RE:Alum Gallicum
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Pflanze der Tierarznei = Symphytum, bei Knochenbrüchen und Wunden | |||
Band S VII (1940) S. 22–26 | |||
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Alum Gallicum ist der Name einer arzneilich, besonders in der Tierarznei, benutzten Pflanze, der von den Autoren mit symphytum (symphyton petraeum, σύμφυτον πετραῖον Diosk. IV 9) gleichgesetzt wird; vgl. Plin. n. h. I 27, 24 alum, quod symphyton petraeum. XXVII 41 alum nos vocamus, Graeci symphyton petraeum. Scribon. 83 symphyti radix, quam quidam … alum Gallicum dicunt (vgl. Marcell. med. XVII 21). Ps.-Apul. herb. 60 Graeci … symphyton … Galli alum. Gelen. alfab. 257 sinfitus, quod aliqui alum Gallicum dicunt. Der Name ist aus dem Keltischen (h)alus übernommen (vgl. Plin. n. h. XXVI 42 halus, quam Galli sic vocant. Marcell. med. XXXI 29 symphyti radix, quae herba gallice halus vocatur) und gab in der Form alum leicht Anlaß zur Verwechslung mit alium (Lauch); vgl. Plin. n. h. XIX 116 alium est et in arvis sponte nascens - alum vocant -, quod adversus improbitatem alitum depascentium semina coctum, ne renasci possit, abicitur usw., wo mit alum (alium) wildwachsender Lauch gemeint ist. Wie Hoppe Philol. XCI 449ff., der den Zusammenhang der Bezeichnungen (h)alus, alum Gallicum, anum Gallicum, arum Gallicum, al Gallicum argallicum, anagallicum durch eine eingehende Untersuchung aufgehellt hat, mit Recht annimmt, hat es diese Mehrdeutigkeit des Wortes alum verursacht, daß man ihm den Zusatz Gallicum gab, wenn σύμφυτον gemeint war.
Die Pflanze σύμφυτον hat ihren Namen von der ihr zugeschriebenen Kraft, Knochenbrüche und Wunden sehr schnell verwachsen zu lassen (also von συμφύειν hergeleitet) und sogar Fleischstücke, die mit dieser Pflanze zusammen gekocht werden, zu einem Stück zusammenzuziehen, vgl. Plin. n. h. XXVII 42 volneribus sanandis tanta praestantia est, ut carnes quoque, dum cocuntur, [23] conglutinet addita, unde et Graeci nomen imposuere. ossibus quoque fractis medetur. Isid. XVII 9, 61 Symphytos graece dictus eo quod tantam in radice virtutem habet, ut frusta carnis adsparsa in caccabo coagulet. Die gleiche Eigenschaft hebt Diosk. IV 9, 2 für σύμφυτον πετραῖον hervor (τὰ κρέα συμπήττει ἑψόμενον σὺν αὐτοῖς), sowie IV 10, 2 für die Wurzel des σύμφυτον ἄλλο, das deshalb auch πηκτή heißt (ῥίζαι … τὰ κρέα συνεψόμεναι κολλῶσιν), ferner Apsyrt. Hippiatr. p. 181 βοτάνη τις ἐστὶν ἐν τοῖς τείχεσιν καὶ ταῖς πέτραις γινομένη, ἣν ἰατρῶν μὲν παῖδες πολύγονον ὀνομάζουσιν, ἰδιῶται δὲ σύμφυτον … ἣν καί φασι συνηψημένην διαμεμερισμένοις κρέασιν ἑνοῦν αὐτά· διὸ καὶ σύμφυτος λέγεται usw. Aber bereits [Theophr.] hist. plant. IX 18, 2 schreibt der Wurzel einer Pflanze, deren Namen er allerdings nicht nennt, eben diese Eigenschaft zu: συνεψομένην τοῖς κρέασι συνάπτειν εἰς ταὐτὸ καὶ οἵον πηγνύναι, und auf diese Stelle sind offenbar alle späteren Erwähnungen zurückzuführen.
