Kriegsbriefe eines neutralen Offiziers/Kriegsbilder aus der Grenzfestung

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Schonung von Kunstschätzen im Kriege Kriegsbriefe eines neutralen Offiziers
von Karl Müller
Bei den Österreichern und Ungarn im Westen
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Kriegsbilder aus der Grenzfestung
I

Das Bild deutschen Soldatenlebens, das sich in der Grenzfestung Metz, der größten und stärksten des Reiches, entfaltet, zeigt in diesen Kriegszeiten ein vorwiegend ernstes Gesicht, dem aber auch Züge anmutigen Frohsinns nicht fehlen. Wenn am Abend und besonders an den Sonntagen die Kasernen der Garnisonstadt sich entleeren, so ergießt sich durch die Straßen und in die großen Wirtschaftsräumlichkeiten ein lebendiger Strom kampffroher Männer, umgeben von Bürgern und Bürgerinnen, Frauen und Kindern, Freunden und Freundinnen. Das Gesellschaftsleben in Metz bietet dann ein ebenso friedliches wie demokratisches Bild. Da sieht man im gleichen Raume, am gleichen Tische Offiziere aller Gradstufen neben Unteroffizieren und Gemeinen beisammen sitzen. Der Krieg hat die Standesunterschiede nicht allein in Reih und Glied verwischt, wo der Reiche neben dem Armen, der Vornehme neben dem Geringen, der Adelige neben dem Arbeiter für die gleiche Sache steht und fällt, er hat auch im gesellschaftlichen Verkehr manche Schranke beseitigt, manches Vorurteil über Bord geworfen. Es ist fast nicht zu denken, daß diese Annäherung der Bevölkerungsklassen, die auch im politischen und Parteileben Deutschlands gleich mit dem Kriegsausbruch eine Wandlung geschaffen hat, die vor vier Monaten niemand für möglich gehalten hätte, nach dem Kriege ganz spurlos vergehen sollte. [101] In dem friedlichen Getriebe des lebhaft pulsierenden Straßen- und Geschäftsverkehrs taucht da und dort ein verwundeter oder ein mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichneter Krieger auf und ruft das Bewußtsein wieder wach, daß Kriegszeit ist. Und der Kanonendonner, der, bald schwächer, bald stärker, bald wie ein fernes Gewitterrollen, bald als dumpfes heftiges Dröhnen der Batteriesalven, aus denen die Schläge der einzelnen Geschütze deutlich vernehmbar sind, von Süden und Westen herüberdröhnt, mahnt daran, daß in der Entfernung von wenigen Stunden fast fortwährend Kampf und Verderben ihre blutige Ernte halten. Von erhöhtem Standorte in der Umgebung der Stadt aus ist mit dem bewaffneten Auge in der Dämmerung bisweilen in der Richtung von Pont à Mousson sogar das Aufblitzen der Geschütze sichtbar.

