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RE:Ariston 56

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Stoiker von Chios
Band II,1 (1895) S. 957959
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56) A. von Chios, Stoiker, Schüler des Zenon von Kition, Sohn des Miltiades; φάλανθος (der Kahlkopf) oder wegen seiner einschmeichelnden Beredsamkeit Σειρήν zubenannt. Nach Diog. Laert. VII 38 war ihm schon im Jünglingsalter eine übermässige Zungenfertigkeit eigen, die seinem Lehrer Zenon missfiel. Auch später zeichnete er sich durch eine auf die Masse wirkende Suada aus (Diog. 161 mit dem bezeichnenden Vers aus Timons Sillen). Als Zenon einmal längere Zeit krank war, soll er die Schule desselben verlassen und sich dem Polemon angeschlossen haben (Diokles von Magnesia bei Diog. 162). Ist diese Nachricht richtig, so hat jedenfalls der Unterricht des Polemon keinen nachhaltigen Einfluss auf ihn ausgeübt, da sich seine eigene Lehre vielmehr nach der entgegengesetzten, kynischen Seite von dem zenonischen Standpunkt entfernte. Er trat, vermutlich erst nach Zenons Tode, im Kynosarges als Lehrer auf und gründete eine eigene Schule, die sich nach ihm Ἀριστώνειοι benannte. Diogenes 161 nennt als seine Schüler Miltiades und Diphilos. Zu einem dauernden Bestande brachte es indes diese Schule nicht. Sie erlosch bald nach dem Tode ihres Stifters. Die spätere stoische Orthodoxie von Chrysippos an pflegt mit Geringschätzung von A. zu sprechen, während wir aus den Äusserungen des Eratosthenes bei Strabon I 15 wissen, dass er um die Mitte des 3. Jhdts. neben Arkesilaos der einflussreichste und gefeiertste der athenischen Philosophen war. Sowohl Eratosthenes als der Stoiker Apollophanes verfassten Schriften mit dem Titel Ἀρίστων, aus denen Athenaios VII 281 c Stellen anführt, die dem A. eine seiner überstrengen ethischen Theorie widersprechende Genussucht (φιληδονία) zum Vorwurf machen. Hieraus auf einen unwürdigen Lebenswandel des A. zu schliessen, ist entschieden unzulässig. Die Worte des Eratosthenes enthalten genau erwogen nicht mehr als das an sich Selbstverständliche, dass auch A. den Menschen nicht ganz ausgezogen hatte (ἤδη δέ ποτε καὶ τοῦτον πεφώρακα etc.), und Apollophanes ist wegen stoischer Orthodoxie der Parteilichkeit verdächtig. Die Untersuchung über die Schriftstellerei des A. ist in Schwierigkeiten verstrickt, die nur die Auffindung neuer Quellen definitiv beseitigen könnte, durch die bei Diogenes 163 dem Schriftenkatalog des Chiers angehängte Notiz: Παναίτιος δὲ καὶ Σωσικράτης μόνας αὐτοῦ τὰς ἐπιστολὰς φασί· τὰ δὲ ἄλλα τοῦ περιπατητικοῦ Ἀρίστωνος. Zusammenstellung der Ansichten verschiedener Gelehrten über die Glaubwürdigkeit dieser Nachricht bei Heinze Rh. Mus. XLV 511. Da es unmöglich ist, hier in die Untersuchung der schwierigen Frage einzutreten, so beschränke ich mich auf die Andeutung, dass meines Erachtens keine Gründe vorgebracht sind, welche die Unglaubwürdigkeit jenes Urteils des Panaitios zwingend darthun. [958] Der in der späteren popularphilosophischen Litteratur häufig begegnende A. ist durchweg der Peripatetiker Nr. 52, der von Strabon X 486 als τοῦ Βορυσθενίτου Βίωνος ζηλωτής bezeichnet wird. Die Versuche von Heinze Rh. Mus. XLV 497ff. und von Hense ebd. 541ff., den Stoiker A. als Quelle bei Plutarch und Horaz nachzuweisen, sind nicht überzeugend. Mit Sicherheit