RE:Ichthyokentauros
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
---|---|---|---|
| |||
Seekentaur | |||
Band IX,1 (1914) S. 830–843 | |||
Ichthyokentauren in der Wikipedia | |||
Ichthyokentauren in Wikidata | |||
Bildergalerie im Original | |||
Register IX,1 | Alle Register | ||
|
Ichthyokentauros (ἰχθυοκένταυρος). Die Form des I. und ihre Entstehung. Neben antiken Meerfabelwesen, die aus einem Menschen und einem Fische zusammengesetzt sind (Triton im engeren Sinne), finden sich, jedoch weniger häufig, solche mit einem dritten organischen Bestandteile, dem Vorderbug oder wenigstens den Vorderbeinen eines Pferdes (I., Seekentaur, Triton im weiteren Sinne). Prinzipiell und darum auch dem antiken Namen nach (s. u.) sind diese beiden Arten nicht verschieden (vgl. z. B. Reinach [831] Répert. Reliefs III 223 o. mit Roscher Myth. Lex. III 238; beide Sarkophage gehören derselben Gattung an); denn der Ansatz der Pferdebeine bedeutet nur eine weitere und noch kühnere Ausgestaltung des Phantasiegebildes aus Mensch und Fisch wie anderwärts die Hinzufügung von Teilen eines Krebses an dasselbe Wesen; auch finden sich Übergangsstufen von der einen zur anderen Gattung, s. u. Da das dreigestaltige Geschöpf durchaus ein Meerwesen ist, so liegt es nahe, den dritten Bestandteil, die Pferdebeine, von einem ebensolchen, dem Hippokampen (Pferd und Fisch) abzuleiten. Dagegen ist für die Entstehung des I.-Typus der Kentaur, ein Landwesen, zunächst fernzuhalten, wenn auch das Resultat der Zusammensetzung beim I. ein kentaurenartiges Gebilde ergab und die Kunst dies hie und da mit Kentaurenattributen ausstattete. Die Entwicklung des I. aus Triton und Hippokamp wäre so zu denken: die lang nach unten wallenden Flossen, die man bisweilen beim Triton an der Fuge von Mensch und Fisch anfügte (z. B. Lenormant und Witte Elite céramogr. III 31–35; Compte rendu de … St. Pétersbourg 1880, 106), wurden zunächst vorgestreckt, oft wohl aus Gründen der Komposition in ein langes, aber nicht hohes Rechteck oder in Erinnerung an die galoppierend vorgestreckten Beine des Hippokampen (so z. B. am Grabe der Iulier in St. Rémy, Espérandieu Bas-rel. de la Gaule rom. I 114 S. 97 = Reinach Rép. Rel. I 386; ferner Zahn Ornamente II 30); in weiterer Angleichung an den Hippokampentypus bildete man sie dann in wirkliche Pferdebeine um. (Freilich sind die beispielsweise herangezogenen Wesen des Iuliergrabs und eines pompeianischen Wandbildes jünger als die ältesten wirklichen I., aber ihr Typus kann trotzdem sehr wohl ein älteres Mittelglied darstellen, das sich als solches selbständig weiter neben der Fortbildung in den wirklich dreigestaltigen I. gehalten hätte). Daneben wäre eine andere Möglichkeit der Entstehung des I.-Typus die, daß ein bedeutender Künstler das dreigestaltige Wesen in kühner Phantasie frei geschaffen hätte, ohne daß eine Entwicklungsreihe voranginge. Die Mittelglieder wie die des Iuliergrabs wären dann eher zeitlich spätere Rückbildungen, die den Pferdecharakter wieder mehr unterdrücken, um den Seecharakter des Wesens deutlicher zu betonen. (Dieser Vorgang läßt sich in der Geschichte des Hippokampentypus beobachten, o. Bd. VIII S. 1757, 29. S. 1762, 68). Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Möglichkeiten vermag ich nicht zu geben; Wesen wie das Mus. Borbon. X 39 oder Clarac Mus. de Sculpt pl. 206 oben, der erste und dritte von rechts gezählt und 206, 192 können ebensogut solche sein, bei denen die Flosse schon in die Struktur des Pferdeschenkelknochens übergeht, wie solche, bei denen dieser, als das ursprüngliche Gebilde, wieder mit Flossen verkleidet ist.
Der Name.
Die Alten nannten nicht nur das Wesen aus Mensch und Fisch Triton, sondern sie scheinen auch für das aus Mensch, Pferd und Fisch keinen anderen Namen gehabt zu haben. So ist der (dreigestaltige) I. des großen Pergamener Altars inschriftlich als Triton bezeichnet, und bei Claudian nupt. Hon. et Mar. 127ff. (übersetzt [832] bei Voss Mythol. Briefe II [1827] 227) ist von einem Triton die Rede, aber 146 wird ein I. geschildert; ebenso Tzetz. Lykophr. 886. (Zu dem zweispaltigen Horne am Fuße des I., von dem Claudian spricht, vgl. z. B. die unten zitierten Mosaiken von Portus Magnus und Vilbel; hispida wird sich darauf beziehen, daß die Füße manchmal mit mehr oder weniger langen Flossen versehen sind, z. B. Mus. Borb. X 39). Der Name ἰ. dagegen, der für die Gattung mit Pferdebeinen gut passen würde, kommt überhaupt nur einmal vor und zwar erst bei Tzetz. Lykophr. 34; er scheint nach dem Zusammenhang der Stelle nicht üblich, sondern nur ein künstlich und zwar wohl erst von Tzetzes geschaffenes Wort zu sein. Zudem bezeichnet er gerade das, was wir nicht I. nennen würden, nämlich eine Mischgestalt nur aus Pferd und Fisch (vgl. 892: δίμορφος); so wie wir das Wort zunächst auffassen, als
ἰχθυο– κένταυρος =
Fisch + Pferd und Mensch,
nahm es Tzetzes wohl. (Vielmehr bedeutet -κένταυρος in dieser Stelle nicht den eigentlichen Kentauren, sondern ,ein Mischwesen mit einem menschlichen Bestandteile‘. Tzetzes will sagen, der Triton [im engeren Sinne] sei ein Fisch mit einem menschlichen Bestandteile, so wie auch ein Kentaur mit einem solchen gebildet sei. Über solche katachrestische Bildungen, wie κυνέη αἰγείη, [Hundsfell]kappe aus Ziegenfell, anregend Nyrop-Vogt Das Leben der Wörter [1903] 134ff.).
