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RE:Anaximenes 3

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Rhetor
Band I,2 (1894) S. 2086 (IA)–2098 (IA)
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3) Sohn des Aristokles (Suid.) aus Lampsakos (so allgemein; nur Luk. Her. 3, wo Müller FHG II 43 Ξενομήδης herstellen will, nennt ihn einen Chier), angesehener Rhetor, dessen Blüte um die Mitte und in die zweite Hälfte des 4. vorchristlichen Jhdts. fällt. Die Grenzen seiner Lebenszeit setzt Usener (11) zwischen Ol. 97 und 115, Blass (378) zwischen 380 und 320. Diodor XV 76, 4 zählt ihn unter den ἄνδρες κατὰ παιδείαν ἄξιοι μνήμης auf, die um 366 (schon oder noch) lebten, wie Isokrates, Aristoteles, Platon, Xenophon u. a. Nach Eusebios Ol. 112, 4 galt [2087] er im J. 329 für berühmt; damit stimmt überein Kedrenos I 277 (Migne Patr. Gr. CXXI 314) ἤκμασε κατὰ τοὺς χρόνους Ἀλεξάνδρου τοῦ Μακεδόνος. Als Schüler des Kynikers Diogenes (Suid. Diog. Laert. VI 57) und des Rhetors Zoïlos aus Amphipolis (Suid.) war er zugleich philosophisch und rhetorisch vorgebildet. Wie er in Athen seine Bildung empfangen hatte, so wirkte er auch daselbst als Rhetor und Sophist (gewöhnlich wird er ῥήτωρ genannt, σοφιστής nur bei Paus. VI 18, 5. Plut. Dem. et Cic. comp. 2. Philod. rhet. IV p. 70 Gros = 216 Sudh.). Seiner Vorbildung entsprechend bekannte er sich zu der von Isokrates bekämpften dialektisch-eristischen Richtung der Kyniker, und aus eben diesem Verhältnisse werden auch die Differenzen zwischen ihm und den Isokratikern Theopompos und Theokritos von Chios (Hermippos bei Athen. I 21 c. Stob. flor. XXXVI 20) zu erklären sein (Usener 6ff.) ; besonders war er mit ersterem verfeindet, an dem er ebenso ausgesucht als boshaft in seinem Τρικάρανος (s. u.) Rache nahm. Schon von Philippos an den makedonischen Hof gezogen (Paus. VI 18, 3; nach Usener vor Ol. 110 d. i. vor Berufung des Aristoteles), wurde er nach dem Zeugnisse des Suidas, mit dem Val. Max. VII 3 ext. 4. Kedrenos a. O. Ps.-Kallisth. I 13 übereinstimmen, Lehrer des Alexandros (über das Verhältnis zu letzterem s. Geier Alex. M. hist. script. 274; Progr. Halle 1848, 22). Die Notiz bei Diog. Laert. V 11, wonach Alexandros, als sein Verhältnis zu Aristoteles erkaltete, um diesen zu kränken, den A. besonders ausgezeichnet und dem Xenokrates Geschenke geschickt habe, verliert an Glaubwürdigkeit nach Vergleichung der Stelle bei Plut. Alex. 8, wo statt A. Anaxarchos genannt wird. Um 334 befand sich A. in seiner Vaterstadt. Als nämlich Alexandros auf seinem Zuge nach Asien den Lampsakenern im Zorne über ihre Perserfreundlichkeit Untergang geschworen hatte, da schickten diese den A. zu ihm als Abgesandten, und wirklich rettete A. seine bedrohte Vaterstadt freilich weniger durch das Ansehen, in dem er bei Alexandros stand, als vielmehr durch seine Geistesgegenwart und Schlauheit (Paus. VI 18, 2ff. Val. Max. a. O.). Dafür setzten ihm seine dankbaren Mitbürger später ein Standbild in Olympia, das noch Pausanias (a. O.) sah. Nach Suidas begleitete A. den Alexandros auf seinen Feldzügen. Als Schüler des A. werden angeführt der Redner Timolaos aus Larisa (Suid. s. Τιμόλαος), der berüchtigte Flüchtlingsjäger Archias aus Thurioi (Demetrios bei Plut. Demosth. 28. Ps.-Plut. vit. X or. 846 e) und ein ungenannter Jüngling bei Plut. reg. et imp. apophthegm. 182 e.