Die Festung und Garnisonstadt Metz erfüllt ihre Aufgabe als Grenzwehr nicht allein durch die Stärke und Ausdehnung ihrer Befestigungen und deren Bestückung und durch ihre starke Besatzung, sondern auch als Ein- und Ausgangstor für die deutsche Schlachtfront an der Maas. Täglich gehen hier auf den Straßen und Schienenwegen Nachschübe und Rückschübe aus und ein: Munitions- und Proviantkolonnen, lange Züge von bespannten Räderfuhrwerken, die leer ein- und hochbeladen wieder ausfahren, Sanitäts-Eisenbahnzüge, Motorkraftwagen aller Art, schwere Lasten in das Operationsgebiet befördernd. Täglich [102] belebt sich das Straßenbild durch den Einmarsch von Truppenabteilungen, die von der Übung in die Kaserne zurückkehren oder durch den Abmarsch von Ersatztruppenteilen, die am Bahnhof verladen und an die Front geführt werden. Auf den Kasernen- und Exerzierplätzen werden Rekruten, Kriegsfreiwillige, Ersatzreservisten und unausgebildete Landsturmleute eingeübt. Der Andrang der Freiwilligen war beim Kriegsausbruch so ungeheuer gewesen — man spricht von zwei Millionen — daß sehr viele zurückgewiesen oder zurückgestellt werden mußten. Es gab solche, die von Garnison zu Garnison eilten und sich immer wieder zur Annahme meldeten. So zum Beispiel haben sich in Metz u. a. zwei Kriegsfreiwillige aus dem Königreich Sachsen gestellt, die, in der Heimat abgewiesen, bis hierher gekommen waren, um endlich ihren Wunsch, eingestellt zu werden, in Erfüllung gehen zu sehen. Bezeichnend ist das Gespräch zweier Kameraden, das hier als Anekdote herumgeboten wird. Ob wahr oder erfunden, es ist ein sprechendes Stimmungsbild: „Du, ich bin als Kriegsfreiwilliger angenommen!“ redet freudig bewegt der Freund den anderen an. "I was, hast du denn Protektion?“ erwidert der zweite! Kein Wunder, daß die jungen Truppen, die nun in die Front eingerückt sind, mit leidenschaftlichem Ungestüm und fast unbezähmbarem Tatendrang ins Gefecht ziehen. Das Wunderbare und Erhebende dieser in der Weltgeschichte bisher kaum erreichten opferfreudigen [103] Hingabe von Leib und Leben besteht darin, daß sie sich nicht als bloßes Strohfeuer geäußert und nachher verflüchtigt hat, sondern daß der Andrang zu den Fahnen auch heute noch anhält, trotz der Veröffentlichung der entsetzlich langen Verlustlisten, deren Namen Tag für Tag die Spalten der Zeitungen füllen, trotz den Anstrengungen, Leiden und Entbehrungen, die der Wehrmänner im Felde warten, trotz den Gefahren, die es fast zu einem Glücksfall machen, wenn einer heil und unversehrt heimkehrt. Die vaterländische Begeisterung, die im Taumel der Mobilmachung und der ersten erfolgreichen Kriegswochen so hohe Wellen schlug, ist nicht verraucht, sondern sie hat sich vielmehr vertieft und standgehalten bei der Vergrößerung der Gefahr und Vermehrung der Schwierigkeiten, die sich auftürmten und dem ersten Siegeslauf unerwartete Hemmnisse entgegenstemmten. Viele, die vorläufig zurückgestellt waren, sind nun, nachdem das erste Aufgebot der Kriegsfreiwilligen ausgebildet ist, einberufen worden, und freudig melden sie sich immer noch zu den Fahnen, trotzdem fast ein jeder einen guten Freund oder lieben Verwandten hat — und Tausende haben ihrer mehrere! — deren Namen in der Verlustliste unter den Gefallenen zu lesen war. Jetzt erst recht äußert sich die unerschütterliche Standhaftigkeit, männliche Entschlossenheit und in der Arbeit mehrerer Menschenalter anerzogene Kriegstüchtigkeit des deutschen Volkes. [104] Außer den Rekruten und den früher zurückgestellten Kriegsfreiwilligen werden jetzt allmählich auch die im Frieden nicht ausgebildeten Leute der wehrpflichtigen älteren Jahresklassen eingezogen. Täglich kann man jetzt große Truppen solcher Mannschaften auf dem Bahnhofsplatz stehen oder einer Kaserne, einem Zeughaus zumarschieren sehen, ausgerüstet mit einer warmen gerollten Wolldecke und einem Rucksack, den man jetzt auch häufig an Stelle des Tornisters bei Landsturm-Abteilungen sieht. Aussehen und Körperbau der eingezogenen Leute lassen den sicheren Schluß zu, daß Deutschland noch über starke und körperlich tüchtige, den Strapazen des Felddienstes gewachsene Reserven verfügt und auf minderwertige, den Anforderungen des Heeresdienstes nicht gewachsene Leute nicht zurückzugreifen braucht.

