Kloster Lehnin

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Titel: Kloster Lehnin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, 9, S. 129–130, 150–151
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Kloster Lehnin.

Ein Stück märkischer Romantik.

Nein, sie ist in Deutschland nicht so ganz ausgestorben, die blaue Wunderblume, die vor Zeiten eine so große Rolle gespielt und einem ganzen Abschnitte unserer Literatur ihren Namen gegeben hat. Aber sie blüht selten an den großen Heerstraßen des modernen Verkehrs; sie hat sich verschämt in die Einsamkeit geflüchtet und fristet in der friedlichen Stille abseits gelegener Thäler ihr träumerisches Dasein. Wer aber ein guter Botaniker und daneben zufällig ein Sonntagskind ist, der wird sie noch heute zu finden wissen, und wer sie fand, den erquickt die Blume der Romantik noch heute dankbar mit ihrem Dufte.

Im Zauch-Belziger Kreise der ob ihrer landschaftlichen Nüchternheit mehr als billig verrufenen Mark, zwei Meilen südöstlich von Brandenburg und gegen drei Meilen südwestlich von der königlichen Residenzstadt Potsdam entfernt, liegt Lehnin, ein Städtchen von gegenwärtig etwa 2000 Einwohnern. Von Großkreuz, einer Station der Berlin-Magdeburger Bahn zwischen Potsdam und Brandenburg, erreicht man den kleinen Ort zu Fuß in ungefähr zweieinviertel Stunden; zieht man Fahrgelegenheit vor, so bietet sich entweder die kaiserliche Post selbst, oder aber eine Art von Postfuhrwerk dar, welches ein Briefträger auf eigene Rechnung hält und bei dem nur die Adjustirung des Kutschers an einen Zusammenhang mit der gedachten wichtigen Reichsinstitution erinnert. In beiden Fällen verringert sich die Entfernung von der Bahnstation Großkreuz nach dem Städtchen Lehnin bis auf etwa eine Stunde, doch ist hierbei zu bemerken, daß leider die postalische Verbindung zwischen beiden Punkten eine herzlich mangelhafte genannt werden muß, dergestalt, daß der Reisende, der wegen seines Gepäckes oder aus sonstigen Gründen sich auf diese Art der Beförderung angewiesen sieht, unter Umständen Stunden lang zu warten hat, bevor das Gefährt sich in Bewegung setzt. Heiliger Stephan, hilf!

Die Klosterkirche von Lehnin.
Originalzeichnung von W. Schuffenhauer.

Von Kreuz aus führt der Weg zunächst durch fußtiefen Sand, durch den die Pferde sich nur mühsam hindurcharbeiten. Später folgt eine Strecke Lehmweg, der den Thieren gestattet, sich von den soeben überstandenen Strapazen einigermaßen zu erholen. Zuletzt erreichen wir glücklich eine wohlgepflegte Chaussee, auf der uns die Rosse in nunmehr beschleunigter Gangart unserem Reiseziele entgegenführen.

Lehnins Lage ist – wenigstens nach märkischen Begriffen – eine überaus anmuthige, man könnte sagen: romantische. Die Hochebene von Kreuz und ausgedehnte Fichtenwaldungen verdecken den Ort, bis man ihn, wenn auch nicht in einem tiefen Thale, so doch in einer dem Anscheine nach früher sumpfig gewesenen Niederung plötzlich vor sich sieht; Seen, Wälder und kleine freundliche Häuser mit weißen Giebeln und rothen Ziegeldächern geben das Bild des Ganzen.

Ueber die Gründung Lehnins cursiren verschiedene Sagen, von denen hier wenigstens eine Platz finden möge. Otto der Erste aus dem askanischen Hause, der Sohn Albrecht’s des Bären, des Wendenbesiegers in der Mark, hatte sich, von seinem Gefolge getrennt, auf der Jagd verirrt und war unter einem schattigen Eichenbaume eingeschlafen. Da sah er im Traum eine Hirschkuh, die ihn ohne Scheu unablässig verfolgte, bis er sie, der Belästigung überdrüssig, durch einen wohlgezielten Pfeilschuß niederstreckte. Das [130] seinen Fürsten suchende Gefolge, unter welchem sich zufällig einige Räthe („Geheime Hofräthe“ würden wir heute sagen) befanden, rieth ihm nach Anhörung des Traumes, an dieser Stelle eine Burg zu erbauen; denn die Hirschkuh bedeute das Wendenvolk. Otto aber erwiderte: „Eine Burg will ich hier gründen, aber eine solche, von der aus alle teuflischen Widersacher verjagt werden durch die Stimmen geistlicher Männer, und ich selbst will darinnen den jüngsten Tag erwarten.“ So ward das Kloster um’s Jahr 1180 erbaut, und Otto nannte es „Lehnin“, zu deutsch: Hirschkuh. Also die Sage, der augenscheinlich gewisse geschichtliche Thatsachen zu Grunde liegen.