Des A. eigentlicher Beruf, den er als ausübender Künstler wie als Theoretiker betrieb, war die Redekunst. Von seiner Praxis zeugt zunächst die Notiz bei Pausanias VI 18, 6, wonach er in der Rede aus dem Stegreife von keinem übertroffen wurde. Auf ihn als Stegreifredner mag wohl die höhnische Bemerkung des Theokritos zu beziehen sein: ‚Jetzt beginnt ein Strom von Worten, aber ein Geträufel von Sinn‘ (Stob. a. O.). Ausserdem befasste er sich nach Dion. Hal. de Isae. 19 mit συμβουλευτικοὶ und δικανικοὶ ἀγῶνες. Unter den ersteren vermutet Blass 380f. fingierte Reden ähnlich denen des Isokrates. Mit Bezug auf die [2088] letzteren teilen uns Hermippos (Harp. s. Εὐθίας) und der Perieget Diodoros, ein jüngerer Zeitgenosse des A. (Athen. XIII 591 e), übereinstimmend mit, dass A. die Anklagerede des Euthias gegen Phryne verfasst habe. Die kurze Recapitulation des Inhalts der Klage (ἀνακεφαλαίωσις καθ’ ὑπόθεσιν) hat uns Neokles daraus erhalten (Anon. Segu. I 455 Sp.; über den Stil dieses Fragments Blass 398; vgl. auch Sauppe O. A. II 302 zu Hyp. frg. 3). In des Isokrates Trapezitikos vermutet Grosse Progr. Arnstadt 1884 eine Schulrede (keine wirkliche Gerichtsrede) aus der Schule des A. (rec. v. Hüttner Jahresber. XLVI 1886, 38). Den Beweis endlich für seine Thätigkeit auch im epideiktischen Fache giebt ausser den Zeugnissen des Dion. Hal. a. O., der ihn unter den epideiktischen Rednern aufzählt, und des Philod. a. O., der dem A. Lobreden auf Gottheiten zuschreibt oder zum mindesten zutraut, sein (verlorenes) Ἑλένης ἐγκώμιον, von dem der anonyme Verfasser der Hypothesis zu Isokrates X sagt, dass es mehr eine Verteidigungs- als Lobrede war. Die ebendort überlieferte Vermutung des Machaon, dass diese Declamation des A. (nicht die des Gorgias) das von Isokrates in seiner Helena gemeinte Gegenstück sei, eine Vermutung, die neuerdings von Zycha (Progr. Leopoldst. Gymn. Wien 1880, 35ff.; rec. v. Susemihl Phil. Anz. XI 296) und Keil (Anal. Isocr. 8f.) wieder aufgenommen worden ist, wird von Blass Att. Bereds. I² 74 mit guten Gründen bekämpft. Epideiktische Reden (oder Geschichtswerke?) werden es wohl auch gewesen sein, die A. in Olympia persönlich vortrug, vorausgesetzt dass der bei Luk. Her. 3 erwähnte Chier A. mit dem Lampsakener identisch ist (Nitzsch De hist. Hom. II 88). Als Theoretiker befasste sich A. teils mit rhetorischem Unterricht teils mit schriftlicher Anweisung zur Redekunst. Ziel seines Unterrichts war nach einer Äusserung bei Philod. rhet. p. 209 Gros, seinen Schülern das δημηγορεῖν und δικολογεῖν beizubringen, also praktische Redner heranzubilden. Dies Ziel verfolgt vornehmlich das unter Aristoteles Namen erhaltene, wegen des vorausgeschickten Widmungsbriefes an Alexandros ῥητορικὴ πρὸς Ἀλέξανρον genannte Lehrbuch, das aller Wahrscheinlichkeit nach den A. zum Verfasser hat. Sicher ist, dass A. vor Aristoteles nennenswerte Beiträge zu der Theorie der Rede geliefert hat (Dion. Hal. ad Amm. I 2). Sicher ist ferner, dass A. ein Lehrbuch der Rhetorik (τέχναι) veröffentlicht hat (Dion. Hal. de Isae. 19). Nun überliefert uns Quint. III 4, 9 unter dem Namen des A. eine Einteilung der Reden in zwei Gattungen (Volks- und Gerichtsreden) und sieben Arten, unter denen sich das nur dem A. eigentümliche εἶδος ἐξεταστικόν befindet; dieselbe Einteilung findet sich wörtlich im Anfange der genannten Rhetorik an Alexandros (mit Spengels jetzt fast allgemein, auch von Gegnern Spengels, wie Rose, Susemihl, gebilligter Textesänderung). Da lag gewiss die Vermutung nahe, dass wir in dieser Rhetorik das Lehrbuch des A. vor uns haben. Diese vor mehr denn 300 Jahren zuerst von Petrus Victorius (Comm. z. arist. Rhet. 1548) aufgestellte, in neuerer Zeit von Spengel mit glänzendem Scharfsinn in zahlreichen Abhandlungen näher begründete Hypothese [2089] fand bei den meisten und namhaftesten Kennern rhetorischer Litteratur, wie Westermann, Sauppe, Halm, Kayser, Finckh, Usener, Blass, anfänglich auch Volkmann Billigung und Unterstützung; es fehlte jedoch nicht und fehlt bis in die neueste Zeit hinein nicht an Zweiflern und Gegnern. Als endgültig abgethan müssen die Ansichten derer gelten, die das Lehrbuch eines alten Technographen, wie des Korax (so besonders Garnier, wogegen z. B. Havet Mémoires 222ff.), oder eine aristotelische Schrift (so lange Zeit Lersch, den besonders Spengel bekämpfte) in den Händen zu haben glaubten. Unhaltbar sind auch die Ansichten derer, die eine einheitliche Composition der Rhetorik bestritten und in ihr entweder eine Compilation eines Peripatetikers erblickten, der die Theorie des Isokrates mit der des Aristoteles zu vereinigen strebte (Rose) oder sie aus zwei Schriften bestehen liessen (Benoît c. 1–28 Theodekteisches, 29 bis Schluss Korax, dagegen besonders Havet Mém. 224ff.) oder mindestens drei von verschiedenen Verfassern herrührende, später zu einem Handbuche lose zusammengestellte Abhandlungen annehmen zu müssen glaubten (so Barthélemy Saint-Hilaire, dagegen Ipfelkofer 5f. 9) oder gar ein armseliges Flickwerk eines aus den verschiedensten, zum Teil guten alten, zum Teil schlechten späteren Quellen schöpfenden geist- und gedankenlosen Falsarius aus der spätesten Zeit der griechischen Rhetorik entdeckt zu haben wähnten (Campe, den besonders Spengel Philol. XVIII 604ff. widerlegte). Darüber herrscht heute allgemeine Übereinstimmung, dass wir es mit einem alten, jedenfalls vorhermagoreischen Lehrbuche zu thun