Ueber die Liebe unter dem Landvolk
Die Liebe ist ein so allgemeines Bedürfniß des menschlichen Geschlechtes, daß wohl nur sehr wenige seiner Glieder, unter niedrigen und höhern Ständen, ihre Süssigkeiten nicht geschmekt, und ihre Leiden nicht gefühlt haben. Kaum haben wir die Jahre der Mannbarkeit erreicht, so spricht uns eine geheime aber mächtige Stimme laut ins Herz, einen vertrauten Gesellschafter aufzusuchen, um an seiner Seite den Weg des Lebens zu durchwandeln;
[129] und haben wir ihn gefunden, so hängt es selten mehr von uns ab, ihn wieder von uns hinweg zu weisen. Ein unwiderstehlicher Drang reißt uns zu ihm hin, wir bieten ihm freudig die Hand, und wir fühlen es und sagen es, wo nicht ihm, doch desto öfter uns selbst: Du bist es, mit dem ich glüklich durchs Leben zu wandern mir getraute! Entspricht seine Gesinnung der unsrigen, so geben wir uns ihm hin mit Leib und Seele, opfern alles für ihn auf, was uns schäzbar ist, und – jeder Blik seines Auges, jeder Ton seines Mundes, jeder Druk seiner Hände – ist uns unaussprechliche Wohllust.
Wir wollen offenherzig sprechen, und uns nicht schämen, das frei zu gestehen, wovon uns alle unsre Empfindung so fest überzeugt hat. Den Sinn für Liebe hat uns der Schöpfer nicht im Zorn gegeben; nein! er ist Wohlthat, beglükkende Wohlthat aus seiner Hand, und läßt uns Seligkeiten schmekken, die wir für nichts hingäben, was die Welt sonst auch reizendes und schönes hat. Er erzeugt die sanftesten und angenehmsten Gefühle des Herzens; er ertheilt dem jugendlichen Alter seinen höchsten Genuß; er tödtet allmählig jede andre heftige Leidenschaft; er verwandelt den Tiger in ein Lamm, und – keine der sinnlichen Freuden ist ausdaurender, [130] keine beschäftigt uns angenehmer, auch wenn wir von ihrem Genusse entfernt sind, als die, die der Sinn für Liebe gewährt.
Dieser Sinn ist, wie gesagt, nicht blos einzelnen Menschen gegeben, sondern allgemeines Erbtheil seines ganzen Geschlechtes, und liegt sowohl in dem Herzen des Taglöhners, als in dem Herzens des Königs. Ja gewöhnlich ist er in jenem reiner, unverdorbener, und genußfähiger, als in diesem. Wir wollen überhaupt den Gliedern der niedrigen Stände, und besonders dem Landvolke, die Freuden der Liebe nicht mißgönnen, und jede Störung derselben verabscheuen, so lange sie in den Gränzen der Unschuld und der Tugend bleiben. Auf unsern Landleuten liegt doch gerade die gröste Last. Sie bauen für uns im Schweisse des Angesichtes die Felder, und gewinnen für uns der Erde ihre Produkte ab. Ihre mühevolle Anstrengung ist alles Lohns und aller Ermuntrung würdig, und findet der ermüdete Landjunge beides nirgends, so findet er’s doch gewiß am Abend des Tages, wenn er an der Seite seiner schwarzaugigten Dirne unter dem Thore der Scheune sizt, und in ihren Armen von der schweren Arbeit rastet. Nur da kann das Glük der Liebe in seiner ganzen Grösse gefühlt und genossen werden, wo sie in einem reinen, unverdorbnen [131] Herzen, das der Stimme der Natur folgt, und nicht durch die Verführungen einer falschen Verfeinerung, oder der rohern Sinnlichkeit entbildet ist, ihren Siz aufgeschlagen hat. Man findet deßhalb dies Glük weit häufiger auf dem Lande als in Städten, weit häufiger unter den niedrigern als höhern Ständen. Diese falsche Verfeinerung hat den abscheulichen Grundsaz ausgebreitet, daß Liebe nicht befriedige und nicht beglükke, daß sie nicht Zwek sondern blos Mittel sey, und daß sie uns nur äffe, wenn sie nicht der Weg zur unbeschränkten Befriedigung des Geschlechtstriebes werde. – Deswegen kennen unsre Jünglinge, die sich nach der Denkweise der Mode benehmen, weder wahre Liebe, noch Glük. Sie vergessen die Würde des andern Geschlechtes und die zurükhaltende Achtung, die sie fordert; sie sehen jedes Mädchen für eine Blume an, die jeder nach Belieben abpflükken darf, und machen nicht den Genuß der sanften, wohlthuenden Empfindungen, welche wahre Liebe erzeugt, sondern die Befriedigung des thierischen Bedürfnisses zu ihrem Zwekke, – eines Bedürfnisses, an das der Edle Liebende seinem Mädchen gegenüber gerade am wenigsten denkt, weil er eben dadurch in dieser Lage sich seinen erhabenen Genuß am meisten vergällen würde.
