Gewissenhafte Advokaten

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Autor: Walther Kabel
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Titel: Gewissenhafte Advokaten
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 12, S. 213–218
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Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[213] Gewissenhafte Advokaten. – In New Orleans war ein angesehener Bürger namens Hopkins wegen Mordes unter Anklage gestellt worden[ws 1]. Er sollte seinen Geschäftsteilhaber, mit dem er ernstliche Differenzen gehabt hatte, nachts auf der Straße hinterrücks überfallen und niedergeschossen haben. Es fanden sich Zeugen, die in der Voruntersuchung unter ihrem Eide aussagten, sie hätten den Vorfall aus einiger Entfernung beobachtet, und der Mörder hätte dem Angeschuldigten Hopkins in Gestalt und Kleidung völlig ähnlich gesehen. Hopkins bestritt jede Schuld. Er habe in jener Nacht noch allein in seinem Bureau gesessen und die Geschäftsbücher nach falschen, von seinem Teilhaber bewirkten Eintragungen durchsucht. Zeugen für dieses sein Alibi könne er jedoch nicht angeben. Erschwerend für Hopkins fiel ins Gewicht, daß man in seiner Wohnung einen offenbar erst kürzlich gebrauchten fünfschüssigen Revolver entdeckte, dessen Kammer nur noch vier Patronen enthielt. Das Kaliber stimmte genau zu der tödlichen Schußwunde, in der man allerdings die Kugel selbst nicht mehr gefunden hatte. Sie war glatt durch den Überfallenen hindurchgegangen und hatte sich wahrscheinlich in die neben der Straße liegenden Parkanlagen verirrt.

Am Tage der Gerichtsverhandlung beantragte der Verteidiger des Angeklagten, ihm den beschlagnahmten Revolver zu einigen Schießversuchen auszuhändigen, die er im Beisein des Gerichts auf dem Hofe des Justizgebäudes vornehmen wolle. Er würde durch diese Versuche beweisen, daß die Tat unmöglich mit der betreffenden Waffe ausgeführt sein könne. Auf dem Hofe wurden dann wirklich einer männlichen Leiche, die in ihren Größenverhältnissen genau dem Körper des Ermordeten entsprach und die der Advokat für seine Zwecke [214] angekauft hatte, dieselben Wäschestücke und Kleider angezogen, die der Tote in jener verhängnisvollen Nacht getragen hatte, und auf den so präparierten Leichnam aus verschiedener Entfernung aus Hopkins‘ Revolver drei Schüsse abgegeben. Hierbei zeigte es sich, daß die Kugeln aus der angeblichen Mordwaffe gar nicht die genügende Durchschlagskraft besaßen, um den seidengefütterten Paletot, Rock, Weste und Hemd zu durchdringen, noch viel weniger aber imstande waren, den bekleideten Körper glatt zu durchbohren, wie dies das tödliche Geschoß getan hatte. Nach diesen Versuchen gab dann der Advokat aus einer modernen gezogenen Selbstladepistole einen vierten Schuß auf den Leichnam ab. Und das Nickelmantelgeschoß dieser Waffe durchschlug wirklich den Körper und bohrte sich sogar noch ein Stück in eine dahinterstehende Mauer ein.

Nachdem so der Beweis erbracht war, daß der Mord mit Hopkins‘ Revolver nicht vollführt sein konnte, und da ferner die anderen Indizienbeweise nicht zur Verurteilung genügten, wurde der Angeklagte freigesprochen. Er verdankte sein Leben nur seinem eifrigen Verteidiger, der tagelang die Durchschlagskraft aller möglichen Handfeuerwaffen durchprobiert und auf Grund der hierbei sich ergebenden Resultate die wichtigen Schießversuche an der Leiche beantragt hatte. Der wahre Mörder wurde dann wenige Wochen später in der Person eines Pferdehändlers entdeckt, den der Ermordete durch verschiedene betrügerische Geschäftsmanipulationen an den Bettelstab gebracht hatte. –

