Sturz, der Menschenfreund
Jeder Menschenfreund wird zum Erlöser. Dieses Wort hat eine glänzende Bestätigung erfahren durch das Leben des edlen Mannes, welcher vor Kurzem von uns schied. Noch seh’ ich ihn vor mir, den alten Herrn mit der Haltung des echten Gentleman und den blauen, germanischen Augen, welche so viel Herzensgüte und Sanftmuth verriethen. Es lag unendlich viel Milde und Bescheidenheit in seinem Wesen, und Niemand, der oberflächlich mit ihm verkehrte, konnte wissen, welch’ ein starkes Herz in seiner Brust schlug. Und doch war sein langes Leben ein heißer Kampf, und jede Falte in seinem Gesichte konnte als Narbe gelten, welche die Zeit ihm geschlagen. Da, wo es galt, die Schwachen vor Vergewaltigung zu schützen, wo die besten Güter der Menschheit in Gefahr kamen durch die Uebergriffe der Gewinnsüchtigen und Gewissenlosen, da stand Consul Sturz in der vordersten Reihe, da erwachte in der Brust des Friedfertigen ein heiliger Zorn und dröhnend schlug er auf den Amboß. Für die gute Sache setzte er Alles ein: Vermögen, Familienglück, und wenn es hätte sein müssen, das Leben selbst. Hier führte er nur einen Wahlspruch im Munde, den er in die Dialektform seiner Heimath kleidete: „W’r misse durch.“
Sehen wir zu, was dieser Mann mit dem tapferen Herzen angeregt, gefördert und im Leben durchgefochten hat.
Johann Jacob Sturz war im Jahre 1800 geboren und zwar im alten Kaiserpalast zu Frankfurt, welcher dem Vater seiner Mutter gehörte. Sein Vater starb früh. Im Hause [182] seiner Mutter verkehrten Männer wie der Philosoph Schelling und der Geograph Ritter; der Letztere wurde des Knaben Lehrer und trug viel zur Erweckung seiner kühnen Unternehmungs- und Reiselust bei.
Sturz widmete sich zuerst dem Kaufmannsstande und ging früh in geschäftlichen Aufträgen nach Mexico. Auf dieser ersten großen Reise bestand er ein Abenteuer, welches am besten seine Energie und rasche Entschlossenheit zu illustriren vermag. Nach einer beschwerlichen Seereise landete Sturz in Vera Cruz und wurde, da ihm ein Empfehlungsschreiben vorausgegangen, von dem Träger eines berühmten spanischen Namens empfangen. Der Mexicaner führte ihn in seinen alten Palast und ließ, trotz allen Widerstrebens, auch das Gepäck des Reisenden dahin nachbringen. Vor den Augen des gefälligen Wirthes schloß Sturz seinen Koffer auf, entnahm daraus einen Theil seiner Baarschaft, um Zurüstungen für die Reise nach dem Innern des Landes zu treffen und schloß denselben wieder. Bei einem Gange durch die Stadt machte der junge Deutsche die Wahrnehmung, daß das gelbe Fieber unter der mexicanischen Bevölkerung furchtbar aufräume, denn ein Leichenwagen nach dem andern begegnete ihm auf den Straßen. Kein Wunder, daß er sich bei der Rückkehr in das Haus des Gastfreundes empört fühlte, als er sah, daß dieser mit einigen Freunden und Freundinnen ein lustiges Gelage feierte.
Seine Empörung aber verwandelte sich in Schrecken, als er aus dem Zimmer, das man ihm angewiesen, die Entdeckung machte, daß sein Koffer erbrochen und sein Reisegeld gestohlen sei. In wenigen Augenblicken wurde es dem Beraubten klar, daß der Mexicaner mit dem altadeligen Namen, welcher die Gefühlsrohheit besaß, im Angesicht aller Schrecken der Epidemie sich Ausschweifungen hinzugeben, der Dieb sei. Ohne Zögern trat Sturz in den Speisesaal, richtete die Mündung seines Pistols plötzlich nach den Kopf des Schuldigen und rief, daß er ihn niederschießen werde, wenn er nicht sofort den Raub aushändige oder wenn einer seiner Freunde Miene mache, ihm beizustehen. Der kühnen Entschlossenheit des jungen Deutschen gegenüber gab sich der Mexicaner gefangen und legte die geraubte Summe, so weit er sie noch besaß dahin, wo er sie hergenommen.
