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Hausvaters fällt, so hat er sich noch einer schonenden Behandlung zu erfreuen, wenn er mit einer tüchtigen Tracht Schläge davon kömmt. Um dieser zu entschlüpfen, wagt er oft halsbrechende Sprünge; und manche Jünglinge haben diese Galanterie durch eine mißlungene Flucht mit dem Leben bezahlt.

Liebe ergießt sich gerne in Verse. Sie giebt der Einbildungskraft einen mächtigen Schwung, und legt auf sie das Uebergewicht über alle andre Kräfte der Seele. Sie erhebt sich über den gewöhnlichen Weg, auf den wir unsre Gesinnungen erklären, und giebt dem Herzen und der Empfindung eine so hohe Spannung, daß Ausdruk und Sinne in einer, über das Gemeine weit erhabenen, Region erscheinen. Auch der Junge auf dem Lande ergießt sein Herz vor seinem Mädchen in Liedern. Zwar ist er nicht so thöricht, sie, wie die jungen Herren in der Stadt, selbst zu dichten; aber er wählt passende Stellen aus Volksgesängen, und trillert sie der schmachtenden Schönen vor, und ist hier der Vorrath erschöpft, so nimmt er seine Zuflucht zum kirchlichen Gesangbuche, und auch dies laßt ihn - wer sollt’ es denken? – nicht leer ausgehen. Ich habe selbst einst ein Zettelchen gesehen, auf dem ein liebender Jüngling sein Mädchen

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Pahl: Ueber die Liebe unter dem Landvolk. In: Die Einsiedlerin aus den Alpen, 3. Band, 8. Heft, S. 128–153. Orell, Geßner, Füßli & Comp., Zürich 1793, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pahl_Ueber_die_Liebe_unter_dem_Landvolk.pdf/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)