Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Elisabeths Vermählung

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Die Jugend Elisabeths von Ungarn Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Landgraf Ludwigs Tugend
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94.
Elisabeths Vermählung.

Unter allem Seelenweh, das seine Dornen ins Gemüth der hehren königlichen Jungfrau Elisabeth schlug, blieb ihr doch ein süßer und hoher Trost nächst dem Gefühle ihrer Demuth und ihrer Zuflucht bei Gott durch Gebet [163] und Standhaftigkeit – das war die unerschütterliche Liebe und Anhänglichkeit, welche ihr junger Verlobter, Ludwig, gegen sie stets an Tag legte, und von der ihn nichts abzubringen vermochte.

Zu dieser Zeit hatte der regierende Landgraf, Hermann, einen merkwürdigen Traum; er sah sich auf der Richtstätte vor Eisenach, und alle dort Hingerichteten waren zu Jungfrauen geworden, welche sich um die Mutter Gottes und die heilige Katharina geschaart hatten, die zu ihm sprachen: Auf dieser Stätte hier sollst Du uns ein Haus bauen, in das wir alle diese Jungfrauen versammeln wollen, und dann in Kürze auch Dich zu uns nehmen. Darauf verlegte der Landgraf sofort jenen Richtplatz an eine andere Stelle, und erbauete das St. Katharinenkloster, in welchem er nach seinem Tode beigesetzt zu werden verordnete. Wenige Jahre darauf, als das neue Kloster erbaut und eingeweiht war, starb der Landgraf. Jetzt wurde nun Hermanns Sohn, Ludwig, noch in sehr jungen Jahren stehend, Regent von Thüringen, konnte sich aber noch nicht vermählen, da seine zarte Braut erst im zwölften Lebensjahre stand. Um so reiner war das Verhältniß beider zu einander, gleichsam völlig geschwisterlich; sie nannten auch einander fast immer nur Bruder und Schwester, und Ludwig legte für sie die zärtlichste Zuneigung an den Tag, brachte ihr von jedem Fernsein von Wartburg irgend eine erfreuende Gabe mit, und erwarb sich als ein edler fürstlicher Jüngling von ausgezeichneten Eigenschaften des Geistes und Gemüthes das höchste Lob. Auch war er körperlich schön und wohlgestaltet, und wohlerfahren in allen ritterlichen Künsten. Da fehlte es nun freilich nicht an heimlichen Winken und Plänen, einestheils [164] ihn von seiner Treue gegen seine traute Verlobte abwendig zu machen, anderntheils ihn gar zu bewegen, sich zeitig zu vermählen und Elisabeth, da sie noch zu jung, lieber wieder in ihre Heimath zurückzusenden, und dieß mit den Umständen, die einem jungen Regenten zur Pflicht machen, für die Fortdauer seines Stammes in Zeiten zu sorgen, zu entschuldigen. Elisabeth blieb alles, was gegen sie gesonnen und geredet wurde, nicht verborgen, und sie machte den redlichen Schenken von Vargila zum Vertrauten ihrer bangen Befürchtungen. Dieser sprach deshalb auf einem Waldritt mit seinem jungen Herrn, der aber deutete hinüber auf das Gebirge, über das der Inselberg sein mächtiges Haupt erhebt, und erwiederte: Siehst Du dort den großen Berg? Wäre der ganz von Golde und mein, so wollte ich ihn doch lieber missen, als daß ich Elisabeth mißte, meine liebe Braut. Was auch immer die Leute reden und sagen mögen, glaube, daß Elisabeth mir lieber ist, als alles auf der weiten Erde. Und da Walther fragte, ob er diese Rede ihr ansagen dürfe, erwiederte Ludwig: Ja, das sage ihr nur, und gieb ihr zum Wahrzeichen dieses Andenken! und reichte dem Schenken einen Hand-Spiegel in Elfenbein gefaßt, auf der Rückseite mit einem Crucifix, kunstvoll geschnitten. Darüber wurde Elisabeth von Herzen froh, und küßte den Spiegel, und dankte Gott und dem Ritter.

Nach dem Antritte seiner Regierung ließ sich der junge Landgraf in der St. Georgenkirche feierlich zum Ritter schlagen, in Gegenwart aller seiner thüringischen und hessischen Vasallen, denn er wollte von niemand die Ritterschaft empfangen als von Gott und den Seinigen; hernach kämpfte er manche Fehden durch, strafte Aufwiegler [165] und Landesverräther wie sich gebührte, machte manche Heerfahrt, selbst mit dem Kaiser nach Italien, und als indessen seine Elisabeth ihr vierzehntes Lebensjahr zurückgelegt hatte und zu einer holdseligen Jungfrau aufgeblüht war, vermählte er sich mit derselben unter großen Festlichkeiten. Elisabeths Brautführer waren dieselben edlen Ritter, die sie als Kind aus ihrer Heimath abgeholt, Graf Meinhard von Mülberg und Walter von Vargila. Da gab es Festmahle und Turnerspiele, Musik und Tänze dreier Tage lang, herrlich und in allen Freuden.