Volkssagen in der Lausitz (Haupt)

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Textdaten
Autor: Joachim Leopold Haupt
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Titel: Volkssagen in der Lausitz
Untertitel:
aus: Neues Lausitzisches Magazin, Funfzehnter, Neuer Folge zweiter Band, S. 200–204
Herausgeber: Joachim Leopold Haupt
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1837
Verlag: Heyn’sche Buch- und Kunsthandlung
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Erscheinungsort: Görlitz
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[200]
IV.
Volkssagen in der Lausitz.

In der Ober- wie in der Niederlausitz klingen noch mancherlei liebliche und schaurige Sagen von Munde zu Munde unter dem Volke. Ein bemooster Stein, ein alter Baum, ein verwittertes Kreuz, ein sinkendes Gemäuer, ein Kreuzweg, ein Sumpf, eine Brücke, ein Berg, irgend ein merkwürdiger oder besondrer Gegenstand ist es, an den sie sich knüpfen und festhalten. Bald findet man in ihnen geschichtiche Anklänge aus der Urzeit des Volkes, bald beschäftigen sie sich mit den frühern Begebenheiten des Orts in Pest- und Kriegszeiten, bald erzählen sie uns von Gespenstern und wunderbaren Erscheinungen, bald wollen sie diesen Namen, bald jenen Gegenstand auf ihre Weise erklären. Den einen merkt man wohl ab, daß sie aus grauer Urzeit herstammen, die andern verrathen ihren neuern Ursprung.

Immer bleiben sie wichtig in mehrfacher Hinsicht, als geschichtliche Trümmer, als mythologische Ueberreste, als Volksdichtungen, als psychologische Phänomene, als Beiträge zur Cultur- und Sittengeschichte, ja als schlagende Beweise für den tiefreligiösen und sittlichen Geist unseres Volks. (Vgl. Bechstein über den ethischen Werth deutscher Volkssagen).

[201] Aber es droht ihnen von vielen Seiten her der Untergang. Die Spinnstuben, als die eigentlichen Säugammen dieser Sagen, sind verboten, die Verstandescultur schreitet auch unter dem gemeinen Manne sichtlich vorwärts, – möchte nur die religiöse und sittliche gleichen Schritt mit ihr halten! – die Gelegenheit und der Sinn zum Erzählen und Anhören möchte bald ganz fehlen.

Deshalb ist es die höchste Zeit zu retten, was noch zu retten ist, denn nur sehr Weniges ist bis jetzt, so viel mir bekannt, gesammelt und aufgezeichnet, und diese Zeilen sind an alle verehrl. Leser dieser Zeitschrift innerhalb beider Lausitzen, welche mit dem Volke in näherer Berührung stehen, ein Aufruf, eine Bitte: aufzuzeichnen, aus Volksmunde, möglichst getreu, mit den Worten des Erzählers, ohne etwas hinweg zu thun noch hinzuzusetzen, was sie von solchen Sagen gehört haben oder noch hören können.

Unser Magazin ist, glaube ich, ganz geeignet, solche Mittheilungen zu veröffentlichen und so eine Sammlung von Sagen beider Lausitzen vorzubereiten. Wie ich’s meine und was ich wünsche wird am besten näher bezeichnen und erläutern: „der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes. Herausgegeben von Ludwig Bechstein.“ so wie „die deutschen Volkssagen“ und die „Kinder- und Haus-Märchen“ von Grimm. Diese Bücher besitzt die Bibliothek der Gesellschaft und sie stehen jedem zu Dienst, welcher sich für diese Angelegenheit interessirt. Ich lasse hier einige Sagen folgen, die mir kürzlich mitgetheilt worden sind.

1. Das heilende Wasser.

An dem Fußwege nach der Mittel-Mühle, beim Städtchen Wittichenau, befindet sich ein fast wie ein Kreuz gestaltetes Holz über 4 Ellen hoch und eine halbe Elle dick, in welchem früher ein Muttergottesbild gestanden. Als einst eine verderbliche Pest in der O.L. wüthete und fast [202] alle Einwohner von Wittichenau gestorben waren, flüchtete sich der Ueberrest hierher. Wegen des großen Durstes, der sie quälte, tranken sie aus einer nahgelegenen Pfütze, wodurch sie gesund wurden.

2. Das versunkene Schloß.

Am Fußwege von Wittichenau nach Dubrig hat einst, ein Schloß gestanden. Wegen der Bosheit, Ungerechtigkeit und Sittenlosigkeit der Besitzer ist es versunken. Noch sieht man den Wallgraben und daneben ein Feld. Auch vernimmt der bei nächtlicher Weile vorbeieilende Wanderer nicht selten Geheul und Wehklagen und sieht Gestalten aus der Erde auftauchen und schnell wieder verschwinden.