Wie man weiß, hatte Albrecht der Bär die Wenden in der Zauche durch Waffengewalt besiegt, die im Teltow aber durch Vertrag sich unterworfen. Aeußerlich beugten sie sich vor der Macht, innerlich aber hielt dieses zähe Volk nach wie vor fest an seinen heidnischen Gebräuchen und an seiner Nationalität. Ein vollständiger Sieg der Deutschen konnte nur durch Einführung des Christenthums errungen werden. Mehr als Albrecht erkannte dies Otto, und so wählte er sich zu diesem Zwecke diejenigen Verbreiter der christlichen Lehre aus, welche ganz und voll von deren Wahrheit durchdrungen und der großen Sache die schwersten Opfer zu bringen bereit waren: er ließ die Cisterzienser Mönche kommen.

Wie die Wenden sich mit Vorliebe an Sümpfen anbauten, so suchten auch die Cisterzienser die düstersten und unwirthlichsten Plätze auf, um von da aus durch Wort und Beispiel auf das Volk zu wirken. Die Zahl der Mönche belief sich auf einige dreißig; sie bildeten einen Convent, der einen aus freier Wahl hervorgegangenen Abt an seiner Spitze hatte. Wie mächtig übrigens Kloster Lehnin in kurzer Zeit emporgeblüht sein muß, das geht unter Anderem auch aus der Thatsache hervor, daß von hier aus die Klöster Chorin, Himmelpfort und Neuzelle gegründet und mit Mönchen besetzt wurden.

Der erste und zugleich bedeutendste Abt von Lehnin war Sebaldus, der in Ausübung seiner Amtspflicht den Märtyrertod starb. Ueber die Ursache seines Todes lauten die Ueberlieferungen verschieden. Der im Volke verbreitetsten Legende zufolge ging Sebaldus in Begleitung eines Mönchs eines Tages nach einem entfernter gelegenen Orte; auf dem Rückwege kehrten sie ermüdet in das Dorf Namitz ein. Hier erregt die Ankunft der beim Volke verhaßten Mönche große Aufregung; die Kinder erheben ein Geschrei, und die in den Häusern anwesenden Frauen suchen sich eiligst zu verstecken. Der Abt, nichts Böses ahnend, tritt in eins der Häuser ein und setzt sich, um auszuruhen, auf einen umgestürzten Backtrog, unter dem eines jener furchtsamen Weiber einen Unterschlupf gesucht hatte. Ihr Kind eilt zu dem Vater auf’s Feld und meldet ihm, der Abt sei im Hause und säße bei der Mutter. Daraufhin stürzen die Männer in’s Dorf, bewaffnen sich mit Aexten und dringen auf den Abt ein; dieser ergreift die Flucht und erklettert im nahen Walde einen Eichbaum. Vielleicht wäre er hier, durch dichtes Laubwerk versteckt, gerettet worden, hätte er nicht zum Unglück ein Bund Schlüssel verloren, das von den Verfolgern gefunden ward und ihn so verrieth; der Baum wurde gefällt und der Abt getödtet. So berichtet die Sage.

Die Eiche, unter welcher Otto, der Stifter des Klosters, begraben sein soll, ließ man so lange stehen, bis das Dach der Kirche aufgelegt werden mußte, worauf man sie bis zur obersten Stufe der zum Chore hinaufführenden Treppe absägte. Der Stamm ist heute noch sichtbar, doch erzählt man, derselbe habe keine Wurzel, sondern sei auch unten glatt abgeschnitten. Zu erwähnen ist noch, daß die Einrichtung des Klosters erst zweiundachtzig Jahre nach seiner Gründung, und zwar im Jahre 1262 durch den Erzbischof von Magdeburg und die Bischöfe von Havelberg und Brandenburg bewirkt wurde.