haben, das, von Einzelstellen abgesehen, in der Hauptsache die einheitliche Production eines nach einem bestimmten Plane folgerichtig arbeitenden Autors ist. Zweifel bestehen nur noch in Betreff der Entstehungszeit innerhalb eines engbegrenzten Zeitraums vor oder nach Aristoteles und meist im Zusammenhange damit in Betreff der Person des Verfassers. Susemihl setzt neuerdings die Schrift, die er als ein Übergangsglied von der isokratischen zur hermagoreischen Rhetorik bezeichnet, ins 3. Jhdt. und zwar eher in dessen Anfang oder Mitte als in sein Ende; er bezieht sich hierbei mehrfach auf Mitteilungen seines Schülers Thiele; gegen die Argumente beider wendet sich sehr entschieden Blass 586f. Für eine Ansetzung nach Aristoteles machte man geltend, dass die Rhetorik durch Aristoteles mehr oder minder beeinflusst erscheint (so Rose, Zeller, Barthélemy, der Schritt für Schritt einen Plagiator der aristotelischen Rhetorik verfolgen zu können glaubt, zuletzt noch Susemihl). Eine ‚Beeinflussung durch die fortgeschritteneren Ansichten des Aristoteles‘ hält auch Volkmann (J. Müller Handbuch II 1885, 456) für ‚keineswegs ausgeschlossen‘ und betrachtet deshalb die Frage nach dem Verfasser noch als offene (dagegen Blass 383, 5). Heinze (Überwegs Grundriss d. Gesch. d. Philos. d. Alt.⁷, Berlin 1886, 197), lässt die Techne ‚ungefähr in der Zeit des Aristoteles wahrscheinlich unter Benutzung der Rhetorik des A.‘ entstanden sein. Heitz 287 setzt sie ‚ziemlich gleichzeitig mit der Rhetorik des Aristoteles‘; die Gründe, die man für die Autorschaft des A. [2090] geltend gemacht hat, sind ihm ‚nicht in jeder Beziehung vollständig überzeugend‘, immerhin ist ihm A. der mutmassliche Verfasser (452); danach ist der Irrtum von Maass DLZ 1884, 1336, wonach Heitz die Rhetorik dem A. ‚energisch‘ abgesprochen haben soll, zu berichtigen. Die Rhetorik kann – das hat Spengel überzeugend nachgewiesen – als Ganzes betrachtet in dem Entwicklungsgange der griechischen Rhetorik nur vor der Wirksamkeit des Aristoteles, nicht früher und nicht später, Platz finden. In Übereinstimmung mit ihm stellt Cope eine Bekanntschaft mit der aristotelischen Rhetorik bei unserem Autor in Abrede. Die wenigen Ähnlichkeiten mit Aristoteles, die angeführt werden, nötigen noch durchaus nicht, eine Abhängigkeit von ihm anzunehmen. Man unterschätzt vielfach die Ausbildung der Rhetorik vor Aristoteles und übersieht über den verschwindend wenigen Ähnlichkeiten, die zudem sehr auf der Oberfläche liegen, die vielen grundsätzlichen Verschiedenheiten. Zweifellos ist der Kern unserer Schrift im ganzen isokratisch. Daher verfielen auch einige Gelehrte auf einen Isokratiker oder Isokrates selbst als Verfasser, so Lersch, nachdem er die Verteidigung des Aristoteles als Verfassers aufgegeben hatte, und Havet Mém. 217f. (vgl. auch Cope 413. 417. Sanneg De schola Isocr. 2). Doch hätte ein Isokratiker, von allem andern abgesehen, in der Lehre vom Ausdruck Besseres leisten müssen und z. B. von den Rhythmen und Metaphern nicht ganz Umgang nehmen können (Spengel Zschr. f. Alt.-Wiss. V 1847, 12ff. Usener 33–43. Kayser Jahrb. f. Philol. LXX 1854, 280; Zschr. f. Alt.-Wiss. XIV 1856, 246. 249. Blass 393f.). Somit bleibt es nach wie vor höchst wahrscheinlich, dass A. der Verfasser der vielumstrittenen Rhetorik ist, zumal unter gleichzeitiger Annahme der Vermutung Ipfelkofers, dass wir es mit einer Überarbeitung der ursprünglichen Techne zu thun haben. Für die Ansetzung der Techne vor Veröffentlichung der aristotelischen Rhetorik spricht auch die Wahl der Beispiele in den beiden Schriften. Es kann nicht Zufall genannt werden, dass die von unserem Autor fast durchgängig (Blass 395) selbstgebildeten Beispiele sich oft auf den athenischen Seebund oder auf das Verhältnis zu den Lakedaimoniern und Thebanern beziehen, nie auf das zu Philippos und Alexandros oder gar auf spätere Ereignisse. Die späteste erwähnte Thatsache ist die Besiegung der Karthager durch Timoleon im J. 343; danach scheint die Techne um 340 geschrieben, das ist vor Aristoteles Rhetorik, in der der letzte Krieg Philipps und der Athener erwähnt wird (Blass 391 und Anm. 3; Usener 23f. setzt die Abfassung frühestens 340, spätestens 336, Spengel zwischen 340 bis 330; gegen letzteren Ansatz Usener und Blass a. O.). Wann die Rhetorik unter die aristotelischen Werke sich eingeschlichen hat, ist schwer zu entscheiden. Vermutlich hängt diese Frage mit der Datierung des Widmungsbriefes zusammen, durch den, wie es scheint, ein speculativer Kopf die Schrift unter die aristotelischen Werke einschmuggeln wollte. Dass der Brief Aristoteles nichts angeht, steht allgemein fest; aber ebenso ausgemacht ist, dass der Verfasser dieses abgeschmackten Machwerks mit dem Verfasser unserer Rhetorik nicht identisch sein [2091] kann, was gegenüber Rose, Campe, Zeller besonders eingehend dargethan hat Ipfelkofer 19–27. Für die Datierung des Briefes haben wir einen Anhalt bei Athen. XI 508 a. Die dort unter dem Namen des Aristoteles überlieferte Definition des νόμος findet sich wörtlich in dem Briefe 1420 a 25, in den sie vermutlich von dem Fälscher des Briefes aus der Rhetorik selbst c. 1 p. 1422 a 2 und c. 2 p. 1424 a 10 mit wenigen Änderungen herübergenommen worden ist; sonach ist der Brief spätestens im 2. nachchristlichen Jhdt. der Techne vorausgeschickt worden (Heitz 286, 1). Unter den Werken des Aristoteles zählt die Schrift weder Diogenes noch der Anonymus 403 West. auf. Unter des Aristoteles Namen citiert den Anfang der Schrift erst Syrianos (Mitte des 5. Jhdts. n. Chr.); die Erwähnung von τέχναι ῥητορικαί bei David in categ. 