An Offiziers- und Unteroffizierskaders zur Ausbildung der Neueingezogenen scheint, wenn auch kein Überfluß, doch auch kein Mangel zu sein. Der Geist der Garnisontruppen sowohl wie der neu an die Front gehenden oder zurückkehrenden Truppenabteilungen ist gehoben und zuversichtlich, ernst-entschlossen und doch mit dem gesunden Soldatenhumor gepaart, der zu allen Zeiten das Zeugnis und der Ausfluß echt kriegerischer Moral gewesen ist. Ein frischer, froher Sinn äußert sich auf dem Marsche wie in der Ruhe. Es ist jedesmal ein Anblick, der das Herz bewegt, eine Kompanie oder ein Ersatzbataillon ins Feld abmarschieren zu sehen. Unter Trommelschlag [105] und Trompetenschall einer Garnisonmusik marschieren sie im Gleichschritt durch die Straßen der Stadt zum Bahnhof, in freier, ungezwungener Haltung, die Gewehre bequem auf der rechten oder linken Schulter. Die Infanterie-Offiziere, selbst die berittenen, sieht man häufig mit dem Kurzgewehr, das heißt dem Karabiner, ausrücken, der am Riemen quer über den Rücken getragen wird. Jauchzer und fröhliche Zurufe schallen aus der Kolonne in die Reihen der spalierbildenden Bürger hinein oder zu den Fenstern hinauf. Manch einer tritt auch noch rasch aus Reih und Glied und bietet im Vorübergehen einem Bekannten oder einer Schönen die Hand zum Abschiedsgruß. Niemand wehrt es ihm. So zogen sie vorbei, Gewehre und Kopfbedeckungen mit grünen Zweigen, Blättern oder herbstlichen Blumen geschmückt, solange solche zu finden waren. Jetzt wo Winterfröste und frühe Winterstürme Bäume und Sträucher ihres letzten Schmuckes beraubt haben und die letzten Astern verblüht sind, tragen sie als Schmuck Fähnchen und kleine Flaggen in den Reichsfarben und Landesfarben des Bundesstaates, dem sie entstammen, Papierblumen und allerhand farbiges Flitterwerk. Letzter Tage sah ich den Ausmarsch einer bayerischen Truppenabteilung. Diesmal waren es nicht junge, frischausgebildete Mannschaften, die ins Feld zogen, sondern meist ältere, bärtige Leute, von denen wohl fast jeder Weib und Kind zu Hause hat. — Es war Landwehr. „Geht’s an die Front?“ frage ich, die Kolonne [106] begleitend, einen Wehrmann. „Jawohl, zum zweitenmal!“ Die Leute waren, wie ich weiter erfahre, zur Schonung und Erholung von vielwöchigem anstrengendem Felddienst auf Vorposten und in den Schützengräben, für einige Zeit in die Garnison nach Metz zurückgezogen worden und kehrten jetzt wieder an die Front zurück. Einmal sah ich auch ein reizendes Bildchen — zwei der Jüngsten der Jungen, blühende dreizehn- bis vierzehnjährige Knaben in der Uniform, den Helm auf dem Kopfe, vielleicht Pfadfinder, die sich im abenteuerlichen Tatendrange zum Freiwilligendienste gemeldet hatten, und bei einer Truppe zu einem Hilfsdienste angenommen worden waren. Deutsche Zeitungen haben sich entschieden gegen die Annahme von schulpflichtigen Knaben ins Heer ausgesprochen und etwas schulmeisterlich dagegen Einspruch erhoben; die gehören, wurde geschrieben, auf die Schulbank, nicht ins Heerlager. Das wird im allgemeinen richtig sein. Wenn in einzelnen Fällen eine Ausnahme von der Regel gemacht worden ist, so liegt doch wohl kein Grund zu philisterhafter Entrüstung vor. Daß die Pfadfinderbewegung der Wehrhaftigkeit des Volkes gute Dienste leistet, durch Förderung der körperlichen Bildung, durch Stählung der Willens- und Widerstandskraft der jungen Leute und Förderung ihrer Unternehmungslust und Findigkeit, ist unbestreitbar. Ein gut entwickelter Metzer Kriegsfreiwilliger von etwas über vierzehn Jahren, der in Reih und Glied steht, [107] ist jüngst irgendwo an der Westfront in dunkler Nacht, ganz wie es im Buche steht, nach Indianerart aus dem deutschen Schützengraben vorgeschlichen in die französische Stellung und hat dort eine feindliche Telephonleitung durchschnitten, und das jugendliche Alter hinderte nicht, daß er die Heldenauszeichnung des Eisernen Kreuzes erhielt.

