Zum Inhalt springen

RE:Habitatio

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
korrigiert  
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Recht auf eine Wohnung in einem fremden Haus
Band VII,2 (1912) S. 21512154
Bildergalerie im Original
Register VII,2 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|VII,2|2151|2154|Habitatio|[[REAutor]]|RE:Habitatio}}        

Habitatio ist ein solches Recht auf eine Wohnung in einem fremden Hause, das gegen jedermann (dinglich) gewährt ist, also nicht von einem Schuldverhältnisse des Eigentümers zu einer bestimmten Person abhängt, wie die Rechte des Mieters, dem h. im technischen Sinne nicht zukommt. Es beruhte in der Regel auf letztwilligen Verfügungen, konnte aber auch aus einem Vertrage hervorgehen, Inst. II 5. Dig. VII 8 de usu et habitatione (über die Form derartiger Verträge s. den Art. Servitus). Die H. betraf möglicherweise nur einzelne Räume eines Hauses, während der usus aedium das ganze Haus umfaßte (Paul. Dig. VII 8, 19: usus pars legari non potest ist freilich nicht auf räumlich abgegrenzte Teile, sondern auf Anteile zu beziehen). Daß die H. aber ebensowohl wie der usus an einem ganzen Hause möglich war, ergibt sich aus Cod. Iust. III 33, 13, woselbst berichtet wird, daß manche in dem Namen eines usus habitationis einen ungenauen Ausdruck für das Eigentum an einem Hause gesehen haben.

Es ist daher schwer, das dingliche Wohnungsrecht von dem Rechte der Benützung (usus) und von dem Nießbrauche eines Hauses zu unterscheiden, und zwar nicht bloß im römischen, sondern auch im heutigen Rechte. Während aber in diesem die genannten Befugnisse im wesentlichen gleichartig sind, finden wir zwar auch im römischen Recht ihre Ähnlichkeit anerkannt, Dig. VII 8, 10 pr. (in Puchta-Krügers Institutionen10 285 wird sogar eine ursprüngliche Gleichstellung vermutet), ihre Unterscheidung wird aber anderweitig scharf betont, weil für die H. und dem neben ihr genannten Recht auf operae (vgl. Dig. VII 7 und 8) einige Rechtsregeln galten, die auf den usus keine Anwendung fanden. Namentlich unterlagen h. und operae nicht dem Untergange durch capitis deminutio (s. d.) und non usus (s. Servitutes), Dig. VII 8, 10 pr. und XXXIII 2, 2. Endlich konnte nach Iustinians Entscheidung einer alten Zweifelsfrage (Cod. Iust. III 33, 13. Inst. II 5, 5) der Inhaber einer H. die Wohnung vermieten, nicht aber einem andern unentgeltlich überlassen (Dig. VII 8, 8 pr.).

Modestinus erwähnt als Grund dafür, daß die capitis deminutio des Berechtigten der H. keinen Abbruch tat: quia tale legatum in facto potius quam in iure consistit, Dig. IV 5, 10 (s. Capitis deminutio). Das Wort factum als Gegensatz von ius deutet hier, wie sonst vielfach, darauf hin, daß der Begriff der H. im alten Ius civile und seinen besonderen Quellen noch nicht so scharf abgegrenzt war, wie die Begriffe usus und ususfructus, und daher nicht den überlieferten Quellen, sondern dem täglichen Leben zu entnehmen war. Darum mußte man das Nähere aus dem Willen der Parteien herleiten, der sich wiederum in der Regel nur als Niederschlag von [2152] Lebenserfahrungen (factum) ermitteln ließ. Daraus ergab sich, daß man auf diesem schwankenden Boden sich nicht an strenge altrömische Verbalauslegungen anklammern konnte und das überlieferte Recht nur anwandte, soweit dies passend schien im Einklange mit der Regel (Dig. VII 8, 12, 2): neque enim tam stricte interpretandae sunt voluntates defunctorum. P. Girard Manuel élémentaire4 369, 2 (übersetzt durch v. Mayr Gesch. und System des römischen Rechts, Berlin 1908, 402, 4) erläutert die Bemerkung des Modestinus (Dig. IV 5, 10) dahin, daß die Testatoren bei der H. eher Lebensverhältnisse als Rechtskategorien vor Augen hatten (etwas abweichend, aber im Sinne übereinstimmend, v. Μayr a. a. O.). Dies traf jedoch wohl selbst dann häufig zu, wenn sie die Namen solcher Rechtskategorien in einem Sinne, der diesen nicht zukam, gebrauchten (vgl. hiezu namentlich Puchta-Krüger Institutionen10 II 285), so z. B. bei der Wendung ususfructus habitationis, die wegen ihrer Ungenauigkeit den Juristen Kopfzerbrechen machte, Dig. VII 8, 10, 2. Cod. Iust. III 33, 13.

