Seite:Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl.pdf/109

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid: Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit.

die Einheit einer alles beherrschenden und organisirenden Idee zu suchen? Etwas der Art ist gewiss in Luther; er dringt in die Tiefe und in das Ganze; gerade die sogenannten speculativen Dogmen, Trinität, Christologie, aber auch die Lehre vom Werke Christi fasst er für sich und im Zusammenhang mit der Soteriologie an, um vom Princip des Protestantismus aus, vom Glaubensprincip aus, ihre abstrakte traditionelle Form zu überwinden, sie zu vertiefen und zu beseelen... Und Melanchthon dagegen, er geht den speculativen Fragen fast immer geflissentlich aus dem Wege, und sucht das, was ihm als das Praktischwichtige erscheint, „quae ad aedificationem conducunt, quae ad vitam accommodata sunt“ durch eine verständige und klare Entwicklung der Erkenntniss näher zu bringen.“ Nicht anders urtheilt Frank.[1] Er spricht dem Melanchthon gerade die speculative Begabung ab, wenn er sagt: „seine grosse, viel gerühmte und in der That zu rühmende Gabe, die schwierigsten Gegenstände in schlichter und allgemeinfasslicher Weise zu entwickeln, hat ihn überall da verlassen, wo es unmöglich ist, dem Dogma ohne tiefere theologische Speculation wissenschaftlich gerecht zu werden.“

 Der, dessen Gedanken aus festen, ihm stets vor der Seele schwebenden Anschauungen hervorgehen, ist auch der sich immer gleich bleibende, und ihm ist Stetigkeit in seinen Gedanken eigen.

 Verhält es sich so bei Melanchthon?

 Wir dürfen nur zusammenstellen, was Frank (Theologie der Concordienformel) über Melanchthons Stellung zur Abendmahlslehre beibringt, um uns zu überzeugen, dass bei Melanchthon gerade das Gegentheil Statt findet.

 Während er in den Jahren 1519–21, nachdem er von der Römischen Transsubstantiationslehre sich losgesagt hatte, als Glaubensartikel das bezeichnet „dass der Leib Christi gegessen werde, auf welche Weise immer der heilige Leib die Gestalt des Brodes annehme“, hält er es 1526 für ausreichend, wenn man die Gegenwart Christi im Abendmahl lehre. In einem vertraulichen Brief an Camerarius vom December 1527 bekennt er dann, dass


  1. Frank, die Theologie der Concordienformel III. p. 7.
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid: Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit.. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1868, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Kampf_der_lutherischen_Kirche_um_Luthers_Lehre_vom_Abendmahl.pdf/109&oldid=- (Version vom 1.10.2017)