Seite:Pahl Ueber die Liebe unter dem Landvolk.pdf/6

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Schwierigkeit, welche Aeltern und Hausväter auch auf dem Lande so gerne machen, wenn von diesem Punkte die Rede ist, ist stark genug, ihre Stimme zu unterdrükken. Sie wirkt höchstens Scheu und [WS 1] Verborgenheit, und scheucht die Aeusserungen der Liebe in die geheimste Einsamkeit zurük. Aber gerade dadurch wird die Gefahr, der man auszuweichen sucht, am meisten vermehrt. Denn verstohlne Liebe bleibt selten rein und unschuldig, weil sie sich in Winkel zurükzieht, wo sie keine Zeugen hat; da hingegen öffentliche Liebe gewöhnlich in den Schranken der Unschuld und der Tugend verharrt.

Nichts ist eigensinniger als die Liebe in der Wahl der Gegenstände, denen sie sich ergiebt. Es ist in allen Urtheilen der Menschen über Werth und Unwerth, Vollkommenheit und Unvollkommenheit so wenig Allgemeingeltendes, daß sie einander tausendmal geradezu widersprechen, und daß manchem das, was ein andrer für das Schönste und Vortreflichste hielt, mit dem entscheidensten Abscheu hinwegwirft. Das nämliche Mädchen, das der eine vergöttert, hält der andre vielleicht kaum des Ansehens werth. Dies läßt sich nicht anders erwarten, da ein jeder die Dinge aus seinem eignen Standpunkte betrachtet, und nach seinen eignen Grundsäzzen schäzt, die bei der grossen Verschiedenheit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: und und
Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Pahl: Ueber die Liebe unter dem Landvolk. In: Die Einsiedlerin aus den Alpen, 3. Band, 8. Heft, S. 128–153. Orell, Geßner, Füßli & Comp., Zürich 1793, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Pahl_Ueber_die_Liebe_unter_dem_Landvolk.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)