RE:Differentiarum scriptores

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Schriftsteller, die Synonyme zusammenstellen
Band V,1 (1903) S. 481484
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Differentiarum scriptores Unter differentia versteht man den Bedeutungsunterschied solcher Wörter, die entweder der Form oder dem Inhalte nach eine gewisse Verwandtschaft haben. Diese Verwandtschaft kann eine innere sein, wie bei terminus und finis, despicere und contemnere [482] (die eigentliche συνωνυμία); sie kann eine äusserliche sein, wie bei aceruus und acerbus; sie kann auf Stammesgleichheit beruhen wie bei uinetum und uinarium, bei amictus als Substantiv und Participium; sie kann auch mehrfacher Art zugleich sein, wie bei offensio und offensa. Das Bedürfnis, wirkliche Synonyma entweder zusammenzustellen oder genau von einander zu unterscheiden, ist uralt; Rhetorik und Grammatik teilten sich in die Arbeit und hatten ein gleiches Interesse daran. Differentien bietet uns gleich das älteste Lehrbuch der Rhetorik, der Auctor ad Her. IV 25, 35: non est ista diligentia, sed auaritia, ideo quod diligentia est accurata conseruatio suorum, auaritia iniuriosa adpetitio alienorum. Genauer handelt darüber Quintil. IX 3, 45, der συνωνυμία und disiunctio unterscheidet. Aber auch die Grammatiker bebauten dieses Feld; so bietet uns Varro in seinem grossen grammatischen Werke mehrfach Beispiele von differentiae (auxilium und adiumentum, fluuius und flumen, damnum und detrimentum u. a.); ebenso die Fragmente des Nigidius Figulus (bibax und bibosus, morata, morigera und morosa, sempiternum und perpetuum), das lexicalische Werk des Verrius Flaccus (adscripticii, accensi, uelati, ferentarii, rorarii; arbitrium und arbitrarium, ambitus und ambitio). Aus den Werken dieser Männer ist sicherlich mancherlei in spätere Sammlungen übergegangen. Im 1. Jhdt. unserer Zeitrechnung stellte Plinius derartiges zusammen (vgl. Beck De differentiarum scriptoribus latinis, Groningen 1883, 58ff.), und zwar von einem ganz besonderen Standpunkt aus; im 2. Jhdt. Gellius und Flavius Caper, von denen der letztere besonders orthographische Ähnlichkeiten heranzog, worin ihm später Agroecius folgte. Aus dem 3. Jhdt. ist Nonius zu erwähnen, aus dem vierten Servius; zu ihnen treten später Placidus und Isidor, um nur die wichtigsten hervorzuheben. Die meisten von diesen Männern schöpfen vorzugsweise aus älteren Quellen, zumeist mittelbar oder unmittelbar aus Quellen des ersten nach- und vorchristlichen Jhdts. Doch haben sie auch ihrerseits den Bestand gemehrt. Wenn sich Isidor auf Cato beruft (der de his apud Latinos primus scripsit), so hat das nur den Sinn, dass sich an den Namen Catos, der ja mit Vorliebe verba idem significantia verbindet (vgl. Norden Kunstprosa 167), eine solche Sammlung anlehnte. Illi qui de differentiis scripserunt steht bei Charisius 205, 16 (also aus Iulius Romanus). Nach Isidor ist noch Beda zu nennen, dessen orthographischer Tractat (Keil G. L. VII 261ff.) zahlreiche Beispiele im Anschluss an ältere Werke enthält. Wie beliebt diese Art von Schriftstellerei in späterer Zeit war, zeigen die Synonyma Isidori, auch de lamentatione animae peccatricis betitelt (vol. VI p. 472ff. Arev.), eine Sammlung von Synonymen, zu einem Gespräche verarbeitet, in dem ein Mensch sein Elend beklagt, während ihm die Vernunft den wahren Weg zum Glücke, d. h. zur Tugend, aufzeigt. Es ist eine ganze Reihe von Tractaten, die sich aus dem Altertum gerettet haben, teils in Anlehnung an bestimmte Namen, teils anonym. Zu erwähnen sind folgende: 1. differentiae sermonum Remmi Palaemonis ex libro Suetoni Tranquilli qui inscribitur ,pratum‘ (aus cod. Montep. [483] H 306, bei Roth 306–320). Über die Ansprüche Suetons bestehen Zweifel. Reifferscheid (Suet. rel. 274ff. 451ff.) wollte nur den zweiten alphabetischen Teil in der Hauptsache für suetonisch gelten lassen (Roth 314–320); Beck (Arch. f. Lexic. VI 261) urteilt grade über den ersten Teil günstig. Die