Kleine Ursachen, große Wirkung

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Autor: Bock
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Titel: Kleine Ursachen, große Wirkung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 8–9
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Kleine Ursachen, große Wirkungen.

Ach! Das wird mir nicht gleich schaden,“ so hört man nicht blos Gesunde, sondern sehr oft auch Kranke, zumal Brust- und Magenkranke, sprechen, wenn sie sich ihrer Gesundheit wegen Etwas versagen sollen. Und „hätte ich nur Das nicht gethan!“ wehklagen dann solche Leichtsinnige, wenn jenes Etwas doch geschadet hat. Nun, wo es gewöhnlich zu spät ist, wollen sie aus Furcht vor dem Tode den Vorschriften des Arztes (dem manche für ihre Rettung ihr halbes Vermögen versprechen, natürlich um es demselben, sollten sie wieder gesund werden, nicht zu geben) ganz streng folgen. Jetzt, wo sich ein unheilbares Leiden ausgebildet hat, der allopathische Arzneimittelschatz erschöpft ist und eine Menge Bäder auf den Rath von Medicinal- und Sanitätsräthen heimgesucht worden sind, jetzt werfen sie sich in die Arme der verschiedensten Charlatane; jetzt geht’s aus der Homöopathie in die Hydropathie, von Lutze zu Lampe, aus der Schroth’schen altbackenen Semmel- in die schwedisch-gymnastische Cur. Während Magenkranke in sehr vielen Fällen früher ohne alle Arznei, nur durch ein richtiges diätetisches Verhalten sehr bald gesundet wären, müssen sie sich später bei der gymnastischen Heilmethode abquälen mit: sturzstehender concentrischer Quermagenwalkung, spalthochsitzender Hüftrollung und Magenlinddrückung, streckspaltsitzender Brustspannung, halbstreckgangstehender Vorwärtsdrehung, spaltstehender Doppeltkniebeugung, lastneigender Rückenerhehung, hochstehender Beinvorwärtsdrückung, klafterstehender Planarmbeugung von hinten nach vorn, gehsitzender Wechselkniestreckung, halbliegender Plandrehung u. s. f. im Unsinn.

Krankheiten zu verhüten und den Naturheilungsproceß bei Krankheiten nicht zu stören, das wird in spätern Zeiten, wo der Mensch in der Schule von seinem Körper sicherlich mehr lernen wird als jetzt, nicht blos Aufgabe des Arztes sein, sondern auch vom Laien ermöglicht werden. Dazu braucht er aber vor allen Dingen die Kenntniß auch von den scheinbar sehr geringfügigen, den menschlichen Körper krankmachenden Schädlichkeiten, von denen sogar manche gar nicht wie Schädlichkeiten aussehen.

