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Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Das Spiel von den zehn Jungfrauen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Der Taufritt Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Die Seele in der Helle
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[203]
107.
Das Spiel von den zehn Jungfrauen.

Nach den vielen Kämpfen und Fehden, welche das Thüringerland zu tragen hatte, und in denen die Zeit so unfroh und verdienstlos gewesen, daß auf dem Markte zu Eisenach das Gras eine halbe Elle hoch gewachsen war, kehrte endlich eine bessere Zeit zurück; das Leben wurde wieder regsamer, und die Freude forderte wieder ihren Antheil an Festeslust und Schaugepränge. Da geschahe es, [204] daß am Abende vor dem Sonntage Misericordias, war der 24ste April des Jahres 1322, die Predigermönche zu Eisenach auf der Rolle, zwischen der Hauptkirche St. Georgen und dem Barfüßer Kloster, ein geistliches Schauspiel aufführten, welchem Friedrich der Freudige mit seinem Hofstaate und vielem Volke als Zuschauer beiwohnte. Den Inhalt des Schauspieles bildete das Evangelium von den 5 klugen und den 5 thörigten Jungfrauen, die Darstellung war also angeordnet: Christus erschien mit Maria und einem Engelchore singend, denn die ganze Darstellung war gleichsam oratorisch, als durchaus ernstes Singspiel gehalten, obschon vielleicht auch manche Stellen gesprochen wurden. Hierauf traten die zehn Jungfrauen mit einem Lobgesange auf, Engelstimmen geboten Schweigen, Christus lud zu seinem Hochzeitmahle ein. Die Jungfrauen theilten sich in ihre zwei Parteien und führten Wechselreden über die Wahl zwischen himmlischer und Weltfreude; die thörigten hielten ein Mahl, bei dem sie zum Theil entschlummerten. Dann hielten sie, nachdem sie die 5 klugen vergebens um Oel gebeten, einen Umgang auf der Bühne, Oel zu kaufen, was ihnen nicht gelang. Christus erschien als der Bräutigam, winkte den klugen zu seinem Mahl empor; Maria empfing und krönte sie. Engelchöre verherrlichten das Hochzeitmahl. Nun flehten die thörigten Jungfrauen, auch sie aufzunehmen, aber mit Strenge wies sie Christus zurück; sie wandten sich an Maria als Fürbitterin, welche sich auch bewegen ließ, bei ihrem göttlichen Sohne für die unglücklichen zu bitten, allein vergebens, vielmehr traten Teufel auf, welche die thörigten Jungfrauen mit einer Kette umschlangen, die nun in die jammervollsten, und wehmuthsvollsten Wehklagen in Mark und [205] Gebein durchschütternden Worten ausbrachen, das Haar sich rauften, die Brüste zerschlugen, dem Tage ihrer Geburt und ihren Erzeugern fluchten und unter einem hochtragischen Klagechore in das geöffnete Thor der Hölle von den Teufeln gestoßen wurden. Das fiel dem Landgrafen centnerschwer aufs Herz – sein frommer Glaube an Christi Versöhnungstod und an die Fürbitte Mariä wurde in den tiefsten Tiefen seines Gemüthes erschüttert, und sein Zorn über die zur Schau gelegte gnadenlose Härte, dem er Worte gab, und die Aufregung darüber ergriffen ihn so heftig, daß ihn der Schlag rührte und ihm die Sprache lähmte. Zwar starb er nicht alsbald, aber die freudige Kraft war gebrochen, sein Geist blieb umdüstert, und zwei und ein halbes Jahr nach der Aufführung jenes traurigen Spieles erlag Friedrich mit der gebissenen Wange seinen Leiden.