RE:Argos 27
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Hundename | |||
Band II,1 (1895) S. 796–798 | |||
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27) Hundename: berühmtes Prototyp a) der Hund des Odysseus Od. XVII 291 ff.; die schlichte und ergreifende Erzählung ist sprichwörtlich für Hundetreue geworden (Lucilius Anth. Pal. XI 77. Aelian. de nat. an. VII 29, der aber IV 40 die Möglichkeit der Geschichte anzweifelt, weil ein Hund höchstens 14 Jahre alt werden könne); bildliche Darstellungen gesammelt bei Robert Die antiken Sarkoph.-Reliefs II 161f. b) Hund des Aktaion. Apollod. III 4. 4, 6 (zweifelhafte Lesart). c) auch der Hüter der Io (s. o. Nr. 19) wird gelegentlich rationalisierend als Hund gedacht (Tzetz. Paraphr. d. Il. 153, der aber wohl zu Unrecht das von Hipponax frg. 1 Bgk.⁴ dem Hermes gegebene Beiwort κυνάγχης so versteht).
Kritik der Sage. Wirklich mythischen Gehalt haben nur die beiden zuerst aufgeführten Träger des Namens A. Der Argonaut A. ist erst durch falsche Etymologie des Schiffsnamens Argo (s. Artikel Argo Nr. 1) entstanden; dass man ihn dann zu einem Sohne des Phrixos machte, Ptolemaios Chennos ihn gar zum Sohne des Iason stempelte, ist nicht auffallend; eine Vermischung mit Nr. 18 ist es, wenn ihn Apoll. Rhod. I 324f. Hyg. fab. 14 das Stierfell des argivischen Helden tragen lassen; auch bei dem Verfertiger des argivischen Herabildes denkt die spätere Zeit wohl meist an den Erbauer der Argo, der das Rheabild in Kyzikos geschnitzt: seine Localisierung in [797] Thespiai ist ein Fingerzeig, dass er vermutlich im Kulturkreis von Euboia (s. u.), auf den auch der Name Chalkiope hinweist, mit den Argonautensagen verschmolz. Der Gigant Nr. 23 ist A. Panoptes selbst, der ja auch sonst gelegentlich μέγας Ἄργος und γηνενής heisst und auf dem chalkidischen Vasenbild in riesenhafter Grösse dargestellt ist. Der Kyklop Arges heisst wohl nur durch Versehen zweimal A. Als Hundename bedeutet A. ,Flink‘ oder ,Weiss‘ und hat mit mythischen Vorstellungen überhaupt nichts zu thun. Warum Nonnos einen Pan so benennt, weiss ich nicht zu sagen, wenn nicht etwa der Name auf die weissen Haare, die er demselben beilegt, anspielen soll; ebenso vermag ich den Sohn des Neoptolemos nicht zu erklären; der römische A. beruht auf etymologisierender Spielerei. Es bleiben also nur der argivische Heros und der Hüter der Io. Und hier ist die Annahme wohl nicht zu gewagt, dass beide Gestalten ursprünglich identisch sind. Schon in der Überlieferung fliessen beide gelegentlich in einander über: bei Hyg. fab. 275 ist A., der Sohn des Agenor, Gründer von Argos; Apollodor schreibt die Thaten des Zeussohnes A. dem A. Panoptes zu; A. Panoptes trägt ein Stierfell bei Aristoph. Ekkl. 80 (vgl. Dionys. Kyklogr. frg. 1; auch die bildlichen Darstellungen geben ihm meistens ein Fell, das jedoch der Vieläugigkeit zu liebe als Pantherfell charakterisiert zu werden pflegt). Wenn man nun bedenkt, dass auch bei Athen ein Heros Panops an einer Quelle (Plat. Lys. 203 A) Tempel und Agalma besass (Hesych. und Phot. s. Πάνοψ), dass auch Zeus (Hesych. und Phot. s. Πανόπτης und Helios (Aisch. Prom. 91) den Beinamen Πανόπτης führten, so wird es wahrscheinlich, dass auch A., der Sohn des Zeus und der Hera-Hypostase Niobe, der Hain und Grabmal bei A. besass, eine göttliche Gestalt ist. Die ihr zu Grunde liegende Vorstellung lässt sich nicht ohne Heranziehung des Iomythos ermitteln. Man hat früher gewöhnlich (schon Macrob. Sat. I 19, 12) A. für ein Symbol des Sternenhimmels, und Io für den Mond gehalten (am ausführlichsten Pott Jahrb. f. Philol. Suppl. III 293–325): diese neuerdings von Siecke (Beitr. z. genaueren Erk. d. Mondgotth. b. d. Griech., Progr. Friedr.