Zum Arnoldi-Jubiläum

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Autor: Robert Keil
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Titel: Zum Arnoldi-Jubiläum
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 342, 344–346
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Zum Arnoldi-Jubiläum.
Von Robert Keil.

Am 21. Mai dieses Jahres vollendet sich ein Jahrhundert seit dem Tage, an welchem Ernst Wilhelm Arnoldi zu Gotha geboren wurde. Seine Vaterstadt, die Stätte seines Schaffens und Wirkens, und mit ihr das gesammte deutsche Vaterland feiern das Gedächtniß eines der wackersten Patrioten, eines der genialsten, schöpferischesten Vorkämpfer auf dem Gebiete nationaler Selbsthülfe und Förderung des Nationalwohlstandes. Die „Gartenlaube“ hat bereits im Jahrgange 1870, Seite 872, eine Lebensskizze und das Portrait Arnoldi’s gebracht. Die seitdem, und insbesondere bei Gelegenheit des fünfzigjährigen Jubiläums der Begründung der deutschen Lebensversicherungsbank in Gotha, erfolgten Veröffentlichungen über seinen Lebensgang und über die von ihm geschaffenen segensreichen Institute, wie die soeben erschienene dankenswerthe Festschrift Julius Hopf’s: „Ernst Wilhelm Arnoldi und seine Schöpfung, die Feuerversicherungsbank für Deutschland“ (Gotha 1878), setzen uns in den Stand, bei der jetzigen Gedächtnißfeier des verdienstvollen Mannes zu jener Lebensskizze einige Ergänzungen zu geben.

Einen gründlichen systematischen Unterricht hat Arnoldi in seiner Kindheit nicht genossen. „Anlaß zur Lectüre,“ erzählt er, „wurde mir weder von meinen Eltern noch Lehrern gegeben. Jene waren unausgesetzt mit Erwerben und Erhalten beschäftigt und meinten, nachdem für die körperliche und sittliche Erziehung gesorgt worden, für die weitere Bildung der älteren Kinder genug gethan zu haben, wenn sie sie zu den angenommenen Privatlehrern schickten und diese gut bezahlten.“ Den reichen Schatz umfassender Kenntnisse, der ihn im späteren Leben abzeichnete, hat sich Arnoldi durch eifriges Selbststudium erworben, auch insofern wurde er alles, was er wurde, aus eigener Kraft.

Nach den heiter-ernsten Jahren der Lehre und der weiteren kaufmännischen Ausbildung, die er in Hamburg genossen, kam er 1799 nach Gotha zurück und ward zunächst Gehülfe, doch schon nach Verlauf von vier Jahren Theilhaber in der Handlung seines Vaters, welche er später im Verein mit seinen Brüdern fortführte. In dieser Stellung, als Haupt eines engverbundenen und glücklichen Familienkreises, in bürgerlicher, einfacher Häuslichkeit, hatte er sich bereits vor dem Jahre 1817 (dem Beginne seiner Schöpfungen) zu dem herausgebildet, was ihn und seine Werke charakterisirt, zu dem Manne lebhaften Geistes, durchdringenden Verstandes und schöpferischer Thatkraft, der mit dem Finanzgenie unermüdlichen Fleiß, Zähigkeit, Vorsicht und Energie verband. Patriot, voll Begeisterung für das Gute und Schöne, und selbst poetischen Talentes, war er zugleich der praktische Mann, der seine Ideale und Pläne muthig und unerschrocken verwirklichte. Fern von jedem engherzigen Egoismus, erfüllt vielmehr von selbstlosester Menschenliebe, stand er treu zu seinem Wahlspruche: „Du lebst für Dich, wenn Du für Andere lebst.“

Die schmachvolle napoleonische Gewaltherrschaft über Deutschland war vom deutschen Volke in blutigen Schlachten abgeworfen; das seit Jahrhunderten in ohnmächtiger Zerrissenheit gehaltene deutsche Volk fühlte sich wieder eins und ersehnte und hoffte eine freiheitliche, vom Auslande unabhängige politische und nationalökonomische Einigung. Mit vollem Feuereifer theilte Arnoldi diese Sehnsucht, dieses Streben, und wirkte in seinem Kreise und, so weit seine Kräfte reichten, energisch für die Erlangung jenes Zieles. Von dem Wunsche erfüllt, einen Schutz der inländischen Production gegen Uebervortheilung und Ausbeutung durch die egoistische Handelspolitik der fremden Staaten mit vereinten Kräften anzubahnen, machte er im Jahre 1817 öffentlich einen ausführlichen Vorschlag zu einem Bunde unter den deutschen Fabriken und schuf die kaufmännische Innungshalle zu Gotha – eine Art von Handelskammer, eine Vereinigung der Kaufleute der Stadt zur Wahrung der eigenen gewerblichen Interessen und zur Förderung gemeinnütziger Unternehmungen. So schuf er 1818 die Gothaische Handelsschule, jene auf Hebung der Bildung des kaufmännischen Standes abzielende Unterrichtsanstalt, [344] welche bald großes Ansehen in Deutschland erlangte und zu einer Musteranstalt sich aufschwang. So verfaßte er ferner im Namen zahlreicher Fabrikanten und Kaufleute Thüringens 1819 eine Adresse an den Bundestag und forderte darin die Erfüllung des in der Bundesacte gegebenen Versprechens, sofort bei der ersten Zusammenkunft der Versammlung in Frankfurt wegen des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten in Berathung treten zu wollen. Schleunige Herstellung des freien Handels und Gewerbsverkehrs im Innern des deutschen Bundesgebietes und Sicherstellung des deutschen Gewerbfleißes gegen gänzliche Lähmung und Vernichtung mittels einer kräftigen, gemeinsamen Handelspolitik – das war es, was die Adresse verlangte.