Welche Pflanze unter σύμφυτον verstanden wurde, läßt sich nur für das σύμφυτον ἄλλο des Diosk. IV 10 mit einiger Sicherheit erkennen; denn nur für diese Pflanze liegt eine ausreichende Beschreibung vor, die auf die Gattung Symphytum, Beinwell, Beinwurz, Wallwurz, weist. Wenn Dioskurides vom σύμφυτον ἄλλο sagt, es habe einen rauhhaarigen, kantigen, hohlen, zwei Ellen hohen Stengel, an dem in mäßig großen Zwischenräumen die rauhhaarigen, schmalen, ziemlich langen Blätter stehen, die denen des βούγλωσσον (Anchusa spec., Ochsenzunge) ähnlich seien, wenn er ferner auf die herablaufenden Blätter, die für Gattung Symphytum typisch sind, hinweist, die Blüte als gelb (μήλινα), die Wurzel als außen schwarz, innen weiß und klebrig bezeichnet und schließlich bemerkt, Stengel und Blätter seien ganz überzogen von einer ziemlich rauhhaarigen Wolle (ἔχει χνοῦν ὑπότραχυν), die beim Berühren ein Hautjucken hervorrufe, so ist in dieser Beschreibung kein Zug, der nicht auf den nach Halacsy Conspect. flor. graec. II 331 in umbrosis regionis montanae et subalpinae (Graeciae) vorkommenden Knolligen Beinwell, Symphytum bulbosum Schimp. (Symphytum brochum Bory bei Fraas Synops. plant flor. class. 163) paßte. Es ist aber durchaus nicht sicher, daß die von Dioskurides beschriebene Pflanze der griechischen Flora angehört, da Dioskurides vielfach von Pflanzen spricht, die nicht im Florenbezirk Griechenlands, sondern in Italien namentlich in Oberitalien, vorkommen. Falls Dioskurides mit σύμφυτον ἄλλο eine italische Pflanze meinen sollte — und das ist mit Rücksicht auf die Gleichsetzung von σύμφυτον mit alum Gallicum wahrscheinlich —, so ließe sich seine Beschreibung ohne Schwierigkeit auch auf die Große Wallwurz (Beinwell), Symphytum officinale L., und zwar auf die gelblichweiß (μήλινα) blühende Varietät ochroleucum DC. beziehen, deren Vorkommen wie das von Symphytum officinale nach Halacsy II 330 zwar für Griechenland zweifelhaft ist, die aber in Italien südlich bis Mittelitalien verbreitet ist und gerade in den südlichen Gebieten in der Varietät ochroleucum häufiger vorkommt als die rotviolett blühende Stammart (vgl. Hegi Flora von Mitteleuropa V [24] 3, 2223. 2225). Übrigens findet sich der Knollige Beinwell, Symphytum bulbosum Schimp., außer in Griechenland auch in Italien, Istrien, Sizilien und Korsika (vgl. Hegi V 3, 2228), konnte also Dioskurides aus Griechenland und Italien bekannt sein.
Der medizinisch wirksame Teil des σύμφυτον ἄλλο ist nach Diosk. IV 10, 2 die Wurzel, die verwendet wurde gegen Blutspucken, Brüche und Entzündungen sowie als rasch wirkender Wundverschluß, also in der gleichen Weise wie die als Radix Symphyti vel Consolidae maioris früher offizinelle Wurzel des Beinwell, Symphytum officinale L. (vgl. Hegi V 3, 2225).
So wahrscheinlich also die Deutung des σύμφυτον ἄλλο als Beinwell-Art ist, so unwahrscheinlich ist es, daß auch das σύμφυτον πετραῖον und damit auch das symphytum und alum Gallicum der lateinischen Autoren eine Pflanze aus der Gattung Symphytum L. bedeutet. Die Beschreibung des σύμφυτον πετραῖον Diosk. IV 9 hat keinen einzigen Zug gemeinsam mit der des σύμφυτον ἄλλο was doch der Fall sein müßte, wenn es sich um verwandte Arten oder gar um zwei Arten von Symphytum L. handelte. Gemeinsam haben beide Pflanzen nur einige medizinische Anwendungen, darunter auch die Anwendung bei Brüchen (ῥήγματα), und den Namen, was jedoch bei der Unsicherheit der botanischen Nomenklatur im Altertum wenig besagt. Zu bestimmen