Entweder schwankte also die alte Terminologie zwischen Τρίτων und ἰ. oder sie war, wenn wir oben richtig das Wort ἰ. ganz ausgeschieden haben, zwar einheitlich, aber doch unklar, da sie zwei Wesen Triton nannte, die wir besser trennen. Einige Neuere haben sich ihr trotzdem angeschlossen, offenbar, weil, wie gesagt, ein prinzipieller Unterschied zwischen beiden Wesen nicht besteht; so Furtwängler Ant. Gemmen zu Taf. 62, 28 und meist die Franzosen. Andere wie Helbig und Dütschke scheiden, und das empfiehlt sich allerdings, trotz der Wesensgleichheit, aus Gründen der Deutlichkeit. Imhoof-Blumer und Keller Tier- und Pflanzenbilder zu Taf. XIII 38 setzten neben den Triton (aus Mensch und Fisch) den Kentaurotriton, eine Bezeichnung, die sonst nicht üblich ist, Roscher in seinem Lexikon II 92 den I.; danach hier das vorliegende Lemma; aber da dieses Wort etwas Preziöses hat, wird man am besten von einem Seekentauren sprechen; so auch bisweilen Engländer und Franzosen (seacentaur, centaure marin). Dieser Name paßt auch insofern, als er, wie die Kentaurenattribute der I. zeigen, dem Empfinden der Alten entsprechen würde.
Bei manchen Mischwesen der oben behandelten Zwischengattung, die zwar Flossen, aber solche den Pferdebeinen ähnlich, haben, wird man allerdings nach wie vor schwanken; sie sind keine Tritonen im engeren Sinne mehr, aber noch keine wirklichen I. Es erscheint rätlich, sie nicht Seekentauren zu nennen, da bei ihnen doch eben das, was für den Kentauren charakteristisch ist, fehlt oder zugunsten des Ausdrucks der Seenatur unterdrückt ist; sie sind vielmehr ,Tritonen mit pferdebeinähnlichen Flossen‘. Eine Terminologie, [833] wie hier vorgeschlagen, würde manche Unklarheit namentlich in knapp abzufassenden Katalogen beseitigen. Jedenfalls behandelt dieser Artikel im allgemeinen nur Wesen mit wirklichen Pferdebeinen oder allenfalls solche wie die besprochenen Mus. Borb. X 39; Clarac Mus. de Sc. pl. 206. Wesen wie die auf dem Sarkophage der Alledia Marcia, Florenz Uffiz., möchte ich nach der Abbildung bei Gori Inscr. Ant. I (1726) tab. XIV = Reinach Rép. Rel. III 35 und mit Dütschke Ant. Bildw. Oberit. III 169 nr. 338 trotz Robert Jahrbuch V 221 f. eher Tritonen nennen, ebenso das bei Reinach Pierres gravées pl. III 15; über diese und sonstige Tritonen s. den Art. Triton.
Den Fisch würde man richtiger als Seeschlange bezeichnen; aber zu den o. Bd. VIII S. 1752, 17 angeführten Gründen für die konventionelle Benennung kommt nun noch der, daß auch Tzetzes im Triton ein Fischwesen sah.
In der Mythologie kommt der I. nicht vor, wie er ja keine alte Schöpfung hellenischen Geistes ist wie die Tritonen. Dies beweist das Vorkommen der
I. in der Kunst.
Bis zur hellenistischen Zeit fehlt der I. Das Wesen, das Dennis Etruria II 520 auf einer Stele aus Felsina, Daremberg-Saglio II 839 fig. 2814, als I. ansah, ist kein solcher, wie schon Zannoni Certosa di Bologna Taf. 46, 1 beweist; und wenn man auch auf den genaueren Reproduktionen bei Ducati Mon. d. Linc. XX tav. V und Phot. Poppi (Bologna) 2580 a zunächst ein Wesen mit Pferdebeinen sehen könnte, so liegt doch wohl sicher ein Triton ohne solche vor. – Im allgemeinen führt man phantastische Seewesen auf Skopas zurück, und zwar auf Grund von Plin. n. h. XXXVI 26 und weil ihnen oft ein schwermütiger Zug eignet (s. u.), was zu der Kunst des Skopas stimmen würde. Aber dafür, daß Skopas speziell den I.-Typus gekannt oder geschaffen habe, haben wir keinen Anhalt; über nur mittelbare Ableitung des hellenistischen Typus aus einer Schöpfung des Skopas Helbig-Amelung Führer I nr. 185. Auch auf unteritalischen Vasen findet sich der I. meines Wissens nicht.
Die ältesten Exemplare sind der I. am großen Pergamener Altar, Altert. v. Perg. III Taf. 21, Text III 2, 84f., und die auf dem kleinen hübschen Pergamener Friese, jetzt in Berlin und Konstantinopel, Alt. v. Perg. VII Taf. 39, Text VII 2, 297ff., aus der Königszeit. Aus der Diadochenzeit ferner der Fries von Molos (Lamia), o. Bd. VIII S. 1763, 52, aus der letzten Zeit der Republik der I. des Münchner Hochzeitszugs, o. Bd. VIII S. 1765, 33ff.