Aus der Redeweise der rechtsunkundigen Parteien läßt sich aber wohl kaum erklären, warum das von ihnen begehrte Recht der H. dem Einflusse der capitis deminutio und des non usus entzogen war, mag dies nun sogleich oder erst später geschehen sein, wie in Puchta-Krügers Institutionen10 285 vermutet wird. Eher würde es sich aus der Annahme erläutern lassen, daß die H. ursprünglich kein Wohnungsrecht gewährte, sondern nur einen Erlaß des Mietzinses. So Girard a. a. O. 369, 1. v. Mayr 402, 3. Es wird dies daraus gefolgert, daß nach einer älteren Ansicht (Dig. VII 8, 10, 3), die seit Rutilius (Consul 649) wegfiel, die H. im Zweifel nur ein Jahr lang dauerte. Diese Schlußfolgerung ist jedoch nicht zwingend. Einen Anhalt für die Entscheidung der Frage gibt lediglich der Umstand, daß Modestinus (Dig. IX 5, 10) die H., indem er ihre Widerstandskraft gegen die capitis deminutio bespricht, mit dem legatum in annos singulos vel menses auf eine Stufe stellt, das nicht ununterbrochen, sondern nur zeitweilig wirkte. Hält man dies fest, so kommt man zu der Meinung (R. Leonhard Institutionen, Leipzig 1894 § 84, 5), daß h. und operae ebenfalls nur gelegentlich (etwa bei einem Besuch in Rom) ausübbare Rechte sein konnten (wenn auch nicht in jedem Falle waren), während der usus auf eine ununterbrochene Nutzung hindeutete. Für die Anwendbarkeit der H. auf Peregrinen vgl. insbesondere auch Czyhlarz Lehrbuch d. Institutionen9.10 123.

Aus dem angeführten Gesichtspunkte erscheint es verständlich, warum bei der capitis deminutio, die in alter Zeit oft mit dem Wegzug in eine Kolonie zusammenfiel, das Wohnrecht oder Sklavenbenutzungsrecht nicht erlosch, weil solche Rechte vielleicht nur gelegentlich ausgeübt werden sollten. Dies erklärt auch, weshalb die kurze Zeit des non usus für derartige intermittierende Rechte nicht passend zu sein schien. Mit Recht spricht ihnen v. Czyhlarz Lehrbuch der Institut.10 123 eine ,Alimentennatur‘ zu. Ähnlich Cuq Les institutions juridiques des Romains II, Paris 1902, 286: elle a le caractère d’un secours personnel; [2153] vgl. auch F. Leonhard in Birkmeyers Encyklopädie2 130.

Sohm Institutionen13 422 § 69 c sieht das Unterscheidungsmerkmal des usus von der H. nicht in der Ständigkeit der Ausübung, sondern darin, daß der Berechtigte bei jenem sich den Wohnraum innerhalb des Hauses wählen durfte, bei letzterer nicht. Dies Wahlrecht des Usuars ist allerdings bezeugt, Dig. VII 8, 22, 1; doch steht nicht fest, ob es nicht auch bei der H. gegolten hat, wenigstens da, wo der Umfang des Wohngebäudes dies rechtfertigt.

Der andere Punkt, in dem die H. vom usus unterschieden wird, ist die mit ihr verbundene Befugnis, das volle Wohnrecht gegen Entgelt zu übertragen, während man dem Usuar eines Wohnhauses nur die Befugnis gab, neben sich einen Mieter anzunehmen, Dig. VII 8, 4 pr. 8 pr. (auch dies nur, sofern nicht dadurch ein Anstandsgebot verletzt wurde) fr. 7 ebd. Iustinian gewährte dem Inhaber der H. diese Vermietungsbefugnis in Anlehnung an eine Ansicht des Marcellus. Diese rechtfertigte sich dadurch, daß der Wohnungsberechtigte, falls er einen Mietzins statt der Wohnung erlangte, sich dafür eine andere Wohnung nehmen oder eine solche in einem ihm etwa gehörenden Hause ohne Verlust an seinem Einkommen behalten konnte, so daß ihm der erwähnte Zins in der Tat das Wohnen erleichterte (vgl. Cod. Iust. III 33, 13, 1: ut mercedem accipiat). Wollte der Wohnungsberechtigte dagegen die Wohnung einem andern unentgeltlich einräumen, so konnte sie ihm dann auch nicht einmal mittelbar zum Wohnzwecke dienen. Daher durfte er die H. in solcher zweckwidrigen Weise nicht verwenden, Dig. VII 8, 10 pr. (dasselbe galt für operae legatae, Pap. Dig. XXXIII 2, 2). v. Jhering fand diese Abweichung vom Rechte des usus so anstößig, daß er in Dig. VII 8, 10 pr. statt donare locare lesen wollte (Jahrb. f. Dogm. XII 342ff.), vgl. Huschke Archiv f. civ. Pr. LXIII 462ff. Kipp-Windscheid Pand.9 § 208 Anm. 4. 1060 § 216. Anm. 16. 1103.

