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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Anzahl von Lehrern für idiote Kinder, als von Professoren für unsere Universitäten zu finden.[1]


  1. In vorstehendem Artikel ist Deutschlands nur beiläufig gedacht worden. Dieses liegt in der Natur der Arbeit, deren Zweck es war, nicht eine Darstellung der verschiedenen Bestrebungen, sondern eine allgemeine, Interresse erregende Schilderung zu geben. Wir beabsichtigen in einem späteren Artikel auf diese Angelegenheit zurückzukommen und bemerken jetzt nur noch, daß die „Gartenlaube“ bereits früher wiederholt derselben gedacht hat. Das Taubstummenbildungswesen wurde behandelt in den Artikeln: „Stille Leute“, Jahrg. 1861, S. 599, “Aus der Welt des Schweigens“, Jahrg. 1869, S. 40, „Samuel Heinicke“, Jahrg. 1870, S. 85; die Blindenerziehung in dem Artikel „Die Blindenanstalt in Dresden“, Jahrg. 1860, S. 427, vergl. auch „Der Apostel der Blinden (Friedrich Scherer)“, Jahrg. 1859, S. 732; das Idiotenbildungswesen in dem Artikel über Hubertusburg, Jahrg. 1858, S. 154. Die Red.     




Théroigne von Mericourt.[1]
Ein Charakterbild von Rudolf von Gottschall.


Ich sah eine Ros’ am Felshang stehn
In Ungewittern;
Ich sah Lawinen vorübergehn
Und Felsen zittern.
Die Rose steht in wilder Pracht;
Die Rose trinkt den Thau der Nacht.
Zerstörung ist ihr Morgengruß;
Zerstörung ist ihr Weihekuß.
Sie wächst in der Felsen geborstenem Schooß;
In Donnern der Schöpfung ward sie groß –
Ich sah dein Bild in der ew’gen Natur,
Du wilde Rose von Mericourt.

Mit diesen Versen feierte ich in meiner vor kurzem in neuer Auflage erschienenen „Göttin“ die wildeste Heldin der französischen Revolution. Von den Einen als eine Megäre betrachtet, wird sie von den Anderen angesehen als eine jener Heroinen, von denen die Geschichte seit den Penthesileen des Alterthums berichtet hat, als eine Art Jungfrau von Orleans, welche das Schwert zieht, wie jene für das Vaterland, so für die Freiheit, obschon jeder andere Vergleich zwischen der frommen Schäferin von Dom Remy und der wilden Kämpferin des Tuileriensturmes in bedenklicher Weise hinken müßte, wenn man nicht die gefeierte Jeanne d’Arc in die zweifelhafte Beleuchtung der Voltaire’schen Pucelle rücken will. Die französische Revolution hat das Megärenthum der alten Weiber in gräßlicher Weise entfesselt. Die Tricoteuses der Guillotinen sind eine der widerwärtigsten Illustrationen jener Epoche; daß aber auch Jugend und Schönheit sich in die Schrecken derselben stürzten und sich mit blutigen Gräueln befleckten, ist eine Ausnahme, welche deshalb doppelte Beachtung fand. Auch war es nicht blos jene Freude an der Zerstörung, ein angeborenes Erbtheil leidenschaftlicher Naturen, das Entzücken über die Auflösung unbequemer bürgerlicher Verhältnisse, welche allen willkommen sein mußte, die sich aus der Gesellschaft ausgestoßen sahen; was eine Théroigne und ihre Genossinnen bewegte, war der Rachedurst, den sie für persönlich empfundene Unbill an den bevorrechteten Ständen zu kühlen suchten; es war der Geist der socialen Revolution selbst, der in ihnen pulsirte, und gerade dies giebt ihnen eine dämonische Bedeutung.

Anna Josefa Théroigne, genannt Lambertine und später die Lütticherin, wurde im Jahre 1759 in Mericourt bei Lüttich, als die Tochter einfacher Bauersleute geboren. Ihre Anmuth, Lebhaftigkeit und Schönheit machten sie zu einer Zierde ihres Geburtsortes. Doch diese Schönheit wurde auch die Ursache der frühen Zerrüttung ihrer Lebensverhältnisse. Ein reicher Schloßherr der Nachbarschaft fand Gefallen an ihr; sie erschien ihm schöner als die glänzenden Salondamen, deren Bekanntschaft er in Belgien und im Auslande gemacht hatte; auf sie selbst aber machten die vornehmen Sitten des Edelmannes, der bestechende Glanz seiner Erscheinung und seines Wesens tiefen Eindruck. Das siebenzehnjährige Mädchen gab sich ganz der erwachenden Leidenschaft hin, in vollem Vertrauen auf eine dauernde Liebe; der Unterschied der Stände berührte sie nicht, sie hatte keine Ahnung von seiner Bedeutung, gleichgültig erschien er ihr gegenüber der Macht einer großen Leidenschaft. Bald sollte sie den ersten großen Schmerz ihres Lebens empfinden; die Täuschung, welche ihrer vertrauensvollen Hingebung zu Theil wurde, warf über ihr ganzes späteres Leben ihre Schatten. Die Vorwürfe ihrer Familie, der bittere Spott, mit welchem die Dorfgenossen sie verfolgten, trieb sie in die Ferne. Wir finden sie in England wieder, wo sie an dem Prinzen von Wales eine Eroberung machte und einen glänzenden Luxus zur Schau trug.