[132] Beim Landvolke ist’s, gottlob! so weit noch nicht gekommen. Einzelne Beispiele vom Gegentheil können hier nichts entscheiden. Denn die Menschen sind sich in ihren besondern Ständen nicht durchgehends gleich, und wenn man von dem Karakter einer ganzen Klasse redet, so versteht man immer nur den unter dem größten Theile ihrer Glieder herrschenden Geist. Ueberdies würden auch jene Beispiele gewiß noch viel seltener seyn, wenn die Landleute ihre Mädchen noch nie in die Städte geschikt hätten, oder ihre Junkers nie zu ihnen hinaus gekommen wären.
Die Jugend auf dem Lande fühlt das Bedürfniß zu lieben und geliebt zu werden weit stärker, als die in der Stadt. Kaum ist der Knabe der Schule entlaufen, so schielt er schon umher auf die Schönen des Dorfes, um sich eine unter ihnen auszusuchen, und wenn auch diese oder jene spröde genug wäre, ihn abzuweisen, so thut es doch keine in der Meinung, nie zu lieben, sondern blos, weil ihr gerade dieser Junge nicht gefällt. Je näher der Mensch seinem natürlichen Zustande ist, desto lauter schallt der Ruf der Natur in sein Ohr, und desto williger befolgt er ihn. Diese Natur aber fordert alle Menschen zur Liebe auf, und beut allen ihren Genuß und ihre Freude dar. Keine [133] Schwierigkeit, welche Aeltern und Hausväter auch auf dem Lande so gerne machen, wenn von diesem Punkte die Rede ist, ist stark genug, ihre Stimme zu unterdrükken. Sie wirkt höchstens Scheu und [WS 1] Verborgenheit, und scheucht die Aeusserungen der Liebe in die geheimste Einsamkeit zurük. Aber gerade dadurch wird die Gefahr, der man auszuweichen sucht, am meisten vermehrt. Denn verstohlne Liebe bleibt selten rein und unschuldig, weil sie sich in Winkel zurükzieht, wo sie keine Zeugen hat; da hingegen öffentliche Liebe gewöhnlich in den Schranken der Unschuld und der Tugend verharrt.
Nichts ist eigensinniger als die Liebe in der Wahl der Gegenstände, denen sie sich ergiebt. Es ist in allen Urtheilen der Menschen über Werth und Unwerth, Vollkommenheit und Unvollkommenheit so wenig Allgemeingeltendes, daß sie einander tausendmal geradezu widersprechen, und daß manchem das, was ein andrer für das Schönste und Vortreflichste hielt, mit dem entscheidensten Abscheu hinwegwirft. Das nämliche Mädchen, das der eine vergöttert, hält der andre vielleicht kaum des Ansehens werth. Dies läßt sich nicht anders erwarten, da ein jeder die Dinge aus seinem eignen Standpunkte betrachtet, und nach seinen eignen Grundsäzzen schäzt, die bei der grossen Verschiedenheit [134] der Talente, der Bildung, und der Verhältnisse der Menschen, nothwendig auch sehr verschieden seyn müssen. Man kann daher den Grund, nach dem sich die Wahl der Liebe bei einzelnen Menschen bestimmt, nur sehr allgemein angeben. Ein jeder hat seinen eignen Geschmak, seinen eignen Maasstab, sein eignes Ideal von Schönheit und Vollkommenheit.