Weit häufiger begegnen I. in der Kaiserzeit. Von statuarischen I. sind zunächst die Exemplare Rom, Helbig-Amelung Führer 55. 185. 931f. und der Marmor von Tenos Reinach Rép. Stat. IV 250, 2 unsicher (vielleicht ohne Pferdebeine, also Tritonen). [Wenn bei den Exemplaren des Konservatorenpalastes symmetrische Aufstellung neben der Commodusbüste anzunehmen sein sollte – eine zwar nicht bewiesene, aber nach den Fundumständen und der sonstigen Verwendung der I. ansprechende Vermutung Petersens, die durch die von Amelung unter nr. 931 wiederholten Gegengründe Helbigs (Führer² nr. 574) wohl sicher nicht widerlegt ist –, so ist damit [834] sogut wie sicher, daß I., nicht Tritonen vorliegen. Denn sowenig ästhetisches Empfinden wir dem Künstler, der die Gruppe geschaffen hätte, auch sonst zutrauen mögen, der Gedanke, den leeren Raum zwischen Commodusbüste und den Seewesen mit den Pferdebeinen zu füllen, lag bei der Häufigkeit des I. in der Kaiserzeit so nahe, daß er ihm wohl kommen mußte]. Neben diesen problematischen I. sind sichere Exemplare eine Gruppe in Paris, I. einen Silen tragend, Reinach Rép. Stat. IV 248, 2, mir nur danach zugänglich, und die bekannte Gruppe in der Sala degli Animali des Vatikans, I. eine Nereide entführend, oft abgebildet: Brunn-Bruckmann Denkmäler 258. Amelung Vatikankatalog II 386 nr. 228 Taf. 43. Helbig-Amelung Führer 179. Gegen den Zweifel am antiken Ursprung der Gruppe, den Helbig Führer² 184 aussprach, opponiert Amelung, nach dem man in dem Werke sogar ein griechisches Original sehen könnte, mit Berufung auf den Fundbericht und den Erhaltungszustand der Oberfläche. Ohne diese Gründe abschwächen zu wollen, möchten wir bemerken: 1. Der I. benimmt sich nicht so, als ob er ein Mädchen raube; er ist innerlich an der Handlung gar nicht beteiligt. Die Gruppen der Kentauren mit Eroten oder Nymphen, die Amelung vergleicht, haben viel liebenswürdigen Geist, hier ist die Handlung etwas hohl. 2. Die Nereide wird nicht geraubt; sie kann ja jederzeit entfliehen, da sie durchaus nicht festgehalten wird. Eine Erklärung, daß sie sich nach der Haltung ihres linken Beines rauben lassen wolle, aber trotzdem schreie, würde eine unantike Koketterie der Darstellung voraussetzen. 3. I., die Nereiden rauben, kommen sonst nicht vor. Bei einem dekorativen Werke aber (Brunnenschmuck, s. Amelung) ist wohl Verwendung eines sonst vorhandenen Typus wahrscheinlich. 4. Daß der eine Eros sein Händchen ans Ohr legt, erklärte Helbig damit, daß er das Angstgeschrei der Nereide deutlicher vernehmen wolle. Aber hört er es in solcher Nähe nicht auch ohne dies? Deswegen Amelung: als könne er im Wogengebraus nicht hören, was sie ruft. Aber warum will er es hören, da er als Eros den Raub doch wohl begünstigen, ihr also nicht helfen wird? Nach Amelung: neckisch, mit geheucheltem Mitleid; freilich kann die Nereide mit ihrem himmelwärts gerichteten Blicke diese Neckerei nicht sehen. 5. Vor allem liegt in der ganzen Komposition der Gruppe, um einen von Bulle in anderem Zusammenhang gebrauchten, aber hier besonders treffenden Ausdruck zu verwenden, ein kokettes Gespreize, das unantik erscheint. Wenn diese Gründe, ohne, jeder für sich genommen, durchschlagend zu sein, doch gegen die Gruppe Mißtrauen erwecken, so wird die Echtheit andererseits durch die in der Komposition ganz ähnliche Pariser Gruppe gestützt. Weitere rundplastische I.: auf dem jetzt verschollenen Sarkophag des Iulius Filus Cyrius, Bull. com. 1873 Sept. Okt. tav. 4. Reinach Rép. Rel. III 229. Daremberg-Saglio s. Portus 599, auf einem hohen Bau an einem Hafen zwei I. Auf dem Wandbilde einer Meerlandschaft: Helbig Wandgemälde 1575. Bronzen: Neapel, Mus. naz., Mus. Borb. XIII tav. 44 = Reinach Rép. Stat. II² 414, 1. (Reinach ebd. III [835] 259, 2, Sousse, und II² 415, 4, Paris, Bibl. Nat. = Babelon-Blanchet 67, ist Triton; ebd. III 147, 3, Lampe, Florenz, Mus. arch. = Milani Studi e Materiali I 82; R. Mus. Arch. di Firenze tav. 140, Text 171 höchstens Triton mit pferdebeinähnlichen Flossen; Dresdner Bronze, Nereide auf I., nach Jahn Ber. Sächs. Ges. VI 1854, 178 ,sehr zweifelhaft‘).
Sehr häufig sind I. in Reliefplastik und zwar in sepulkraler Verwendung. Ähnlich wie wir schon beim Hippokampen beobachteten (o. Bd. VIII S. 1768, 36), sind Sarkophage mit I. in Ländern griechischer Zunge selten (Sarkophag von Kephisia, Robert Sark. Rel. II 3 nr. 9 c; das Relief von Iotape in Kilikien, Heberdey und Wilhelm Denkschr. Kais. Akad. Wiss. Wien, phil.-hist. Kl. XLIV 151 = Reinach Rép. Rel. II 104 ist nach den Maßen kein Sarkophagrelief), häufig im Westen. Ein oft wiederholter Sarkophagtypus ist der, daß an einer Langseite in der Mitte zwei einander symmetrisch zugekehrte I. in Muschel oder Clipeus das Portrait des oder der Toten oder eine Darstellung der Geburt der Venus halten; rechts und links, an beiden Enden der Langseite, sind zwei andere I. ebenfalls symmetrisch gruppiert, entweder nach außen oder innen gewendet. Alle vier I. tragen nackte oder am größten Teile des Körpers entblößte Nereiden; Eroten sind über das Bildfeld verstreut. Die Entblößung der Nereiden steht in bewußtem Gegensatz zu älteren Typen der Nereiden auf Seewesen, in denen die Nereiden züchtig verhüllt sind; s. Heydemann Ner. mit Waffen 15f. Dickins B. A. 1906/7, 392. Sarkophage dieses Typus waren sehr beliebt; allein Matz-Duhn zählen 3168ff. 3192ff. ca. 15 auf. Publizierte in Rom: in Pal. Giustiniani: M. D. 3197 = Galler. Giustiniana II 98 = Reinach Rép. Rel. III 258; in Pal. Mattei: M. D. 3198 = Mon. Matth. III 12, 2; in Pal. Lancelotti: M. D. 3199 = Monaldini Veteris. Latii antiqu. (1776) II 2 tab. V 1; im Kapitol. Mus.: Reinach Rép. Rel. III 196; im Vatikan: Amelung Vat. Kat. I nr. 192a (kleiner Sark. eines Mädchens) und II nr. 91 (großer Sark.); im Lateran: Benndorf-Schöne 296 = Roscher Myth. Lex. III 238; noch in Rom?: Bull. com. 1873, Mai–August tav. 4, Sark. des Promotus; ebd. September–Oktober tav. 3; in Paris, Louvre: Clarac Mus. de Sc. pl. 206–208. 224 = Reinach Rép. Stat. I 94–96. 113; in Pisa: Lasinio Sculture del Campo Santo di P. [64.] 72. 131. 133 = Dütschke Ant. Bildw. in Oberit. I [98.] 45. 106. 111 = Reinach Rép. Rel. III [119, 4-6.] 118, 3, 4. 119, 1-3. 118, 1; in Florenz, nicht abgebildet: Dütschke III 82. 85. Der geschilderte Sarkophagtypus bleibt im allgemeinen konstant; von größeren, aber für die Gesamtdarstellung im ganzen unwesentlichen Abweichungen (z. B. manchmal statt einiger der I. vielmehr Tritonen, so auf dem größeren vatikanischen Exemplar) interessiert uns hier die, daß bisweilen die beiden I. an den Ecken oder einer davon durch Meerstiere oder Meerwidder ersetzt sind; die Nereiden umarmen diese brünstig, um sie zu küssen (Giustiniani; beide im Vatikan; Lateran; Promotussark.; Clarac 207, 196; bei Lasinio 64 die Mittelgruppe); oder ein I. zieht eine Nereide an sich, um sie zu küssen (Lasinio [836] 133); auf dem Sarkophag des Promotus trägt eine Nereide ein Kind, das offenbar ihrem Verhältnis mit einem I. entsprossen zu denken ist (der Bull. com. 1873, 200 ausgesprochene Gedanke, dieses bambino sei die von einer Nereide getragene Seele eines Verstorbenen, scheint mir ganz unannehmbar; vgl. das Tritonenkind Reinach Pierres gravées pl. 59, 46). Diese Abweichungen vom Haupttypus zeigen noch deutlicher als die Eroten und die absichtliche Entblößung der Nereiden, daß hier Liebesfreuden, zum Teil solche perverser Art, dargestellt sind.