In den Gemächern des Prinzen hatte sie auch die Bekanntschaft des Herzogs von Orleans gemacht, welcher ihr Empfehlungsbriefe nach Paris und zwar an die angesehensten Führer der Nationalversammlung, auch an Mirabeau, mitgab. Gerade in diesen Kreisen galt sie, nach ihrer Uebersiedelung in die Seinestadt, für eine Schönheit ersten Ranges, und in der That ist das Bild, welches die Zeitgenossen von ihr entwerfen, von anmuthendem Reiz. Eine hochgewachsene, schlanke Gestalt, Züge mit ausdrucksvollem Gepräge und doch von hinreißender Anmuth, alles in den Glanz der Jugend getaucht – wer hätte einer so herausfordernden Schönheit gegenüber gleichgültig bleiben können? Namentlich der Glanz ihrer Augen hatte etwas Bestrickendes; es waren nicht die großen todten Augen, welche Homer an der Königin des Olymps preist, wenn er von der „stieräugigen Here“ singt; diese großen Augen hatten ein unruhiges Feuer, einen dämonischen Blick; aus ihnen sprach nicht die etwas gelangweilte Hoheit einer olympischen Herrscherin, sondern es waren die Brandfackeln eines leidenschaftlichen Gemüths. Die wachsenden Stürme der Revolution entfesselten die ganze Gluth ihrer Seele. Galt es doch den Umsturz einer Gesellschaft, gegen welche sie selbst glühenden Haß hegte, und die Vernichtung jener Vorrechte, als deren Opfer sie sich betrachten mußte! Bald stürzte sie sich mitten in die Bewegung der Zeit. Wie die schöne Cabarrus in den Clubs von Bordeaux, nahm auch sie ein Amazonencostüm an, um in den Clubs und auf den Straßen mit größerer Freiheit verkehren zu können. Ein etwas seitwärts sitzender Hut à la Henri IV. mit der Feder, ein Gewand von blauem Tuch, den Säbel umgegürtet, ein paar Pistolen im Gürtel und eine Reitpeitsche in der Hand, so erschien sie unter den Volksgruppen ähnlich einer Banditenbraut. Auch war dieses Costüm nicht die Schaustellung müßigen Schmuckes oder einer koketten Ausrüstung. Die Théroigne war stets mitten im Feuer bei den Pariser Straßenschlachten; ihr Name findet sich verzeichnet in der Chronik aller jener Ereignisse, welche damals Europa in Staunen setzten. Als nach der Vereinigung der drei Stände und nach dem Protest Mirabeau’s gegen die Ansammlung der Truppen in Paris eine große Volksmenge das Invalidenhôtel überfluthete, um alle Waffen auszuräumen und die Geschütze aus demselben auf das Rathhaus zu bringen, da befand sich die Théroigne an der Spitze der Volkshaufen, welche ihrem Befehle ebenso bereitwillig gehorchten, wie demjenigen anderer Anführer; sie ließ das ganze Gebäude durchsuchen bis unter die Gewölbe einer unterirdischen Kirche, wo sich der Hauptvorrath von Waffen versteckt fand, und vertheilte dann bewaffnete Detachements und Posten an den wichtigsten Punkten der Stadt.

Eine noch größere Rolle spielte sie bei dem Sturme auf die Bastille, die mit ihren düsteren Riesenthürmen wie ein Gespenst der Tyrannei auf die Stadt herabdrohte. Eine der Ersten erstieg sie die Thürme und zeichnete sich so glänzend aus, daß sie einen Ehrensäbel erhielt und ihr Name einen Platz unter den Besiegern der Bastille. Sie nahm selbst den Ernst und die Strenge republikanischer Gesinnungen an, sagte sich von ihren Verehrern los, welche den vornehmen und reichen Ständen angehörten, und verkehrte nur mit Gleichgesinnten. So sah man sie häufig mit dem Dichter Marie Joseph Chenier, mit welchem sie es liebte, sich über die öffentlichen Angelegenheiten und die Literatur zu unterhalten. Chenier machte sie auch mit den besseren französischen Dichtern bekannt, aus denen sie die

  1. Die Gallerie der Frauen der französischen Revolution, die wir früher in dieser Zeitschrift gebracht, bleibt unvollständig, so lange die wilde Théroigne in derselben fehlt; ihr ergänzendes Charakterbild erst schließt sie passend ab. D. Red. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_051.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2020)