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Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid: Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit.

gefährlichsten Gegner hielt, gab die überraschende Gewissheit, dass man von Melanchthon nichts zu fürchten habe. Gleich zum Eingang kündigte er an, dass er dem Kurfürsten überlasse zu thun, was er für sich und den Staat für räthlich erachte, und er verspricht, nichts dagegen zu thun, im schlimmsten Fall werde er weichen oder tragen. Er spricht sich ferner über das Interim in einer überaus milden Weise aus. Die evangelische Lehre will er zwar nicht verläugnen, aber er hegt die Hoffnung, dass der Kaiser das auch nicht wolle; er bezeichnet es als einen Akt der Frömmigkeit des Kaisers, dass er die Kirche heilen und verbinden wolle, und nennt die von demselben vorgeschlagenen Bedingungen mediocres; er erklärt ausdrücklich seine Zustimmung zu einigen Punkten, welche von den Protestanten bisher entschieden verworfen worden waren, zur Annahme der Ceremonien und Anerkennung der bischöflichen Autorität.

 Das Mitgetheilte reicht schon aus, um begreiflich zu machen, dass dieser Brief, als er bekannt wurde, grosses Aufsehen erregte, von dem Kurfürsten und dem Kaiser aber sehr gut aufgenommen wurde. Ratzeberger erzählt, er sei in Augsburg als eine Monstranz zur Schau getragen worden, und als er vor den Kaiser gebracht worden, habe dieser gesagt: „Diesen habet Ihr nun, sehet zu, dass Ihr ihn behaltet.“[1]

 In dem Brief steht aber noch Bedenklicheres. Er enthält auch, freilich nur dunkle, Andeutungen, welche darauf hinweisen, dass Melanchthon mit dem ganzen Gang, den die Reformation genommen, vielfach unzufrieden war, aber auch die Verantwortung dafür ablehnte, weil Luther ihn nicht habe aufkommen lassen. Er spricht darin in unzarter Weise von einem harten Joche, das Luther, der bei seiner streitsüchtigen Natur öfter ihr als dem gemeinen Besten gedient, ihm auferlegt habe; er macht geltend, dass er den Religionsstreit nicht begonnen, sondern mitten in denselben hineingekommen sei, und deutet an, dass er von Anfang an nicht alle Meinungen Luthers getheilt, um des vielen Guten willen aber, das Luther vertreten, sich an


  1. Die handschriftliche Geschichte Ratzebergers über Luther und seine Zeit von Dr. Chr. G. Neudecker. 1850. p. 201.
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Friedrich Ferdinand Schmid: Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesamten Lehrentwicklung dieser Zeit.. J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung, Leipzig 1868, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Der_Kampf_der_lutherischen_Kirche_um_Luthers_Lehre_vom_Abendmahl.pdf/141&oldid=- (Version vom 1.10.2017)