In der Stadt Nottingham in England spielte sich zwischen zwei Spitzenfabrikanten ein Prozeß wegen angeblicher Patentverletzung ab, bei dem sich die Parteien gegenseitig beschuldigten, ihre patentierten Spitzenklöppelmaschinen mit geringen Änderungen nachgeahmt zu haben. Nachdem der Prozeß in Fachkreisen mit allen Einzelheiten bekannt geworden war, gelangte ein Londoner Fabrikant namens Heathcoat zu der Überzeugung, daß die sogenannten Erfindungen beider Streitparteien nichts als Abänderungen der ihm selbst vor einigen Jahren patentierten Bobbinetmaschine seien. Er nahm einen [215] Anwalt und erhob nun seinerseits Klage gegen die beiden anderen Fabrikanten. Der Advokat Heathcoats merkte bald, daß er der Sache seines Klienten ohne genügende Kenntnis der Maschinerie des Bobbinetsystems nicht würde zum Siege verhelfen können. Er trat daher zunächst in die Weberei seines Mandanten als Lehrling ein und brachte es in zwei Wochen so weit, daß er eigenhändig eine Spitze herstellen konnte. Hierauf ließ er sich unter angenommenem Namen auch nacheinander in den Fabriken der Prozeßgegner seines Mandanten beschäftigen, um die abgeänderten Bobbinetmaschinen gleichfalls genau kennen zu lernen.

Am Terminstage standen die drei Maschinen im Gerichtssaal, und der Anwalt vermochte nunmehr auf Grund seiner eingehenden Studien der Jury besser wie jeder Sachverständige zu beweisen, daß die beiden anderen Webstühle tatsächlich nichts als Nachahmungen des Heathcoatschen Patentes seien. Der Prozeß brachte dem eigentlichen Erfinder über zwei Millionen an Abfindungsgeldern und dem eifrigen Advokaten 200.000 Mark an Gebühren ein. –

Berühmt als Vertreter für Ehescheidungsprozesse ist in New York Thomas Shesterley. Er gehört zu den gewiegtesten Advokaten der großen Hafenstadt, und die Amerikaner schätzen ihn als einen Mann, dem keine Mühe zu groß ist, um für seine Partei den Streit zu einem glücklichen Ende zu führen. Seinen Ruf erwarb er sich in einem Prozeß, der vor mehreren Jahren ganz New York monatelang in Atem hielt und dessen letzter Termin sich zu einer wahren Sensation mit größtem Heiterkeitserfolg gestaltete.

Im Jahre 1897 heiratete der New Yorker Großkaufmann D. eine französische Sängerin, die gerade ein Gastspiel in Amerika absolvierte. Fräulein Delvère, deren berückende Schönheit den mehrfachen Millionär völlig um seine klare Überlegung gebracht hatte, ließ sich in dem Ehekontrakt vorsichtigerweise die Hälfte der Reichtümer ihres Erwählten im Falle einer ihrerseits nicht verschuldeten Scheidung der Ehe versprechen. Nichtsahnend ging D. darauf ein. Die Hochzeit fand unter größter Prachtentfaltung statt, bildete aber für den jungen [216] Ehemann nur die Einleitung zu einer Reihe bitterer Enttäuschungen. Bereits nach einem Vierteljahr reichte D. die Scheidungsklage ein, da seine Frau dem Trunk völlig ergeben und ihm ein weiteres Zusammenleben mit ihr daher unmöglich sei. Die frühere Sängerin bestritt diese Behauptung aufs entschiedenste, wollte aber trotzdem in die Scheidung willigen, falls ihr die in dem Ehekontrakt zugesicherte Summe von 2 1/4 Millionen Dollar ungekürzt ausgezahlt würde. Die Beweiserhebungen hatten keinen nennenswerten Erfolg. Die Dienstboten sagten zwar aus, daß Frau D. sich bisweilen etwas „eigentümlich“ benommen habe, vermochten aber sonst nichts anzugeben, was den Antrag des Ehegatten rechtfertigen konnte. Die Klage wurde abgewiesen, und D. mußte weiter zusehen, mit der seiner Ansicht nach die Spirituosen zu sehr schätzenden Dame auszukommen. Inzwischen war Frau D. nach Philadelphia übergesiedelt, um dort, getrennt von ihrem unliebenswürdigen Gemahl, ein flottes, recht genußfrohes Dasein zu führen. Hier in Philadelphia lernte sie einen jungen Advokaten namens Warrens kennen, der ihr bald eifrig den Hof machte und schließlich täglicher Gast in ihrer Villa wurde. Fast ein halbes Jahr dauerte diese Freundschaft. Dann verschwand Warrens eines Tages spurlos. Und gleich darauf reichte Herr D. in New York abermals die Scheidungsklage ein mit der Behauptung, nunmehr die Beweise dafür erbringen zu können, daß seine Gattin bereits während ihrer Laufbahn als Künstlerin trunksüchtig gewesen sei und daß sich diese unheilvolle Leidenschaft bei ihr während der Ehe noch stärker entwickelt habe.