25 b 18 und Simplikios ebenda a 42 beweist für unsere Techne nichts. Infolge ihrer Einreihung unter die Werke des Aristoteles hat die Schrift nicht wenige Veränderungen ihrer ursprünglichen Form erlitten, da eben jeder Leser in dem Büchlein die bekannten rhetorischen Lehren des Philosophen wiederfinden zu müssen glaubte (Ipfelkofer 54). Spuren anaximeneischer Doctrin bei späteren Rhetoren verfolgt Spengel in seinem Commentar. Die hauptsächlichsten Grundsätze der Rhetorik soll nach Lersch Zschr. f. Alt.-Wiss. IV (1846) 940 Dionysios von Halikarnass in seiner eigenen sich zu eigen gemacht haben. Nach Graeven (Cornuti artis rhetoricae epitome, Berlin 1891, XLVI. XLIX. LIII, 1. LXX, 4) lag vermutlich dem Neokles, Theon und dem lateinischen Verfasser der von Cicero und Cornificius gemeinsam benützten Ars ein und dasselbe griechische Lehrbuch mit anaximeneischer Doctrin vor. Auf Ähnlichkeiten mit den Vorschriften der Progymnasmatiker hat Campe aufmerksam gemacht, nur dass er den Verfasser aus diesen, nicht umgekehrt, schöpfen lässt.

Einen Grundriss des Lehrgebäudes findet man bei Blass 383–390 (vgl. auch Usener 24ff. Heitz 286f.). Von vornherein vermisst man eine Definition der Rhetorik. Im ganzen Buche findet sich nicht einmal das Wort ῥητορική (dafür πολιτικοὶ λόγοι). Es ist im Grunde nur von den εἴδη die Rede. Teil I c. 1–5 beschäftigt sich mit den δυνάμεις, das ist der Bedeutung und dem Inhalte der einzelnen Arten, der anratenden und abmahnenden (1. 2), lobenden und tadelnden (3), anklagenden und verteidigenden (4), untersuchenden Art (5). Die Arten können bald für sich allein, bald auch in Verbindung miteinander zur Anwendung kommen. Beim εἶδος προτρεπτικόν werden ungesucht und naturgemäss die τελικὰ κεφάλαια, beim ἐγκωμιαστικόν und ψεκτικόν die αὐξήσεις und ταπεινώσεις als bei diesen εἴδη besonders hervortretend abgehandelt. Es bleiben die πίστεις, die besonders den κατηγορίαι und ἀπολογίαι zufallen; diese nebst den προκαταλήψεις, αἰτήματα, παλιλλογίαι und der rednerischen Darstellung, die allen an ohne Unterschied gleich gemeinsam sind, werden in Teil II verwiesen c. 6–28: χρήσεις oder genauer ὧν προδέονται κοινῇ καὶ ὡς αὐτοῖς δεῖ χρῆσθαι, das ist rhetorische Mittel, die jedem εἶδος unentbehrlich sind. Nach Aufzählung derselben in c. 6 werden c. 7–17 [2092] die Beglaubigungsmittel (πίστεις) erörtert und zwar 7–14 die eigentlich rednerischen (ἔντεχνοι), hergenommen unmittelbar von den Aussagen der Menschen, ihren Handlungen und ihrer ganzen Persönlichkeit: das Wahrscheinliche c. 7, Beispiele 8, τεκμήρια, d. i. Nachweis von Widersprüchen in der Sache oder in den Worten des Gegners 9 (ganz anders Aristoteles), ἐνθυμήματα d. i. Nachweis von Widersprüchen in weitestem Sinne 10 (verschieden Aristoteles, vgl. Usener 37), Gemeinsprüche 11, Anzeichen 12, ἔλεγχοι d. i. unumstössliche Beweise 13. Es folgen c. 14–17 die ergänzend von aussen hinzutretenden πίστεις (ἐπίθετοι, später ἄτεχνοι): δόξα τοῦ λέγοντος) d. i. Gutachten des Sprechers (nur unserem Autor eigen) 14, Zeugenaussagen 15, peinliche Fragen 16, Eide 17. Fernere rhetorische Mittel sind: προκαταλήψεις d. i. Vorwegnahme von Einwänden und Vorwürfen der Zuhörer und Gegner 18, Bitten an die Zuhörer 19, kurz recapitulierende Schlussgedanken 20. An falscher Stelle eingeschoben ist c. 21 über εἰρωνεία; es gehört hinter 28 (Ipfelkofer 36ff.). Die folgenden c. 22–28 betreffen Mittel der rednerischen Darstellung (den t. t. λέξις kennt unser Autor noch nicht), darunter Vorschriften über das ἀστεῖα λέγειν (‚die geschmackvolle, elegante, mit Gedanken und Sentenzen geschmückte Darstellung der Rede‘, Spengel), die μήκη τῶν λόγων oder das Ausdehnen und Verkürzen der Rede 22, die Arten und Stellungen von Wörtern (dunkel und confus) 23 , über das εἰς δύο ἑρμηνεύειν (zweigliederige Periode) 24, über Deutlichkeit des Ausdrucks (hier auch über Vermeidung des Hiatus) 25, endlich über die gorgianischen Figuren 26–28. Dies ist der schwächste Teil der ganzen Schrift, der Teil, der seine ursprüngliche Gestalt am wenigsten bewahrt hat. Entschieden der schönste und beste Teil ist der dritte: τάξις c. 28–37. Hier werden wir von der Meditierstube auf die Rednerbühne selbst gewiesen. Er giebt uns die Composition der Rede als Ganzes nach ihren verschiedenen εἴδη. Wir lernen den aufgefundenen Stoff auf die einzelnen Redeteile verteilen: προοίμιον, ἀπαγγελία (auch διήγησις), βεβαίωσις, προκατάληψις oder τὰ πρὸς τοὺς ἀντιδίκους, παλιλλογία (auch ἐπίλογος; darin eingeschlossen die Erweckung der Affecte). Es folgen noch zwei kurze Anhänge, von denen der erste in dürftiger, alberner Weise den vom eristisch-isokratischen Standpunkte an sich wohlverständlichen Satz ausführt, dass ähnliche Regeln wie für die Rede auch für das Leben gelten müssten, der andere eine ethisch-politische Gnomologie enthält, die grossenteils aus der Techne zusammengestellt ist. Der zweite Anhang wird fast allgemein als spätere Compilation verworfen; die Echtheit des ersten verteidigen Spengel und Usener, leugnen Havet, Campe, Cope, Ipfelkofer 27ff.; Blass 389f. hält es für wahrscheinlich, dass beide Anhänge ursprünglich nicht zur Techne gehörten; eine zureichende Erklärung für ihr Vorhandensein und ihre Eigentümlichkeit weiss er jedoch nicht zu geben.

