RE:Cynetes

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Volk in SW-Iberien
Band IV,2 (1901) S. 19061908
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Cynetes (Κύνητες), Volk im Südwesten Iberiens, um das heutige Vorgebirge (Cap) St. Vincent. In den viel besprochenen Worten des Herodot über den Nil, worin er dem Hekataios folgt und ihn bekämpft, dass der Istros ἀρξάμενος ἐκ Κελτῶν καὶ Πυρήνης πόλιος entspringe, die Kelten aber ἔξω τῶν Ἡρακλέων στηλέων wohnten, was vielmehr von der Insel Erytheia gilt (IV 8), ὁμουρέουσι δὲ Κυνησίοισι, οἳ ἔσχατοι πρὸς δυσμέων οἰκέουσι τῶν ἐν Εὐρώπῃ κατοικημένων (II 33), ist der Ausdruck ,ausserhalb der Säulen‘ nur eine allgemeine Bezeichnung für den äussersten Westen, wie die fast wörtliche Wiederholung derselben Nachricht mit den Worten ἀρξάμενος ἐκ Κελτῶν, οἳ ἔσχατοι πρὸς ἡλίου δυσμέων μετὰ Κύνητας οἰκέουσι τῶν ἐν τῇ Εὐρώπῃ (IV 49) zeigt. Hekataios [1907] hatte wohl in Massalia von den Kynesiern – das ist die graecisierte Form – oder Kyneten gehört als dem noch weiter westlich als die Kelten wohnenden Volk im äussersten Westen, aber von einer Einwanderung der Kelten aus dem eigentlichen Keltenland bis dahin bezeugt weder er noch Herodot etwas. Auf derselben Anschauung beruhen die vielleicht noch älteren Angaben des alten Periplus, wonach das Gestade Iberiens noch diesseits der Pyrenaeen überhaupt als kynetisches bezeichnet wird (Avien. ora marit. 565 post Pyrenaeum iugum iacent harenae litoris Cynetici easque late sulcat amnis Roscynus, wofern hier nicht eine einfache Namensverwechslung vorliegt). In ausführlicher Darlegung aber erscheint darin das Volk der Kyneten als südwestlich den Cempsi (s. d.) benachbart (200 inde Cempsis adiacent populi Cynetum), im Besitz der ganzen südwestlichen Ecke Iberiens, und zwar sich östlich erstreckend bis zur Anasmündung (205 Ana amnis illic per Cynetas effluit) und den Tartessiern (223 genti et Cynetum, hic terminus). Das Cyneticum iugum, (v. 201), die Südwestspitze von Europa (203 alte tumescens ditis Europae extimum), die cautes Sacra (v. 215), wird dann genau beschrieben mit den davorliegenden beiden Inseln Agonis (s. d.) und einer namenlosen, und den Felsen mit ihren Ziegenherden, deren langhaarige Felle den Bewohnern als Decken zur Lagerstätte und als Segel für ihre Schiffe dienen (v. 212–223). Dass diese Schilderung auf Autopsie beruht, beweist ihre völlige Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, wie neuerlich angestellte Untersuchungen der Örtlichkeit erweisen (vgl. Hübner Die Nordwest- und die Südwestspitze Europas in der Festschrift für Kiepert 1898). Der um das J. 440 v. Chr. schreibende Herodoros von Herakleia hat sodann in der ausführlichen Geschichte seiner Vaterstadt wohl bei Gelegenheit der Geryoneussage seine Leser über das Ἰβηγικὸν γένος aufgeklärt in einer bei Steph. Byz. s. Ἰβηρίαι (p. 323, 10; vgl. 393, 12. 209, 14. FHG II 27) erhaltenen Stelle, wonach die an der Küste wohnenden Iberer, an denen man vorbeifährt, wie er sagt, ein Volk sind, aber nach Stämmen verschieden benannt; zuerst im äussersten Westen wohnen die Kyneten, von ihnen nördlich die Gleten (s. d.), u. s. w. Hieran schliesst sich die auf unbekannten dichterischen Quellen, aus denen wohl Timaios schöpfte, beruhende Erzählung bei Iustin, wonach die Cunetes (Curetes die Hss.) die saltus Tartessiorum bewohnten, in quibus Titanas bellum adversus deos gessisse proditur; worauf dann die Fabel von ihrem uralten König Gargoris und seinem Enkel Habis erzählt wird, der, wiederholt ausgesetzt, endlich anerkannt