Nach dieser mexicanischen Reise schon dämmerte in Sturz die Erkenntniß auf, daß die Abkömmlinge der spanischen und portungiesischen Eroberer unfähig seien, in Amerika die Träger einer Culturmission zu werden. Er kehrte nach Europa zurück, wo er sich in kurzer Zeit zum Techniker ausbildete, dann wandte er sich nach Brasilien, dessen weite Territorien und großer Bodenreichthum ihn mächtig anzogen. Hier hoffte er das geeignetste Arbeitsfeld für seine rüstige Thatkraft zu finden. Schon im Jahre 1825 befand sich Sturz in Brasilien, und das Schicksal der deutschen Ansiedler, welche vergebens bemüht waren, in Rio und anderen Provinzen mit heißem Klima sich eine behagliche Existenz zu erringen, ging ihm sehr zu Herzen.
Im Alter von dreißig Jahren stand der Unternehmungslustige als Chef-Ingenieur an der Spitze eines großen Silberbergbau-Betriebs, bei welchem etwa fünfhundert Negersklaven beschäftigt wurden. Ein großer Erfolg stand hier seiner Wirksamkeit zur Seite; er trug unendlich viel zur Entwickelung der industriellen Thätigkeit in Brasilien bei und erlangte Einfluß in den Regierungskreisen. Jene Periode seines Lebens ist bereits durch die philanthropischen Bestrebungen ausgezeichnet, welche später einen so großartigen Charakter annahmen. Er erleichterte nicht nur das Loos der Schwarzen, welche unter seiner Obhut standen, soviel seine Kraft es irgend vermochte, sondern er setzte auch eine lebhafte Agitation für die Abschaffung der Sclaverei in’s Werk, die leider an dem fanatischen Widerstand der Großgrundbesitzer und Klerikalen scheiterte.
Als der Strom deutscher Einwanderung sich immer mächtiger über die weiten Territorien Brasiliens ergoß, suchte Sturz denselben nach Kräften in die südlich gelegenen Provinzen mit gemäßigtem Klima zu lenken. Er hatte die Ueberzeugung gewonnen, daß in den heißen Länderstrichen Brasiliens nur der Neger die harten Arbeitslasten in den Pflanzungen, ohne Schaden zu nehmen, bewältigen könne, während der Deutsche nach kurzer Zeit zu Grunde gehe. Mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote standen, wirkte er dahin, daß seine deutschen Landsleute sich in den gesunden Provinzen Rio Grande do Sul und Santa Catarina niederließen, wo denn auch in kurzer Zeit unter seiner Anleitung und Hülfe viele deutsche Ansiedlungen entstanden und zu hoher Blüthe gelangten.
Die brasilianische Regierung erkannte wohl den gewaltigen Einfluß, welchen Sturz auf ihre wirthschaftliche und industrielle Entwickelung ausübte, und damit derselbe noch energischer wirken könne, sandte sie ihn in den vierziger Jahren als Generalconsul nach Deutschland. Er hatte die Aufgabe erhalten, deutsche Auswanderer und namentlich wichtige Techniker nach Brasilien zu senden. In derselben Zeit jedoch, als Sturz in der alten Heimath seine Thätigkeit entfaltete, fand in Brasilien ein großer Umschwung der Verhältnisse statt. Die Engländer, welche dem Sclavenhandel in den eigenen Colonien ein Ende machten, gestatteten es auch nicht mehr, daß fremde Nationen Neger von den afrikanischen Küsten fortführten. So schnitten englische Kriegsschiffe auf der atlantischen See die Zufuhr von schwarzen Arbeitskräften für brasilianische Sclavenmärkte ab, und die Pflanzer der heißen Länderstriche sahen sich in der Ausbeutung ihrer großen Ländereien gehindert. Diese Großgrundbesitzer verfielen nunmehr auf den Gedanken, deutsche Arbeiter durch Landversprechungen in ihre Districte zu locken und sie dann durch harte Sclavenarbeit auszubeuten. Sie ließen durch deutsche Agenten freie Ueberfahrt anbieten und stellten den Auswanderern durch die sogenannten Parceria-Verträge Landbesitz in Aussicht. Die Unglücklichen, welche solchen Verlockungen folgten, gingen fast alle auf den heißen Plantagen des Nordens zu Grunde. Zur Schande des deutschen Namens müssen wir bekennen, daß es in den freien Hansestädten Schiffsrheder und Senatoren gab, welche diesen ruchlosen Absichten der brasilianischen Sclavenbarone den mächtigsten Vorschub leisteten, ja es fanden sich sogar unter den deutschen Gelehrten – einer von ihnen ist heute Professor der Staatswissenschaften – Männer, welche durch lügenhafte Berichte ihre armen Mitbürger in’s Elend locken halfen.
