RE:Argestes

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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griechische Personifikation des Nordwest- oder Westnordwestwinds
Band II,1 (1895) S. 715717
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Argestes, ἀργέστης, der Nordwest- oder Westnordwestwind. Das Adjectiv ἀργεστής ist bei Homer (Il. XI 306. XXI 334) Beiwort des Notos, bei Hesiod (th. 379. 870, vgl. Schol. Apoll. Rh. II 961) schon des Zephyros. Aus einem Attribute des Westwindes ist A. dann Bezeichnung seines nördlichen Seitenwindes geworden. Aristot. meteor. II 6, 11 rechnet ihn zu den Westwinden. Genauer bestimmt er ihn ebenda 7: der A. oder Olympias oder Skiron ist Gegenwind des Euros und kommt von dem Punkte des Sonnenunterganges am längsten Tage. Dieser ist für die Breite Griechenlands (Athens) etwa 30° vom Westpunkte entfernt (s. u. a. Berger Gesch. d. wiss. Erdk. d. Gr. II 109), liegt also in Westnordwest. Die weitere Dreiteilung dieses Quadranten vollzieht Aristoteles, indem er (ebd. 8) ‚mitten‘ zwischen A. und Aparktias den Thraskias einsetzt. Die gleiche Stellung hat der A. in der auf aristotelischer Grundlage ausgeführten zwölfteiligen Windrose (des Timosthenes). In der achtteiligen Rose behält der A. entweder seine Stellung als Wind vom Sommersolstitialuntergange, oder er rückt in die Mitte zwischen West- und Nordwind, wird also Nordwest. So bei Eratosthenes, s. Berger a. a. O. III 104. Für die weiteren Nachweise über die Stellung des A. ist auf den Artikel Windrose zu verweisen. Hier können nur einzelne Abweichungen hervorgehoben werden. Adamantios περὶ ἀνέμων γενέσεως (Rose Anecd. gr. et graecol. I 35) vertauscht A. und Thraskias, giebt aber im übrigen die Rose des Timosthenes. Sehr auffällig ist die Stellung des A. als südwestlicher Wind und des Africus als [716] nordwestlicher in der achtteiligen Rose bei Gellius II 22, 12 = Galen. XVI 406 Kühn (Favorin, s. Kaibel Herm. XX 592f.). Auch in jener ungewöhnlichen Anordnung bei Strabon I 29 erscheint er als Westsüdwest, als Westnordwest der Zephyros. Dass aber sogar der Ostwind mitunter A. genannt worden sei (s. Roscher Hermes als Windgott 96; Berl. phil. Wochenschr. XIII 1300), werden wir nur als Vermutung von Grammatikern anzusehen haben, die in den oben citierten Hesiodstellen sehr mit Unrecht die vier Cardinalwinde suchten. Verwirrt ist Veget. de re milit. V 8 und noch mehr Apul. de mund. 11 (bei beiden die zwölfteilige Rose). Endlich ist auf die Localnamen zu verweisen (s. u.), die das Wort A. zum Teil verdrängt haben.

Seinem Wesen nach rechnet Aristoteles meteor. II 6, 16ff. den A., wie die Westwinde überhaupt (ebd. 12) zu den nördlichen Winden, und stellt ihn besonders mit dem Aparktias und Thraskias zusammen. Er ist kräftig (vgl. die antike Etymologie von A. = ταχύς, z. B. von Vaniček angenommen), kühl, bringt heiteres und trockenes (Arist. a. a. O. 19) Wetter (A. = λευκός, aufhellend, vgl. Curtius, Prellwitz), unter Umständen aber, wie der Aparktias auch, Hagelschläge mit elektrischen Entladungen. Diesen kräftig in die Wolken hineinfahrenden und sie zerstreuenden Nordwestwind (Arist. a. a. O. 16) nennt das homerische Gleichnis (Il. XI 305) Zephyros, vgl. Poseidonios (bei Strab. I 29, Bake Posidon. rell. 85), der speciell Homers δυραὴς ζέφυρος mit dem A. identificieren will. Sicher ein nordwestlicher Wind ist auch der ζέφυρος der mit dem Boreas von Thrakien kommend das Meer aufregt (Il. IX 5). Als Olympias (s. d.) ist der im Winter von der kalten Ebene Thessaliens strömende A. in Euboia gefürchtet und dem Pflanzenwuchse verderblich; vgl. Neumann-Partsch Phys. Geogr. v. Griechenl. 107. Verbreiteter als dieser und ebenfalls schon von Aristoteles (und Theophrast vent. 62) genannt, ist der attische Localname des A., Skiron, geworden (s. d.). Er ist für Attika ein heftiger und trockener Wind (Partsch 108), und entspricht so der allgemeinen Charakteristik des Aristoteles. Dagegen bringt der A. der südwestlichen Küste Kleinasiens die Feuchtigkeit des Meeres, vgl. Theophr. vent. 51, der zustimmend eine Wetterregel aus Knidos und Rhodos anführt: Λὶψ ἄνεμος ταχὺ μὲν νεφέλας ταχὺ δ’ αἴθρια ποιεῖ, ἀργέστῃ δ’ ἀνέμῳ πᾶσ’ ἕπεται νεφέλη. Auch in Unterägypten galt der im Sommer häufige Nordwest als Regenbringer, wie die Notizen über den A. im Kalender des Ptolemaios (Petav. Uran. 85ff. Lydus de ostent. ed. Wachsmuth 239ff.) zeigen, vgl. Supan Statist. d. unt. Luftström. 120f. Von entlegenerem Gebiete erwähnt Ähnliches Plut. Sertor. 8. Auch auf der Westseite der griechischen Halbinsel, an der Küste des adriatischen und ionischen Meeres, sind die Nordwestwinde im Sommer vorherrschend, sie sind die etesiae, die Jahreswinde für diese Gebiete; s. d. und Partsch 95. Supan 108. Hesych. ἀργέσται οἱ ἐτήσιοι. Hier im ionischen Meere brachte die Schiffahrt den Griechen als weiteren Localnamen des A. den wohl schon dem Timosthenes bekannten (Kaibel a. a. O. 608) Iapyx, eine besonders in römischer Zeit wegen der Wichtigkeit dieses Windes für die Verbindung Roms mit Griechenland [717] verbreitete Benennung, s. d. Als sicilischer Name des A. ist bei Theophrast de vent. 62 Δερκίας überliefert, was schon Salmasius Plin. exerc. 1258 in Κερκίας verbessert hat, s. Circius. Ausser Iapyx ist auch das Wort A. selbst von den Römern aufgenommen worden, für dessen Fortleben in lateinischer Sprache seine volksmässige Entstellung agrestis spricht, gegen die Isidor orig. XIII 11, 10 sich wendet (vgl. die Hss. von Isid. n. rer. 37). Beide Namen kennt schon Varro neben dem eigentlich lateinischen Worte Caurus oder Corus (Kaibel a. a. O.). Seneca n. qu. V 16, 5 will sogar zwischen A. und Corus unterscheiden. S. Caurus. Vgl. W. H. Roscher Hermes als Windgott (Lpg. 1878) 96.