Zum Inhalt springen

Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Von Friedrich mit der gebissenen Wange

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Der Wangenbiß Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Der Taufritt
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[198]
105.
Von Friedrich mit der gebissenen Wange.

Nach der Nacht, in welcher Fürstin Margaretha von der Wartburg entkommen war, hoffte der Landgraf, daß früh genug Zetergeschrei ob des Todes der Herrin durch das Schloß gellen werde, es blieb aber alles still, zu seiner großen Verwunderung. Da sandte er nach dem Eseltreiber, aber die Boten kamen zurück und meldeten, derselbe sei nicht zu finden. Nun ging der Landgraf in die Zimmer seiner Gemahlin, deren Kammermägde zu befragen, ob die Herrin aufgestanden – aber es war keine beihanden. Und so fand er auch Margarethe nicht mehr, und endlich dämmerte ihm eine Ahnung und fiel ihm schwer aufs Herz, obwohl er innerlich froh sein mußte, ohne eine blutige That der nicht mehr geliebten Gemahlin ledig zu gehen. Er bot auch nicht viele Mittel auf, sie verfolgen zu lassen, wol aber sandte er reitende Eilboten an seinen Vater und seinen Bruder, ihnen Margarethens Flucht kund zu thun, und da verließ Diezmann alsbald sein Schloß Landsberg im Osterland, kam auf die Wartburg, und mußte einen schändlichen Lug hören, den Albrecht ersann, indem er [199] sagte, Margarethe sei mit einem Buben auf und davon, mit dem sie in unehrbarer Vertraulichkeit gestanden habe. Diezmann durchschaute gleichwol das Verhältniß ganz klar, und bat, Albrecht möge ihm Margarethens Kinder anvertrauen, so werde er um so weniger an sie erinnert werden. Das war Albrecht ganz willkommen und ließ es gern geschehen. Den ältesten Sohn nahm sein Vater, Heinrich der Erlauchte zu sich, und die beiden jüngern Diezmann, welcher sich nicht lange zuvor erst mit Helene von Brandenburg vermählt hatte. Landgraf Albrecht aber bekam einen Sohn von Kunne, seiner Kebse, mit der er sich nun förmlich ehelich verband, dieser Sohn hieß Apiz, und der Vater hatte sondre Neigung, dermaleinst diesem und nicht seinen drei älteren Söhnen das reiche Erbe zu hinterlassen, über das er herrschte. Mittlerweile wuchsen seine Söhne heran, und es begannen Zwiespalte zwischen ihnen und ihrem Vater, die um sich griffen wie ein fressendes Geschwür, und aufs neue das Thüringerland, das schon im Erbfolgekriege genugsam gelitten hatte, in Unglück und Verderben stürzten. Im Anfange war das Glück mit Albrechts Waffen. Seinen ältesten Sohn, Heinrich, dem Heinrich der Erlauchte die Verwaltung des Pleisner Landes und dessen Einkünfte übergeben hatte, verjagte Albrecht, daß er flüchtig umherirrte, und den Spottnamen „Heinrich ohne Land“ mit sich herumtragen mußte. Friedrich der Gebissene wurde seines Vaters Gefangener, und mußte über Jahr und Tag in einem Hungerthurme auf der Wartburg sitzen, bis ihn seine Freunde heimlich und mit List befreiten. Jahrelang setzten sich die Kämpfe heftig fort, und Friedrich nahm, nachdem sein Großvater und sein Oheim gestorben waren, Besitz von den Landen und war überall [200] voll Zuversicht und freudigen Muthes, daher er auch den Beinamen der freudige erlangte. Markgraf Albrecht aber verkaufte endlich Thüringen für zwölftausend Mark Silbers an den Kaiser Adolf von Nassau, der führte viel schwäbisches und anderes Fremdvolk in das Land, das darin verheerend hauste, aber auch zu Zeiten seinen Lohn dafür bekam. Und als Albrechts Frau Kunne sammt ihrem Sohne Apiz gestorben war, that er seinen Söhnen den Tort an, und heirathete die Wittwe eines Grafen von Arnshaugk, und führte sie auf Schloß Wartburg. Diese hatte eine einzige Tochter, des Namens Elisabeth, ein holdseliges Fräulein, die blieb auf Burg Arnshaugk zurück; diese sah Friedrich der freudige, entbrannte in Minne gegen sie, entführte und heirathete sie; so wurde er nun der Schwiegersohn seiner Stiefmutter, und wenn man will, seines Vaters. Friedrich war stets des von seiner rechten Mutter empfangenen Wangenbisses eingedenk, und ließ nicht ab, seinen Vater zu befehden, wodurch Städte und Dörfer in großen Schaden und Abgang geriethen, absonderlich Eisenach. Endlich gewann Friedrich sogar die Wartburg in einer Nacht durch Ueberrumpelung und fast ohne Schwertschlag, nachdem er sich am Tage über in der schattigen Schlucht mit seinen Mannen verborgen gehalten hatte, die noch das Landgrafenloch heißt, und nahm seinen Vater gefangen, mit dem er dann unterhandelte und der nach Erfurt zog; seine Frau Stief- und Schwiegermutter behielt Friedrich in allen Ehren auf der Wartburg, wohin er auch seine eigene Gemahlin nachkommen ließ. Diese neue Freudigkeit aber, welche die glückliche Ueberrumpelung der Wartburg Friedrich dem freudigen geschaffen, war nicht von langem Bestande.