Seite:Gewissenhafte Advokaten.pdf/5

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Gewissenhafte Advokaten. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 12, S. 213–218

Ehemann nur die Einleitung zu einer Reihe bitterer Enttäuschungen. Bereits nach einem Vierteljahr reichte D. die Scheidungsklage ein, da seine Frau dem Trunk völlig ergeben und ihm ein weiteres Zusammenleben mit ihr daher unmöglich sei. Die frühere Sängerin bestritt diese Behauptung aufs entschiedenste, wollte aber trotzdem in die Scheidung willigen, falls ihr die in dem Ehekontrakt zugesicherte Summe von 2 1/4 Millionen Dollar ungekürzt ausgezahlt würde. Die Beweiserhebungen hatten keinen nennenswerten Erfolg. Die Dienstboten sagten zwar aus, daß Frau D. sich bisweilen etwas „eigentümlich“ benommen habe, vermochten aber sonst nichts anzugeben, was den Antrag des Ehegatten rechtfertigen konnte. Die Klage wurde abgewiesen, und D. mußte weiter zusehen, mit der seiner Ansicht nach die Spirituosen zu sehr schätzenden Dame auszukommen. Inzwischen war Frau D. nach Philadelphia übergesiedelt, um dort, getrennt von ihrem unliebenswürdigen Gemahl, ein flottes, recht genußfrohes Dasein zu führen. Hier in Philadelphia lernte sie einen jungen Advokaten namens Warrens kennen, der ihr bald eifrig den Hof machte und schließlich täglicher Gast in ihrer Villa wurde. Fast ein halbes Jahr dauerte diese Freundschaft. Dann verschwand Warrens eines Tages spurlos. Und gleich darauf reichte Herr D. in New York abermals die Scheidungsklage ein mit der Behauptung, nunmehr die Beweise dafür erbringen zu können, daß seine Gattin bereits während ihrer Laufbahn als Künstlerin trunksüchtig gewesen sei und daß sich diese unheilvolle Leidenschaft bei ihr während der Ehe noch stärker entwickelt habe.

Am Verhandlungstage für die Ehescheidungssache D. gegen D. war in dem Gerichtssaal das eleganteste New Yorker Publikum versammelt. Es war nämlich bereits durchgesickert, daß der klägerische Anwalt Shesterley die sensationellsten Enthüllungen vorbringen würde. Die Verhandlung begann in der üblichen Weise. Der Advokat der beklagten Frau D., die persönlich erschienen war, beantragte wie im ersten Prozeß Abweisung der Klage, da die klägerischen Behauptungen glatt erfunden seien. Darauf begann Shesterley als Gegenanwalt

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Gewissenhafte Advokaten. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 12, S. 213–218. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1911, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gewissenhafte_Advokaten.pdf/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)