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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Verfolgen wir ein Kind auf dem Wege zur Schule, der in manchen Gegenden unseres Vaterlandes bis vier Kilometer lang ist! Der Körper ist so viel als möglich gegen die Unbilden der rauhen Witterung geschützt, und namentlich ist bei den Knaben der Hals nicht eben am schlechtesten fortgekommen. So eingehüllt sitzt alsdann das Kind in der warmen Schulstube, deren Temperatur sich in Folge der starken Ausdünstungen mit jeder Minute steigert. In den von feuchter Wärme durchtränkten Kleidern oft schwitzend, verläßt das Kind dann Abends die Schule, um bei Frost bis zu 18 und 20 Grad den weiten Heimweg anzutreten. Die Folgen bleiben natürlich nicht aus. Man trete nur in eine Dorfschule zur Zeit der rauhen Witterung, und man wird nur zu häufig finden, daß sämmtliche Schüler mehr oder weniger den Husten haben, sodaß der Lehrer oft sein eigenes Wort kaum verstehen kann.

Sind die Verhältnisse auf dem platten Lande auch vielfach noch so trauriger Art, daß den Kindern Ueberziehkleider fehlen, so kann ein Lehrer, der nicht blos auf die Entwickelung des Geistes seiner Schüler ein wachsames Auge hat, sondern auch der Pflege des Körpers derselben eine nicht geringe Aufmerksamkeit schenkt, doch zur Erzielung einer Art von Ueberzeugung sehr viel thun.

Vor allen Dingen sind beim Eintritt in die erwärmte Schule die dicken Halstücher der Knaben zu entfernen, ferner die Röcke sofort zu öffnen; ganz schlimm ist’s, wenn in einer Schule noch geduldet wird, daß die Mädchen mit Kopftüchern ummummt dasitzen. Daß durch consequentes Achtgeben auf solche Uebelstände nicht allein den häufigen Erkältungen etc., sondern auch der leider so häufig sich findenden Unsauberkeit entgegengearbeitet wird, muß Jeder bemerkt haben, dem der Unterschied im Aussehen der Leibwäsche von damals, als zum ersten Male die so liebgewordenen, Alles so schön bedeckenden Tücher abgebunden wurden, und der in der Folge sich zeigenden aufgefallen ist.

Auf eine Unsitte wollen wir noch hinweisen, weil sie auch in das beregte Feld eingreift, nämlich daß in den Häusern der ärmeren Volksclassen die Knaben vielfach die Mützen auf den Köpfen haben. Freilich: Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen – und andrerseits: Jung gewöhnt, alt gethan.

E. K.



Lust und Leid im Liede. Neuere deutsche Lyrik, ausgewählt von Hedwig Dohm und F. Brunold (Leipzig und Berlin, R. F. Albrecht). Einem vom Publicum empfundenen literarischen Bedürfnisse kommt das Erscheinen eines neuen Sammelwerkes zeitgenössischer Lyrik nicht entgegen; denn Niemand wird behaupten, daß der deutsche Büchermarkt der Gegenwart arm sei an guten lyrischen Anthologien. Aber die poetischen Producenten, gleichviel ob „Könige“ oder „Kärrner“, ob schöpferische oder blos sammelnde Talente, haben dem Publicum gegenüber nicht nur mit inneren Bedürfnissen, sie haben auch mit äußeren Gewohnheiten zu rechnen, die befriedigt sein wollen. Zu solchen Gewohnheiten der deutschen Leserwelt gehört auch das mit jedem Weihnachtsfeste wiederkehrende Verlangen nach neuen Blumenlesen aus dem Garten der deutschen Dichtung, und da ist es bei dem reichen Stoffe des bereits früher in Chrestomathien und Albums Gebotenen und dem spärlichen Nachwuchse an bedeutenderen lyrischen Erzeugnissen vorwiegend eine Aufgabe des Geschmacks, die hier zu lösen ist: nicht das stofflich neu Gebotene ist es, was hier entscheidet, der Herausgeber ist vielmehr darauf angewiesen, durch feinsinnige Auswahl, durch eine tactvolle Gruppirung und Anordnung dem Guten ein Besseres an die Seite zu stellen und so in den engen Grenzen eines Sammelwerkes annähernd ein Bild der lyrischen Production der Gegenwart und der einzelnen Dichtercharaktere zu entwerfen.

Dieser Aufgabe nun wird die oben genannte Anthologie mit Glück und Geschick gerecht; in Beherzigung des Goethe ’schen Worte: „Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen“ beschränkt sie sich nicht, wie vor ihr so viele ähnliche Albums, auf das tagesübliche sangbare sentimentale Lied, sie gewährt auch der Ballade und Romanze, dem pathetischen Gedichte und der Spruchpoesie Eingang in ihre Pforten, und wenn sie in rühmlicher Abweichung von den meisten ihrer Vorgänger nicht nur neue Blätter zum Lorbeerkranze eines Geibel, eines Bodenstedt und anderer mit Recht gefeierter Koryphäen des deutschen Parnasses der Gegenwart sammelt, sondern mit besonderer Vorliebe für die besseren Kräfte unter den jüngeren lyrischen Talenten die Aufmerksamkeit der Leser in Anspruch nimmt, so ist dies nicht nur ein Act der Gerechtigkeit, sondern auch eines richtigen literarischen Zweckmäßigkeitsgefühls; denn ohne Anregung der jungen Talente würde das Bedürfniß nach frischem Blut in dem einen ewigen Stoffwechsel unterworfenen Organismus der Dichtung des Tages kaum befriedigt werden.