Einer aber duldete es nicht, daß man die deutschen Auswanderer durch die Schlinge der Parceria-Verträge in’s Sclavenjoch spannte, und das war der brasilianische Generalconsul. Sturz versuchte erst die Regierung seines Adoptivvaterlandes zu bewegen, daß sie dem Treiben der Sclavenbarone ein Ziel setze, allein die Letzteren hatten sich indessen thatsächlich der Gewalt bemächtigt, und seine Bemühungen waren fruchtlos.
Jetzt stand der Generalconsul mit einem Male vor der Alternative, entweder das abscheuliche Treiben ungehindert seinen Lauf nehmen zu lassen und seine einträgliche Stellung zu behalten, oder die letztere in die Schanze zu schlagen und sich für das Recht gegen die eigene Regierung zu stemmen. Sturz zauderte keinen Augenblick; das Recht mußte siegen, und sollte er selber darüber zu Grunde gehen. Er nahm sofort den Kampf gegen die Sclavenbarone auf und wurde von der brasilianischen Regierung aus seiner Stellung entlassen.
Der Kampf, auf den er sich eingelassen, war ein verzweifelter: er stand allein und verfügte über geringe Hülfsmittel; ihm gegenüber befand sich ein Heer von gedungenen Preßagenten und anderen Werbern, welche aus den reichen Fonds der brasilianischen Regierung die freigebigste Unterstützung fanden. Sturz zeigte, daß einem starken Herzen nichts unmöglich ist. In einer Unzahl von Broschüren und Zeitungsartikeln legte er die Lügen der brasilianischen Preßagenten bloß, warnte in beredten Worten vor der entsetzlichen Gefahr, welche dem deutschen Auswanderer durch den Parceria-Vertrag drohe, zählte die Auswanderer auf, welche in den Zucker- und Kaffeeplantagen zu Grunde gegangen, und schreckte so Tausende vor einem Schritt zurück, der sie unfehlbar dem größten Elend und sicheren Untergang entgegengeführt hätte.
Der glühende Eifer, welcher Sturz beseelte, riß auch Andere mit fort. Bald fanden sich einzelne, dann mehrere Journale, welche seine Sache zu der ihrigen machten, und endlich trat die deutsche Regierung für ihn ein. Den brasilianischen Agenten wurde das Handwerk gelegt, und seit zehn Jahren gelingt es nur in seltenen Fällen, deutsche Arbeiter in die Netze brasilianischer Großgrundbesitzer zu ziehen.
Dieser Kampf kostete Sturz nicht nur die beste Kraft seines Lebens, sondern auch ein bedeutendes Vermögen. Mit etwa neunzigtausend Dollars bezahlte er das Bewußtsein, Tausende von deutschen Landsleuten vor Elend, Schmach und sicherem Untergang bewahrt zu haben. Es währte lange, bis die deutsche [183] Nation zum Bewußtsein dieser dankenswerthen That gelangte, als dies aber geschah, brachte sie durch öffentliche Subscription eine Summe auf, welche geeignet gewesen wäre, die letzten Lebensjahre des edlen Mannes vor Entbehrungen zu schützen, wenn dieser das Nationalgeschenk für sich und seine Familie verwendet hätte. Daran aber dachte Sturz zu allerletzt. Ehe er an die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse ging, tauchte er hinab in die Schichten der geistig und leiblich Verarmten und kam zurück mit dem Alarmruf: „Hier thut Hülfe Noth.“
Von all den Resultaten, welche seiner schöpferischen und rastlosen Thätigkeit zu danken sind, wollten wir nur wenige herausheben: zunächst die, welche uns Deutsche direct angehen, dann jene, welche ein allgemeines Interesse haben.