Schon aus der gegebenen Übersicht leuchtet ein, dass wir in unserer Rhetorik ein altes, voraristotelisches Lehrbuch vor uns haben. Nur unserer Techne eigentümlich ist die Einteilung und Durchführung des Stoffes nach den εἴδη; von den [2093] drei durch Aristoteles geschaffenen γένη kennt unsere Rhetorik das γένος ἐπιδεικτικόν ausdrücklich und formell noch nicht, wenn auch die Elemente dazu in dem εἶδος ἐγκωμιαστικόν und ψεκτικὀν schon vorhanden sind. Nur unserer Techne eigentümlich ist auch die Aufstellung des εἶδος ἐξεταστικόν, von dem nach Auffindung der drei γένη in der ganzen späteren Zeit nirgends auch nur eine Spur zu finden ist. Unserer Techne fehlt das seit Aristoteles einen festen Bestandteil der rednerischen Überzeugungsmittel bildende Capitel vom ἦθος (Ipfelkofer 46). Es fehlt ihr die seit Aristoteles ganz allgemein anerkannte Lehre, dass die λέξις verschieden sei auch nach den εἴδη der Reden (Ipfelkofer 52). Mit der alten Rhetorik überhaupt gemeinsam ist ihr das Fehlen von Vorschriften über den Vortrag und das Gedächtnis und die Unkenntnis der Statuslehre (wenngleich schon Keime, Volkmann 45f.). Auch lässt der äusserst dürre und dürftige Abschnitt über den Stil und seine Stelle unter den Beglaubigungsmitteln auf ein hohes Alter schliessen. Dazu kommt endlich das Schwanken in der Terminologie gegenüber dem späteren Usus, der sich so fest ausgebildet hat, dass kein Rhetor im wesentlichen davon abgewichen ist (im übrigen vgl. Spengel Philol. XVIII).

Hauptquelle unserer Rhetorik waren die attischen Redner. Aus ihrer Praxis hervorgegangen (s. Spengels vortrefflichen Commentar. Kohl De Isocratis suasoriarum dispositione, Creuznach Progr. 1874. Lehmann de Lehnsfeld De or. ad Demonicum Isocrati abiudicanda, Leyden 1879), ist sie von einziger Wichtigkeit für das Verständnis ihrer Kunst. Zweck der Techne war die Überredung um jeden Preis, selbst mit unmoralischen Mitteln (Ipfelkofer 23f.). Aus ihr konnten die angehenden Redner in demokratischen Staaten am besten die sophistischen Künste, jeder Sache, auch der schlechtesten, zum Siege zu verhelfen, kennen lernen, wozu die für den praktischen Gebrauch überhaupt wenig geeignete aristotelische Rhetorik nicht anleitete. Im Verhältnis zu den früheren Technographen wird man besonders darin einen Fortschritt unseres Autors erblicken, dass er auf die Beweise ein Hauptgewicht legt. Mit Aristoteles berührt sich unsere Rhetorik naturgemäss vielfach. Jedoch tritt sie gegenüber seiner tiefbegründeten und scharfgegliederten Systematik, seiner ‚Philosophie der Rhetorik‘ sehr in Schatten. Ihr Autor ist nur oberflächlich mit Philosophie bekannter Empiriker. Um logische Abteilungen und symmetrische Durchführung kümmert sich unser Praktiker wenig; das Wichtigste finden wir auch am ausführlichsten behandelt. Dabei verliert er das Ganze nie aus den Augen; er ist im Gegenteil auf strenge Ordnung peinlich bedacht durch wiederholte Ankündigungen und Verweisungen. Bei der Beurteilung der Schrift als Kunstproduct darf man nicht vergessen, dass der Stoff zu höherem Schwunge, kunstvoller Composition, belebenden Figuren keinen Anlass gab. Aus diesem Grunde und infolge des übertriebenen Strebens des Autors nach Deutlichkeit und Übersichtlichkeit ist der Gesamteindruck, den die im ganzen isokratische Darstellung und Composition bei dem Leser hinterlässt, der von Mattigkeit und Schwäche gemäss dem Urteil des Dion. de [2094] Isae. 19 (Blass 395ff.). Bemerkenswert ist, dass sich unentschuldbare Hiaten entgegen den Vorschriften der Techne vielfach finden, hauptsächlich in dem mittleren Teile der Schrift, was ein grelles Streiflicht auf ihre Verderbtheit wirft. Eben damit wird man auch etwaige sprachliche Bedenken rechtfertigen, die nur zu oft ohne Grund für eine spätere Ansetzung der Rhetorik geltend gemacht worden sind (Spengel Praef. XI. Usener 52. Blass 394. 587).

