der betreffende Händler aber für das Kistchen, das bis auf drei nur oben ein wenig angebrannte Zigarren ganz unberührt ist, Verwendung. in diesem Falle wird ein Wort von Dir genügen, um Euch wieder in den Besitz des Kistchens zu bringen.

Es thut mir weh, daß der Reigen unserer sonst gelungenen diesjährigen Karnevalsveranstaltungen mit einem Mißton geschlossen hat, für den Du mich und die Meinen bei ruhiger Beurtheilung aber unmöglich verantwortlich machen kannst.
Mit Gruß Deine Freundin 
Pauline Karg. 

*               *
*

Werthe Freundin! 0 Seit ich nothgedrungenermaßen in Folge meiner freiwilligen Verzichtleistung meinen Jour fixe aufgegeben habe, und seit mit dem Erlöschen des Faschings auch die gesellschaftlichen Vergnügungen ein Ende genommen haben, lebe ich ein ziemlich trübseliges, von Grillen und Reuegedanken verfolgtes Leben. Es ist wahr, der Subskriptionsball, die Erfüllung eines Wunschtraumes, der mich seit meinen Backfischjahren von Karneval zu Karneval verfolgt hat, steht in dem Buche meiner Lebenserinnerungen mit flammenden Zügen eingetragen, aber – es ruht wohl auf dem Grunde jedes Freudenbechers ein trüber Bodensatz?

Ich möchte Dich zunächst vor dem Schneider Bohlke warnen, der seine Sache versteht, aber Rechnungen zu machen weiß, die einfach unverschämt sind; – ich wage es gar nicht, es Jemandem zu sagen, was er mir für das Kleid angerechnet hat. Dafür kann ich eine ganze Familie anziehen! Karl darf die Wahrheit nicht erfahren, er ist ohnehin nicht gut auf den Subskriptionsball zu sprechen, da er sich im Wagen während der anderthalbstündigen Auffahrt einen fürchterlichen Schnupfen geholt hat, der fast dauerhafter ist als meine poetischen Erinnerungen an diesen Abend.

Am meisten bedrückt mich meine finanzielle Lage, die ich durch gewisse, wie ich mir einrede, harmlose Kniffe unablässig zu bessern bestrebt bin, denn wenn ich mich auch darein finde, meinen Jour fixe aufzugeben, so ist doch der Gedanke, daß wir, anstatt nach dem schönen und so theuren Gastein, nach dem billigeren K. reisen sollen, schrecklich. Ich spare hauptsächlich beim Essen; Du bist doch auch praktisch, weißt Du keine billig herzustellenden Gerichte, die nach etwas aussehen? Da ich die Cigarren aus der Wirthschaftskasse zu bestreiten habe, bin ich auf den Einfall gekommen, täglich, ohne daß Karl etwas davon merkt, ein paar Cigarren aus seiner Kiste herauszueskamotiren; wenn ich hundert habe, lege ich sie in ein altes Kistchen und schreibe sie ihm auf die Rechnung. Man hilft sich eben, wie man kann.

Die Sache mit dem Fächer, dessen Herkunft ich nicht errieth, hat sich auch aufgeklärt – leider habe ich mich geirrt, wenn ich meinem Schwager eine solche Galanterie zumuthete – der schöne Fächer ist „falsch abgegeben worden“, er gehört der Frau Professor, die drei Treppen wohnt. Da ich ihn als mir gehörig angesehen, habe ich das Vergnügen, ihn zu bezahlen. Natürlich mußte sie sich meinen Fächer in dem theuersten Laden kaufen. Erwähne Karl gegenüber nichts davon, er kennt den Zusammenhang nicht, ich habe seit diesem Karneval nichts als Geheimnisse vor ihm, aber ich will die Fastenzeit benutzen, Buße zu thun. Mit der körperlichen Kasteiung haben wir angefangen. Weißt Du, daß mein Taillenumfang seither um drei Centimeter abgenommen hat?

Adieu, ich muß nach der Küche, ich habe ein neues billigeres Mädchen, das vom Kochen nichts versteht, das heißt noch weniger als Deine in Arbeit und Entbehrungen die Ruhe des Gewissens suchende Aurelie.