Auch sonst begegnet der I. in sepulkraler Beziehung nicht selten, so auf einem bakchischen Sarkophage bei Matz-Duhn 2395, Silen auf bärtigem I. reitend; als architektonische Nebenfiguren in den Zwickeln neben den Bogen eines Sarkophags, Matz-Duhn 2357; auf einer Matratze, die einen Sarkophagdeckel und das Lager für die Statue des Toten bildete, Lateran, Benndorf-Schöne 58. Abgebildete: dem eben zitierten bei Matz-Duhn ähnlich: Lasinio a. a. O. 101 = Reinach Rép. Rel. III 123, 2. I. mit Nereiden über reicher Guirlande auf einem Sarkophag in Pisa, Lasinio a. a. O. 5. Dütschke I 70. Reinach III 118, 2. Cippus der Agria Agathe, I. mit Nereide unter der Inschrifttafel, London, Brit. Mus., Cat. of Sculpt. III 341 = Reinach Rép. Rel. II 491. Sarkophag des Iulius Filus Cyrius, s. o. Zum Schmuck einer Prora, Venedig, o. Bd. VIII S. 1767, 13, wo aber auf Bieńkowski Österr. Jahresh. I 17 und Robert Ant. Sark. Rel. III 2 Suppl. A B hinzuweisen war (ist Teil eines Sarkophagreliefs). Stuck im Valeriergrabe an der Via Latina vor Rom: Gusman L’art décoratif pl. 50, 51. [Grab in St. Rémy, s. o., jedoch keine eigentlichen I.]. Auch der I. auf einem skulpierten Rostrum, Leipzig, Antikenmuseum der Univers., Reinach Rép. Rel. II 66, 2 könnte von einem Grabmal stammen, doch würde sich der I. auch an sich als Schmuck eines Rostrums erklären. Besser auszuscheiden sind, weil mit Tritonen: Sarkophag der Alledia Marcia, s. o.; ein Sarkophag in Verona, Mus. Lapid., wo Dütschke IV 520 einen I. notiert; s. aber Maffei Mus. Veron. CXXXVII 1 = Reinach Rép. Rel. III 439. – Datierung. Vom ältesten Belege an, den I.-ähnlichen Wesen des Iuliergrabs, dauert die Verwendung bis ins 5. Jhdt. Der Londoner Cippus wird in den Beginn des 2. Jhdts. gesetzt (Cat. Sculpt. III 342), der große vatikanische Sarkophag in frühantoninische Zeit (Amelung a. a. O. II nr. 91), der kleinere ins 3. Jhdt (Amelung I nr. 192 a), der Sarkophag Mattei nach der Frisur der Verstorbenen ins ausgehende 3. Jhdt. (Matz-Duhn 3198, s. auch zu 3194). Ein vor dem Ende des 2. Jhdts. gearbeiteter Sarkophag wird im Anfang des 5. Jhdts. für die Leiche eines Christen, Promotus, neu benutzt (Bull. com. 1873, 193), wie auch das Londoner Silberkästchen vom Esquilin, Reinach Rép. Rel. II 492, mit Darstellung von Venus’ Geburt zwischen I. wenn nicht ursprünglich für Christen gearbeitet, so doch in christlichem Besitze war.
