RE:Βουλεύσεως γραφή

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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t.t. zweier versch. Klagen
Band III,1 (1897) S. 10371038
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Βουλεύσεως γραφή ist der Name zweier verschiedener Klagen. Die erste gehörte zu den φονικαί. Ihr Begriff war lange streitig. Harpokration (und danach Suid. und Bekk. anecd. I 220) bestimmt ihre Anwendung dahin, ὅταν ἐξ ἐπιβουλῆς τίς τινι κατασκευάσῃ θάνατον, ἐάν τε ἀποθάνῃ ὁ ἐπιβουλευθεὶς ἐάν τε μή. Ihm folgte Meier Att. Proc. 312. Dieser Auffassung widerspricht der Fall bei Antiphon VI, wo der Sprecher durch β. γ. angeklagt wird, weil er unabsichtlich (§ 19) den Tod des Knaben Diodotos herbeigeführt habe dadurch, dass er ihm zur Verbesserung seiner Stimme einen verderblichen Trank reichen liess, vgl. Schoemann Berl. Jahrb. 1839, 495. Thalheim Progr. Schneidemühl 1892, 1f. Ausserdem findet sich an verschiedenen Stellen als Gegensatz des βουλεύσας der χειρὶ ἐργασάμενος, And. I 94. Ant. VI 16, der ταῖς χερσὶ πράξας Demosth. XIX 21, der χειρουργήσας, Aisch. II 117, der αὐτόχειρ. Plat. Leg. IX 872 a. Xen. hell. VI 4, 35. Danach hat Forchhammer De Areopago 30 als das Wesentliche an der Klage erkannt, dass der Beschuldigte die That ersonnen, aber nicht mit eigener Hand ausgeführt hatte; vgl. Philippi Areopag 29. Lipsius Att. Proc. 384. Hermannn-Thalheim Rechtsalt. 45. Diese Auffassung ist vergeblich bekämpft worden von Passow De crimine βουλεύσεως. Gott. 1886. Heikel Acta soc. Fenn. XVI 1f. Kohm Die βούλευσις im att. Proc., Olmütz 1890, während Plene De homicidarum in Areopago iudicio 39f., gestützt auf Ant. IV γ 4 unter dem βουλεύσας den verstehen will, der die That zwar nicht vollzogen, aber ,die Verantwortung dafür‘ hatte. Für die Bestrafung galt das Gesetz And. I 94 τὸν βουλεύσαντα [1038] ἐν τῷ αὐτῷ ἐνέχεσθαι καὶ τὸν τῇ χειρὶ ἐγρασάμενον, also je nachdem Tod oder Verbannung. Das Gericht war nach Aristot. Resp. Ath. 57 das Palladion, wonach der Bericht des Harpokration bezw. Deinarchos, dass die Klage auch vor dem Areopag verhandelt worden sei, wohl auf Missverständnis beruht. Plene 51 denkt an eine Änderung des Verfahrens.

Die zweite Art dieser Klage betrifft die Staatsschuldner, wird aber von den Grammatikern (Harp. Suid. Poll. VIII 43) mit der Klage ψευδεγγραφῆς zusammengeworfen. Einen Unterschied macht Suidas (ψευδὴς ἐγγραφή) unter Berufung auf Lykurgos (jedenfalls in der Rede gegen Aristogeiton vgl. Harp. s. ψευδεγγραφή) dahin: ψευδεγγραφῆς μὲν ἐλάγχανον οἱ μὴ ὀφείλοντες μὲν, ἐγγραφέντες δὲ ψευδῶς, βουλεύσεως δὲ οἱ πάλαι μὲν ὠφληκότες, ἀποδόντες δὲ καὶ αὖθις κατ’ ἐπιβουλὴν ψευδῶς ἐγγραφέντες. Und hierzu stimmt ungefähr [Demosth.] XXV 71f. Aber bei Boeckh Seeurkunden 536 wird die Klage βουλεύσεως dem Schreiber der Elfmänner angedroht, wenn er von der Schuld des Sopolis den Preis gelieferter Ruderhölzer nicht abstreichen sollte. Danach richtete sich also die β. γ. vielmehr gegen den Beamten, der einen Staatsschuldner trotz der Bezahlung nicht löschte. Und diese Erklärung hat sowohl die innere Wahrscheinlichkeit für sich, da dies Vergehen unter die ψευδεγγραφή nicht fiel, als auch stehen die Grammatiker und die pseudodemosthenische Rede an Glaubwürdigkeit tief unter dem inschriftlichen Zeugnis. Die Klage, der übrigens die wesentlichen Eigenschaften einer öffentlichen Klage fehlen, gehörte vor die Thesmotheten und hatte zur Folge eine Privatbusse an den Kläger in Höhe der unterlassenen Löschung und eine Busse an den Staat, die im Falle des Sopolis vom Rate im voraus auf 3000 Drachmen bestimmt war, sonst wohl aber der Schätzung unterlag. Vgl. Boeckh Seeurkunden a. a. O. Lipsius Att. Proc. 416f.