ist das σύμφυτον πετραῖον nach den spärlichen Angaben des Dioskurides nicht: Stengel ähnlich wie Origanum (s. Art. Origanum), kleinblättrig, Blütenstand kopfig wie beim Thymian; Pflanze verholzt, wohlriechend, süß schmeckend; Wurzel lang, rötlich, fingerdick; wächst an Felsen. Medizinisch wirksam ist eine Abkochung der Pflanze mit Honig oder in Wein gegeben gegen Verschleimung der Bronchien, Husten, Blutspucken, Nierenleiden, Durchfall, Krämpfe; ferner wird die Pflanze bei Knoehenbrüchen und als Wundverschluß angewendet; wenn man das Kraut zerkaut, stillt es den Durst. Von einer medizinischen Verwendung der Wurzel wie beim σύμφυτον ἄλλο ist hier nicht die Rede. Diese Feststellung ist wichtig, weil durch sie der Wert der Beschreibung, die Plin. n. h. XXVI 42 und XXVII 41 über alus bzw. alum = symphyton petraeum steht, in das rechte Licht gerückt wird. Daß es sich an den beiden Plinius-Stellen um die gleiche Pflanze handelt, ist nicht zweifelhaft; dagegen ist es sehr fraglich, ob sich Plinius bewußt war, daß er beide Male von der gleichen Pflanze spricht. Denn eine Vorstellung von der besprochenen Pflanze hatte er nicht, sondern er bringt oder übernimmt aus seinen Quellen, als die nach Wellmanns Meinung für XXVI 42 Iulius Bassus, für XXVII 41 Sextius Niger anzusehen sind, nur literarische Exzerpte, von denen das erste seine Oberflächlichkeit dadurch beweist, daß der Pflanze halus Wurzeln zugeschrieben werden, die alibi albae, alibi nigrae seien. An beiden Stellen bringt Plinius die Merkmale, die Diosk. IV 9 für σύμφυτον πετραῖον angibt, aus der Beschreibung des σύμφυτον ἄλλο findet sich bei Plinius nichts. Trotzdem schreibt er XXVII 42 (vgl. XXVI 45 symphyti radix) alle arzneilichen Wirkungen, die nach Dioskurides der ganzen Pflanze σύμφυτον [25] πετραῖον, zukommen, ausschließlich der Wurzel seines alum bzw. symphyton petraeum zu, die nach Diosk. IV 10, 2 der arzneilich wirksame Teil des σύμφυτον ἄλλο ist. Ob diese Konfusion dem Plinius selbst oder seinem Gewährsmann zuzurechnen ist, läßt sich nicht entscheiden und tut nichts zur Sache. Jedenfalls steht fest, daß die Beschreibung der Pflanze halus bzw. alum bei Plinius zur Deutung nichts beiträgt und daß diese so wenig bestimmbar ist wie das σύμφυτον πετραῖον des Dioskurides, auch wenn Plinius die Pflanze als ähnlich der cunila bubula bezeichnet; denn dieser Hinweis auf cunila bubula, über die Plin. n. h. XIX 165. XX 169 handelt, führt auf eine Labiate (thymbra; s. Art. Origanum), also weitab von Symphytum L. (Beinwell).
Die Anwendungen sind im ganzen die gleichen wie bei Diosk. IV 9, die Anweisungen zum Teil genauer als bei Dioskurides, bei dem die Parallele zu Plin. n. h. XXVI 42 medetur lateri (XXVII 41 utilissimum lateribus) fehlt; bezeichnenderweise erscheinen bei Plinius nur die Anwendungen, die Dioskurides für das σύμφυτον πετραῖον angibt, und von den Diosk. IV 10, 2 für das σύμφυτον ἄλλο stehenden Anwendungen nur diejenigen, die auch bei σύμφυτον πετραῖον erwähnt sind. Die einzige Anwendung, die nach Diosk. IV 10, 2 nur für σύμφυτον ἄλλο gilt: καταπλάσσονται πρὸς φλεγμόνας, μάλιστα τὰς ἐν δακτυλίῳ ὠφελίμως μετὰ φύλλων ἠριγέροντος fehlt bei Plinius, bei dem eben ein Gegenstück zum σύμφυτον ἄλλο nicht vorhanden ist. Die Anwendungen des symphyton, die Plinius außerdem im 26. Buche ervrähnt (45. 81. 137. 148. 161), finden sich alle auch XXVII 41f. Zu den Dioskurides-Stellen vgl. Gal. XII 133. 134. Orib. XII s. v. σύμφυτον. Aet. I s. v. Paul. Aeg. VII 3 s. v.