Wenn es überhaupt wahr ist, woran ich auch nicht zweifle, daß körperliche Vorzüge die Liebe erwekken, wenn sie gleich allein nicht im Stande sind, sie daurend zu erhalten, so gilt dies auch von dem Volke auf dem Lande. Ja eben diese Vorzüge stimmen beinahe jedesmal das Herz des Jungen und der Dirne allein für Liebe. Für Vorzüge des Geistes und Herzens hat der ungebildetere Theil der Menschen wenig Sinne. Er hängt am Sinnlichen, und sucht und findet allen Werth nur in ihm. Der liebenswürdigste Mann ist nach dem Urtheile des Landmädchens immer der, der Grösse und Stärke des Leibes in sich vereinigt, kühn und trozzig auf andre umher schaut, Anstrengung erfordernde Arbeiten mit Leichtigkeit verrichtet, und in seinem Aeussern jene Würde trägt, die aus dem Bewußtseyn eines regelmässigen, festen und ausdaurenden Körperbaues entspringt. Wie sich die [135] Schöne in der Stadt über ein wohlgerathenes Gedicht ihres Anbeters freut, so freut sich das Mädchen auf dem Lande, wenn sie ihren Purschen den geladenen Heuwagen auf der Achsel aus dem Graben in den Weg hereinrükken sieht. Um solche Jünglinge beneidet ein ganzes Dorf das Mädchen, der er huldigt; und, wahrlich! diesen Geschmak – wer sollt’ ihn tadeln? Das Mädchen schäzt im Manne gerade das, was ihm das Uebergewicht über sie giebt, und was nach der Anordnung der Natur ihn vor ihr auszeichnet. Dieser Geschmak schüzt manche ländliche Unschuld vor den Nachstellungen unsrer gepuderten, parfümirten und ausgemergelten Herren aus der Stadt. „Herr, ich mag ihn nicht – heißt es wohl – er ist ein Zwerg!“ – Die Jünglinge auf den Dörfern aber suchen diese körperliche Kraft nicht bei ihren Schönen. Sie geben ihnen mit heisser Liebe die Hand, wenn sie gleich schwach und klein sind, – wenn sie sich nur munter und aufgeräumt zeigen, schalkhaft und muthwillig scherzen, ein frisches Roth auf den Wangen, schöne weisse Zähne und schwarze feurige Augen haben. Sind sie stark und groß dabei, desto besser. Dann heißt es noch oben drein: Thrine ist ein rechter Arm voll!
Die Liebschaften unter dem Landvolke werden [136] meistens bei seinen öffentlichen Lustbarkeiten erklärt. Der liebende Jüngling äugelt lange nach dem Mädchen, in deren Besiz er sich wünscht, bis ihm etwa der herannahende Jahrmarkt die Gelegenheit verschaft, ihr die Empfindungen seines Herzens zu verrathen. Ist er dreiste genug, so ladet er sie wohl ein, mit ihm in die Stadt und zum Tanze zu ziehen; ist er aber weniger unternehmend, so schleicht er ihr im Menschengewühle des Jahrmarkts auf dem Fusse nach, verfolgt sie aus der Ferne in den Gasthof, sezt sich zu ihr an den Tisch, eröfnet mit ihr den Ball, zahlt die Zeche, und schlendert dann am Abend an ihrer Hand frohlokkend ins Dorf zurükke.
So verräth sich auch die Liebe am Kirchweihen und andern Festen, die mit dem Tanze gefeiert werden. Die meisten Jünglinge erscheinen mit einem Mädchen an der Hand in der Schenke, und theilen mit ihr die Freude des Tages. Wenn der Junge so glüklich ist, seine Wahl nicht durch Aeltern oder Hausväter bestimmt zu sehen, so sucht er natürlich das Mädchen auf, das für sein Herz das größte Interesse hat. Mit einer Flasche Wein in der Hand, den Rok hinweggeworfen, und den Hut abgekrempt, zieht er hinter den Spielleuten in das Haus der Schönen, und fordert sie in seiner kurzen [137] und derben Manier auf, ihm zu folgen. Gegen eine abschlägige Antwort ist er gesichert, weil das Mädchen schon im Voraus auf die Einladung vorbereitet ist. Der Zug geht wieder in die Schenke zurük, und man ißt, trinkt, tanzt und jauchzt – bis der Morgen graut, und begleitet, wenn des Spiels ein Ende ist, – wenn anders die Wachsamkeit der Aeltern und Hauswirthe keine Gefahr wittern läßt – die vergnügte Dirne bis in ihr Kämmerlein zurük.
Die Rokkenstuben sind für die Erklärungen und Aeusserungen der Liebe nicht so günstig, als diese rauschenden Vergnügungen, und stiften auch bei weitem das Böse nicht, das man ihnen Schuld giebt. Das Landvolk ist durchgängig in den Aeusserungen seiner Liebe scheu und zurükhaltend, und erklärt die Empfindungen seines Herzens nie, wenn es beobachtet wird. Der Tanz entschuldigt manche Freiheit, die in der Rokkenstube äusserst auffallend wäre, und Stoff zu den entehrendsten Dorfssagen darböte. Deßhalb bleibt man hier gewöhnlich bei Scherz und Lachen, oder unterhält sich mit drollichten Einfällen und Erzählungen, die freilich oft nach dem Urtheile des weisern und bessern Menschen in Frivolitäten und Abgeschmakheiten ausarten, und begleitet dann sein Mädchen unter die [138] Thüre ihres Hauses. Zwar werden hier häufig Bekanntschaften angezettelt und genährt; aber welchen Schaden sollte dies der Moralität auf eine unmittelbare Weise bringen? – Ich bin es gewiß, daß die gemischten und zahlreichen Klubbs der Städter für Unschuld und Tugend weit gefährlicher sind, als die Rokkenstuben der Landjugend.
