Lose Blätter zu der Sammlung von Minnesingern gehörig (I)

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Autor: Georg Friedrich Benecke
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Titel: Lose Blätter zu der Sammlung von Minnesingern gehörig (I)
Untertitel:
aus: Wünschelruthe - Ein Zeitblatt. 32, S. 126-128
Herausgeber: Heinrich Straube und Johann Peter von Hornthal
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Vandenhoeck und Ruprecht
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Erscheinungsort: Göttingen
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Siehe auch
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[126]
Lose Bätter
zu der Sammlung von Minnesingern gehörig.




I.

Es sind jetzt gerade sechzig Jahre, daß Bodmer diese schöne und in ihrer Art einzige Sammlung aus der Pariser Handschrift abdrucken ließ. Daß er mehrere Lieder verstümmelt gab, indem er bisweilen die erste, dritte und vierte Strophe eines Liedes ausließ, von dem er die zweyte und fünfte mittheilte, war übel gethan; und, wie er dazu kam es zu thun, ist unbegreiflich. Da die Abschrift, welche in [127] die Druckerey gegeben wurde, noch auf der Zürcher Bibliothek liegen soll, so wäre es der Mühe werth, nachzusehen, ob diese Auslassungen sich bereits in dieser Abschrift finden, oder ob sie erst bey dem Abdrucke entstanden sind. Daß Bodmer aber in der Handschrift die Abwechslung der rothen und blauen Anfangs-Buchstaben übersah, wodurch die Lieder von einander gesondert werden, war noch weit schlimmer. Uebrigens ist die Pariser Handschift mit ziemlich treuer Sorgfalt abgedruckt, und steht in dieser Hinsicht unendlich weit über der Sammlung Deutscher Gedichte, die im Jahre 1784 von Prof. Myller in Berlin heraus gegeben wurde, und deren dritter Band bis auf diese Stunde leider noch immer unvollendet ist. So lange die Bodmerische Ausgabe noch in unsern Buchladen zu haben war, fand sie keine Käufer; jetzt können diejenigen, die sie zu kaufen wünschen, keine Exemplare finden. Und doch ist diese Lieder-Sammlung eines der schönsten und merkwürdigsten Denkmahle Deutscher Kunst; kein Volk hat aus diesem Zeitalter etwas ähnliches aufzuweisen. Unverständige Urtheile, wenn sie auch von verständigen[WS 1] Männern herrühren, dürfen nicht irre machen; nur warnen müssen sie, nicht abzusprechen über Dinge die man nicht versteht. Das Beste was über diese Lieder gesagt worden ist, hat Tieck gesagt in seiner Vorrede zu den Minneliedern aus dem Schwäbischen Zeitalter. (Berlin 1803) Da es beynahe das Ansehen hat, als wolle man über der epischen Poesie unserer Deutschen Vorzeit die lyrische vergessen, so ist es vielleicht nicht überflüssig auch diese wieder bey dem Einen oder Andern in Erinnerung zu bringen. Wahr ist es freylich, daß eine weit gründlichere und lebendigere Kenntniß der alten Sprache erfordert wird, ein Lied zu verstehen, als an dem Faden der Geschichte sich durch ein erzählendes Gedicht hindurch zu tappen. Aber gerade diese gründliche und lebendige Kenntniß der alten Sprache ist es, nach der jeder streben, die jeder befördern, zu der jeder ermahnen muß, dem es Ernst bey der Sache ist. Ohne sie wird immer nur Stroh gedroschen, mag es auch klappern so viel und so lange es will. Mit ihr ausgerüstet darf aber jedes Sonntagskind zuversichtlich an diesem alten Liederschatze die Wünschelrute versuchen; sie wird zwanzig Mahl schlagen und zu Goldadern führen, bis sie ein Mahl über taubem Gesteine unbeweglich stille steht. - Man hatte ehemahls so genannte Loß- und Stechbücher, die man auf Gerathewohl öffnete, und befragte. Als solches poetisches Loß- und Stechbüchlein möchte ich jedem wohl unterrichteten Freunde der Poesie die Sammlung von Minnesingern empfehlen; und so habe ich gar oft schon auch selbst sie gebraucht. Bisweilen freylich geschieht es auch wohl, daß man geneckt wird; aber auch geneckt zu werden ist zu Zeiten nicht unergetzlich. So ging es mir vor mehrern Jahren mit dem Anfange der Lieder des Diuring’s (Th. 2. S. 19) wo folgende Wörter zu lesen sind :