3. Der unruhige Geist.

Auf den Litschener Teichdämmen steht eine alte ganz hohle Eiche. Bei derselben hörte man, öfters ein ängstliches Hülferufen, konnte aber nie etwas sehen. Einst ging ein Mann aus Litschena dort vorbei, und da er beherzt war, antwortete er dem Rufe und fragte was er helfen solle? Das unsichtbare Gespenst sagte, es sey eine Seele, die nicht zur Ruhe kommen könne, aber er könne sie zur Ruhe bringen. Morgen um 12 Uhr Mittags solle er nur mit der ganzen Schule, dem Küster und dem Geistlichen an die hohle Eiche hin ziehen, gleich als wollten sie einen Todten mit einem Leichensermon begraben. Das geschah zwar, aber die Uhren waren alle stehen geblieben und nach der Sonne konnte man sich nicht richten, weil ein trüber Tag war; man verpaßte also die rechte Zeit und kam zu spät an. Da fiel das Gespenst über sie her, huckte einigen auf, warf andere in das Wasser und alle ergriffen mit Schrecken die Flucht. Lange Zeit hat es noch alle Abende unter den Fenstern des Bauers gerufen und ihn heraus verlangt: er ist aber nie gekommen und endlich hat es der Geistliche beschworen und vertrieben.

[203]
4. Von einem bösen Herrn in Groß-Särchen.

In Groß-Särchen bei Hoyerswerda war einst ein gar böser Herr. Derselbe hat den dort vorbei fließenden Bach (um ihm eine andre Richtung zu geben?) mit einem Pfluge umgeackert; da er aber den davor gespannten polnischen Ochsen nicht gehörig bändigen konnte, so hat der Bach einen ganz krummen Lauf bekommen, den er noch heute hat. Derselbe Herr fuhr oft in wunderbar kurzer Zeit nach Dresden. Immer lenkte er selbst die Pferde und befahl dem Kutscher sich hinten in den Wagen schlafen zu legen. Einmal wachte der Kutscher aber auf und als er sich umsah nahm er wahr, daß die Reise nicht auf der Erde fort sondern durch die Luft ging. Im ersten Schreck schrie er laut und wollte aufstehen: sein Herr bedrohte ihn aber sehr und befahl ihm, sich ruhig wieder nieder zu legen, sie könnten sonst beide sehr unglücklich seyn. Ueber das Gespräch waren sie auch wirklich schon in Gefahr gekommen. Denn die Pferde, auf die der Herr nicht Acht gegeben, hatten sich nicht hoch genug gehalten und der Wagen war an die Spitze des camenzer Thurmes angefahren, welche noch bis auf den heutigen Tag davon krumm gebogen ist.

Dieser Herr hat auch bisweilen schwarzen Hafer in den Kacheltopf gethan und dazu einige Worte gesprochen. Darauf sind gleich Soldaten, anfangs nicht größer als Haferkörner, hervorgekommen; zusehends aber sind sie gewachsen und endlich wie andere Menschen geworden, haben sich im Schloßhofe aufgestellt und sind hin und her marschirt, wie der Herr sie commandirt hat. Wenn er dann wieder ein Paar Worte gesprochen, so sind sie kleiner und immer kleiner geworden und alle wieder in den Ofentopf hinein gegangen, und sah man hinein, da war darin nichts als schwarzer Hafer. Einmal behorchte der Großknecht den Herrn und merkte sich die Worte, und versuchte das Kunststück auch, als der Herr eben [204] auf dem Felde war. Es gelang ihm auch richtig; wie er aber die Soldaten wieder in den Kacheltopf bringen wollte, wußte er das Wort nicht, und sie fielen alle über ihn her und schlugen auf ihn los und er gerieth in große Todesgefahr. Der Lärmen, den sie machten, war so groß, daß der Herr ihn auf dem Felde hörte. Der kam schnell herzu gelaufen, befreite den vorwitzigen Großknecht, commandirte das wilde Heer in den Ofentopf hinein und machte es wieder zu Haferkörnern.[1]

Der Herausgeber.     

  1. Wer denkt nicht hierbei an Göthes Zauberlehrling und an die Räubergeschichte in „tausend und eine Nacht“ wo der böse Bruder auch das Wort nicht finden kann, das die Thür öffnet? Vgl. auch Grimms Kinder- und Hausmärchen. I. Bdchn. S. 369. Nr. 68. und III. S. 274.

Anmerkungen (Wikisource)

Die Sagen sind auch als Einzeltexte verfügbar unter:

  1. Das heilende Wasser
  2. Das versunkene Schloß
  3. Der unruhige Geist
  4. Von einem bösen Herrn in Groß-Särchen