Manche Jungen sind so kek, daß sie die Liebe ohne weiters durch - einen nächtlichen Besuch erklären. Sie machen sich bekannt mit der Schlafkammer und mit der innern Beschaffenheit des Hauses, in welchem die Dirne wohnt, und unternehmen dann in der Nacht die kühnsten Wagestükke, um sie zu überraschen. Manchmal widersezzen sich die mächtigsten Schwierigkeiten diesen nächtlichen Besuchen, und dann erlaubt man sich’s wohl seine Pläne einem vertrauten Freunde zu entdekken, der selten Bedenken trägt, zur Ausführung derselben mitzuwirken. Ist dem Mädchen mit der Liebe des Jungens gedient, so wird er, einige sanfte Verweise abgerechnet, mit Gefälligkeit und Zuvorkommen aufgenommen; aber wehe ihm im entgegengesezten Falle, wenn er sich nicht mit dem ersten Worte abweisen läßt, oder seinen Rükzug nicht genugsam gedekt hat. Denn, wenn das Mädchen einen Lärm aufschlägt, und er in die Hände des [139] Hausvaters fällt, so hat er sich noch einer schonenden Behandlung zu erfreuen, wenn er mit einer tüchtigen Tracht Schläge davon kömmt. Um dieser zu entschlüpfen, wagt er oft halsbrechende Sprünge; und manche Jünglinge haben diese Galanterie durch eine mißlungene Flucht mit dem Leben bezahlt.
Liebe ergießt sich gerne in Verse. Sie giebt der Einbildungskraft einen mächtigen Schwung, und legt auf sie das Uebergewicht über alle andre Kräfte der Seele. Sie erhebt sich über den gewöhnlichen Weg, auf den wir unsre Gesinnungen erklären, und giebt dem Herzen und der Empfindung eine so hohe Spannung, daß Ausdruk und Sinne in einer, über das Gemeine weit erhabenen, Region erscheinen. Auch der Junge auf dem Lande ergießt sein Herz vor seinem Mädchen in Liedern. Zwar ist er nicht so thöricht, sie, wie die jungen Herren in der Stadt, selbst zu dichten; aber er wählt passende Stellen aus Volksgesängen, und trillert sie der schmachtenden Schönen vor, und ist hier der Vorrath erschöpft, so nimmt er seine Zuflucht zum kirchlichen Gesangbuche, und auch dies laßt ihn - wer sollt’ es denken? – nicht leer ausgehen. Ich habe selbst einst ein Zettelchen gesehen, auf dem ein liebender Jüngling sein Mädchen [140] seiner Treue versichert hat, mit den bekannten Worten eines Kirchenliedes:
Mein Lebetage will ich dich, aus meinem Sinn nicht lassen,
Ich will dich stets, gleich wie du mich, mit Liebesarmen fassen.
Du sollst seyn meines Herzens Licht,
Und wenn mein Herz in Stükke bricht
Sollst du mein Herze bleiben.
Ich will mich dir mein höchster Ruhm,
Hiemit zu deinem Eigenthum,
Auf immerhin verschreiben.
Klingt diese abgerissene Stelle in diesem Sinne nicht naiv genug?
Das Landmädchen ist beim Beginnen der Liebe gewöhnlich scheu und blöde. Sie verbirgt die Empfindungen ihres Herzens vor ihrem Liebhaber, und noch mehr vor andern. Zwar dringt sie ihr Herz unaufhaltsam zu jenem hin, und sie verschmäht keine Gelegenheit zu einer einsamen Zusammenkunft. Aber ihrem Freunde gegenüber ist sie stumm und schüchtern, und verhält sich bei allen seinen Liebkosungen und bei dem mächtigsten Triebe der Zärtlichkeit nur leidend. Eine natürliche Schamhaftigkeit erlaubt ihr’s nicht, ihm zu sagen, daß sie ihn liebe, vielweniger ihn zu umarmen. Es gehört [141] schon viel Ueberwindung dazu, ihm nur einen Blumenstraus zu wikkeln, oder sein Wamms zu flikken. Die Zeit schleift diese Blödigkeit nach und nach ab, und sie wird unbefangener, offener und kühner, und schämt sich endlich nicht mehr, an der Hand ihres Geliebten aufzutreten, und es den Schönen des Dorfs triumfirend zu verkünden, daß er ihr Eigenthum sei.
