Lettische Volkslieder und Mythen/Geburt und Grab
← Verwaist und in der Fremde | Lettische Volkslieder und Mythen von Victor von Andrejanoff |
Liebeslust und Leid → |
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |
Unserer lieben Marja Stüblein
Ist voll kleiner Kinderwieglein;
Nur ein einz’ges ward geschaukelt
Und doch schwangen alle mit.
All den ganzen langen Sommer
Streiten Vater sich und Mutter:
Er wünscht einen Gerstenmäher,
Sie sich eine Deckenweb’rin[1]
Lieber Pate, liebe Patin,
Tragt mich schnell zur heil’gen Taufe!
Vater, Mutter möchten sonst
Namenlos mich auferziehen.
Paten, stochert nicht die Zähne
Nach dem Taufschmaus und dem Tauftrunk!
Schmerzen werden Täuflings Zähne,
Schelten wird er seine Paten.[2]
Wiege, Mütterlein, mich, wiege
In der großen Hängewiege!
Daß ich schlank und lang einst werde,
Eine flinke Leinenweb’rin.
Deine Schuld ist’s, liebe Mutter,
Daß zur Sängerin ich aufwuchs,
Weil du unters Wiegenkissen
Eine Nachtigall mir legtest!
Führt mich mit Gesang zu Grabe,
Nicht mit Weinen und mit Klagen:
Singend zieht dann meine Seele,
Singend ein beim lieben Gott!
Mit mir, der ich allen Freund bin,
Streitet doch ein Fleckchen Erde;
Wollt’ mit Gelde es beschwicht’gen,
Doch es giert nach meinem Leibe.
Führt mit flinken, braunen Pferden
Mich zum sand’gen Hügel fort!
Tanzend kehren heim die Braunen,
Aber ich kehr’ nimmer wieder.
Unerwartet kam die Stunde,
Unerwartet kam der Tod;
Gestern sang ich noch und jauchzte,
Heute schlaf’ ich unterm Rasen.
Besser ist es jung zu sterben
Oder alt, nicht in der Mitte:
Wer da stirbt in Lebens Mitte,
Läßt zurück zu viel der Lieben!
Wenn sein Stündlein hat geschlagen,
Stirbt der Junge, stirbt der Alte,
Muß verlassen dieses Sonnchen,
Ob es gleich so lieb gewärmt hat.
Schlafe, schlaf’, mein liebes Seelchen,
An des goldnen Kreuzes Ende!
Hast in raucherfüllter Stube
Lang’ genug gedampft, geschwelt.