Wer hätte z. B. noch vor wenig Jahren geglaubt, daß so ein winziges Würmchen, wie die Trichine (s. Gartenlaube Jahrgang 1864 Nr. 7), solch gräßliches Unglück anrichten könnte? Nun man’s weiß, wird durch die mikroskopische Untersuchung des Schweinefleisches dem Unglück, elendiglich unter den heftigsten Schmerzen trichinös zu sterben, vorgebeugt. – Ein fast unmerklicher Luftzug, auf welchen die wenigsten Menschen, selbst die nicht, welche am Fenster arbeiten, achten, hat schon sehr oft die qualvollsten Muskel- und Nervenschmerzen erzeugt. – Der längere Aufenthalt in kühlen Localitäten, wo die Thätigkeit der Haut ganz allmählich ohne wahrnehmbare Empfindungen unterdrückt wird, war sehr häufig die Ursache eines äußerst schmerzhaften acuten Rheumatismus (s. Gartenl. 1856 Nr. 47), dem sich tödtliche Herzentzündung zugesellte. Ein Unterziehjäckchen[1] (s. Gartenl. Jahrg. 1861 Nr. 35), auf dem bloßen Leibe getragen, hätte dies verhindert. – Ein verschluckter kleiner Kern (besonders der Kirsche) veranlaßt durch seine Einkeilung in den Wurmfortsatz (am Blinddarme) sehr leicht den Tod durch Bauchfellentzündung. – Die bedauerlichsten Verkrüppelungen, zumal des Brustkastens, werden in der Regel durch eine falsche Haltung des Körpers erzeugt, die aber von den Eltern und Lehrern erst dann berücksichtigt wird, wenn die Verkrüppelung ganz auffällig und meist nicht mehr zu heben ist. – Cigarren, unmittelbar in den Mund gesteckt und hier mit Speichel derb durchfeuchtet, veranlassen manchmal durch ihre Tabakssauce, welche mit dem Speichel vermischt und verschluckt wird, hartnäckiges Magenleiden (chronischen Magenkatarrh, der eine Magenverhärtung nach sich ziehen kann). Das Rauchen aus einer Cigarrenspitze oder Pfeife würde diesen Schaden nicht machen. – Ein Unterrocksband, das nach der Behauptung der Binderin stets ganz locker gebunden sein soll, trotzdem daß es eine tiefe Querfurche in der Haut der Oberbauchgegend erzeugt hat, trägt sehr oft die Schuld an den Schmerzen in dieser Gegend, sowie an einer Verkrüppelung der Leber (s. Gartenl. Jahrg. 1853 Nr. 26), welche zur Entstehung der mannigfaltigen Suchten (besonders der Zanksucht) beim weiblichen Geschlechte mitwirkt. – Von einem hellen Gegenstande (z. B. von einem gegenüberstehenden weißen Gebäude) zurück- und auf die Arbeit oder auf das Auge geworfenes Sonnenlicht giebt häufig die Veranlassung zu schlimmen Augenleiden. Neugeborne Kinder erblindeten schon manchmal für’s ganze Leben, weil die neugierigen Angehörigen, um die Farbe der Augen des Kindes kennen zu lernen, dasselbe an das Sonnen- oder Kerzenlicht trugen. – Tabaksrauch, von kleinen Kindern und Hustekranken eingeathmet, kann der Lunge äußerst nachtheilig werden. – Kaltwerden des Bauches raffte schon Tausende von kleinen Kindern an der Brechruhr hin, und Verfasser ist der festen Ueberzeugung, daß diese Erkältung, zumal des warmen Bauches in der Nacht, bei Personen, welche in von der Cholera[2] (s. Gartenl. 1854. Nr. 35[WS 1] und 1856 Nr. 38) heimgesuchten [9] Orten leben und die Disposition zu dieser Krankheit in sich tragen, den Ausbruch derselben befördert. Von den vielen Hundert Cholerakranken, mit welchen Verfasser verkehrte, hatte auch nicht ein einziger eine Bauchbinde (die aber auch in der Nacht nicht abgelegt werden darf) getragen.

Vorläufig mögen diese wenig Beispiele hinreichen, um in Kürze auf die Wirkung kleiner und unbedeutend scheinender Ursachen aufmerksam gemacht zu haben. Betrachten wir nun diejenigen Leiden bestimmter Organe etwas genauer, welche gar oft durch scheinbar ganz geringfügige Dinge nicht blos in ihrer Heilung gehindert, sondern sogar lebensgefährlich werden können.

Die Krankheiten des Magens und Darmcanals, zumal wenn sie entzündlicher oder geschwüriger Natur sind und mit Schmerzen, Appetitlosigkeit, Aufstoßen, Brechen, Durchfall etc. einhergehen, werden am häufigsten durch den Genuß unpassender Speisen und Getränke incommodirt und in der Regel von Seiten der Aerzte durch Arzneimittel maltraitirt. – Kalte und reizende, auch kohlensäurereiche Getränke wirken bei den allermeisten dieser Krankheiten der Heilung dergestalt entgegen, daß bisweilen aus einem heilbaren ungefährlichen Leiden ein chronisches und gefährliches hervorgeht. So kann z. B. der Magenkatarrh dadurch zur Magenverhärtung getrieben werden. Nur beim Blutbrechen ist Kaltes (das Verschlucken von Eisstückchen) zur Stillung der Blutung erforderlich.

Was nun die Speisen betrifft, so muß, zumal bei schmerzhaften Magenleiden (ganz besonders beim Magenkrampfe in Folge eines Magengeschwürs), alles Feste fern bleiben, und wenn dieses auch nur aus kleinen Körnchen oder feinen Schalen bestände. So können z. B. schon Compots aus Beeren ihrer Schalen und Körnchen wegen, Suppen mit Gries, Gräupchen, Nudeln, Reis etc., ungeschältes Obst, undurchgeschlagene Hülsenfrüchte, schlecht gekautes Fleisch etc. dadurch gefährlich werden und sogar den Tod herbeiführen, daß sie sich auf wunde, geschwürige Stelle des Magens oder Darmes auflagern und zur tödtlichen Durchbohrung dieser Organe Veranlassung geben. Schon mancher Nervenfieber-Reconvalescent, den selbst der Arzt außer aller Gefahr erklärte, starb noch und zwar ziemlich schnell, weil sich ein fremder Körper (Weinbeerkern, Pflaumenschale) in ein vernarbendes Typhusgeschwür eingelegt und dadurch eine Darmdurchbohrung (mit nachfolgender Bauchfellentzündung) erzeugt hatte. Man sieht hieraus, mit wie großer Vorsicht derartige Kranke gespeist werden müssen. So ist auch bei der Ruhr, überhaupt bei allen Brech- und Durchfallskrankheiten, ganz besonders aber beim Magenkrampfe, weil dieser in der Regel von einem (runden) Magengeschwüre veranlaßt wird, die Wahl der Nahrungsmittel von weit größerer Bedeutung als die meist ganz unnütze oder sogar schädliche Heilkünstelei.