Hatte sich auch der wackere Mann in seinem Vertrauen auf den deutschen Bundestag bitter getäuscht, legte auch die dortige Kurzsichtigkeit und Perfidie die Bittschrift verächtlich bei Seite, so blieb doch der Patriot Arnoldi, auch während der Zeit der tiefsten Erniedrigung Deutschlands, unerschrocken einer der tapfersten Agitatoren für Aufrichtung eines deutschen Zoll- und Handelsbundes. Ein von ihm herausgegebenes Taschenbuch für Freunde des deutschen Handelsvereins eröffnete er 1820 mit den Versen:

Was ich Euch zeige? Es schwimmt noch leuchtend im Strome der Zeiten,
Aber die Zeiten sind trüb, und es enteilet der Strom.
Freunde! Erkennet das Riff und steuert behutsam den Nachen,
Denn er ist leck schon. Er sinkt, wenn ihn die Brandung erreicht.

Während der nächsten Jahre schritt er zu den segensreichen Acten nationaler Selbsthülfe, welche seinen Namen unsterblich gemacht haben. Die interessante Entwickelung derselben läßt sich jetzt klar erkennen und verstehen. Es bestanden damals fast überall nur staatliche oder communale „Brandcassen“ zur Sicherung der Gebäude gegen Feuersgefahr, während für Versicherung des Mobiliarvermögens fast nichts gethan wurde. In England war zuerst der Gedanke aufgetaucht, aus dem Großbetriebe der Feuerversicherung ein gewinnbringendes Geschäft zu machen, und die englischen Capitalgesellschaften (Londoner Phönix etc.) hatten, ohne Concurrenz und daher mit hohen Prämien, ihr Geschäft in solchem Maße auf Deutschland ausgedehnt, daß der deutsche Markt vom Auslande förmlich ausgebeutet wurde. Hiergegen lehnte sich Arnoldi’s ökonomischer und patriotischer Sinn auf, und schon im Frühjahr 1817 sprach er im „Allgemeinen Anzeiger“ den Gedanken aus: „Wenn durch die Vereinigung aller deutschen Fabriken und Manufacturen für gemeinschaftliche Zwecke eine Versicherungsanstalt gegen Feuersgefahr zu Stande käme, so würde der Ueberschuß der Prämie dem gemeinsamen Vaterlande und den Fabriken unter sich durch diese Anstalt erhalten sein; wie die Sachen gegenwärtig stehen, bleibt dieser Ueberschuß der Phönix-Assecuranz-Societät in London.“ Im folgenden Jahre führte ihn ein eigenthümliches zufälliges Ereigniß zu dem Entschlusse, den Gedanken zur Ausführung zu bringen. Es sei mir vergönnt, nach Hopf’s oben erwähnter Festschrift Arnoldi’s eigene Erzählung des merkwürdigen Zufalls und sein ihn schilderndes sinniges Gedicht hier wiederzugeben:

„Als ich 1818 mich in Köln aufhielt, wurde durch den Umstand, daß ich auf dem Wallgrunde im Brandschutt einen Boraciden von seltener Größe und Schönheit fand, der Gedanke in mir angeregt, welcher zur Begründung der Feuerversicherungsbank führte. Am nämlichen Tage vertauschte ich den Krystall gegen eine in Eisen geschnittene Antike, welche ein junger Mann mir zudringlich dafür anbot. Ich habe sie seitdem wie ein Kleinod bewahrt.

Auf Kölns, der alten Reichsstadt, Festungswerken
Ergeh’ ich mich, und auf dem alten Grund,
Der neue Wälle hülfreich soll verstärken,
Und thu’, im Schutte schwankend, einen Fund.
Aus Brandestrümmern, seitwärts ausgeschieden,
Trifft mich der Glanz von einem Boraciden.