-Gymn. Berlin 1885) wieder aufgenommene Auffassung ist bereits von Plew (Jahrb. f. Philol. CI 1870, 665) kurz und treffend widerlegt worden; derselbe hat auch Overbecks (De Ione, Progr. Univ. Lips. 1872) Deutung der Io als Erdgöttin (ähnlich bereits H. D. Müller Myth. d. gr. Stämme II 346f., der in dem Paare Io und A. den ἱερὸς γάμος der Demeter mit dem Lande A. erblickt) widerlegt (ebd. CVII 1873, 697). Ausgehen muss man von der Figur der Io; ihr ganzer Mythos eignet sie dem Kultbereich der Hera zu, sie ist eine Hera-Heroine, die mit begreiflicher Umwandlung einer Version zufolge als Priesterin der Hera erscheint. Sie ist eigentlich Hera selbst, eine Hypostase der Hera. Hierzu passt aufs beste ihre Kuhgestalt; Hera selbst ist ja βοῶπις schon bei Homer, wie Io βουκέρως ist; zahlreiche Idole in Form von Kuhköpfen sind in Mykenai und beim Heraion gefunden worden. Auch der Name fügt sich dieser Auffassung; längst ist erkannt, dass Ἰὼ nur eine Kurzform ist. Wie lautete der volle Name? Preller-Robert I 395, 1 erinnert [798] an Ἰόλη, Ἰοκάστη; Maass (Anal. Eratosth. 130) nimmt als Vollnamen Ἰόπη an, was im Hinblick auf die sichere Hera-Hypostase Niobe sehr wahrscheinlich ist. Allein man muss weiter gehen; auch dies ist noch Abkürzung ohne Sinn: der volle Name ist im Zusammenhang mit A. in die Argonautensage verschlagen worden und lautet Ἰοφῶσσα (s. o. S. 795). ,Die wie Veilchen Glänzende‘, wie hätte wohl der Südländer seine Himmelsgöttin besser bezeichnen können? Ist diese Auffassung der Io richtig, so folgt daraus für A., dass er die zu Hera-Io gesellte männliche Gottheit ist. Es ist nur eine Übersetzung dieser Thatsache in die Sprache des Mythos, wenn A. im Auftrage der Hera deren Hypostase bewacht. Und jene Thaten, die der argivische Held vollbringt, er vollbringt sie im Auftrage und Dienste der Hera, ein rechter Ἡρακλῆς, mit dem der boiotische Alkaios verschmilzt, noch ehe die Dorer ihn für sich in Anspruch nehmen. Er hat zwei Gesichter, wie jene alte Naturgottheit, die im Amyklaion verehrt wurde, oder auch drei Augen, so steht sein Bild auf der Larisa von A., wo es Zeus genannt wird (Paus. II 24. 3). Und er selbst ist eine Art von Zeus; denn im Herakult von A. hat Zeus keine Stelle; der Himmelsgöttin Io-Hera ist der Himmelsgott A. gesellt (Phrixos + Iophossa = A. + Io-Hera), in ihrem Dienste vollbringt er seine Thaten (über dies gynaikokratische Element vgl. Toepffer Att. Geneal. 187; vgl. auch die Parallele Herakles und Omphale). Er hat ein Tag- und ein Nachtgesicht, er sieht alles; ausser den beiden Augen menschlicher Bildung hat er noch ein grosses drittes, die Sonne. Der Mythos von seiner Tötung durch Hermes ist erst aus einer falschen Erklärung des homerischen Beiwortes Ἀργειφόντης (s. d.) für Hermes entstanden. Hermes hat, wie die Kunstdarstellungen zeigen, gar keine Waffe, um A. zu töten: wie Perseus das Ketos, wirft er den A. zuerst mit Steinen, auf den Vasenbildern greift er ihn mit dem Schwert an; die Einschläferung der Augen durch die Syrinx ist erst verhältnismässig späte Erfindung.
Was die Geschichte der Sage betrifft, so muss unentschieden bleiben, ob diese früher am Berge Euboia in Argos oder auf der Insel Euboia (vgl. Maass De Aesch. Suppl., Ind. Gryph. 1890–91. XXIIff.) heimisch war. Im allgemeinen vgl. Preller-Robert I 394ff. M. Mayer Gig. u. Tit. 115ff. Maass Gött. Gel. Anz. 1889 II 108. Engelmann Roschers Lex. II 263ff. J. Harrison Classical Review VII 1893, 74 ff.