Die Unsicherheit der Deutungen hat aber ihren Grund nicht allein in unzureichenden und konfundierten Beschreibungen, sondern vor allem darin, daß σύμφυτον (symphytum) schon frühzeitig ein Sammelname für eine ganze Reihe verschiedenster Pflanzen war, denen man eine besondere Heilkraft bei Knochenbrüchen zuschrieb. Darauf weist schon Plin. n. h. XXVI 42, wonach die Pflanze halus, quam Galli sic vocant, bei den Venetern cotonea heiße (vgl. I 26, 26 halus sive cotonea). Ferner zeigen die Synonymenverzeichnisse zu Diosk. IV 9 und 10, was im Laufe der Zeiten alles unter σύμφυτον verstanden wurde. Hier steht (IV 9) unter anderen Synonymen zu σύμφυτον πετραῖον auch ἑλένιον. Dieser Name ist auch Diosk. I 28 (vgl. V 56. Plin. n. h. XIV 108) mit σύμφυτον gleichgesetzt (vgl. Hesych. s. σύμφυτος· ἡ νεκτάριος ῥίζα, ἣν ἔνιοι ἑλένιον, ἔνιοι δὲ μηδικήν) und bedeutet teils den Wohlriechenden Thymian, Thymus incanus Sibth., teils den Alant Inula helenium L., also eine Komposite (vgl. Fraas 178 u. 210; RV zu Diosk. I 28 ἑλένιον: ἴνουλα Καμπάνα. Isid. XVII 11, 9 inula, quam alum [Überlieferung alam] rustici vocant). Auf letztere deutet auch Scribon. 83 symphyti radix, quam quidam inulam rusticam vocant, quidam autem alum Gallicum dicunt. Ps.-Apul. 60 symphyton … inulam rusticam. Ferner bietet RV zu Diosk. IV 10 (σύμφυτον ἄλλο) als lateinisches Synonym σολδάγινεμ, οἱ δὲ σολδάγω (also wieder eine Komposite, Solidago) und zu Diosk. IV 9 [26] (σύμφυτον πετραῖον) das gleichfalls lateinische κονφέρβα, worunter eine Fadenalge des Süßwassers zu verstehen ist, die gleichfalls bei Knochenbrüchen angewendet wurde, vgl. Plin. n. h. XXVII 69 conferva appellata a conferuminando. Ps.-Apul. 60 alii dicunt confirmam … alii conserbam. Ps.-Orib. I 48 confervam dicunt alii (vgl. Theod. Prisc. p. 551 Rose; s. Art. Moose). Auch γλυκύρριζα (Süßholz) galt als σύμφυτον, vgl. RV zu Diosk. III 5 γλυκύρριζα· οἱ δὲ σύμφυτον, und eine Randbemerkung (von jüngerer Hand) im Cod. N zu Diosk. IV 9 bezeichnet als symphytum auch consolida maior (vgl. Ps.-Apul. 60 consolidam), ein nach Stadler Arch. f. Lex. X 84 bereits mittelalterlicher Name, der auch bei Hildegard von Bingen 145 (vgl. Fischer-Benzon Altdeutsche Gartenflora 200) vorkommt.
RV zu Diosk. IV 9 bringt auch das Synonym anum Gallicum, das, worauf Hoppe 450 hinweist, von Wellmann ohne Grund in ἄλουμ Γάλλικουμ geändert wurde, da die durch Dissimilation von l zu n entstandene Form anum Gallicum neben alum Gallicum zu Recht besteht und bei Vegetius, der (wie Pelagonius) anum Gallicum als Bestandteil in Hustenarzneien anführt, auf Grund der Leidener Hs. wiederherzustellen ist (vgl. Veget. mulom. II 131, 5. 133, 3. 134, 4. III 8, 4. II 129, 11); auch das Pelagon. 71. 75. 83. 89. 96. 113 u. ö. vorkommende arum Gallicum ist nach Hoppe durch Dissimilation aus alum Gallicum entstanden (vgl. Ihm zu Pelagon. 71 p. 148). Bei Marcell. med. XVII 21 steht al Gallicum (X 68 radicem symphyti, quod hal Gallicum dicitur), was auch Mulom. Chir. häufig vorkommt und 967 cum algallico, hoc est conferma (vgl. conferva Plin. n. h. XXVII 69), Graece sinpito erklärt ist; über die weiteren Formen argallicum, das gleichfalls Mulom. Chir. häufig steht und Cael. Aur. chron. V 2, 37 mit radice argallici, quod Graeci symphyton vocant erklärt wird, sowie anagallicum (häufig bei Vegetius) s. Hoppe 451f. Welche Pflanze die antiken Veterinäre unter alum Gallicum verstanden und ob sie alle die gleiche Pflanze darunter verstanden, ist nicht auszumachen, da der Name stets nur in Rezepten erscheint und jegliche Angabe von Merkmalen fehlt.
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