Sturz war es, der vor mehreren Jahren in Schrift und Wort auf die Verarmung der Strandbewohner an unserer Nordseeküste hinwies und Vorschläge zur Abhülfe der Nothlage machte. Er that vor Allem dar, daß englische und holländische Fischer das deutsche Fischereigebiet ausbeuteten, und auf seine Anregung hin ergriff die Regierung Maßregeln, um die fremden Fischerboote von der deutschen Nordseeküste fern zu halten. Unsere Kanonenboote schützten das Fischereigebiet der deutschen Küstenbewohner vor fremder Ausbeutung, und der preußische Landtag bewilligte die nöthigen Mittel zur Anlegung von Austerbänken und Hebung der Fischzucht.
Da Sturz den Anlaß zu den letzteren Maßregeln auch gegeben, wurde ihm in socialdemokratischen Kreisen der Vorwurf gemacht, er leiste der Völlerei der Capitalisten Vorschub. Der Menschenfreund konnte dies lächelnd hinnehmen; er dachte nicht an die Genüsse der Gourmands, sondern an die Hülfe, welche den armen Fischern durch die Austernzucht wurde. Weiterhin machte Sturz eine Reihe praktischer Vorschläge, um den Transport und raschen Absatz der Seefische zu fördern, deren Verwirklichung den Fischern so gut Vortheile bringen mußte, wie den Bewohnern der großen Städte.
Eine andere Agitation brachte dem Berliner Schlachtvieh Erlösung von argen Qualen. Sturz war nicht nur ein Menschen-, sondern auch ein Thierfreund und beherzigte wohl das gute Wort: Der Gerechte erbarmt sich seines Viehes. Nun schnitt es ihm in die Seele, wenn er sah, wie rohe Schlächter die Kälber knebelten, sie wie leblose Waare auf den Karren schleuderten und während einer langen Fahrt arge Qualen erdulden ließen. Ebenso roh und abscheulich fand er es, daß man das Schlachtvieh mit Hülfe kläffender und beißender Hunde durch die Straßen hetzte. Diesen Thierquälereien mußte gesteuert werden, und er machte energisch gegen die Brutalität Front. Dies war bei Weitem kein so leichtes Unterfangen, wie es jetzt vielleicht den Anschein hat, denn anfangs fanden es viele Mitglieder der Polizei und eine gute Anzahl von Journalisten einfach komisch, daß ein ehemaliger Generalconsul sich zum Anwalt der geknebelten Kälber mache. Allein Sturz war eine viel zu sittliche und wahrhaft religiöse Natur, als daß er sich hätte durch Spott von seinem Vorhaben abbringen lassen. Er organisirte ein kleines Beobachtungscorps von Berliner Straßenjungen, welches er besoldete, um den Viehhof und die Schlachthäuser überwachen zu lassen. Erblickten seine Posten einen Wagen mit geknebelten Kälbern, so riefen sie Sturz herbei und dieser ließ die Namen der Thierquäler durch den Schutzmann feststellen. Diese Bestrebungen trugen dem Thierfreunde manche Mißhandlung ein, welche tausend Andere abgeschreckt hätten. Viele Schlächter zielten vom Wagen herab mit der Peitsche nach seinem Gesicht, und ein roher Patron soll ihn gar mit der Faust angegriffen haben. Sturz verdoppelte nach all diesen Vorkommnissen seine eifervollen Bemühungen und blieb erfolgreich. Heute erfährt das Schlachtvieh in Berlin eine menschliche Behandlung, und die Fleischer stehen sich nicht um ein Haar schlechter dabei.
Sturz war stets auf’s Eifrigste bemüht, die Thiere gegen Rohheiten zu schützen, und noch in den letzten Tagen seines Lebens gab er auf seine Kosten ein kleines Bilderbuch heraus, welches er in allen Schulen zu verbreiten gedachte, das den Kindern Liebe zu den Thieren einflößen und sie durch allerlei Sprüche zur Schonung und Milde ermahnen sollte. Vielen wird dieser Zug als unbedeutend erscheinen, aber sicher denen nicht, welche Werth auf die Erziehung der Jugend und den sittlichen Charakter eines Volkes legen.
Damit wäre Einiges, aber bei Weitem nicht Alles aufgezählt, was Consul Sturz in Deutschland im Interesse unserer Wohlfahrt und der Humanität wirkte. Seine Thätigkeit beschränkte sich nicht auf die Grenzen des Vaterlandes, sie ging weit über dieselben hinaus.
