Raphael/Zur Einleitung

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Raphael
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Einige allgemeine Gedanken für die, welche dies Büchlein gebrauchen.


I.
Wir sind Fremdlinge auf Erden.
So war es im Alten Testamente. Bereits 3. Mose 25, 23. spricht der HErr zu seinem Volke: „Das Land ist mein, und ihr seid Fremdlinge und Gäste vor mir“. David aber antwortet zu seinen Zeiten dem HErrn, seinem Gott, und spricht 1. Chron. 30, 15: „Wir sind Fremdlinge und Gäste vor Dir, wie unsere Väter alle. Unser Leben auf Erden ist wie ein Schatten, und ist kein Aufhalten“. Ja, nicht bloß David spricht also, sondern die ganze Reihe von heiligen Menschen des Alten Testamentes, welche Ebräer 11. aufgezählt werden, haben den gleichen Sinn gehabt und dasselbe Bekenntnis geführt: „Sie haben bekannt,| daß sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind.“ Vers 13.

 Ebenso ist es im Neuen Testament. St. Petrus nennt die Christen, an welche er in seinem erstem Briefe schreibt, „erwählte Fremdlinge hin und her,“ 1. Petri 1, 1., „Fremdlinge und Pilgrime“ 2, 11. Und Ebräer 13, 14 lesen wir von uns selbst: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“.




II.
Der HErr aber hat die Fremdlinge lieb.
Das sagt er selbst 5. Mose 10, 17. 18. Majestätisch und prachtvoll fängt er an zu reden: „Der Herr, euer Gott ist ein Gott aller Götter und Herr über alle Herren, ein großer Gott, mächtig und schrecklich, der keine Person achtet und kein Geschenk nimmt“. So fängt er an, und verschmäht es nicht, unmittelbar darauf fortzufahren:| „Und schaffet Recht den Waisen und Wittwen, und hat die Fremdlinge lieb.“

 Und so sehr liebt er sie, daß er im Alten Testamente bei Abraham selbst als ein Fremdling einkehrte 1. Mose 18, im Neuen Testamente aber Menschheit annahm und mitten unter den Seinen dreiunddreißig Jahre als ein Fremdling wallte, obwohl sie ihn nicht aufnahmen. Und als er weg gieng, um den Himmel einzunehmen, setzte er neben anderen Elenden auch die Gäste und Fremdlinge zu seinen Stellvertretern auf Erden ein, in welchen er selbst den Seinen begegnen und von ihnen geehrt sein will, bis er wieder kommt. Bei seiner Wiederkunft aber will er alle Völker gegenüber seinem Thron versammeln, sie durch seine Engel von einander scheiden, sie zu seiner Rechten und Linken aufstellen laßen und zu den ersteren unter anderem sagen: „Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich beherbergt“. Matth. 25, 35 ff.

 Wem nun das nicht genug wäre, die Liebe des HErrn zu den Fremdlingen zu erkennen, dem würden wir den Rath geben, die vielen, vielen Stellen der heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes aufzusuchen, welche göttliche Anordnungen| und Befehle zum Besten der Gäste und Fremdlinge enthalten. Jede Concordanz leistet Hilfe und kann dem, der Augen hat zu sehen, Zeugnis und Ueberzeugung geben, wie viel das Wort Gottes von der Liebe Gottes zu den Fremdlingen spricht.