Die spröde Dirne äussert gerade das Gegentheil dieser Blödigkeit. Sie weist den unbegünstigten Liebhaber mit einem Ungestümm von sich hinweg, das mit den feinen Ausbeugungen der Schönen in der Stadt auffallend kontastrirt. Sie hält es für einen grossen Triumpf angebetet zu seyn, und die Anbethung verschmäht zu haben. Sie gesteht es daher auch dem ganzen Dorfe unverholen, daß sie Hansen einen Korb gegeben habe, und schmeichelt sich, daß man darüber ihre Zucht und Schamhaftigkeit loben werde. Hans geht das erstemal – kömmt vielleicht wieder – schmeichelt und thut schön – macht sanfte Vorwürfe –, und bleibt all’ dies unnüz, so trollt er sich mit einem ziemlich unhöflichen Komplimente von ihr hinweg, vergißt die verschmähende Dirne, und schielt in der Kinderlehre nach einer andern umher. Wenn der Verführer in der Stadt von der wachsamen Unschuld [142] verschmäht wird, so brütet er wüthende Rache und beschließt ihren Untergang. Das Feuer der Wohllust lodert nur um so mehr auf, je mehr es Widerstand findet, und sezt alle Leidenschaften, die der Haß gebährt, in den unauslöschlichsten Brand. Aber die stille Gluth reiner Liebe verlischt, wenn ihr ihre Nahrung entzogen wird, nach und nach, und lodert nie auf um zu verbrennen, sondern nur um zu erwärmen.
Nicht so leicht beruhigt sich der Landjunge, wenn ihm sein Mädchen von einem Nebenbuhler streitig gemacht wird. Dies beleidigt sein Herz von mehr als einer Seite, und empört ihn bis zum unversöhnlichsten Zorn. Die Furcht, seine Dirne zu verlieren, und dazu noch vom ganzen Dorfe über seinen Verlust verlacht und verspottet zu werden, entflammt ihn zur Rache. Man ergreift die nächste Gelegenheit, um den Muth am Nebenbuhler zu kühlen, und kennt keine Genugthuung, bis er blutrünstig geschlagen ist, und wohl auch noch oberdrein die Versicherung abgelegt hat, alle seine Ansprüche auf das Mädchen aufzugeben. Gemeiniglich aber zertrennen solche Auftritte, zumal wenn sie Dorfskundig werden, auch die ältern Verbindungen, um derentwillen sie entstanden sind. Denn der Nebenbuhler sucht beinahe immer alle Schuld von sich auf [143] die unzweideutige Gefälligkeit des Mädchens zu wälzen, und dies wekt und nährt die Eifersucht, die, wie man weiß, sehr leichtgläubig ist; oder Aeltern und Hauswirthe schneiden sorgfältig der Jugend alle Gelegenheit zu weitern Zusammenkünften ab, um solche Entzweiungen, deren Folgen sehr oft auf sie zurükfallen, zu vermeiden. In manchen Dörfern breitet sich die Eifersucht der Jünglinge noch weiter aus. Sie sehen alle Mädchen ihres Dorfes als ihr Eigenthum an, und verwehren jedem Fremden den Eintritt. Läßt er sich’s gelüsten, so kann’s ihm vielleich ein – zweimal gelingen; aber nun stehen ihm die beleidigten Landsleute seiner Dirne nächtlicher Weile in den Weg, und nehmen entweder die Rache, die der besagte zürnende Liebhaber an seinem Nebenbuhler zu nehmen pflegt, – oder sie waschen ihn tüchtig in dem Brunnen, - oder sie schneiden dem armen Wichte gar die Haare ab.