In sepulkral verwendeten Seethiasoi sieht man eine Darstellung von Seewesen, die die Seelen Verstorbener in das jenseits des Okeanos gelegene Totenreich tragen, oder eine Anlehnung an bakchische [837] Thiasoi auf Gräbern; diese sind eine Darstellung der Freuden, die den Toten im Jenseits erwarten; s. o. Bd. VIII S. 1767, 45 und Amelung Vatik. Katal. II 252. Wohl in Zusammenhang mit der ersten Anschauung hat man oft Wehmut in den Zügen der Seewesen beobachtet s. o. und Conze Gött. Gel Anz. 1866 II 1138ff. bes. 1140. Brunn S.-Ber. Akad. München 1879 II 8. Jahn Ber. Sächs. Akad. VI (1854) 178 und 186. Wenn auch diese Deutungen für die Zeit, in der zuerst Seewesen sepulkral verwendet wurden, richtig sein mögen, so kann doch, als I. mit Nereiden in den Seethiasos eintraten und die Sarkophage des oben geschilderten Haupttypus vom Publikum gekauft wurden, diese Grundidee kaum noch lebendig gewesen sein, a) Die Vorstellung von einem jenseits des Ozeans gelegenen Totenreiche war wohl nur in älterer Zeit ebenso verbreitet wie die Hadesvorstellung; diese wird später die geläufigere gewesen sein; erst spät aber tauchen I. im sepulkralen Seethiasos auf. b) Daß die Vorstellung von einer Reise über den Ozean, wenn je vorhanden, doch verblaßt war, zeigen Sarkophage wie der von Philippeville, Reinach Rép. Rel. II 4 oder der in Richmond Samml. Cook, ebd. II 529, vgl. Petersen Röm. Mitt. III 306, 1, wo das Medaillon mit dem Bilde des Toten in ganz analoger Weise statt von I. von Kentauren, also von Landwesen gehalten wird, c) Die fraglichen Sarkophage enthalten keine Hindeutung auf eine Reise (wie etwa Grabdarstellungen mit einer Wagenfahrt), wohl aber eine sehr deutliche auf Liebesgenuß. d) Doch kann es sich nicht um Liebesfreuden handeln, die den Toten im Jenseits erwarten. Denn diese hätte man sich doch wohl als dauernd und nicht durch das Alter getrübt oder vereitelt gedacht; aber Matz-Duhn beobachteten (zu 3165), daß hie und da Nereiden an älteren Tritonen offensichtlich weniger Gefallen finden (manchmal weisen sie freilich auch die Zärtlichkeit älterer I. nicht zurück). Vor allem muß man, wenn man eine Beziehung des Toten zu der Darstellung sehen will, auch annehmen, daß diesem perverse Liebesfreuden wie die der Pasiphae mehr oder weniger deutlich in Aussicht gestellt würden, was kaum annehmbar ist; daß I. und Nereiden die einen Seestier küssenden Nereiden mit ungeteilter Aufmerksamkeit betrachten (z. B. Sarkk. Lateran, Giustiniani), ist schon an sich, ganz ohne Bezug auf den Toten gesehen, auch in einer nicht prüden Zeit als Grabdarstellung merkwürdig genug, e) Die christlichen Verwandten des Promotus, die für dessen Leiche einen solchen Sarg benutzten, hatten wohl kaum diese Auffassung von der Bedeutung seiner Skulpturen, f) I. allein oder mit Nereide werden sonst oft ohne oder nur mit geringer Beziehung auf den zu schmückenden Gegenstand verwendet, wobei kein tieferer zugrunde liegender Sinn anzunehmen ist. Auf Mosaiken und Wandgemälden dienen sie nur zur Darstellung der See (im Bade in Vilbel als Repräsentanten des feuchten Elements), s. u., sie schmücken ein silbernes Kästchen, s. o., oder den Henkel einer silbernen Schale (Louvre; I. mit Aphrodite in Muschel; Gusman Art décor. pl. 61 = Reinach Rép. Rel. II 248), bronzene Beinschienen (aus dem römischen Castrum von Szamos Ujvár bei Klausenburg in Dacien, Arch. [838] Ztg. XVI Taf. 112), das Gewand der Dea Roma im Palazzo Barberini, Terra sigillatagefäße, s. u., sie stehen architektonisch verwendet (wie auch Tritonen) in Giebeln und sonst (Rel. ,Dionysos’ Besuch‘ London Brit. Mus. Schreiber Hellen. Rel. Bild. 37 = Reinach Rép. Rel. II 464; auf dem ,Schilde des Scipio‘, am besten abgeb. Mon. Piot VI 29) oder vielfach wiederholt auf den Bronzebeschlägen einer Tensa, Konservatorenpalast, Bull. com. V (1877) Taf. XI-XV, Helbig-Amelung Führer 966, und zwar dort zwischen Darstellungen aus Achilleus’ Leben. So wie bei den meisten dieser Kunstwerke der Beschauer keine allzuspezielle Erklärung für das Vorhandensein der I. gesucht haben wird, so auch bei den I. mit Nereiden auf den Sarkophagen. Viel eher liegt bei diesen eine Ausbildung des Seethiasos lediglich in der Phantasie der Künstler vor, und wenn allenfalls der Schöpfer des Sarkophagtypus noch eine Erinnerung an die alte Bedeutung solcher Thiasoi hatte, so war sie doch bei den Steinmetzen, die den Typus abwandelten und den Genuß der Liebesfreuden stärker betonten, und jedenfalls bei den Käufern der Sarkophage geschwunden. Wenn diese solche Särge mit Vorliebe wählten, so kann es nur geschehen sein, weil der Verstorbene Beziehungen zur See hatte; nur dies, nicht mehr deutete der Seethiasos an. Die Vorliebe für Darstellung von Liebesfreuden auch allzu derber Art wird auch ohne sepulkrale Spekulation verständlich, wenn man an den Charakter antiker und moderner Seestädte in dieser Beziehung denkt; s. o. Bd. VIII S. 1333, 51. 1339, 11. 1345, 39 und Cic. de rep. II 4, 8.
Wandgemälde
Wandgemälde zeigen den I. als Repräsentanten der belebten See zusammen mit Nereiden, Tritonen, Eroten, Delphinen, Hippokampen und anderen Seefabelwesen. Die Bewegung und der bald heitere, bald erregte, bald tückische Charakter des Meers ist nicht an sich, d. h. durch Gestaltung der Wellen dargestellt, sondern durch die Wesen, die sich auf der Wasserfläche tummeln; so Mus. Borbon. VIII 10. Besonders hervorzuhebende I.: der schöne bärtige aus Pompeii, Casa dei Capitelli colorati, Neapel, Mus. naz., Mus. Borbon. X 32 = Zahn Ornam. III 4, Helbig Wandgem. der verschütt. Städte 308, und der in der Casa d’Adonide ferito, Zahn III 45, Helbig 311; andere bei Helbig passim. Über die Benennung der weiblichen Wesen, die die I. oft tragen, als Nereide, Aphrodite, Galateia kann man im einzelnen schwanken (Jahn Ber. Sächs. Ges. VI [1854] 182). Wie Darstellungen von Nereiden mit Waffen des Achilleus auf Hippokampen in der Kaiserzeit zurücktreten (s. o. Bd. VIII S. 1771, 21), so findet sich ein I. mit Thetis und Waffen nur Helbig 1319. 1321. Als architektonischer Schmuck dienen I. (wie auch sonst Seewesen) Pitture d’Ercolano (Neapel 1757ff.) I 44. Ein kurioses Geschöpf zeigt ein Bild aus der Casa dei Dioscuri, Neapel, Mus. naz., Mus. Borbon. X 8 = Helbig 1074(–1076): der Oberkörper ist rein menschlich wie beim I., der Pferdekörper aber durch den einer Languste und die Pferdebeine durch deren lange Fühler ersetzt. Es ist eine glückliche Schöpfung origineller Phantasie; daß nicht etwa der Heros Astakos (s. o. Bd. II S. 1775, 3) dargestellt ist beweist die Typik der Meerfabelwesen. – [839] Wie wir vereinzelt Hippokampen als Schmuck von Gewandsäumen finden (o. Bd. VIII S. 1754, 18), so ähnlich I. mit Nereiden am Gewande der Roma im Palazzo Barberini in Rom, Arch. Ztg. XLIII Taf. 4. Man darf hier wohl eine Hindeutung auf die meerbeherrschende Stellung Roms sehen.