II

Von der Führung wird alles getan, um den guten soldatischen Geist im Garnisondienste zu pflanzen und im Felde zu erhalten. Der Dienst im Stellungskriege stellt außerordentliche Anforderungen an die körperliche und seelische Spannkraft, deren Erhaltung erzielt wird durch ausreichende Nahrung, zweckmäßige Schonung der Kräfte, durch zeitliche Ablösung der Besatzungen der Schützengräben. Man verhütet es nach Möglichkeit, die Kräfte der Leute bis zur Erschöpfung anzustrengen. Gesundheitlich Angegriffene werden rechtzeitig zur Erholung in den Garnisondienst zurückgezogen oder erhalten Urlaub. Man sieht denn auch hier fortwährend eine Menge Beurlaubter. Selbst gesunde Leute werden nach einer größeren Leistung oder nach längerem anstrengendem Dienste für mehrere Tage nach Hause beurlaubt. Ich war höchlich erstaunt, letzter Tage im Bahnzug Metz-Diedenhofen einige Pioniere, welche die Erstürmung des Forts Camp des Romains bei St. Mihiel mitgemacht, anzutreffen, die auf Befragen erklärten, sie seien für zehn [108] Tage beurlaubt. Sie fuhren nach dem Norden an die Wasserkante.

Der Krieg schafft gute Kameradschaft. Sie besteht in hervorragendem Maße zwischen den Offizieren unter sich. Der Anruf Kamerad, der jetzt gang und gäbe ist, hat einen besonderen Unterton. „Ach, Sie auch da, Herr Kamerad, und mit so einem struppigen Bart“ — so lautete der Gruß eines Offiziers an seinen Kameraden, den er seit langem nicht mehr gesehen und jetzt durch Zufall im Felde wiederfand. Feldgrau und Feldtoilette machen die Gradunterschiede schwer kenntlich. Gute Kameradschaft wird insbesondere auch gegenüber den öfters hier anwesenden österreichischen Offizieren und Mannschaften geübt, die mit großer Aufmerksamkeit und Zuvorkommenheit behandelt werden. Es ist echtes Soldatenblut, gutgebaute, lebenslustige, bewegliche Mannschaft von gewinnender österreichischer Herzlichkeit. Die Bevölkerung ist ihnen zugetan, die Herzen der Weiblichkeit nicht ausgeschlossen.

Gutes kameradschaftliches Vertrauen besteht zwischen Offizieren und Mannschaften, im Garnisondienst wie im Felddienst. Im Felde, in der Kaserne, am Wirtshaustisch treibt der Soldatenhumor und Soldatenwitz, oft vermischt mit einem Körnchen Selbstspott, seine Blüten. Witzig bezeichnen die Soldaten die Granaten als französische Liebesgaben, als Zuckerhüte von Toul. „Die Sakramentsgranaten! Schickt's doch [109] a mal a Flasch’n Bier herüber!“ meinte ein Bayer im Schützengraben vor Verdun. An einer Holzbaracke, in der Nähe von Metz, die als Kantine eingerichtet ist, haben Hamburger Soldaten die Worte angeschrieben: Alster-Pavillon. Das Glas Bier 50 Pfennig. Hamburger Gebiet. Alster-Pavillon heißt bekanntlich einer der vornehmsten und teuersten Wirtschaftssäle in Hamburg. Mit der Aufschrift Hotel Marquardt, dem Namen des feinsten Gasthofes von Stuttgart, bezeichnen wiederum die Württemberger ihre Kantine.

In einem Etappenort hatte ein Haus mitten im Städtchen einer neuangelegten Bahn weichen müssen, nur die hinteren Hälften der Zimmer zeugten von entschwundener Pracht. Aber geschickt hat die bauende Eisenbahnkompanie diesen Rest einem neuen Zweck zugewiesen: An dem größeren Raum prangte ein Wartesaal I. und II. Klasse, am kleineren ein Wartesaal III. und IV. Klasse; gleichzeitig untersagte aber ein Plakat Überschreiten der Geleise streng verboten die Benutzung der einladenden Warteräume. Auch die Topographie der Schützengräben bringt manchen lustigen Namen. Natürlich bekommen die Gräben mit Vorliebe recht pompöse Bezeichnungen: Kaiser-Wilhelm-Ring, Hohenzollernstraße, Kronprinzenplatz, Klänge, die ihren augenblicklichen Bewohnern liebe heimatliche Erinnerungen wachrufen. Diese Bezeichnungen bürgern sich so ein, daß sie ihrer Kürze halber offiziell werden; Kaiserstraße ist kürzer und genau so präzis wie [110] Schützengraben auf Höhe X. Solche gute Worte kennzeichnen die Stimmung der Truppen.