Der Jüngling vergißt es selten seinem Mädchen gegenüber, daß er Mann ist, und verfällt nie in die niederträchtigen, sich selbst hinwegwerfenden Schmeicheleien, die die süssen Herren und Romanhelden in der Stadt ihren Schönen vorschwazzen. Er sagt ihr vielleicht mit holder, anschmiegender Gebährde: Thrine Du bist mein Ein und mein [144] Alles – wahrlich ich könnte ohne dich nicht leben – ich denke Tag und Nacht an dich! Aber er wird sich nie so weit vergessen, das er vor ihr auf die Knie niederfällt, daß er an ihrem Busen weint und seufzet, und daß er ihr unumschränkte Unterwürfigkeit schwört. Solche Ausbrüche einer falschen Empfindsamkeit kennt man auf dem Lande nicht, und man könnte sich durch nichts mehr bei dem angebeteten Mädchen selbst verächtlich machen, als eben durch sie. Die Natur gab dem Manne zu seiner größten Empfehlung beim schwächern Geschlechte Ernst, Würde und Festigkeit. Verläugnen wir nun diese Vorzüge, so müssen wir nothwendig vor dem Weibe zu schanden werden, die uns nach dem Leitfaden der Natur schäzt, und im Gang seiner Urtheile nicht durch willkürliche Grundsäzze mißgeleitet wird. Meistens würde auch das Landmädchen diese Sprache der Empfindsamkeit nicht verstehen, und wenn sie sie verstünde, so könnten wir uns kaum bei ihr von dem Verdacht reinigen, daß wir sie äffen wollen. Gelänge es uns aber sie zu vergewissern, daß wir aus Ueberzeugung sprechen, nun dann würden wir ihr verächtlich.
Der Kuß ist die erste und natürlichste Aeussrung der Liebe, und unter dem Landvolke beinah’ eben so gewöhnlich, als unter den gebildetern Ständen. [145] Aber man küßt sich nicht öffentlich, selbst kaum beym Tanzen, wo man sich doch die grösten Freiheiten erlaubt, und zieht sich auch bey diesem Genuß der Liebe so viel möglich in die Einsamkeit zurük. Wenn die Vornehmern auf dem Dorfe sich öffentlich nur den gewöhnlichen Abschiedskuß geben, so machen sich die Leute Wochenlang in ihren Klubs darüber lustig, und nichts ist ihnen lächerlicher, als wenn Mann und Mann, Weib und Weib sich küssen. Auf dem Lande ist aber der Kuß nicht nur eine flüchtige Berührung der Wangen; sondern eine feurige Hinschmiegung an die Lippen des Mädchens, ein ungestümmer Druk, ein heftiges, anhaltendes Zusammenpressen der Wangen – freier, ungehemmter, kraftvoller Ausdruck der Liebe, den manche schwächliche, durch Erziehung und Lebensart entnervte Schöne in der Stadt, kaum auszuhalten vermöchte – Am Arm wird man den Dorfjungen sein Mädchen höchst selten führen sehen, sondern immer an der Hand. So zieht er mit ihr an der Kirchweih in die Schenke, und am Jahrmarkt aus der Stadt zurük. Er thut es nicht um sie im Gehen zu erleichtern, sondern nur weil er sich an ihrer Seite, und berührt von ihrer Hand, glüklich fühlt. Ja im [146] Heimgehen aus der Stadt springen sie oft zusammen in die Wette, und die Pursche jagen die muthwilligen Dirnen vor sich her den Berg hinan. Eine Galanterie, die sich wohl die Schönen in der Stadt samt und sonders verbitten dürften.
Man hat unter Liebenden auf dem Lande Beispiele von der edelmüthigsten Treue und beharrlichsten Festigkeit gesehen, die den schönsten Stoff zu den abentheuerlichsten Romanen darböten. Mädchen haben Bauernhöfe ausgeschlagen und Taglöhners Hütten bezogen, das väterliche Haus verlassen und es an der Seite des Liebhabers mit der Kaserne vertauscht. Diese Beyspiele sind aber äusserst selten, und lauter Ausnahmen von der Regel. Gebildete Menschen, wenn sie zugleich auch gute Menschen sind, lieben sich viel standhafter und ausharrender als die Söhne und Töchter des Landes. Ein geringer Umstand zerreißt oft plötzlich das festeste Band, und der Jüngling der heute Thrinen einen nächtlichen Besuch abstattet, schlendert wohl morgen mit Rösen auf die Kirchweih des nächsten Dorfes. Diese Unbeständigkeit ist ein häßlicher Schattenpunkt im Charakter der Landjugend. Freilich wirken viele Umstände zusammen, [147] welche bey dem grösten Theil derselben Festigkeit und Ausharrung nicht gedeihen lassen. Es ist höchst selten unter den Liebenden von Ehe und Heirath die Rede; etwa zuweilen ein geheimer – mit unter auch hie und da ein lauter Wunsch, der aber nie so stark wird, daß er bis zur Ausführung reifen könnte. Liebe betrachtet man als Genuß des ledigen Standes; Ehe als Sache ökonomischer Spekulation. Gedeiht hie und da ein Eheverspruch, so kostet es Eltern und Vormünder nur ein Wort, und er ist wieder zerstört. „Er kann sein Mädchen zum Tanze führen – heißt es dann – dagegen haben wir nichts; aber die Wahl des Weibes soll er uns überlassen. Der Bube ist leichtsinnig, und ränne geradezu ins Verderben hinein“. Eben um deßwillen bringt auch Treue keine Ehre; ja wohl oft das Gegentheil. Denn der Junge der ein armes Mädchen nimmt, wenn er eine reichere haben könnte, ist nach dem Urtheile des ganzen Dorfes ein Narr. Man ist des Dings auch nun schon so gewöhnt, daß man sich eben sehr viel nicht daraus macht, wenn man den Gegenstand seiner Liebe verliert. Nagt in diesem Falle auch Gram am Herzen, so würde man die Spottsucht des ganzen Dorfes reizen, wenn man ihn äusserte. [148] Wandelt das Mädchen auf Nebenwegen und verräth sich gegen ihren Vertrauten als treulos, so nimmt er nie Rache an ihr selbst, sondern immer an ihrem Verführer. Auch dieß ist der Natur vollkommen gemäß, die weit mehr Genuß in den Kampf mit dem Stärkern, als mit dem gleich unterliegenden schwächern Theile geleget hat.