Auf Mosaiken (Jahn Arch. Ztg. XVIII 115, 3) beleben die I. wie auf Malereien die Meeresfläche, so auf dem großen Mosaik aus Portus Magnus (Leu) in Algerien, jetzt in Oran, Mus. de l’Algérie III pl. 2. Daremberg-Saglio III 2, 983 und 2114, vgl. Robert Jahrb. V 215, dort in den unteren Schmalstreifen auch rein dekorativ; in dem Mosaik aus Schebba (das schon o. Bd. VIII S. 1769, 35 anzuführen war), Arch. Anz. XVIII 99, Daremberg-Saglio III 2, 2118, N. Jahrb. XXXI Taf. 1 (Boll); im Darmstädter Mosaik aus einem römischen Bade in Vilbel (o. Bd. VIII S. 1769, 65); in dem Mosaik aus Timgad Arch. Anz. XX 85. XXVII 401.
Vereinzelt ist der I. in Terrakotta: Kekulé Ant. Terr. II Taf. XLI 1, I. auf einem Untersatz (so wie auf der Neapler Bronze, s. o.), auf Terra sigillata: Déchelette Vases de la Gaule rom. II 9f. und auf Münzen: Imhoof-Blumer und Keller Tier- und Pflanzenbild. Taf. XIII 37 Kyzikos, 38 Nikomedeia [Overbeck Kunstmythol. Poseidon, Münztaf. VI 21, Korinth unter Domitian, wohl eher Tritonen den Wagen des Poseidon ziehend].
Auch auf geschnittenen Steinen ist der I. selten. Der Zufall will es, daß Goethe und Thorvaldsen Exemplare solcher Steine besaßen; Furtwängler Ant. Gemm. 62, 28. Muller Cam. du Mus. Thorvaldsen 95 nr. 746; für freundliche Überlassung von Abdrücken bin ich den Direktionen des Goethe-Nationalmuseums in Weimar und des Thorvaldsenmuseums in Kopenhagen zu Danke verpflichtet. Der Abdruck des Goetheschen Steins zeigt einen ziemlich rohen, fast stumpfsinnigen Gesichtsausdruck des I. (für den, soweit nach der Abbildung zu urteilen, der Stein bei Monaldini Thes. Gemm. II tab. 28 eine Parallele bietet), macht aber ebensowenig wie Furtwänglers Abbildung klar, wie der I. den Dreizack hält; es muß ein Versehen des Steinschneiders vorliegen (an dem aber Furtwängler keinen Anstoß nahm; er bemerkt ausdrücklich, er habe antike Gemmen Goethes auf seiner Tafel vereinigt). Bei dem Monaldinischen Steine ist auffällig, daß der I. das Muschelhorn verkehrt hält, mit der Schallöffnung statt der Mundöffnung nach dem Gesicht zu, was kaum Mißverständnis des Stechers ist. Am Thorvaldsenschen Steine ist die Arbeit gut, ungenau aber wieder die Darstellung der Attribute (rechte Hand Muschelhorn?; linke Hand Dreizack, aber der obere Abschluß unklar; am Dreizack aufgespießter Fisch?) und die Art, wie diese Gegenstände in den Händen getragen werden. Diese Ungenauigkeiten in den Attributen und namentlich der Umstand, daß alle drei I. den sonst seltenen (s. u.) Petasos oder Schifferhut tragen, könnten darauf führen, daß die drei Steine von ein und demselben modernen Steinschneider stammen. Ein von Voss a. a. O. verzeichneter Stein der Wildeschen Sammlung und der bei Roscher Myth. Lex. II 93 Anm. genannte [840] sind mir nicht zuganglich; über Reinach Pierres gravées pl. 60, 51³ kann man nach der Abbildung nicht urteilen (daß der Fischleib des I. geschuppt ist, kommt wohl sonst nicht vor). Reinach ebd. pl. 3, 15 ist eher Triton mit pferdebeinähnlichen Flossen, pl. 59, 46 Triton.
Typik.
Über die Geschichte des Typus wissen wir nichts. Im allgemeinen lassen sich etwa folgende Kriterien des uns vorliegenden Typus aufstellen (Belege passim bei den oben angeführten Exemplaren; nur für seltenere Abweichungen sind besondere Zitate zugefügt):
1. Der Mensch. Während sich neben männlichen nicht selten weibliche Tritonen finden, sind Ichthyokentaurinnen höchst selten (Tensa des Konservatorenpalastes, s. o.). Männliche sind ebenso oft bärtig wie unbärtig. Besonders edel geformte Köpfe finden sich Zahn Ornam. III 4 (= Mus. Borb. XII 32) und III 45, besonders nichtssagende auf geschnittenen Steinen. Wenn der menschliche Körper besondere Charakteristika trägt, was aber nicht immer der Fall ist, so sind es entweder solche eines See- oder eines satyrhaften Wesens. Das Seewesen charakterisieren die relativ häufigen Krebsscheren über der Stirn da, wo der Satyr Hörnchen oder Buckel hat; selten dagegen sind Flossen oder eine Art stilisierter Seepflanzen über der Brust (Clarac Mus. de Sc. 224, 83 = Reinach I 113 und ganz ähnlich an dem vatikanischen Sarkophage; von Amelung im Vat. Kat. II nr. 91 als Blattwucherungen bezeichnet; so auch bei Millin Gall. myth. 49, 303, und zwar sogar in doppelter Reihe, aber nicht auf der Abbildung desselben Stücks bei Maffei Mus. Veron. p. 216) oder sonstige an den Menschenkörper angesetzte Flossen (Mus. Borb. X 7). Andererseits ist hie und da der Kopf dem eines Satyrn oder Pan ähnlich, z. B. Dütschke Ant. Bildw. in Oberit. I 116; er ist gehörnt (z. B. Mosaik von Portus Magnus, s. o.; Dütschke V 295 [Venezianer Prora]), oder er hat spitze Ohren (Benndorf-Schöne Lateran 296); s. auch Amelung Vat. Kat. zu II nr. 228. Einen Hut trägt der I. außer auf den drei geschnittenen Steinen nur bei Helbig a. a. O. 1076.