     Spil minnen wunder vol bringen man gieth
Ie wiben der triuwen teil prisen ir ere Schone
Ich spe da hoh sterke die mich han verladen
Schaden ergan sich hie merke So la se dich krone

5
Here mir wisen heil niuwen swere liben ie riet

Ringen wol wunder sinnen vil war
Quam gwin der vil wisen ze male
Die Venus verschriet riet si e sus Parcifalen
Entrisen den sin si nam gar

10
Adam Sampsone in ir ziten

Boug wirde in ir schöne
Si selden gen wiben vervieng
Er gieng an ir liben ein melden gehöne
Kunde girde troug Daviden Salmone da sam

Ich sage absichtlich Wörter; denn ich glaube nicht, daß jemand im Stande ist, in diesen Zeilen einen zusammenhangenden Sinn ausfündig zu machen, und diese Wörter zu Worten umzuzaubern. - Ein Räthsel hat immer einen gewissen Reitz. Daß die Worte, in der Ordnung gelesen, in der sie hier stehen, keinen Sinn geben können, das sieht man auf den ersten Blick. Ich versuchte daher verschiedene Versetzungen, in der Hoffnung eine durch spielende Künsteley versteckte Ordnung aufzufinden; aber alles war vergebens. Endlich entdeckte ich, daß das Ganze nichts als aufgegebene Reime (bouts rimés) sind, und daß uns hier (wahrscheinlich ohne Wissen des Abschreibers) ein mehr als ein halbes Jahrtausend altes Beyspiel einer Uebung oder Neckerey aufbewahrt ist, die man, ohne dieses Beyspiel, schwerlich für so alt würde gehalten haben, die aber einem Zeitraum, in welchem der Reim eine so wesentliche Rolle spielte, höchst angemessen ist. Man lese die folgenden mit A. bezeichneten Zeilen vorwärts, die mit B. bezeichneten rückwärts, und die Folge der Wörter ist dieselbe, die sich in dem Abdrucke der Pariser Handschrift findet; zugleich aber wird in die Augen fallen, daß die unter einander stehenden Wörter der Zeilen A. und B. reimen. Die Ausgabe war übrigens nicht für Ein bout-rimé, sondern für Drey.

- 1 -

A. Spil minnen wunder vol bringen man giet
B. vil sinnen wunder wol ringen riet

A. Ie wiben der triuwen teil prisen ir ere
B. ie liben swer(e) niuwen[WS 2] heil wisen mir here

[128]

A. schone ich spe da ho(h) sterke die mich
B. krone dich se la so merke hie sich
A. han verladen
B. ergan schaden.

- 2 -

A. war quam gwin der vil wisen zemale
B. gar nam (si)sin den entrisen Parcifale(n)
A. die Venus verschriet
B. sie sus riet

— 3 —

A. Adam Sampsone in ir ziten boug
B. sam da Salmone Daviden troug
A. wirde in ir schöne si selden gein
B, girde kunde gehöne melden ein
A. wiben vervieng
B. liben ir an ergieng.

Daß an ein Paar Stellen die Reime vermißt werden, ist ein dem Abschreiber, sey es dem alten oder dem Zürcher, leicht zu verzeihendes Versehen; denn nichts schreibt sich schwerer als das was keinen Sinn hat. Vielleicht findet sich zufällig die Ausfüllung der Endreime, und dann werden wir sehen, ob der Diuring, oder wer es sonst gewesen seyn wag, im dreyzehnten Jahrhundert, mit eben so viel Glück ein bout-rimé zu machen wußte, als unser Gotter im achtzehenten.

Benecke.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: vorständigen. Siehe Druckfehler S. 148.
  2. Vorlage: niimoen. Siehe Druckfehler S. 148.