können wir dem Chier A., wie ich glaube, nur zuschreiben, was bei Diogenes, Cicero, Seneca über seine dogmatischen Abweichungen von der stoischen Orthodoxie berichtet wird. Es lassen sich diese Abweichungen in folgende Punkte kurz zusammenfassen. A. verwarf die Beschäftigung mit dem logischen und dem physikalischen Teile der Philosophie, liess also nur den ethischen Teil bestehen, indem er sittliche Besserung der Menschen als den einzigen Zweck der Philosophie ansah. Die Logik, erklärte er, trüge zu diesem Zwecke nichts bei, sei also οὐδὲν πρὸς ἡμᾶς, die Physik übersteige unser Erkenntnisvermögen, sie sei ὑπὲρ ἡμᾶς. Mit dieser Beschränkung auf die Ethik kehrt A. zu dem kynischen Standpunkte zurück, über den sich Zenon erhoben hatte. Von dem ethischen Teile der Philosophie hinwiederum hielt er nur die allgemeine Tugend- und Güterlehre für wertvoll, verwarf dagegen den sog. ὑποθετικός und παραινετικὸς τόπος, die Aufstellung von Vorschriften für specielle Lebensverhältnisse und Thätigkeiten. Diese, meinte er, sei mehr Sache des Paedagogen als des Philosophen. Die Aufgabe des letzteren sei es nur, seinen Schülern eine feste und unumstössliche Überzeugung von den ethischen Grundwahrheiten einzuflössen; aus diesen könne sich ein jeder leicht selbst die Vorschriften für den einzelnen Fall ableiten. Das Wesen der Tugend setzte er in die Einsicht (φρόνησις). Aus der Anwendung derselben auf verschiedene Lebensgebiete (κατὰ τὸ πρός τί πως ἔχειν) entspringe eine Mehrheit von Tugenden. Den Inhalt der Einsicht bildet die Erkenntnis, dass unter den äusseren Lebensgütern ein Wertunterschied nicht bestehe, dass sie ἀδιάφορα seien; daher er auch geradezu als τέλος die Adiaphorie bezeichnet, die völlige Gleichgültigkeit gegen alle Dinge mit Ausnahme des sittlich Guten oder Schlechten und die Überzeugung, dass zwischen ihnen ein Wertunterschied nicht bestehe. Auch hierin nähert sich A. den Kynikern, obgleich es unrichtig wäre, ihn geradezu als Kyniker zu bezeichnen. Die von Zenon eingeführte Unterscheidung der ἀδιάφορα in προηγμένα, ἀποπροηγμένα und οὐδέτερα hat er als eine Inconsequenz wieder aufgehoben, also den Schritt zurückgethan, durch den sich Zenon vom Kynismus entfernt hatte. Aber das Princip der Adiaphorie ist doch ein neues, aus einer neuen Fragestellung hervorgewachsenes. Da uns nur die Punkte angeführt werden, in welchen sich A. von der Stoa entfernte und welche schon von Chrysippos bekämpft wurden, so können wir kein abgeschlossenes Bild seiner Lehre zeichnen. Es fehlt uns vor allem eine Andeutung, wie er die Tugend der Gerechtigkeit ableitete. Denn aus der Adiaphorie konnte zwar die σωφροσύνη und die ἀνδρεία, nicht aber die δικαιοσύνη entwickelt werden. Gerade hier musste aber der Schwerpunkt des Systems liegen, um den Widersinn zu vermeiden: [959] die Sittlichkeit bestehe in der Einsicht, dass nur das Sittliche einen Wert habe. Der Adiaphorie musste ein positives Princip ergänzend zur Seite stehen, aus welchem die sittlichen Werte abgeleitet wurden.

Litteratur: Krische Forschungen 405ff. Saal De Aristonis Chii vita scriptis et doctrina, Köln 1852. Zeller IV³ 35. 54. 230. 236. 238. 240. 242. 257. 259. 272. 313. 351. 354. Heinze Rh. Mus. XLV 497f. Gercke Arch. f. Gesch. d. Phil. V 198ff.

Anmerkungen (Wikisource)

  • Siehe auch Ariston 56a von Eitel Fischer (*1942) im Supplementband XV, Sp. 74.