III.
Wir sollen selbst als Fremdlinge und Pilgrime auf Erden wallen.
Er ist in eigner Person auf Erden ein Gast gewesen, und ein Fremdling in seiner Heimath; so sollen auch wir ihm nach auf Erden nicht heimisch sein, sondern Fremdlinge und Pilgrime, heimwärts, nemlich himmelwärts trachten. St. Petrus, welcher 1. Br. 1, 1. die Christen Fremdlinge genannt hat, ruft sie 2, 11 an: „Lieben Brüder, ich ermahne euch als die Fremdlinge und Pilgrime,“ – und darauf kommen einzelne Ermahnungen, deren Schönheit und Kraft| man erst dann recht versteht, wenn man sie als Anweisungen zu einem Leben der Fremdlingschaft und Pilgrimschaft auf Erden faßt. Hier Fremdlinge, werden wir mit dem Bürgerrecht des Himmels getröstet, wie wir Phil. 3, 20 lesen: „Unser Wandel, d. i. unser Bürgerrecht, ist im Himmel“. Dort ist die zukünftige Stadt Ebr. 12, 22 u. 13, 14. Auch mit Hinweisung auf diese predigen die Boten Gottes freudenvoll, daß wir, ob schon Gläubige aus den Heiden, nicht mehr Fremdlinge, sondern Bürger und Gottes Hausgenoßen seien. Eph. 2, 19.




IV.
Wir sollen auch die Fremdlinge lieb haben.
Gottes ewige Bürger und Hausgenoßen, die er lieb hat, und die da Fremdlinge sind auf Erden, sollen sich nicht allein selbst als Fremdlinge fühlen und also wandeln; sondern der HErr will auch, daß sie einander lieben und sich als Fremdlinge und| Mitpilgrime erkennen, sonderlich wenn sie auf Erden auch leiblich von einem Orte zu dem anderen wallen und reisen. Denn so lesen wir 5. Mose 10, 19: „Der HErr hat die Fremdlinge lieb, daß er ihnen Speise und Kleider gebe; darum sollt ihr auch die Fremdlinge lieben, denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Aegyptenland“. Wir sollen die Fremdlinge nicht schinden 2. Mose 22, 21., nicht unterdrücken 23, 9., ihr Recht nicht beugen 5. Mose 24, 14–27, 19.; sondern recht zwischen ihnen richten 5. Mose 1, 16., ihnen keine Gewalt thun Jer. 3, 6. Ez. 22, 7. 29., überhaupt kein Unrecht Sach. 7, 10; der Fremdling soll fröhlich sein bei uns 5. Mose 16, 11–14. 21. Genau genommen sind alle diese Fremdlinge, von welchen in den angeführten Stellen die Rede ist, Heiden und das Volk Israel, welchem die Befehle zunächst gegeben sind, soll also die Heiden lieben, welche die Grenzen des gelobten Landes betreten. Wie viel brünstiger wird die Liebe zu den Fremdlingen sein müssen, wenn sie, wie bei uns gewöhnlich, Glaubensgenoßen oder doch Glaubensverwandte sind! Da lies Stellen wie 1. Tim. 3, 2. 5, 10., 1. Petr. 4, 9., Ebr. 13, 2. u. d. gl. Ja, nicht bloß Stellen| oder einzelne Verse lies: es gibt ja einen Brief, den dritten des heiligen Johannes, welcher ganz und gar von der Liebe zum Fremdling handelt. Wie mancher weiß nicht, wozu der Brief in der Bibel steht; wie leicht aber kann jeder faßen und sich überzeugen, daß der heilige Geist der Kirche aller Zeiten in demselben ein leuchtendes Zeugnis und strahlendes Denkmal der Fremdlingsliebe geben und setzen wollte.




 Wir sind Fremdlinge auf Erden und wandern unsere Zeit mitten unter einem Strome von Fremdlingen dahin. Am tiefsten und schmerzlichsten fühlen wir das, wenn wir auch leiblich reisen. Aber gerade dann haben wir zum besonderen Troste, daß der HErr die Fremdlinge lieb hat; obschon auch die besondere Mahnung, daß wir andere Fremdlinge lieben sollen.




 Das alles steht mit Recht an den Pforten eines Betbüchleins für die Fremdlinge. Ihr Fremdlinge freuet euch, denn der HErr liebet die| Fremdlinge! Ihr Fremdlinge, heiliget euch, daß ihr euch von dieser Welt der Fremde unbefleckt erhaltet, und wenn ihr heimkehret zu den Euren und in eure irdischen Hütten, so erneuert das Gelübde des Dankes und vereinigt euch mit eurem Gott, die Fremdlinge zu lieben.




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