In der That ist die Rhetorik in sehr verwahrloster Gestalt und aus ganz späten Hss. überliefert. Nicht wenige Verderbnisse, wie Einschiebsel, Nachträge, Versetzungen, Lücken, für die Campe mit Unrecht seinen Diaskeuasten verantwortlich macht, fallen der Überlieferung zur Last und hängen, wie Ipfelkofer an einigen Beispielen schön dargelegt hat, zum Teil mit der Einreihung der Rhetorik unter die Werke des Aristoteles zusammen. Der Text erschien ausser in den Gesamtausgaben des Aristoteles zuerst in der Ausgabe der Rhetores Graeci von Aldus (Venedig 1508) 235–268. Zu seiner Verbesserung ist bis auf I. Bekker nur wenig geschehen, viel dagegen von Spengel in der Specialausgabe A. ars rhetorica quae vulgo fertur Aristotelis ad Alexandrum, Zürich u. Winterthur 1844, mit neuem Titel Leipzig 1847 und in seiner neuen Bearbeitung in den Rhet. Gr. I (Leipzig 1853) XI–XIII. 169–242. Über den hsl. Apparat vgl. Spengel Spec.-Ausg. V–VIII. Usener 44ff. Die zuverlässigste Grundlage für die Textesrecension bieten die Hss. C (Paris. 2039), F (Florent. LX 18), M (Monac. 75), alle erst saec. XV. Schätzbare von Spengel bereits benützte kritische Beiträge haben geliefert Sauppe Epist. crit. ad G. Hermannum, Leipzig 1841, 148–151. Halm Philol. I 1846, 576–581. Finckh Progr. Heilbronn 1849, 12–20; seitdem sind kritisch-exegetische Beiträge veröffentlicht worden von Finckh Jahrb. f. Philol. LXIX 1854, 634–637. Usener besonders 57ff. Funkhänel Philol. XV 1860, 620–625. Sauppe ebenda 626–637. Kayser Jahrb. f. Philol. LXX 1854, 280–290; Zschr. f. Alt.-Wiss. XIV 1856, 241–253; Rh. Mus. XVI 1861, 62–71, gelegentlich von Campe, Ipfelkofer u. a. (s. u.). Lateinische Übersetzungen finden sich in der Ausgabe der Rhetores von Aldus 1523 und in einigen Gesamtausgaben des Aristoteles; die von Philelphus (Venedig 1504) ist wieder aufgelegt in den Ausgaben von Casaubonus und Duval und bildet die Grundlage der Übersetzungen in der Aristotelesausgabe von Buh1e V (Strassburg 1799) 1–166, in der der preuss. Akad. III (Berlin 1831) 727–742 und in der von Firmin Didot I (Paris 1848) 411–456. Gleichzeitig erschienen zwei deutsche Übersetzungen, beide Stuttgart 1840, die eine von Knebel in der Aristotelesübersetzung von Hoffmeister und Knebel IV 2, die andere von Spengel in der Metzlerschen Sammlung CCI. Eine französische Übersetzung veröffentlichte Barthélemy St.-Hilaire in Oeuvres d’Aristote. La rhétorique II (Paris 1870) 185–342. Eine Übersicht über die Litteratur zur Frage bis 1849 giebt Finckh 1f., bis 1889 Ipfelkofer; zu vergleichen sind noch die Litteraturangaben bei Westermann Gesch. d. griech. Bereds. 141, 8. 145, 4. Rehdantz Gött. gel. Anz. 1872, 1203. [2095] Susemihl 451ff. Bei Erwägung der Frage kommen insbesondere in Betracht die Arbeiten von Spengel Synag. (Stuttgart 1826) 182–191; Zschr. f. Alt.-Wiss. VII 1840, 1258–1267; Vorbemerkungen zur Übersetzung 311–317; Specialausgabe VIII–XII. 99ff.; Zschr. f. Alt.-Wiss. V 1847, 9–14 ; Münch. gel. Anz. XL 1855, 115; Philol. XVIII 1862, 604–646; Rh. Mus. XVIII 1863, 483. Lersch Sprachphilosophie der Alten II (Bonn 1840) 280–290; Rh. Mus. I 1842, 176–192; Zschr. f. Alt.-Wiss. IV 1846, 919–940. Campe Jahrb. f. Philol. XLV 1845, 59–78; Philol. IX 1854, 106–128. 279–310 (auch IV 1849, 130). Kayser a. O. Finckh De auctore rhetoricae quae dicitur ad Alexandrum, Progr. Heilbronn 1849, 1–11. Havet Étude sur la rhétorique d’Aristote, Paris 1846, 122–126; De la rhétorique connue sous le nom de rhétorique à Alexandre, in: Mémoires de l’académie des inscr. et belles lettres I 2, 1852, 197–229. Usener Quaestiones Anaximeneae, Göttingen 1856. Cope An Introduction to Aristotle’s Rhetoric, London 1867. Barthélemy St.-Hilaire a. O. 155–183. Blass Att. Bereds. II² 382ff. Ipfelkofer Die Rhetorik des A. unter den Werken des Aristoteles, Würzburg Diss. 1889. Susemihl Gesch. d. griech. Litt. in der Alexandrinerzeit II 451–457; quasest. Aristot. I Greifswald 1892, XIff.; Jahresber. LXVII 153f.; vgl. ausserdem Westermann a. O. 143–146. Sauppe O. A. II 321. Rose De Aristot. libr. ord. et auct., Berlin 1854, 100–104; Arist. pseudepigr., Leipzig 1863, 136. Zeller Philos. d. Griechen II 2³, 78, 2. Heitz Forts. v. O. Müller Gesch. d. gr. Litt. II 2, 286f. Volkmann Rhetorik² 2. 19. Christ Gesch. d. griech. Litt.² 419.