Auffallend freilich bleibt, warum man nicht bei dem usus aedium ebenfalls ein Vermietungsrecht annahm. Nach der Meinung des Labeo, Dig. VII 8, 12, 6 verlangte man hier durchaus eine eigene Benützung oder Mitbenützung des Usuars neben dem Mieter, cum ipse uti debeat (sc. usuarius). Man klammerte sich also an den Wortsinn des Ausdrucks usus an, getreu der strengen Auslegungsweise des älteren Rechts, von der sich Marcellus nur bei den Rechtsformen der h. und operae frei machte. Auch Czyhlarz Lehrbuch der Institutionen9.10 123 rechnet die h. und die operae nicht zum ius civile, was meines Erachtens auf das ältere ius civile einzuschränken ist. Umgekehrt erklärt Cuq (Les institutions juridiques des Romains II, Paris 1902, 286) den Unterschied der h. und der operae vom usus und ususfructus daraus, daß die Regeln der erstgenannten Rechte älter seien, als die Servitutentheorie. Doch deutet die in diesen Regeln enthaltene Nichtbeachtung der capitis deminutio eher auf spätere Anschauungen hin. Übrigens brachen sich auch bei dem usus freiere Auffassungen Bahn (Riccobono Studi in onore di V. Scialoja 1904, 581ff. Inst. Iust. ed. Krüger3 [2154] II 5 Anm. 6). Fraglich ist, ob dies, wie überhaupt die verschiedenen nur für usus und ususfructus erwähnten Regeln, auch auf die H. Anwendung fand. Zu allgemein spricht wohl für die operae Terentius Clemens Dig. VII 7, 5. Eine Gleichstellung der H. mit usus und ususfructus galt wohl zweifellos für die Kautionspflicht, Dig. VII 9, 5, 3 (Pietro Bonfante Diritto Romano, Firenze 1900, 311). Zweifelhaft ist sie dagegen für das dem usuarius (nach Riccobono a. a. O. erst in später Zeit) gegebene Recht auf Gartenbenützung und beschränkten Fruchtgenuß in villa, Dig. VII 8, 12. 1. Es wird das wohl von der Beschaffenheit der eingeräumten Wohnung abgehangen haben. Das gleiche ist jedenfalls anzunehmen von dem Wohnrecht des Vaters an Stelle des berechtigten Sohnes (VII 8, 17) und von dem Anteil des Wohnungsberechtigten an der Ausbesserung des Daches (VII 8, 18).

Über entsprechende Regeln des attischen Rechts fehlt es an Quellen, Beauchet Histoire du droit privé de la république Athénienne III, Paris 1897, 173.

Literatur s. o. den Art. Capitis diminutio. Girard Manuel élémentaire de droit Romain4. Paris 1906, 368. 369 = v. Mayr Geschichte und System des römisch. Rechts, Berlin 1908, 402. Cuq Les institutions juridiques des Romains II, Paris 1902, 285. 286. Bonfante Diritto Romano, Firenze 1900, 311. Costa Corso di storia del diritto Romano, Bologna 1902, 130. Puchta-Krüger Institutionen10 285 § 255. Hölder Institutionen3 179. v. Czyhlarz Lehrbuch der Institutionen9.10, Wien 1908, 123. Sohm Institutionen13 1908, 422 § 96 c. R. Leonhard Institutionen 1894, 292 (§ 84 V). 387 (§ 126, 2). Jörs in Birkmeyers Encyklop.¹ 115, 6 (woselbst sich weitere Literaturangaben finden). F. Leonhard in Birkmeyers Encyklopäd.² 130. Windscheid-Kipp Pand.9 I 1060 (§ 208). 1103 (§ 216 Anm. 3).