Sehr zahlreich und mannigfaltig sind die Gegenstände, die die I. in den Händen tragen; I. ohne Attribute scheint es nicht zu geben. Meist halten beide Hände Gegenstände, und zwar sehr verschiedenartige. Die im folgenden gegebene Gruppierung ist nur der Übersichtlichkeit halber vorgenommen, aber nicht so zu verstehen, als ob man nach den Attributen die I. in einzelne Gruppen wie I. mit See-, Kentauren-, bakchischem Charakter teilen könnte; vielmehr kommen die Attribute verschiedener Gruppen bei demselben I. vor, und es finden sich z. B. nebeneinander Pedum, Aplustre, Zügel eines Meertiers – Kantharos, Pedum – Schale, Lagobolon.
Am häufigsten sind natürlich a) Seeattribute und unter diesen am zahlreichsten Ruder; daneben Anker (z. B. Clarac Mus. de Sc. pl. 206, 192; pl. 208, 198), Aplustre (Helbig Wandgem. 1068, 1075), Prora (Helbig 1066. 311 = Zahn Ornam. III 45 [?]), Dreizack oder Harpune (Fries von Molos, s. o. Helbig 1076. 1072 = Mus. Borb. VIII 10). Häufig zügelt der I. ein Meertier, so einen Hippokampen (Helbig 1073 = Mus. Borb. [841] X 8; 809 = Mus. Borb. VI 21); besonders oft trägt er ein langes Muschelhorn als Trompete. b) Seltener, aber doch häufig genug sind Attribute, die die I. den Kentauren oder Satyrn nähern, Pedum, Lagobolon oder ein einfacher Stab, dazu die Nebris, etwas weniger häufig c) solche bakchischer Art (entstanden aus der Angleichung des Seethiasos an den bakchischen, oder Hindeutung auf die Segen spendende Kraft des Meeres), Skyphos, Kantharos, Schale (Sarkophag von Kephisia, Mosaik von Portus Magnus, s. o. Helbig 309 = Mus. Borb. VI 21 u. a.), Thyrsos (Helbig 1067), Kalathos (Helbig 1321 = Mus. Borb. X 7. Dütschke a. a. O. III 85. V 295). d) Neben der häufigen Muscheltrompete finden sich vereinzelt andere Musikinstrumente: Doppelflöte (Lasinio a. a. O. 131 = Reinach Rép. Rel. III 119); Lyra (ebd.; Mus. Borb. XII 32 = Zahn Ornam. III 4); Syrinx (Lasinio 5 = Reinach III 118). e) Waffen zur Abwehr von Seewesen nur auf dem kleinen Pergamener Fries, s. o.; dies an sich dankbare Motiv hellenistischer Kunst hat auf die spätere Zeit keinen Einfluß gehabt.
Die I. sind in der weit überwiegenden Zahl der Fälle unbekleidet. Wenn sie ein Gewandstück, eine Chlamys (aus Flossen: Helbig 1065) oder Nebris (Turiner Bronze Dütschke IV 287) tragen, so verhüllt sie dieses wenig, sondern liegt meist nur lose über einem Arm oder flattert um die Schultern: Mus. Borb. VIII 10. X 8. X 52 = Helbig 310 und 1072. 1073. 1069.
2. Beflügelung (vgl. o. Bd. VIII S. 1770, 55) fehlt außer am I. des großen Pergamener Altars, s. Altert. v. Perg. III 2, 84 [und den Tritonen des Iuliergrabs]. Auf dem Berliner Kitharodenrelief Schreiber Hellen. Reliefb. 35 nach ,Beschreibung der ant. Skulpt.‘ 921 beflügelte Tritonen, nicht I.; am linken I. des ,Schildes des Scipio‘ keine Flügel, wie gegen Millin Gall. Myth. pl. 136 nr. 587 die bessere Abbildung Mon. Piot VI 29 beweist.
3. Das Pferd (vgl. o. Bd. VIII S. 1770, 39). Die beim Pferde des Hippokampen beobachtete kleine Flosse an der Fuge zwischen Pferd und Fisch findet sich auch beim I. nicht selten, daneben aber hie und da an dieser Stelle eine recht große Flosse, wie sie beim Hippokampen nicht vorzukommen scheint: Mus. Borb. XII 32 = Zahn Ornam. III 4 = Helbig 308; Sarkophag Bull. com. 1873 Sept. Okt. tav. 3 und 4; Relief von Iotape, s. o. Besonders langer Pferdeleib: s. u. Noch größer ist die Abweichung vom Hippokampen der Kaiserzeit an den Beinen und Hufen. Stets zwar sind auch hier die Beine mehr oder weniger galoppierend vorgestreckt, nicht aufstehend, was sich ja dadurch verbot, daß die Wesen auf einer Wasserfläche erscheinen, und meist sind die Hufe wirkliche Pferdehufe; doch finden sich häufiger als bei Hippokampen Flossen neben den Hufen (Stuck aus dem Valeriergrabe, Gusman Art décorat. pl. 51) oder an ihnen (Helbig 1065. Clarac 206, 194) oder statt der Hufe (Mos. Borb. XII 32 = Zahn Ornam. III 4; Mosaiken von Portus Magnus und Vilbel, s. o.; man kann mit Jahn Arch. Ztg. XVIII 117 hier auch (krebs)scherenartige Klauen sehen. Reinach Pierres gr. pl. 60, 51³. Die Krallenfüße des I. am Münchner Hochzeitszuge sind vereinzelt); oder die [842] Pferdebeine tragen Flossen (Mus. Borb. X 7; Sarkophag von Kephisia, s. o.), ja sie sind ganz durch Flossen ersetzt (Helbig 1065. 1071 = Mus. Borb. X 39; silberner Vasenhenkel im Louvre, s. o.). Auch in der Fugenverdeckung weichen Hippokampen und I. etwas voneinander ab. Zwar ist auch beim I. die Fuge zwischen Mensch, Pferd und Fisch sehr oft nicht verdeckt, und eine solche Bildungsweise stellt gewiß die höhere künstlerische Leistung dar; doch mochte die Schwierigkeit, drei Wesen organisch ineinander zu verschmelzen, größer sein als die Verbindung von Pferd und Fisch beim Hippokampen, und es findet sich demgemäß beim I. häufiger Fugenverdeckung durch Flossen oder (akanthusähnliche) Blätter, so besonders reich bei dem I. Lasinio a. a. O. 64 links und 72. Helbig 1069 = Mus. Borb. X 52.