Wenn also bei Magen- und Darmleiden der Genuß fester Nahrung nachtheilig ist oder doch werden kann, so dürfen natürlich nur dünn- oder dickflüssige (breiige) Speisen genossen werden, die aber trotz ihres Flüssigseins doch auch genug Nahrungsstoffe zur Ernährung unseres Blutes und Körpers besitzen müssen. Und unter diesen stehen zwei natürliche Nahrungsmittel obenan, d. i. weiches Ei (aber ebenso das Weiße wie das Dotter) und kräftige Fleischbrühe; an sie schließen sich dann zwei künstliche Nahrungsmittel, nämlich (an Stelle des Fleisches) das sogenannte Liebig’sche Fleischextract[3] und (um das Fett zu ersetzen) ein reizloses Malzextract[4]. Die Milch, obschon das beste Nahrungsmittel, wird deshalb selten vertragen, weil ihr Käsestoff im Magen (zu Quarkstücken) gerinnt und dann beschwerlich wird.

Gegen Verstopfung, welche sehr gern Magenleiden begleitet, wende man niemals Abführmittel, immer nur Klystiere (von warmem Wasser mit etwas Oel, Salz oder Seife) an, aber freilich müssen diese recht ordentlich in den Darm hinaufgespritzt werden (s. Gartenl. 1855, Nr. 21). – Wer, zumal gleich beim Beginne einer Verdauungsstörung, diesen hier gegebenen Rathschlägen folgt, wird’s sicherlich nicht bereuen sich von Arzneien fern gehalten zu haben.
Bock.



  1. Von allen Unterziehjäckchen fand Verfasser am bequemsten und zweckentsprechendsten die von Crêpe aus der Rumpf’schen Fabrik in Basel.
  2. Bei der Behandlung der Cholera ist die Hauptsache, dem durch die flüssigen Entleerungen seines Wassers beraubten Blute so schnell als möglich wieder Wasser zuzuführen. Und hierzu dient am besten das Trinken heißen Wassers (vielleicht mit etwas Wein oder Rum und dergleichen versetzt), nur muß dieses Wasser so oft und so reichlich als möglich gereicht werden. Da der Cholerakranke sehr apathisch ist, so muß er auf jede Art zu diesem Wassertrinken gezwungen werden, selbst durch „Trinken oder Sterben?“ In einem Cholerahospitale sind deshalb vor allen Dingen viele und energische Wärter nothwendig, weil höchstens drei bis vier Kranke von einem Wärter so gepflegt werden können, wie es der Zustand verlangt. Wenn freilich die Aerzte und Wärter vom öftern Darreichen des heißen Wassers deshalb abstehen, weil der Kranke nicht trinken mag, dann steht’s schlecht um die Kranken, zumal wenn die Aerzte der Opiumtinctur ihr ganzes Vertrauen schenken.
  3. Das Liebig-Pettenkofer’sche Fleischextract genieße man in guter, fetter Fleischbrühe, wodurch es schmackhafter und noch nahrhafter wird.
  4. Unter den Malzextracten kann der Verfasser nach seiner Erfahrung ganz besonders empfehlen: Das chemisch-reine, von Dr. Linck bereitete Malzextract, welches ganz frei von Weingeist und Kohlensäure ist, nur einen kleinen Zusatz feinen Hopfens hat und in Stuttgart von Heinsius verkauft wird; das kleberhaltige Malzpräparat des Dr. Döbereiner in Freiburg an der Unstrut, welches außer seinem Eiweiß-(Kleber-)Gehalte auch noch die phosphorsauren Salze der Gerste enthält; das Trommer’sche Malzextract. Diese Malzextracte können in Wasser, Bier, Milch etc. genossen werden und nach Bedürfniß in kleinerer oder größerer Quantität (s. Gartenl. 1862, Nr. 19).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1854. Nr. 26