Sturz war ein echter deutscher Patriot, der, selbst als Vertreter eines fremden Staates, in den Zeiten kleinstaatlicher Misere keinen innigeren Wunsch kannte, als die Herstellung eines einigen Deutschlands. Als Beleg dafür mag nur eine Thatsache sprechen: Württembergische Bauern, welche sich in Palästina niedergelassen, erfuhren Bedrückungen seitens türkischer Beamten und wandten sich, da ein Vertreter ihrer Regierung fehlte, an das preußische Consulat um Beistand. Trotz aller Drohungen richtete der preußische Consul nichts aus, sobald sich aber der englische der Sache annahm, fanden die Deutschen Gehör und Abhülfe. Friedrich Wilhelm der Vierte sprach über den Fall mit dem Generalconsul Sturz und beklagte es, daß das starke Preußen im Auslande noch so wenig Ansehen genieße.
Sturz, dem jede Menschenfurcht fremd war, antwortete hierauf dem Könige: „Das wird auch niemals anders werden. Erst wenn statt der preußischen Flagge die deutsche sich in den Häfen fremder Länder zeigt, gelangen wir zu Ansehen, und nicht eher, als bis hinter den deutschen Auswanderern auch ein einiges starkes Deutschland steht, fällt diesen ein besseres Loos zu, als jenes, der Culturdünger für fremde Staaten zu sein.“
Bei dieser innigen Liebe zu seinem Vaterlande blieb ein starker kosmopolitischer Zug seines Wesens nicht ausgeschlossen. Wie er annahm, daß die Bürger eines Staates sich unter einander beistehen müßten, damit die Bedrängten nicht zu Grunde gingen, so glaubte er auch an die Solidarität der Nationen unter einander. Oft hat er es ausgesprochen, daß die Völker, welche sich der Segnungen einer weit vorgeschrittenen Cultur erfreuten, die moralische Verpflichtung hätten, denen beizuspringen, welche unter dem Fluche der Uncultur oder widriger Verhältnisse [184] seufzten. Ihm war es dabei gleichgültig, welcher Race jene angehörten, die im Elende schmachteten; er wollte einfach, daß Jammer und Noth, so weit es möglich, aus der Welt geschafft würden. Von diesen edlen warmherzigen Anschauungen geleitet, nahm er sich jener unglücklichen Kulis an, die von gewinnsüchtigen Peruanern zu Tausenden nach den Guanoinseln und Plantagen geführt und durch die drückendste Sclavenarbeit und die roheste Behandlung zu Grunde gerichtet wurden. Sturz spürte in Peru, auf Cuba und den chinesischen Häfen alle Gräuelthaten auf, welche an den armen Kulis begangen wurden; er brandmarkte in einer Anzahl von Flugschriften die Sclavenhändler, welche sich durch den Schweiß und das Blut dieser Unglücklichen mästeten, und setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um diesem schändlichen Handel ein Ende zu machen. Daß der Kulihandel fast ganz unterdrückt wurde, ist zum guten Theile den eifervollen Bemühungen unseres Sturz zuzuschreiben. Er machte zudem der englischen und chinesischen Regierung den wohlgemeinten und praktischen Vorschlag, den Strom der chinesischen Auswanderung vorzugsweise nach dem menschenleeren Australien zu leiten.
In seinen letzten Lebensjahren trat Sturz noch mit glühendem Eifer für die Ausschließung Centralafrikas ein. In Wort und Schrift vermahnte er die Regirungen der Culturstaaten, daß etwas geschehen müsse, um dem entsetzlichen Menschenraub, den Livingstone, Nachtigal und viele andere Afrikareisende in solch’ erschütternder Weise geschildert hatten, ein Ende zu machen. Er erlebte noch die Freude, daß die Menschenfreunde Englands und der König von Belgien die Initiative ergriffen, um die Segnungen der Cultur auch in das Herz von Afrika hineinzutragen.
Als die Beschlüsse der Brüsseler Conferenz bekannt wurden, fühlte Sturz sein Herz derart von Freude bewegt, daß er dem König von Belgien in warmen Worten für den Dienst dankte, welchen er der Humanität zu leisten im Begriffe stehe. Mit keinem Worte erwähnte er in diesem Briefe des eigenen Verdienstes um die Sache. Selbstlosigkeit war eines der hervorragendsten Merkmale seines Charakters.