Es ist eine äusserst gefährliche Sitte unter dem Landvolk, daß sie die Aeusserungen der Liebe so viel möglich verstekt, und in die dunkelste Verborgenheit zurükzieht. Könnte man der Jugend die richtigen Begriffe über den Unterschied der wahren und falschen Scham beibringen, und ihr dieselben so vergegenwärtigen, daß sie ihr Benehmen darnach einrichtete, so wäre den Verirrungen der Liebenden grossentheils vorgebeugt. Aber indem sie die scheinbare Schwäche einzuhüllen sucht, verfällt sie in das Laster. Zwar ist der Landjunge, der seinem Mädchen einen nächtlichen Besuch abstattet, noch unendlich weit über den verführenden Wohllüstling erhaben. Dieser erscheint stets mit dem Vorsatz der Unschuld ihre Krone zu rauben, und das Heiligthum der Tugend zu besudeln; aber jener geht dem ungestöhrten Genuß erlaubter Liebe entgegen, und strebt die Regungen der rohern Sinnlichkeit [149] in sich zu unterdrücken. Aber welch’ ein schwerer Kampf wartet seiner, wenn er ihren Schlingen entgehen will?
Und doch wird sie tausendmal besiegt, und tausendmal trägt die Schamhaftigkeit und Züchtigkeit des Mädchens den Preis über die schüchternen Versuche ihres Vertrauten davon.
Mächtig wirkt freilich auf das Mädchen die Vorstellung des tiefen Unglüks, in das sie dann hinstürzen würde, wenn sie gutwillig genug wäre, um Mutter zu werden. Dadurch verlöhre sie ihre jungfräuliche Ehre – und die hat auf dem Lande noch grossen Werth – und die Zeichen derselben. Sie dürfte dann keine weisse Schürze mehr tragen, beim Gevatterstehen und bei Hochzeiten das Haar nicht mehr mit Gold und Silber schmüken, in der Kinderlehre nicht mehr vorstehen, ja auch das schmeichelhafte Vergnügen wäre für sie dahin, an der Kirchweih zum Tanze geführt zu werden. Eben dies Ehrgefühl, das auf den Vornehmern immer mehr wirkt als auf den geringern, erklärt auch die Erfahrung, daß die Töchter der Häusler und der Taglöhner den Reizen des Fleisches weit öfter unterliegen als die Töchter der grössern Bauern. Aber die Ehre ist nicht der einzige Verlust. Vielleicht so dringend als er warnen der Zorn der Eltern, die oft noch [150] ungestümmere Busermahnung des Pfarrer, das Strafgebet des Vogts, und die beugenden Einschränkungen mit denen nun das Mädchen durch die Existenz ihres Kindes umzäunet wird. Gemeiniglich trennt auch ihre Verirrung ihren Buhler von ihr los, mit dem sie vorhin vielleicht Jahre lang stark und eng verbunden war. So bald einmal die Liebe in’s schauerliche Gebiet des Lasters ausschweift, so folgt ihr Ekkel auf dem Fuße nach, gerade so, wie dem besten Wein; wenn wir uns in ihm betrunken haben! Der Junge wird zu der belästigenden Pflicht verurtheilt, einen Theil der Erziehungskosten des Kindes der Liebe zu tragen. Eltern und Verwandten liegen ihm mächtig an, die Dirne zu verlassen, durch deren Gefälligkeit er das Kränzchen der Ehre an seinem Hochzeittage verlohren hat. Man sucht Verdacht und Eifersucht zu erregen, und – wann denn so viele Triebwerke in Bewegung gesetzt werden, so muß nothwendig das Band zerreissen, zumal da es hier weder durch ein richtig geleitetes Ehrgefühl, noch durch die Empfindung des Rechts und der Pflicht gehalten wird. Die verirrte Dirne sitzt dann im Elend, und bereut zu spät einen Fall, dessen Folgen gemeiniglich in der ganzen Zukunft ihres Lebens nie [151] verschwinden. Hilft ihr Reichthum oder eine andre Empfehlung doch noch zu einem Mann, so muß sie sich bei jeder in der Ehe den demüthigsten aller Vorwürfe gefallen lassen: „Ich habe dich zu Ehren gemacht“!