Neben der Redekunst war es die Geschichte, der sich unser Rhetor mit Vorliebe zuwandte. In seinen historischen Werken ist abermals der Rivale des Theopompos, Ephoros und anderer Isokratiker nicht zu verkennen. In chronologischer Aufeinanderfolge schrieb er drei grössere Geschichtswerke (ἱστορίαι, Dion. Hal. de Isae. 19), auf die Pausanias VI 18, 2 hinzuweisen scheint: 1) Ἑλληνικά (Diod. XV 89, 3. Harp. s. Ἀμφικτύονες und Ἀρχιδάμειος πόλεμος = Apostol. II 70. III 78) oder πρῶται ἱστορίαι (Athen. VI 231 c; diesen Titel bezieht Campe Philol. IV 129 nur auf den ersten Teil des Werks ‚die Urgeschichte‘). Gleich seinem Lehrer Zoïlos begann A. das erste Buch mit der Theogonie und Anthropogonie. In nur 12 Büchern umfasste das Werk fast die gesamte hellenische und barbarische Geschichte bis zur Schlacht bei Mantineia (Diod. a. O.). Hierher gehören die Fragmente bei Strabon XIII 589. XIV 635. Plut. Poplic. 9. 2) Φιλιππικά (Harp. s. πεζέταιρος = Phot. und Suid. s. v. Harp. s. Ἁλόννησος, Καβύλη, Μύρτανον, ὁ κάτωθεν νόμος) oder τὰ περὶ Φίλιππον (ebd. s. Μάστειρα = Phot. und Suid. s. v.) in mindestens 8 Büchern (ebd. s. Καβύλη). Die Fragmente 11–13 Müll. beziehen sich auf Philipps thrakischen Krieg 342–339 (Schäfer Demosth. II² 445). Benützt wurde das Werk von Didymos (Harp. s. ὁ κάτωθεν νόμος). Hierhin gehören die Fragmente bei Athen. V 217 d und Eustratios zu Arist. Eth. Nik. III 8 p. 46 b. 3) τὰ περὶ Ἀλέξανδρον, wovon Buch I citiert wird bei Harpokration s. ἀκινάκης, Buch II ebd. s. Ἀλκίμαχος. [2096] Erwähnt wird dies Werk auch von Diog. Laert. II 3 (A. ὁ τὰς Ἀλεξάνδρου πράξεις γεγραφώς). Harpokration s. Ἀλκίμαχος bezieht sich auf Ereignisse in Athen vor der Zerstörung Thebens; danach müsste das Werk sehr umfangreich gewesen sein. Plin. ind. auct. XII. XIII citiert A. unter den Autoren, die ihm Stoff geboten haben, um über die Bäume Asiens zu schreiben. In dies Werk gehört das Fragment bei Plut. Alex. fort. I 3. Die geringe Zahl der erhaltenen Fragmente gestattet ebensowenig auf die Form als auf die historische Bedeutung der Geschichtswerke einen sicheren Schluss. Doch muss die Form eine überwiegend rhetorische gewesen sein gemäss dem schriftstellerischen Charakter des Ephoros und Theopompos; an allen drei Historikern tadelt Plut. reipubl. ger. praec. 6, dass sie ihre Feldherrn vor Beginn der Schlacht sorgfältig ausgearbeitete Prunkreden und abgezirkelte Perioden vortragen lassen, indem er auf sie den Vers des Euripides anwendet: οὐδεὶς σιδήρου ταῦτα μωραίνει πέλας (vgl. Dion. Hal. de adm. vi dic. Dem. 18; de Isae. 19). Für die nicht gerade geringe Bedeutung der Geschichtswerke spricht der Umstand, dass A. von Kritikern der alexandrinischen Zeit gewürdigt wurde, in den Kanon der zehn griechischen Historiker aufgenommen zu werden (Montfaucon Bibl. Coisl. 597). Gegen den harten Tadel Geiers 283 nehmen den Historiker in Schutz Creuzer Hist. Kunst d. Griechen² 387 und Campe Philol. IV 130. Die Notiz des Porphyrios bei Euseb. praep. ev. X 3, 3, wonach Ephoros viel aus den Geschichtswerken des A. ausgeschrieben habe, verdient ebensowenig Glauben wie die des Clem. Alex. Strom. VI 2, 26 Dind., wonach A. gleich vielen andern Historikern die Schriften des Melesagoras ausgeplündert haben soll (Müller script. 35). Sammlung der Fragmente bei Geier Alex. M. hist. script. aetate suppares, Leipzig 1844, 285–289 und Müller script. rer. Alex., Paris 1846, 33ff. (dazu Stiehle Philol. IX 1854, 464f.).