Die Aufgabe der Mönche von Lehnin, nämlich die Beförderung der deutschen Cultur im Zauch-Belziger Kreise und im Teltow, war längst erreicht, als die Reformation dem Fortbestehen des Klosters ein Ende machte. Im Jahre 1539 ward die neue lutherische Lehre unter Joachim dem Zweiten in der Mark eingeführt, doch gebot der Kurfürst die Aufhebung des Klosters aus Pietät gegen seinen dort ruhenden Vater und aus persönlicher Hochachtung für den dasselbe damals verwaltenden Abt Valentin nicht sofort. Nachdem jedoch Letzterer im Jahre 1542 das Zeitliche gesegnet hatte, wurde Lehnin in ein kurfürstliches Amt verwandelt; das Kloster hat also im Ganzen 362 Jahre bestanden.

Die ehemalige Klosterkirche hat eine romanische Basilika, ein langes und in schönem Verhältniß der Breite zur Höhe gehaltenes Mittelschiff und zwei ungefähr halb so hohe Seitenschiffe. Ein Querschiff, welches Chor und Langschiff trennt, bildet mit diesem ein römisches Kreuz, und ein Theil des Langschiffes liegt jenseits des Querschiffes und vertieft das Chor wesentlich. Auch die äußeren Formen der Kirche sind einfach und edel gehalten, und zwar der Hauptsache nach in romanischem, einzelne Bautheile jedoch, die erst in späterer Zeit hinzugefügt worden, in gothischem Stile. Nachdem unter König Friedrich dem Zweiten behufs Gewinnung von Baumaterial die Seitenschiffe und das Gewölbe des Langschiffes bis zum Querschiffe weggerissen und an deren Stelle eine Balkenschaldecke angebracht worden war, wurde von Friedrich Wilhelm dem Vierten zuerst der Gedanke angeregt, die Lehniner Klosterkirche in ihren ursprünglichen Formen wieder herzustellen, und wurden noch unter der Regierung dieses kunstsinnigen Fürsten die bezüglichen Pläne gezeichnet; da sich jedoch kein vollständiges Bedürfniß herausstellte, so unterblieb einstweilen die Ausführung. Je rascher sich aber Lehnins Einwohnerschaft durch die seitdem erfolgte Anlage größerer Ziegeleien vermehrte, um so dringender machte sich ein Zurückgreifen auf jenen Gedanken der Erneuerung nöthig, und so wurde denn die Wiederherstellung der Kirche nach den vorhin erwähnten Plänen in ihrem alten Grundriß und in ihren alten Formen vor etwa zehn Jahren in Angriff genommen und unlängst beendigt. Merkwürdig war es, daß die königliche Genehmigung zum Aufbau genau in den Zeitpunkt fiel, da König Wilhelm in Versailles zum deutschen Kaiser proclamirt wurde, was uns Veranlassung giebt, auf die Lehninsche Weissagung näher einzugehen.

[150] Das Kloster Lehnin wäre wohl längst der Vergessenheit anheimgefallen, wenn nicht ein literarisches Curiosum ihm zu einem besonderen Ruf, zu einer fast populären Berühmtheit verholfen hätte. Das ist die sogenannte „Lehninische Weissagung“ – das „Vaticinium Lehninense“ – auf welche am Schlusse der ersten Hälfte dieses Artikels hingewiesen worden und über die nun das Wesentlichste berichtet werden soll.

In den achtziger Jahren des siebenzehnten Jahrhunderts wurden in geheimnißvoller und offenbar ebenso vorsichtiger als kluger Weise Abschriften einer lateinischen Dichtung an’s Licht gebracht, [151] welche das Schicksal des Hohenzollern’schen Herrscherstammes vom Untergang der Askanier, des gräflichen Hauses, das vor den Hohenzollern in Brandenburg regiert hatte, bis zum Untergange der Hohenzollern weissagte. Nicht blos in fürstlichen Archiven fanden sich Abschriften; das angebliche Original auf Pergament mußte der Große Kurfürst selbst auf einer Reiherbeize in einer Mauerspalte der Klosterruine von Lehnin entdecken.