positiven Beweise für die Echtheit sind aber nicht ausreichend; auf keinen Fall ist die vorliegende Fassung suetonisch, obwohl es durchaus wahrscheinlich ist, dass in den Prata solche Erörterungen gestanden haben. Diese könnten sogar aus Remmius Palaemon genommen sein; doch kann auch der Name dieses Grammatikers aus der unmittelbar vorhergehenden Differentia gutta und stilla herrühren (am Schlusse der unten anzuführenden Handschen Sammlung), für die Bemmius im Anschluss an die Notiz in der Chronik des Hieronymus citiert wird. 2. differentiae Probi Valerii (so der Cod. Montep. H 306, der ein wahrer Thesaurus für die Differentienlitteratur ist), abgedruckt bei Keil G. L. IV 199ff. (aus dem Cod. Montep. und Vindob.). Die Zuteilung an Valerius Probus ist wohl nur erfolgt, weil ihm auch das Vorausgehende (die appendix Probi) zugeschrieben wird. Mit dem Berytier hat diese Sammlung nichts zu schaffen (vgl. Beck p. 11). 3. Cornelii Frontonis de nominum uerborumque differentiis (bei Keil VII 519ff.). Der Titel stammt von Janus Parrhasius, im Neapolitanus fehlt die Inscriptio (in der Capitelübersicht heisst es: incipiunt nunc plura secundum differentiam uerborum et nominum; vgl. Keil G. L. I p. XI). Aus früher Zeit dürfte diese Sammlung kaum herstammen; sicherlich hat sie keine Beziehung zu Fronto, so sehr dieser auch an synonymischen Studien Interesse fand (vgl. p. 151 Nab. Beck 18ff.). 4. Terentius de uerbo tractans hanc differentiam dicit steht an der Spitze einer kleinen Sammlung (vgl. Hagen Anecdota Helv. p. CXXXIII); gemeint ist wohl der Grammatiker Terentius Scaurus (vgl. Hagen CXXXIV), doch stehen sie zu dem orthographischen Tractat des Scaurus in keiner Beziehung. 5. Die differentiae des Isidor (vol. V 1ff. Arev.). Diese zerfallen in zwei Abschnitte: a) de differentiis uerborum (die uns hier allein angehen); b) de differentiis rerum, auch differentiae spirituales genannt (Unterschied dogmatischer Termini wie trinitas und unitas u. a.). Im ersten Abschnitt schöpfte Isidor aus Sammlungen, die zum Teil noch erhalten sind (darunter die Schrift des Agroecius), zum Teil aus denselben Quellen wie in den Origines, in denen sich viele differentiae finden (vgl. die Begriffsbestimmung der differentia orig. I 30). Dazu kommen die anonymen Tractate: 6. Eine in verschiedenen Recensionen bekannt gewordene Sammlung (inter polliceri et promittere): a) ediert, um von älteren Angaben zu schweigen (vgl. jetzt die gründliche Historia critica bei A. Macé De emendando differentiarum libro qui inscr. de proprietate serm., Rennes 1900), im Isidor von du Breul (1601), besser in den Auctores linguae lat. von Gothofredus, nach du Breul von Arevalo im VII. Bande des Isidor (dazu Nachträge von Hagen Anecd. Helv. CXXIff.); b) bei Putschius in den Grammatici 2203ff. (aus Cod. Bern. 330); c) bei Hand im ind. Ien. a. 1848 (aus Cod. Montep. H 306; vgl. Hagen CXXIII). [484] 7. Die von Beck (De diff. script. 28ff.; vgl. Gundermann Phil. Anz. XVII 506) aus dem Cod. Montep. veröffentlichte Sammlung (inter absconditum et absconsum). 8. Die im Cod. Bernensis 178 in Erinnerung an die synonyma Ciceronis dem Cicero zugeschriebene, auch im Montep. enthaltene Sammlung (inter metum et timorem, eng verwandt mit nr. 6; abgedruckt bei Hagen Anecd. Helv. 275ff.; vgl. Beck 25; derselbe diss. de diff. scr. lat. appendix p. 51ff.). 9. Die im liber glossarum neben Isidor benutzte Sammlung (vgl. Hagen CXXXII. Goetz Der lib. gl. 216). 10. Eine Mischmaschsammlung bei S. Widmann N. Jahrb. f. cl. Phil. 1883, 649ff.; vgl. dazu Beck ebd. 1885, 639ff. Wenn Beck (de diff. scr. 24) geneigt ist, alle diese Sammlungen aus einem thesaurus synonymorum abzuleiten, dessen Ursprung in das 6. oder 5. Jhdt. zurückreiche, so habe ich in der Schrift über den lib. gl. 216 ausgesprochen, dass ich an die Existenz eines solchen Thesaurus nicht glaube; sie sind neben- und nach einander entstanden, genau so wie die verschiedenen orthographischen Tractate der späteren Zeit.

[Goetz. ]