Sehr eifrig wird der Soldatengesang gepflegt. Ich glaube in der Stadt und deren Umgebung noch keine ausrückende oder von der Übung heimkehrende Kompanie begegnet zu haben, die nicht ein lautes, kräftiges, taktfestes Marschlied gesungen hätte. Es ist mir eine helle Freude, zuzuhören, wenn eine Kompanie unter meinem Fenster durch die enge Gasse vorbeizieht, der letzte Mann aus voller Brust herausschmetternd, was er herausbringt. Und wie sie singen, und was sie singen, das sagt dem auch etwas, der den Glauben hat, daß das Lied ein Ausdruck des Volksgemütes und der Volksstimmung ist. Es ist offenkundig, daß in der deutschen Armee die Pflege des Soldatengesanges zielbewußt als ein Stück Soldatenerziehung, als Mittel zur Hebung des guten Geistes und der moralischen Eigenschaften der Soldaten behandelt wird. Die zahlreichen Soldaten-Liedersammlungen — es liegen auf meinem Tische fast ein Dutzend solcher Hefte — zeugen für die sangesfrohe Stimmung. Jüngst begleitete ich während etwa einer Viertelstunde eine von der Übung einrückende Kompanie. Die Neugierde reizte mich zu vernehmen, was die Leute sängen. Ich hörte fünf Lieder. Das erste endete mit dem Kehrreim: Wir Deutsche fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt! Das zweite mit einem anderen: Haltet aus im Sturmgebraus! Das dritte war Die Wacht am [111] Rhein, das vierte das auch unseren Schweizersoldaten vertraute: Im Röseligarten will deiner warten. Und damit auch der dem Deutschen, wenn er fröhlich ist, so vertraute schwermütige Anklang nicht fehle, folgte als fünftes das vielgesungene Liedchen mit dem Kehrreim: Die Vöglein im Walde, die singen so wunderwunderschön, in der Heimat, in der Heimat, da gibt’s ein Wiedersehn.

Angenehm fällt dem fremden Beobachter der hohe Grad von Anstand und Höflichkeit auf, mit dem die deutschen Soldaten auf der Straße und im Wirtshaus, im öffentlichen Verkehr überhaupt fast durchwegs auftreten. Ich kann nicht beurteilen, ob dem immer im gleichen Maße also ist, oder ob der Ernst der Zeit hier erziehend mitwirkt. Ich stelle nur fest, was ich sah.

Diese Zeilen waren geschrieben, als vom Turm des nahen Domes ein tiefer, schöner Glockenton an mein Ohr dringt, dann nach einer Pause von einer Sekunde noch einer, ein dritter, ein vierter und so weiter. „Die Mutte?“ frage ich mich schon beim ersten Glockenschlage. Ich hatte schon von ihr gehört. Die Bestätigung bleibt nicht lange aus. Die Mutte! die Mutte! die Mutte läutet! so tönt’s von der Straße herauf, und wie ich das Fenster aufreiße, da strömt schon alt und jung dem Dome zu. Die Mutte (La Mutte) heißt die berühmte, zweihundertundneunzehn Zentner schwere Stadtglocke des Metzer Domes, die bei feierlichen Anlässen oder großen Ereignissen geläutet, [112] richtiger gesagt: geschlagen wird. Zuletzt war’s nach dem Fall von Antwerpen. Auf dem Paradeplatz, zwischen Dom, Stadthaus und Hauptwache, ist, wie ich ankomme, schon eine ansehnliche Menschenmenge zusammengeströmt, Feldgrau ist darunter stark vertreten. Bald ist der große Platz dicht besetzt. Am Portal des Stadthauses ist eine starke Ehrenwache mit aufgepflanztem Bajonett aufmarschiert. Jetzt erscheint der Bürgermeister Dr. Foret unter dem Tore und verkündet, während die Mutte immer weiter tönt, dem Kreise, den seine Stimme erreicht, die Botschaft von dem neuen Erfolge im Osten: Vierzigtausend Russen gefangen, und das übrige. Ein dreifaches Hoch erschallt, und von Mund zu Mund pflanzt sich die Kunde weiter. Kein Lärm, kein Jubel. Ernst bleibt die Stimmung. Weiß doch jeder, daß das gewaltige Ringen noch nicht zu Ende ist, die Entscheidung in Ost und West noch aussteht. Mit klingendem Spiel rückt eine Garnisonmusik auf und spielt auf dem Platze einige Weisen. Dann strömt die Menge vor die Druckereien der Metzer Zeitung und der Lothringer Zeitung und vertieft sich ins Lesen der Extrablätter.