Abgedruckt wurde das Gedicht zum ersten Male 1723 in dem von Lilienthal in Königsberg herausgegebenen „Gelahrten Preußen“ nach einem „in einem Landes-Archiv“ vorgefundenen Manuscript. Während der Regierungszeit Friedrich’s des Großen erschienen neue Drucke 1741 ohne Ortsangabe, 1745 in Berlin und Wien, 1746 in Frankfurt und Leipzig und 1758 in Bern.

Betrachten wir nun das Gedicht selbst! Es besteht aus hundert gereimten Hexametern (dem sogenannten „Leoninischen Versmaße“, bei welchem in Hexameter und Pentameter die Endworte der Cäsur und des Verses sich reimen) in eleganter und correcter Sprache und soll von einem Mönch Hermann um 1300 verfaßt worden sein. Der Inhalt der Weissagung gab jedoch der Kritik schon kurze Zeit nach der Veröffentlichung derselben Veranlassung zu der Beweisführung, daß es in weit späterer Zeit verfaßt und das Ganze darnach eine Fälschung sei. – Diese Weissagung beginnt mit der Klage über den Untergang des Geschlechtes der Askanier, das im Kloster Lehnin eine Fürstengruft hatte, und geht dann zur Schilderung des Hohenzollernstammes über, dessen Regenten charakterisirt werden bis auf das elfte Geschlecht. Der Vertreter desselben wird „Stemmatis ultimus“, der letzte des Stammes sein, nach welchem

Zum Hirten kehrt die Heerde, zum König Germanien wieder,
Und in der Mark sinkt nun die alte Drangsal zu Boden.
Statt des Fremden genießet froh der Erzeugte des Landes,
Und es entsteht von Lehnin und Chorin die alte Bedachung,
Und kein Wolf darf mehr die Wohnung der Heerde umschleichen.“

Dem prüfenden Blicke konnte es nicht entgehen, daß die Charakteristik der Hohenzollern’schen Regenten bis zur Zeit des Großen Kurfürsten auf offenbar geschichtlicher Grundlage beruht, und daß dann erst das unsichere Tasten der Weissagung mit den vieldeutungsfähigen Phrasen beginnt, aus welchen die Absicht mehr herauslesen kann, als darin liegt. Schon von Friedrich dem Ersten weiß der Prophet nicht, daß sich derselbe in Königsberg die Königskrone aufsetzte. Von Friedrich Wilhelm dem Dritten heißt es:

„Blüh’n wird der Sohn und erhalten, was niemals zu hoffen er wagte,
Doch wird traurig das Volk die Ungunst der Zeiten beklagen;
Denn es nahet die Zeit, die Großes im Schooße verschließet,
Und der Fürst weiß nicht, daß neue Gewalten entstehen.“

Mit diesem Fürsten hätte die Weissagung sich erfüllen müssen; denn er war der Vertreter des elften Geschlechts. Längst aber hatte die politische Speculation sich des Gegenstandes bemächtigt, und damit Wilhelm der Erste als Stemmatis ultimus erscheinen könne, traten ultramontane Vertheidiger für die Echtheit der Wahrsagung mit der Behauptung ein, Friedrich der Große und Friedrich Wilhelm der Vierte könnten in der Reihe nicht mitzählen, weil sie selbst ohne Nachkommen gestorben seien.

Diese durch derlei Nutzanwendung der Sage verliehene Wichtigkeit und der Glaube, den sie in weiten Schichten des Volkes fand, bewogen zuerst den König Friedrich Wilhelm den Dritten, den berühmten Geschichtsforscher Friedrich Wilken mit einer Prüfung der Weissagung zu beauftragen. Und der König hatte um so mehr Grund dazu, als durch sein Unglück der Triumph des prophetischen Mönchs als gesichert erschien; denn war in Folge der Siege Friedrich’s des Großen die Sage von Lehnin völlig eingeschlafen, so weckte der Kanonendonner von Jena und Auerstädt sie zu neuem Leben.

Unter dem Titel „Hermann von Lehnin, der durch die alte und neue Geschichte bewährt gefundene Prophet des Hauses Brandenburg“ erschien 1808 mit Angabe der Druckorte Frankfurt und Leipzig eine neue Ausgabe der Wahrsagung, deren Herausgeber ohne Weiteres die Lehnin’sche Wahrsagung durch den Sturz Preußens für erledigt und den König für den letzten Hohenzollern-Regenten erklärte. Die Noth macht abergläubisch, und in jenen Tagen des tiefsten Unglücks in Preußen konnten solche Schicksals-Enthüllungen im Volke nur von niederdrückendster Wirkung sein.