Viele, und vorzugsweise die, welche sich in einem kleinen Kreise bewegen, warfen Sturz vor, daß er ein Idealist sei, der seine Ziele zu weit stecke, und daß er mehr seiner Phantasie als der nüchternen Berechnung folge. Die so über ihn urtheilten, vergaßen, daß sein Blick weiter ausschaute als der unsere, sie vergaßen, daß ohne eine kräftige Phantasie Keiner im Leben Großes erreicht, und vergaßen endlich, daß Sturz nicht zu denen gehörte, die sich von Schwierigkeiten entmuthigen ließen. Er beugte sich dem Sturme nie; er wollte siegen und war in der Regel erfolgreich. Im Kampfe für die Unterdrückten, für die Ausbreitung der Cultur trug er die Waffen, bis die Hand schwach wurde, bis seine Kraft erlahmte.
„Ach,“ sagte er eines Tages mit trübem Blick zu mir, „ich fühle, daß mir die Fähigkeit abhanden kommt, Unternehmungen zu organisiren; ich muß mich damit begnügen, das Material zu sammeln und herbeizuschleppen.“ Und das that er redlich, bis der Tod ihn abrief.
Und nun darf ich wohl dem Leser gestehen, daß es mir selber eine große Befriedigung gewährt, dem Andenken des edlen Menschenfreundes dieses Blatt widmen zu dürfen, denn ich erfülle damit einen Herzenswunsch, den der Dahingeschiedene kurz vor seinem Hingang aussprach. In den Herbsttagen traf ich mit ihm am Saume des Thiergartens zusammen, und als er mir klagte, daß die lecke Maschine dem Willen nicht mehr gehorchen wolle, warf ich die Bemerkung hin, es wäre eine lohnende Aufgabe, sein reichbewegtes Leben in einem Buche zu schildern.
„O nein,“ erwiderte er bescheiden, „so viel ist mein Leben nicht werth, aber der Gedanke könnte mir die letzten Tage meines Daseins verschönen, daß irgend Jemand nach meinem Tode in der ‚Gartenlaube‘ in Kürze das schilderte, was ich für die Schwachen und Schutzlosen erreichte und anstrebte. Die ‚Gartenlaube‘ wird in allen Theilen der Welt gelesen und Viele werden sich finden, welche die Ziele zu erreichen streben, die für mich in weiter Ferne liegen.“
Johann Jacob Sturz ruht heute im Grabe, allein der menschenfreundliche Geist, welcher ihn beseelte, lebt fort, denn es giebt keine guten Handlungen, welche nicht den Anfang bildeten zu einer unabsehbaren Kette von guten Folgen. Er zeigte, was ein starkes Herz vermag; er war ein edler Charakter und blieb in allen Lagen des Lebens sich selber treu.
Sturz, der Menschenfreund, hat seine erlösende Mission erfüllt.[1]
Berlin, 15. December 1877.
- ↑ Heute läuft die nachfolgende Mittheilung durch die gesammte deutsche Presse;
„Von Seiten der chinesischen Gesandtschaft in Berlin ist an die Wittwe des vielgenannten verewigten Generalconsuls Sturz folgendes Schreiben gelangt:
Kaiserlich chinesische Gesandtschaft.Berlin SW., Friedrichstraße.Februar 16. 1878.
Seine Excellenz, der chinesische Minister Liu-Ta-Yen, haben vernommen, welche Verdienste der verstorbene Herr Generalconsul Sturz um die Erleichterung der Qualen derjenigen seiner chinesischen Landsleute hat, die in Cuba, Peru und anderen südamerikanischen Ländern in Sclaverei gehalten wurden. Seine Excellenz beklagt mit Ihnen und der ganzen Menschheit den Verlust eines so unermüdlichen und großmüthigen Bekämpfers dieser argen Mißbräuche und hat mich beauftragt, um den löblichen Zweck der Errichtung eines Grabmals zu Ehren des verstorbenen Herrn Generalconsuls zu fördern, Ihnen die beifolgenden zweihundert Mark zur Verfügung zu stellen.
Ich habe die Ehre etc.“
Die Red.