RE:Gestio

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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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juristische oder geschäftliche Handlung zum Vorteil einer Person
Band VII,1 (1910) S. 13281330
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Gestio heißt soviel wie Handlung (actus), namentlich die Handlung, die zum Vorteile einer bestimmten Person, insbesondere ihrer Vermögenslage, geschieht (negotium). Von juristischer Bedeutung ist

1. die pro herede gestio, eine Erbschaftsantretung (s. Aditio und Cretio) durch sog. konkludente Handlungen, d. i. solche, die einen Verwaltungsakt gegenüber der Nachlaßmasse in sich schließen. So z. B. wenn der Erbe ein Nachlaßstück verpachtet oder verkauft, eine Nachlaßforderung eintreibt, eine Nachlaßschuld bezahlt u. dgl. Dig. XXIX 2. Cod. VI 30, 1. 2. 4. 5;

2. die negotiorum gestio. Dies ist ein abgekürzter Name der negotiorum alienorum gestio. Sie ist

a) negotiorum gestio aus dem obrigkeitlichen Amte des Vormunds oder Curators in Angelegenheiten des Bevormundeten. Gai. II 64. Plin. ep. IX 13. 16. Ulp. XI 25. Sie beruht auf einer Vollmacht, die in der Berufung zu dem Amte [1329] liegt und entweder auf einen letzten Willen oder ein Gesetz oder eine obrigkeitliche Ernennung zurückzuführen ist. Sie verpflichtet zur Sorgfalt und Rechnungslegung. Dig. XXVI 9. Cod. V 39;

b) negotiorum gestio in der gewöhnlichen Redeweise bezeichnet die gestio negotiorum alienorum sine mandatu. Paul. I 4. Dig. III 5. Cod. II 19. Bei ihr ist ein Freund (voluntarius amicus Cic. pro Caec. V 14) oder ein Procurator aus freien Stücken tätig, Seneca de benef. IV 27. Diese abgekürzte Terminologie, welche die wichtigsten Begriffsmerkmale verschweigt, erscheint dann erklärbar, wenn man mit Wlassak Zur Geschichte der Negotiorum gestio 1879, 103ff. annimmt, daß ein prätorisches Edikt de negotiis gestis in älterer Zeit zunächst alle Führungen fremder Geschäfte umfaßte, auch solche, die auf einem Auftrage und auf amtlicher Pflicht beruhten, später aber durch besondere Edikte auf das engere Gebiet der unbeauftragten Geschäftsführung eingeschränkt worden ist, wodurch sich der erwähnte Sprachgebrauch bildete; vgl. aber auch Lenel Ed. perpetuum 83, 13. Doch ist diese Vermutung Wlassaks nicht unangefochten geblieben; vgl. dagegen Pernice Ztschr. d. Savignystift. XIX 168, 1, der auch die zweifelhafte Frage nach der Fassung der formula berührt, und Girard Manuel élémentaire du droit Romain4 623, 2, der hauptsächlich auf Ciceros Auffassung der gestio negotiorum in Top. XVII 66 hinweist. Man wird doch wohl in der gestio negotiorum eine durch Abkürzung ungenau gewordene Terminologie sehen müssen, zumal ihre Entwicklung auf eine höhere Entwicklungsstufe hinweist, als diejenige der andern Klagen aus Geschäftsführung, ohne Wlassaks Hypothese für unmöglich zu erklären.

Die auftraglose Geschäftsführung war jedenfalls in ihrer rechtlichen Behandlung der beauftragten (mandatum) ähnlich und wurde daher den obligationes quasi ex contractu zugezählt, Inst. III 27, 1. Namentlich wurde ebenso, wie bei dem mandatum, eine actio directa für den Geschäftsherrn auf Herausgabe des aus der Geschäftsführung Erworbenen, Rechnungslegung und Schadensersatz wegen schuldhafter Geschäftsführung gegeben und andererseits eine actio contraria für den Geschäftsführer wegen Auslagen und Schäden, jedoch nur, wenn das negotium in angemessener Weise (utiliter) unternommen worden war, d. h. den Umständen entsprechend. Dig. III 5, 9 (10), 1 etsi effectum non habuit negotium. Beide Klagen setzen in der Regel einen animus negotii alieni gerendi voraus, doch sah man unter Umständen davon ab. So gab man die actio directa auch gegen den, der negotia mea gessit non mei contemplatione sed sui lucri causa Dig. III 5, 5 (6, 3), um ihn nicht vor dem redlichen Geschäftsbesorger zu bevorzugen. Andererseits gewährte man sogar eine actio negotiorum gestorum contraria wegen grundloser Bereicherung, wenn der Geschäftsführer aus Irrtum für sich selbst ein fremdes Geschäft erledigt hatte, Dig. III 5, 48, 49. Ein solcher Anspruch schwebte freilich dem Geschäftsführer bei seiner Tätigkeit nicht als Ziel seines Begehrens vor Augen, entsprach aber den Wünschen eines vernünftigen Menschen, der sich in seiner Lage [1330] befand, weil ein solcher auch an Möglichkeiten denkt, deren Gegenteil ihm ein Irrtum vorspiegelt, und somit bei einem fremden Geschäfte, das er für das seine hält, für den Fall, daß er sich täuschen sollte, den Ersatz der Bereicherung als selbstverständliche Pflicht des wahren Geschäftsherrn betrachten darf. Vgl. über die sehr reichhaltige Literatur (namentlich auch in italienischer Sprache) Windscheid-Kipp II8 § 430 S. 852 und F. Leonhard in Birkmeyers Encyklopädie 148. Hervorzuheben ist E. Zimmermann Echte und unechte Negotiorum gestio 1872; Über die stellvertretende Negotiorum gestio 1876. Sturm Das Negotium utiliter gestum 1878. Puchta-Krüger Institutionen10 II 364. Sohm Institut.13 531ff. v. Czyhlarz Institut.5. 6 203. R. Leonhard Institutionen 223. 354. Jörs in Birkmeyers Encyklopädie1 144 § 85. Girard Manuel élémentaire du droit Romain4 531ff., Paris 1901, 622ff.