So häufig auch aussereheliche Schwängerungen unter dem Landvolke vorkommen, so ist doch die Liebe unter ihm bei weitem noch nicht so sehr zur Wohllust ausgeartet, als unter dem grösten Theil der Städter. Zwar verliert jedes Mädchen, das ihre Unschuld ausser der Ehe aufopfert, sey’s auch beim treusten, festesten Bande mit dem Manne ihres Herzens, ihre ganze Würde, ihren grösten Reichthum, und ihre ganze Ruhe. Aber sie stellt sich noch um tausend Stuffen über jene Elende empor, die sich mit Vorsaz und Entschlossenheit den Flammen der Unzucht zur Nahrung hingiebt, – gerade so, wie der Mann, der im Augenblikke der Schwachheit der Sinnlichkeit unterliegt, weit erhaben ist, über den Verführer, der absichtlich darauf ausgeht, die argwohnslose Unschuld zu morden! – Solche Mörder und solche Schandflekke des weiblichen Geschlechts, sind, gottlob! unter dem Landvolke noch äusserst selten, und gerade diese Schwängerungen von denen die Rede ist, sind seine überzeugendste Apologie. [152] Indeß ist ein Dorf dem Verfall der Sitten näher als das andre. Dörfer, die in der Nachbarschaft grosser Städte liegen, oder auch die, in denen wohllüstige Junkers die schönen Monathe des Jahrs durchrasen, sind, dem Zeugniß der Erfahrung zu Folge, immer am meisten verpestet. Wär’s auch durch nichts als durch ihr Beispiel, das, wenn es die Vornehmen geben, einen gewaltigen Strom bildet, mit dem die geringern fortgerissen werden.
Was bei Verheirathungen erste Rüksicht seyn sollte, und was dem Eintritt in die Ehe, die höchste Süßigkeit giebt, die Liebe nämlich, wird beim Landvolke meistens ganz auf die Seite gesezt. Die heirathende Jugend darf sich dabei kaum eine Stimme erlauben; alles wird von Eltern und Vormündern erwogen und abgethan. Wenn das Hofgut, auf das man den Jungen zu bringen sucht, eine gute und fruchtbare Lage hat, mit schönem Vieh besezt, nicht zu sehr mit Schulden und Gefällen überladen, und in gutem Stande erhalten ist, so wird der Vertrag geschlossen, ohne nur an den Umstand von Ferne zu gedenken, ob ihm das Mädchen auch gefalle, und ob ihre beiderseitigen Charaktere unter sich simpathisiren. Das Landvolk handelt und schachert [153] bei seinen Heirathstägen genau so, wie auf dem Viehmarkt, oder auf dem Kornspeicher, und eine Kleinigkeit, die bei einer so weitgreifenden Unternehmung gar keine Beherzigung verdient, zerschläqt oft den ganzen Handel. Da werden also die Ehen nur nach ökonomischen Rüksichten geschlossen, und die Liebe – bei einem etwas feinern und empfindsamern Sinn der Jugend – wohl gar mit dem Ochsenstekken oder mit dem Jochriemen aufgewekt. Sie werden wo nicht mit Haß, doch mit Kälte und Gleichgültigkeit begonnen, und mit ewigem Zank und Hader fortgesezt.
Würde das Landvolk noch um einen, eben nicht sehr beträchtlichen Grad verfeinert und ausgebildet, so, daß man ihm mehr Sinn für Vorzüge des Geistes und Herzens gäbe, und die rauhen Ekken seines Charakters abschliefe, ohne es vom Wege der Natur abzuleiten, so würd’ es erst das Glük reiner, keuscher Liebe, in seinem ganzen Umfang geniessen, und weit seltener besiegt werden, von der Macht der Sinnlichkeit. Denn nur gute Menschen sind für die volle Freude der Liebe empfänglich, und für sie daurt diese Freude immer fort, ohne je den traurigen Wunsch zu weken: ach! hätt’ ich nie geliebt. –
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: und und