Ludwig Samson Freiherr von und zu der Tann-Rathsamhausen
[336] Ludwig Samson Freiherr von und zu der Tann-Rathsamhausen weilt seit einigen Wochen nicht mehr unter den Lebenden. Er gehört zu den Männern, welche deutsches Volk und deutsche Ehre hoch „über Alles“ schätzten. Als Sohn eines baierischen Oberstlieutenants und Sprosse eines alten fränkischen Geschlechts, dessen Stammschloß sich in der Stadt Tann an der Ulster noch heute im Besitze der Familie befindet, am 18. Juni 1815 geboren, erhielt er seine wissenschaftliche Ausbildung in der königlichen Pagerie zu München und trat am 1. August 1833 als Junker in das erste Artillerieregiment ein. Wenige Monate später zum Unterlieutenant und 1840 zum Oberlieutenant befördert und in den Generalstab berufen, wurde er zugleich Adjutant des damaligen Kronprinzen Maximilian, mit dem er 1844 Griechenland besuchte und der auch als König ihn stets zu schätzen wußte. So war er im März 1848 bereits zum Major und Flügeladjutanten des Königs aufgestiegen, als die Kunde von der Erhebung Schleswig-Holsteins gegen Dänemark blitzschnell durch ganz Deutschland drang und alle patriotischen Herzen entflammte. Auch von der Tann folgte dem allgemeinen Rufe zu den Waffen. Er stellte sich an die Spitze einer Freischaar und verstand das anfangs verrufene Freischaarenwesen so energisch zu ordnen, daß die Waffenthaten desselben sich allgemeine Achtung, ja Bewunderung erzwangen. Als der dort commandirende alte General von Wrangel Nordschleswig den Dänen preisgegeben hatte, war es von der Tann, der am 7. Juni 1848 mit 400 Freiwilligen die ihm gegenüberstehenden 5000 Dänen bei Hoptrup angriff und siegte. Diese That, seine heldenmüthige Vertheidigung von Apenrade und die Versenkung des Dampfschiffes „Hertha“ im kleinen Belt bei Aroesund erhoben ihn zum gefeiertsten Volkshelden jener Tage. Nach Abschluß des Malmöer Waffenstillstandes kehrte er, von den Segenswünschen Schleswig-Holsteins begleitet, in die Heimath zurück. Während der beiden nächsten schleswig-holsteinischen Kriege (1849 und 1850) nahm er als Oberstlieutenant und Stabschef der unter dem Prinzen Eduard von Sachsen-Altenburg stehenden Division 1849 an der Erstürmung der Düppeler Schanzen Theil, und stand 1850 an der Seite des Generals von Willisen als Chef des Generalstabs. Schleswig-Holsteins Stern sollte damals untergehen; die Diplomatie feierte ihre traurigen Triumphe, und von der Tann trat als Oberst wieder in den Dienst seines Königs, der ihn 1855 zum Generalmajor und im Dezember 1859, nachdem er ihm kurz vorher das Commando der ersten Infanteriebrigade übergeben, zu seinem Generaladjutanten ernannte. Im Februar 1861 schlug er als Generallieutenant und Generalcommandant seinen Sitz in Augsburg auf, nahm aber nur wenige Monate später dieselbe Stellung in München ein.
Das Jahr 1866 brachte offenbar dem Herzen des kerndeutschen Mannes eine schwere Prüfung: der deutsche Bruderkrieg brach aus; der einundsiebenzigjährige Prinz Karl von Baiern übernahm den Oberbefehl über das siebente deutsche Bundescorps, und von der Tann wurde dessen Generalstabschef. Nachdem er am 14. Juni in Olmütz die Convention mit Oesterreich abgeschlossen hatte, übernahm er die Leitung der Operationen, die bekanntlich zu keinem baierischen Siege führten. Die Ultramontanen, denen von der Tann als deutscher Patriot und als Protestant von jeher doppelt verhaßt war, benutzten, namentlich in ihren Scandalblättern, gierig die Gelegenheit, die alleinige Schuld dieses Mißgeschickes auf ihn zu wälzen.
Das Urtheil seines Königs über ihn und seinen Werth wurde durch diese Vorgänge nicht berührt; im Gegentheil: er wurde 1867 zum Oberstinhaber des elften Infanterieregiments und zwei Jahre später zum General der Infanterie erhoben und beim Ausbruche des französischen Krieges mit der Führung des ersten baierischen Armeecorps betraut.
Die Thaten von der Tann’s in diesem Kriege stehen dem Gedächtnisse unserer Leser zu nahe, als daß wir sie einzeln aufzählen müßten. Sein Corps focht mit bei Wörth, bei Beaumont und bei Sedan; er eroberte Orleans und vollbrachte vor der Uebermacht der französischen Loire-Armee seinen musterhaften Rückzug von Coulmiers nach Toury, kehrte mit dem Großherzog von Mecklenburg nach Orleans zurück und war zuletzt, zugleich mit dem Führer des zweiten baierischen Armeecorps, von Hartmann, vor Paris thätig, bis der Friede ihn mit der Siegerheimkehr lohnte. Auch nach dem Frieden war er an der Spitze des ersten baierischen Armeecorps geblieben, bis der Tod ihn im Bade Meran am 26. April plötzlich „zur großen Armee“ abberief.
Die Trauer um den deutschen Volks- und Vaterlandshelden war eine so allgemeine und innige, daß es uns nicht wundern darf, wenn auch die schwarze Rotte sich noch einmal aufraffte, um dem verhaßten Manne den Sarg mit ihrem „baierischen Vaterlands“-Gift zu bespritzen. (Vergl. „Gartenlaube“ 1862, Nr. 12 und 1870, Nr. 47)