Das Buch ist sauber und geschmackvoll ausgestattet, und die acht demselben eingefügten Lichtdruckportraits nebst einer Anzahl kleinerer Bildnisse älterer und neuerer Lyriker verdienen als künstlerische Leistungen alles Lob; unklar sind uns freilich hier und da die Motive geblieben, welche bei der Auswahl der Portraits, soweit es sich um die Lichtdruckbilder handelt, leitend waren; allein der glückliche Wurf des Ganzen mag mit solchen Unklarheiten im Einzelnen versöhnen. Ein „Glück auf!“ diesem „Lust und Leid im Liede“ auf den Weg ins deutsche Lesepublicum!

B. E.



„Um Sunnawend’“ ist der Titel einer Sammlung neuer Gedichte in oberbaierischer Mundart von Karl Stieler. Unter den süddeutschen Dialektdichtern ist Stieler in kurzer Zeit einer der beliebtesten geworden, wie wir unseren Lesern früher schon dargelegt haben. Das neue Buch Stieler’s reiht sich den früheren Werken des Dichters nicht nur würdig an, sondern offenbart sogar einen Fortschritt, den wir mit Freude begrüßen. Alle hier gebotenen Gedichte und Lieder sind mit photographischer Treue copirte Bilder aus dem Volksleben im Hochgebirge; während in den früheren Sammlungen aber der Lust an Schelmereien und dem übersprudelnden Volkswitz am eifrigsten gehuldigt wurde, treten in der neuen Sammlung auch die Nachtseiten im Leben des Volkes uns entgegen. Der Dichter stellt sie unter der Aufschrift: „Auf der scharfen Seiten“ zusammen. Mit derselben Sprache, die für den Reimtanz der Schnaderhüpfel wie geschaffen erscheint, erzählt er uns Erlebnisse aus den Kreisen der Familie und aus den Schicksalen Einzelner, die das Gebiet der Genremalerei hinter sich lassen und sich bis zu Geschichtsbildern erheben. Das Gedicht: „An Anfrag“, aus dem Kriege von 1870, und das „Hoch drob’n am Berg“, welches den Eindruck schildert, den die Kunde vom Mordanfall auf den deutschen Kaiser bei den Holzknechten des Gebirgs erregte, sind Cabinetsstücke dieser Abtheilung. Ihnen folgen nun in buntem Wechsel die Liedchen: „Von die kloane Leut’“, die das lustreiche Leben bei und mit den Kindern darstellen, dann „Die Politikaner“, das „Umanander-Doctern“ und „Von die G’strenga“ – reich an neuen und alten Anekdoten über politische Kannegießer, Aerzte und Beamte –: in immer frisch strömendes Fahrwasser locken uns die Gedichte „Aus die boarischen Wirthshäusl“ und die „Ehhalten-Stroach“ (Dienstboten-Streiche). Auch „Bei die Viecher“ finden wir den neckischen und sinnigen Geist der Gebirgsmenschen wieder. Daran reiht sich die weitschichtige Rubrik: „Unter viel Leut’ giebt’s allerhand“, und ein Schwarm von „Schnadahüpfln“ macht den Beschluß des Büchleins. Es wird ja wohl schon mit dieser Inhaltsangabe Lesern, denen die im Ganzen recht verständlich behandelte Mundart nicht zu fremd ist, genugsam empfohlen sein.

Fr. Hfm.


Nachträgliches. In Nr. 29 d. J. ist in der Unterschrift des Bildes „Der Hünische Hof in Salzungen. Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von H. Heubner“, nicht angegeben worden, daß jene Photographie von einem Bilde abgenommen ist, welches Herr O. von Alvensleben gemalt hat. Der Namenszug desselben ist auf jener im Wege des Buchhandels käuflichen Photographie deutlich zu lesen.



Kleiner Briefkasten.

An viele Reuter-Freunde. Die Herausgabe des literarischen Nachlasses Fritz Reuter’s ist noch nicht abgeschlossen. In zwei Ergänzungsbänden zu der Hinstorf’schen Volksausgabe der Schriften Fritz Reuter’s werden nun auch die von ihm verfaßten Lustspiele und Polterabendgedichte – „Julklapp“ – (bei E. A. Koch in Leipzig) erscheinen. Diese kleinen Schöpfungen fehlten bis jetzt in den „Sämmtlichen Werke“ des Dichters und werden daher der so überaus zahlreichen Menge warmer Reuter-Verehrer gewiß eine willkommene Vervollständigung seiner literarischen Hinterlassenschaft sein. Der Preis der neuen Separat-Sammlung Reuter’scher Humorblüthen ist nur auf drei Mark angesetzt; sie wird in vier Lieferungen ausgegeben, deren erste soeben versandt ist.



Als Weihnachtsgeschenk empfohlen!
Bock’s Buch. 12. Auflage complet.
Dieses schon bei seinem ersten Erscheinen allgemein warm aufgenommene, jetzt in 150,000 Exemplaren verbreitete Werk:


Das
Buch vom gesunden und kranken Menschen.
Von Professor Dr. Carl Ernst Bock.
Mit 169 feinen Abbildungen.
Zwölfte umgearbeitete und vermehrte Auflage.
Mit dem Portrait des Verfassers in Stahlstich.
Eleg. brosch. 9 Mark. Eleg. geb. 10 Mark.


hat seinen alten Ruf, als Hausschatz der Familie zu gelten, auf’s Neue bewährt und wird, in seinen Erfolgen unerreicht, auch in der zwölften Auflage als Helfer in der Noth wieder willkommen geheißen werden.
Die Verlagshandlung Ernst Keil in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_820.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)