Aber nicht blos in Deutschland benutzten die Feinde Preußens und des Protestantismus den Mönch von Lehnin als unfehlbaren Kampfführer; in Belgien veröffentlichte ein Louis de Bouverot ein Werk „Extrait d’un manuscrit relatif à la prophétie du frère de Lehnin, avec des notes explicatives“ (Auszug aus einem Manuscript, bezüglich der Prophezeiung des Klosterbruders von Lehnin, mit erklärenden Noten), welches, wenn auch erst zwanzig Jahre später, aber doch mit derselben Absicht W. von Schütz als „Weissagung des Bruders Hermann von Lehnin nach der belgischen Ansicht“ (Würzburg 1847) dem deutschen Publicum vorlegte. Das war nur ein Vorläufer für die Sturmzeit. Während derselben kamen noch fünf neue Ausgaben der Weissagung, von Boost, Wilhelm Meinhold, Rösch, Guhrauer und Heffter („Geschichte des Klosters Lehnin“) auf den Büchermarkt. Die von Seiten der Ultramontanen veranstalteten verfolgten ausschließlich den Zweck, den Untergang des preußischen Herrscherhauses und den Sieg des Papstthums in Deutschland als durch göttliche Verheißung gesichert darzustellen.

Daß die ganze Weissagung eine Fälschung sei, hat zuerst (schon 1746) der Pfarrer Weise in Lehnin dargethan, und später forschte man besonders dem wahren Verfasser des Gedichtes nach. Wilken glaubte ihn in dem (1693 in Berlin gestorbenen) Kammergerichtsrath und Consistorialassessor Martin Friedrich Seidel gefunden zu haben, weil von dessen Hause die Verbreitung der Schrift ausgegangen und er selbst ein trefflicher lateinischer Stylist und Dichter gewesen sei. Dagegen erkennt der Berliner Gelehrte Valentin Schmidt in seiner Widerlegung der Weissagung den wahren Verfasser in einem Convertiten, dem ehemaligen lutherischen Consistorialrath und Propst an der Petrikirche in Berlin Ludwig Andreas Fromm, und ihm schließt sich auch Hilgenfeld in Jena in seiner Schrift „Die Lehnin’sche Weissagung“ (Leipzig 1875) an.

In der That trifft bei diesem Manne Alles zu, was eine Ausschreitung des Hasses zu einer solchen Rachethat erklärbar macht. Fromm war orthodoxer Lutheraner und trat in seinem Eifer gegen die Reformirten so heftig auf, daß ihm eine Disciplinaruntersuchung drohte. Dieser entzog er sich 1666 durch die Flucht zunächst nach Wittenberg. Als er aber auch dort nicht die Aufnahme fand, deren er sich versehen, ging er nach Prag. Dort trat er 1668 zur katholischen Kirche über, wurde zum Domherrn von Leitmeritz befördert und starb daselbst 1685. Man braucht schwerlich eine noch geeignetere Persönlichkeit zu suchen, um ihr eine solche Ausgeburt des Fanatismus zuzutrauen, dies um so weniger, als es Fromm außerdem auch nicht an Geist und Gewandtheit zu derselben gebrach.

Wenn dennoch der alte unheimliche Wahrsager von Lehnin noch immer nicht ganz zur Ruhe kommt, so ist namentlich bei unserem deutschen Volke der Hang zum Sagenhaften und Wunderbaren mit schuld daran. Oft ist sogar ein geheimnißvoller Zug von Pietät damit verbunden, namentlich für diejenigen, welche ein geschichtliches Band mit einer solchen zum Volkseigenthum gewordenen Sage verknüpft. Auch im preußischen Königshause hat die nahezu vollständige Aufklärung der Entstehung jener Weissagung dieses Band nicht ganz zu lösen vermocht. Es war offenbar jener pietätvolle Zug, der unseren Kaiser leitete, als er an jenem 18. Januar 1871, an welchem „Germanien zu seinem Könige wiedergekehrt“, befahl, daß „für Lehnin auch die alte Bedachung erstehe.“ – Dieser Abschluß ist der würdigste, den die Lehnin’sche Weissagung finden konnte.