Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Die Wichtlein im Keller

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Die Hirtenknaben Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Waldmann von Sattelstätt
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82.
Die Wichtlein im Keller.

Der mehrerwähnte Eingang zu der Hörseelberghöhle liegt in der Flurmarkung des Dorfes Kälberfeld, und der Gang im Berge soll sich nicht nur bis unter die Kirche in Sättelstedt erstrecken, sondern auch Verbindung mit mehren Kellern im Dorfe, namentlich mit dem des Wirthshauses haben. Darinnen sind zum öftern Wichtlein verspürt worden, deren Walten aber nicht, wie an manchem andern Orte gütig und hülfreich war, sondern schreckhaft und graulich. Einst kam ein Mann, der in den Keller [136] hinabgegangen war, Bier zu zapfen, wieder herauf, todbleich im Gesicht, zitternd am ganzen Körper, und hatte in Folge eines jähen Schreckens, den er im Keller gehabt, die Sprache verloren. Da er unkundig des Schreibens war, vermochte er in keiner Weise kund zu geben, was ihm widerfahren war.

Zu einer andern Zeit ging ein Knecht in den Keller, der fand die Fässer, welche Tages zuvor voll hinabgeschafft worden waren, alle leer, kein Tropfen darin, und doch der Boden des Kellers salztrocken. Ein anderer Knecht, der hinab ging, kam gar nicht wieder herauf, und als man fürchtete, ihn drunten betrunken oder tod zu finden, und mit Licht hinunter ging, ward keine Spur von ihm gefunden. An alle dem sollen die Wichtlein und Hütchen schuld sein.

Als ein ganz eigenthümlicher Zug in den Hulda- und Wichtleinsagen tritt die Neigung nach Bier auf. In jener Sage von Schwarza trinken Begleiterinnen der Hulda den Knaben die Bierkrüge leer (s. S. 42.), bei Bodelwitz im Orlagau verrichtet Perchta selbst dieß Geschäft, und dann gleich darauf ein anderes unsauberes, damit das Bier im Gießer ersetzt werde (D. S. B. 575). Beim Dorfe Angelrode in Thüringen, zwischen Arnstadt und Ilmenau, suchten die Zwerglein aus den Kammerlöchern den Keller des Wirthes so lange heim, bis er Asche streute, und die Spur ihrer Gänsefüße sah, worauf sie wegblieben. Beim Osenberge im Oldenburgischen betrank sich in einem Keller ein Zwerg und verspätete sich so, daß er erwachend erschrocken und weinend davon ging, und seinen Bierkrug zurückließ, der dann lange als Andenken in des Wirthes Familie blieb. (D. S. B. 513. 165.) Daß das Bier, [137] des deutschen Volkes Lieblingsgetränk in Gegenden, die des Weinbaues ganz entbehren, auch in den Sagen des Volkes seine Rolle spielt, darf übrigens nicht verwundern.

An vielen Orten kennt man ein nächtliches Gespenst, den Bieresel, der sich den Leuten aufhockt, so unter andern im Jonas- und Götzenthale bei Arnstadt, just auch unter einer Zwergenhöhle, welche Zwerge dort Böhlersmännchen heißen. (Soll man bei dieser Benennung an die Benennung Odins Bölverker denken, als er nach einer Eddamythe in ein gebohrtes Bergloch schlüpfte?) Ebenso ist im Dorfe Steinbach bei Liebenstein die Biereselsage heimisch, nicht minder im Stadtflecken Ruhla. Dort, in der Ruhl, lebt ein Sprüchwort: „Er schläft so fest, wie der Mann im Hörseelberge.“ Seltsamer Gegensatz zum Hörseelbergwächter, dem treuen Eckhart. Oder will der Spruch damit nach dem Sündenschlafe des Danhäusers deuten? – Wir forschen diese mythischen Räthseltiefen niemals aus.