Ausser den genannten Werken schrieb A. den obenerwähnten Τρικάρανος (Τριπολιτικός nach Jos. c. Ap. I 24; Verwechselung mit dem diesen Namen tragenden Werke des Dikaiarchos? Heitz 455, 3). Dieses Pamphlet auf die Häupter der drei Städte Athen, Sparta und Theben verfasste A. mit genauester Nachbildung der Manier des Theopompos und versandte es unter dem Namen desselben überall hin; die Täuschung war so gut gelungen, dass der ohnehin verhasste Theopompos in ganz Griechenland in noch grösseren Misscredit geriet (Paus. VI 18, 5. Jos. a. O. Luk. Pseudolog. 29. Aristid. Rom. encom. I 342 Dind. Euseb. praep. ev. X 10, 22. Synkell. p. 121 Bonn.). Gegen den Trikaranos schrieb der Isokratiker Philiskos (Suid. s. Φίλιστος. Blass II² 454). Nach dem griechischen Vorbilde dichtete Terentius Varro (Sat. Men. rec. Riese 232) die Satire Τρικάρανος auf Pompeius, Caesar und Crassus. Der von Dion. Hal. ant. Rom. I 2 neben Theopompos erwähnte und seiner Schmähsucht wegen getadelte Historiker Anaxilaos beruht wohl nur auf einer Verwechselung mit A. (Müller script. rer. Alex. frg. 34, Anm. **; FHG II 84). In der Mitte zwischen Geschichtschreibung und Rede scheint zu stehen ein βασιλέων μεταλλαγαί betiteltes Werk, worin eine Reihe gewaltsamer Todesfälle von Königen [2097] mitgeteilt worden ist (Athen. XII 531 d. e. Steph. Byz. s. Πασσαργάδαι. Ebert Diss. Sic. I, Königsberg 1825, 102–107. Geier a. O. 279–281). An die Homerstudien seines Lehrers Zoïlos, des bekannten Homeromastix, erinnern die συντάξεις περὶ τοῦ ποιητοῦ (Dion. Hal. de Isae. 19), über deren Tendenz jedoch nichts bekannt ist; aus ihnen ist wohl die Notiz in der vit. Hom. 30 West. geschöpft, wonach auch A. den Homer für einen Chier erklärte. A. seinerseits scheint seinen Schüler Timolaos für Homer interessiert zu haben, den Herausgeber von Τρωϊκά, in denen er nach jedem Verse der Ilias einen eigenen einfügte (Suid. s. Τιμόλαος). Eine grössere Anzahl Fragmente allgemein ethischen Inhalts bei Stob. flor. XXXVIII 44. 45 (über Neid). LXXIX 37 (Elternliebe). XCVII 21 (Mitleid bei Reichen und Armen). 22 und 22 a (Armut). CXVII 5 (sinnliche und geistige Lust im Hinblick auf das Greisenalter), in deren letztem Platons Republik (I 328 d) fast wörtlich benützt ist, weist Usener 20 den vermutlich auch mit Gnomen nach der Manier der Isokrateer (Polyb. XII 28) ausgestatteten Geschichtswerken des A. zu. Nach Sauppe könnten Stob. XXXVIII 44. 45. LXXIX 37 auch aus Reden entnommen sein, die übrigen nicht; auch passten die angegebenen Fragmente besser in ein philosophisches Werk. Ein solches vermutet Blass 381, was gewiss bei einem Schüler des Diogenes nicht auffallen könnte. Endlich trug noch ein Epos auf Alexandros den Namen des A. Pausanias VI 18, 6 bezeichnet es als untergeschoben. Doch wäre ein Gedicht bei einem Manne, der sich in jeder Form der Rede versuchte, an sich nicht von der Hand zu weisen; zudem wird A. als schlechter Poet mit Choirilos in einer herkulanischen Rolle aufgeführt (Usener Rh. Mus. XLIII 1888, 150).

Des A. äussere Erscheinung und sein Aufzug gaben dem Diogenes und Theokritos Anlass zum Spotte; ersterer verhöhnte ihn wegen seiner Corpulenz (Diog. Laert. VI 57), letzterer wegen seiner ungebildeten Art, den Mantel umzuschlagen (Athen. I 21 c). Seinen politischen Standpunkt kennzeichnet seine tadelnde Äusserung über die Tyrannis (Stob. flor. XLIX 17). Bezeichnend für das selbstgefällige Wesen des Sophisten, den er auch sonst in seinem Charakter nicht verleugnet (vgl. Techne; Τρικάρανος; Luk. Her. 3. Dion. Hal. ant. Rom. I 2), ist das Urteil bei Plut. comp. Dem. et Cic. 2; da wird Cicero wegen seiner masslosen Ruhmredigkeit getadelt, die sich nicht blos auf seine Thaten, sondern auch auf die von ihm gehaltenen und geschriebenen Reden erstrecke; daran schliessen sich die Worte ὥσπερ Ἰσοκράτει καὶ Ἀναξιμένει τοῖς σοφισταῖς διαμειρακιευόμενος ‚wie wenn er knabenhaft um den Vorrang stritte mit Isokrates und A.‘ (vgl. auch Philod. a. O. p. 70 σεμνυνόμενος. Im Zusammenhange damit steht seine Neigung, auf den verschiedensten Gebieten gelten zu wollen. Er versuchte sich litterarisch als Redner und zwar in allen drei Gattungen, als Rhetor, Historiker, Philosoph, Poet. Freilich entsprach seiner Fruchtbarkeit nicht in gleichem Masse der Erfolg. Im allgemeinen war er mehr Rhetor als Philosoph; er ging mehr in die Breite als in die Tiefe. Dies gilt auch von seinem Vortrage (Stob. flor. XXXVI 20), der eben deshalb wenig fesselnd gewesen zu sein scheint (vgl. die Anekdote [2098] bei Diog. Laert. a. O.). Das gleiche Urteil fällt Dion. Hal. de Isae. 19 über seinen Stil; bei seinem Streben, in allen Stilgattungen etwas Vollendetes zu leisten, erhöbe er sich nirgends über das Mittelmässige, vielmehr wäre er ἐν ἁπάσαις (ταῖς ἰδέαις τῶν λόγων) ἀσθενὴς καὶ ἀπίθανος (matt und wenig anziehend). Trotzdem hatte sich der ungemein befähigte Sophist (man denke nur an das Geschick, mit dem er sich in den Ideenkreis und die Schreibweise des Theopompos hineinlebte) unter den Gebildeten seiner Zeit eines nicht geringen Rufes zu erfreuen (Dion. a. O. Diod. XV 76; sein Ruf an den makedonischen Hof). Über A. überhaupt vgl. Heitz a. O. 452–455. Christ 312, besonders Usener a. O. und Blass II² 378–399.