wird, zur Herrschaft gelangt, zuerst Rinder in den Pflug spannt und Getreide säen lehrt und seinen Nachfolgern das Reich für ,viele Jahrhunderte‘ hinterlässt; eine Erzählung, deren Glaubwürdigkeit mit den ähnlichen von der Kindheit des Kyros und Romulus erhärtet wird (XLIV 4, 1–14). Hier erscheint auch schon, aber aus ganz anderer Quelle, in der Beschreibung Hispaniens die Zusammenstellung der Kyneten mit dem lateinischen cuneus (XLIV 1, 9 forma terrae prope quadrata, nisi quod artantibus freti litoribus in cuneum coit). Dann begegnet der [1908] Name des Volkes erst wieder in Polybios Bericht über den Beginn von des P. Scipio Africanus Feldzügen in Hispanien, wonach Scipio erfährt, dass eines der drei karthagischen Heere, und zwar das des Mago, sich aufhalte ἐντὸς Ἡρακλείων στηλῶν ἐν τοῖς Κονίοις προσαγορευομένοις (X 7, 5): denn trotz der veränderten Namensform und der Angabe, dass sie noch innerhalb, nicht ausserhalb der Säulen wohnten, ist doch unzweifelhaft dasselbe Volk gemeint. Etwa fünfzig Jahre nachdem Polybios mit dem jüngeren Scipio in Hispanien gewesen war, um das J. 100 v. Chr., besuchte Artemidor von Ephesos das Land und gelangte, wie er ausdrücklich angab, bis zum westlichen Vorgebirge (Strab. III 138, frg. 12 Stiehle). Er stellte gegen die wohl auf Timaios zurückgehende Angabe des Ephoros fest, dass kein Heiligtum des Herakles sich darauf befinde; es heisse nur das Heilige, wie viele Plätze an den Säulen, weil es dem Herakles von den Phoinikern geweiht sei. Dagegen lägen an vielen Stellen drei bis vier Steine aufeinander, die von den Besuchern nach alter Sitte gewendet und zum Schein weggebracht würden (so die nicht recht verständliche Stelle bei Strab. III 137, frg. 13 Stiehle). Zu opfern und Nachts hinaufzusteigen, wo die Götter dort weilten, sei nicht Brauch; daher die Besucher in einem Dorf in der Nähe zu übernachten und zu der Besteigung am Tage wegen des Wassermangels sich Trinkwasser mitzunehmen pflegten. Er verglich die Gestalt des Vorgebirges mit der eines Schiffes, die drei – nicht zwei – kleinen Inseln davor mit dem Schnabel und den Ohrenbalken dieses Schiffes (Strab. a. a. O., frg. 13 Stiehle). Was er dabei über den Sonnenuntergang im äussersten Westen bemerkte, widerlegte sein Nachfolger Poseidonios (Strab. III 138), auf den wohl auch die Bemerkung zurückzuführen ist, dass das Land um das Westkap auf lateinisch Cuneus heisse (Strab. III 137 τὴν προσεχῆ τούτῳ χώραν τῇ λατίνῃ φωνῇ καλοῦσι Κούνεον, σφῆνα σημαίνειν βουλόμενοι). Darauf geht die oben angeführte Angabe bei Iustin zurück. Im Zusammenhang damit steht wohl die Erzählung des Poseidonios vom Feldzug des L. Mummius im J. 601 = 153 v. Chr. (bei Appian. Hisp. 57), wo die Lusitaner in das Gebiet der den Römern unterworfenen Kuneer (Κούνεοι) einfallen und ihre Stadt Conistorgis (s. d.) erobern. Hieraus erklären sich die durch Varros Vermittlung aus Poseidonios stammenden Angaben der Küstenbeschreibung über die ,drei‘ Vorgebirge bei Mela (III 7 Anae proximum, quia lata sede procurrens paulatim se ac sua latera fastigat, Cuneus ager dicitur, sequens Sacrum vocant. Magnum quod ulterius est) und Plinius (IV 116 in umgekehrter Folge promunturium Sacrum et alterum Cuneus; das Magnum hat er vorher 115 genannt, wo die Hss. sacrum haben). Der Name Cuneus, durch volksetymologische Anpassung vielleicht erst seit Decimus Brutus von den Römern gegeben, steht hier noch im Sinne des promunturium Cyneticum. Später kommt auch dieser Name ausser Gebrauch; es heisst nur ,das Heilige‘ (Strab. III 137. Ptolem. II 5, 2).