Am Verhandlungstage für die Ehescheidungssache D. gegen D. war in dem Gerichtssaal das eleganteste New Yorker Publikum versammelt. Es war nämlich bereits durchgesickert, daß der klägerische Anwalt Shesterley die sensationellsten Enthüllungen vorbringen würde. Die Verhandlung begann in der üblichen Weise. Der Advokat der beklagten Frau D., die persönlich erschienen war, beantragte wie im ersten Prozeß Abweisung der Klage, da die klägerischen Behauptungen glatt erfunden seien. Darauf begann Shesterley als Gegenanwalt [217] seinen Antrag auf Scheidung der Ehe zu begründen. Er führte aus, daß es ihm durch ein Detektivbureau gelungen sei, einige der früheren Kammerzofen des damaligen Fräuleins Delvère auszukundschaften. Diese würden bekunden, daß die Dame schon als Sängerin fast regelmäßig jede Nacht in schwer angeheitertem Zustande nach Hause gekommen sei. In Paris wäre Lucia Delvère ferner in den Kreisen der vornehmen Lebewelt wegen ihrer Neigung für die schwersten Weine geradezu berüchtigt gewesen. Allerdings habe die Beklagte dann während ihrer Verlobung mit seinem Mandanten ihre alkoholischen Neigungen klug zu verbergen gewußt, sei dann aber nach der Hochzeit desto mehr ihrem alten Laster verfallen. Dies habe der Kläger allerdings in dem ersten Prozeß nicht beweisen können, da des Klägers alleiniges Zeugnis nicht als genügend angesehen wurde.

Hier machte Shesterley eine kleine Pause und fuhr dann mit einem ironischen Blick auf Frau D., die ihn bereits die ganze Zeit über wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt angestarrt hatte, fort: „Um das nötige Beweismaterial zusammenzubringen, habe ich mir erlaubt, mit der Beklagten, der es offenbar nur darum zu tun ist, meinem Klienten die im Ehekontrakt zugesagten Millionen abzunehmen, eine kleine Komödie zu spielen. Ich verschaffte mir unter dem Namen Warrens Zutritt zu ihrem Hause in Philadelphia und habe dergestalt in einem halben Jahre genügend Beweisstoff gesammelt, um dem hohen Gerichtshof darzutun, daß die Schilderungen meines Mandanten von den Zuständen während seines Zusammenlebens mit der Beklagten keineswegs übertrieben sein dürften. Ich werde mich auch nicht scheuen, hier die detailliertesten Einzelheiten aus meinem Erfahrungsschatze über die Beklagte vorzutragen, falls diese nunmehr nicht selbst einsehen sollte, daß es am klügsten ist, in die Scheidung unter Verzicht auf die Millionen einzuwilligen, besonders deswegen einzuwilligen, weil mein Klient, wenn er das Vorleben des Fräuleins Delvère gekannt hätte, niemals einen derartigen Ehekontrakt unterzeichnet haben würde, einen Kontrakt, zu dessen Eingehen er den ganzen Umständen nach [218] durch arglistige Täuschung verleitet worden ist, und dessen Rechtsgültigkeit ich hiermit anfechte.“

Doch Frau D. gab nicht nach. Mit der Miene schwer beleidigter Unschuld erklärte sie, der gegnerische Anwalt übertreibe in der lächerlichsten Weise.

Hierauf ließ Thomas Shesterley das als Zeugen geladene Dienstpersonal der Beklagten hereinrufen und begann zunächst an der Hand einer genauen Liste aufzuzählen, welche Quantitäten Alkohol die Beklagte während seiner Besuche in ihrer Villa zu sich genommen und welchen Erfolg dieser Alkoholgenuß in den verschiedenen Fällen gehabt habe. Die Dienstboten bestätigten diese Angaben. Es zeigte sich, daß Frau D. während ihrer Trennung von ihrem Manne, also in etwa einem halben Jahre, für ihre eigene Person nicht weniger als 600 Flaschen des schwersten Burgunders verbraucht hatte, die anderen Weine und Liköre nicht gerechnet.

Als die Verhandlung so weit gediehen war, stürzte die Beklagte plötzlich unter dem nicht endenwollenden Gelächter der Zuhörer aus dem Saal und ward nicht mehr gesehen.

Hiernach verkündete das Gericht nach kurzer Beratung ohne jede weitere Beweiserhebung, der Ehekontrakt sei nichtig und die Ehe der Parteien geschieden.

W. K.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Geschichte des Bürger Hopkins wurde von Walther Kabel teilweise wortgleich auch in den Beitrag Sensationelle Kriminalprozesse eingearbeitet. Dieser erschien in: Deutscher Hausschatz, Illustrierte Familienzeitschrift, 37. Jahrgang Oktober 1910 – Oktober 1911, Seite 918–919.