4. Der Fisch. Die Länge des Pferde- resp. Fischkörpers ist sehr verschieden und schwankt zwischen so kurzen Exemplaren wie denen der Tensa des Konservatorenpalastes (dort aus der Komposition in das Rund erklärlich), Mus. Borb. VI 21 (dort ohne besonderen Grund), Déchelette a. a. O. II 10, 27 und so langen, wie am Friese von Molos, Mus. Borb. VIII 10, Sarkophag von Kephisia, Beinschienen von Szamos Ujvár, s. o. Auch hier finden sich hie und da Abweichungen vom Hippokampentypus: es gibt einige Fälle, in denen der Fisch nur gebogen, nicht in ein Rund gewunden ist: am Friese von Molos(?), Mus. Borb. VIII 10 unten, wohl auch XII 32, Mosaik von Portus Magnus (wo der Fischleib zum Teil merkwürdig verkümmert ist; dazu sonst keine Parallelen), Szamos Ujvár, Déchelette a. a. O. II 9, 25; ja es finden sich sogar ganz ungegliederte, gerade gestreckte Fische, nicht bloß Déchelette II 10, 27 (dies Exemplar ist allerdings d’une exécution très barbare), sondern auch auf der genannten Kyzikener Münze. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist jedoch auch hier, wie beim Hippokampen, der Fisch in ein Rund gewunden, hie und da in zwei Runde, in drei Lasinio a. a. O. 101 = Reinach, Rép. Stat. III 123, 2.
5. Wie bei den Hippokampen des großen Pergamener Altars, so finden sich auch an dessen I. und ebenso an denen des kleinen Pergamener Frieses am Bauche jene Ringschilder oder gerillten Streifen, über die o. Bd. VIII S. 1763, 33 gesprochen wurde. Während aber dies krebsschwanzartige Gebilde beim Hippokampen in nachhellenistischer Zeit fehlt, findet es sich, freilich selten und mehr oder weniger undeutlich, an I. der Kaiserzeit: bei der Ichthyokentaurin der Tensa, Wiener Vorl. Bl. Benndorf B 7, 1 d, 14?. Lasinio a. a. O. 64. Clarac Mus. de Sc. 206, 194. 207, 196. Vatikan Amelung II nr. 91 = Reinach Rép. Rel. III 384; freilich kann manchmal der Künstler auch die Wülste im Fleisch eines dicken Schlangenleibs haben andeuten wollen.
6. Eine Rückenflosse am Fisch, die beim Hippokampen der Kaiserzeit fehlt, ist beim I. nicht ganz selten, durchlaufend Mus. Borb. VIII 10 oben, in kleine Flossen aufgelöst z. B. ebd. unten und X 8, so auch schon am kleinen Pergamener Fries DF und am Münchner Hochzeitszug; hie und da auch Bauchflossen, z. B. Mus. Borb. VIII 10. X 7.
[843] 7. Der Schwanz ist in der großen Mehrzahl der Fälle nach oben gerichtet, wagrecht am Friese von Molos, hie und da auf pompeianischen Wandmalereien, also an I. der frühen Kaiserzeit, und sonst, aber selten; bei so späten I. wie denen am ,Schilde des Scipio‘ erklärt sich die wagrechte Richtung aus der Komposition; nach unten gerichtete Schwänze sind ganz selten (Kekulé Ant. Terrak. II Taf. 41).
8. Das knopfartige Gebilde vor dem eigentlichen Schwanzende findet sich bei dem I. des großen Pergamener Frieses und zwar als ,ein doppelter Kelch von Schuppen und Stacheln‘, aus dem die Mittelrippe und die Randrippen der zweiteiligen Schwanzflosse entspringen. Einen solchen Kelch werden die Kunstler, die an Seewesen der Kleinkunst jenes knopfartige Gebilde anbrachten, o. Bd. VIII S. 1760, 24. 1771, 7, gemeint und gewissermaßen in Abbreviatur recht undeutlich dargestellt haben. Doch fehlt dieses Gebilde auch bei I. der Kaiserzeit; höchstens Mus. Borb. XII 32.
Die im ganzen nicht bedeutenden Abweichungen des I.-Typus von dem des Hippokampen, würden, wenn man aus ihnen überhaupt einen Schluß ziehen darf, beweisen, daß man bei dem dreigestaltigen, also phantastischeren I. auch sonst in Einzelheiten der Phantasie etwas mehr Spielraum ließ; wenn ferner auch ursprünglich der I.-Typus von dem des Hippokampen abhängig gewesen sein mag, so ist diese Abhängigkeit in der späteren Zeit doch keine sklavische gewesen. Inwieweit etwa ein berühmtes hellenistisches Vorbild in den späteren I. kopiert ist, läßt sich nicht sagen; im besonderen auch nicht, wieweit der Einfluß des I. am großen Pergamener Altar reicht und ob der Mangel an Beflügelung bei späteren I. auf die Existenz eines anderen berühmten, nichtbeflügelten Vorbilds hinweist oder ob, wenn Anschluß an den Pergamener I. anzunehmen wäre, die Beflügelung später wegen der nicht geringen Schwierigkeit der Darstellung oder aus anderen Gründen aufgegeben wurde.
Die Situationen, in denen sich der I. findet, sind ziemlich einförmig. An einer eigentlichen Handlung (Kampf mit Giganten, Seewesen, Raub einer Nereide) ist er wohl nur in den Pergamener Exemplaren und in der vatikanischen Gruppe beteiligt. Sonst schwimmt er lediglich auf dem Meere, trägt in den Händen seine Attribute und auf dem Rücken und in den Windungen des Fischs weibliche Gottheiten, meist Nereiden, und Eroten, oder er spielt mit Meertieren, die er am Zügel führt oder über die Wasserfläche dahinjagt. Die Darstellung ist im großen ganzen immer wieder dieselbe; daß der I. ein Seeungeheuer am Halse packt wie Clarac Mus. de Sc. pl. 224, 83 = Reinach I 113 Mitte rechts oder Millin Gall. Myth. 49, 303 = Maffei Mus. Veron. p. 216, ist als Abweichung schon bemerkenswert. Aber von Eintönigkeit sind die I.-Typen trotzdem weit entfernt; in zahllosen kleinen Einzelheiten, auf die hier einzugehen nicht lohnte, wußten die Künstler zu variieren. Und im allgemeinen ist der I. trotz seiner scheinbaren Monstrosität ein ästhetisch befriedigendes Gebilde; über Malereien wie der geschilderten Mus. Borb. VIII 10 liegt ein liebenswürdiger Reiz, der auch dem Getändel und Kosen der I. mit den Nereiden auf den Sarkophagreliefs nicht fehlt.