Und den Krystall bewundernd, fällt ein Kummer
Mir auf das Herz gleich einem Zauberdunst,
Erweckend aus dem jahrelangen Schlummer
Die Sorge um des blinden Glückes Gunst,
Dem wohl’ allein es füglich beizumessen,
Hat uns’re Hab’ der rothe Hahn vergessen.

Doch sieh! der Sorg’ entspringt ein schöner Funke
Und lodert auf zu einem reinen Licht;
In einen Phönix wandelt sich der Unke,
Der Kummer weicht dem heitersten Gesicht;
Denn ein Gedanke glänzt auf trübem Grunde
Und blitzt durch’s Aug’ und schwebet auf dem Munde.

Die Sonne taucht vom reinsten Abendhimmel
Gleich einer Braut erröthend in den Rhein;
Mein Ohr vernimmt nichts von der Stadt Getümmel;
Versunken bin ich mit dem Stern hinein
In’s Flammenmeer, und wie die Wellen blinken,
Glaub’ ich vom Strom ein Himmelslicht zu trinken.“

Nach Gotha zurückgekehrt, schritt er zur Ausführung des Gedankens, der „ihm durch das Auge geblitzt und auf dem Munde geschwebt“ hatte. In der Innungshalle wurde von ihm die Versicherungsfrage erörtert und die erkannte Nothwendigkeit verhandelt, dem deutschen Handelsstande ein weniger kostspieliges Versicherungsmittel gegen Feuersgefahr zu verschaffen, als Engländer, Franzosen und Deutsche in den bestehenden Anstalten darboten. Der Gedanke fand verdienten Beifall, Arnoldi aber blieb die Seele des Unternehmens. Vereinigung der Versicherungsbedürftigen zum Selbstbetriebe mittelst wechselseitiger Gewährleistung war die Parole. Die Grundsätze voller Gegenseitigkeit, der Selbstverwaltung und der Oeffentlichkeit wurden zur Basis des Ganzen genommen, als Gebiet des Unternehmens von vornherein ganz Deutschland angesehen, aber die Theilnahme aus Vorsicht zunächst nur auf Kaufleute beschränkt, bei welchen ohnehin die Bedürfnißfrage am meisten vorlag. Unter dem 18. August 1819 wurden, von Arnoldi verfaßt, diese „Vorschläge zur Errichtung einer Feuerversicherungsbank für kaufmännische Waarenlager, Kaufmannshäuser und das Mobiliar derselben“ von sechszehn Gothaischen Firmen im „Allgemeinen Anzeiger“ der Kritik der deutschen Kaufmannswelt unterstellt.

„Anders würde es sein,“ so heißt es in den Vorschlägen, „wenn an die Stelle von Versicherungsgesellschaften eine Versicherungsbank tritt, deren Theilnehmer zugleich Versicherer und Versicherte sind und die an der Spitze der Verwaltung ihrer Bank nur Männer ihrer Wahl erblicken; es kann eine allgemeine deutsche Versicherungsanstalt zum Vortheil der Banktheilnehmer und des deutschen Vaterlandes daraus hervorgehen; die Idee ist keine Frucht engherziger Gewinnsucht, vielmehr könnte sie einem unscheinbaren, aber Segen verheißenden Samenkorn, in deutsche Erde gelegt, verglichen werden.“

Unter eifriger Mitwirkung der Gesinnungsgenossen in anderen thüringischen Städten, namentlich in Erfurt, Langensalza, Eisenach und Arnstadt, kam die Versicherungsbank und ihre Verfassung zu Stande; sie erhielt die landesfürstliche Genehmigung, und mit froher Genugthuung konnte im November 1820 Arnoldi einem Freunde schreiben: „Die Versicherungsbank ist in Correspondenz mit ganz Deutschland und findet überall Eingang und Anerkennung; ein solches Kind macht Freude.“

Mit Neujahr 1821 wurde die „Feuerversicherungsbank für den deutschen Handelsstand“ eröffnet. Sie war die erste große deutsche Nationalanstalt. In einer Zeit, in welcher von der herrschenden Metternich’schen Politik der deutsche Gedanke im deutschen Vaterlande politisch geächtet war, war diese Versicherungsbank, als die freie That deutscher Bürger, die erste große, ganz Deutschland umfassende wirthschaftliche Schöpfung. Arnoldi, der Schöpfer des Werkes, war auch sein erster erwählter Director. Schon am Schluß des ersten Geschäftsjahres berechneten sich die Versicherungen auf 13,500,000 Thaler, die Zahl der Policen auf 1804 mit etwa 54,000 Thaler Prämieneinnahme und es konnten 31 Procent als Ueberschuß zurückgewährt werden. Trat auch Arnoldi am 10. Februar 1822 von der Direction zurück, seine Schöpfung gedieh auf den von ihm erhaltenen soliden Grundlagen weiter, und nachdem im Jahre 1830 die Bank, welche inzwischen unter allen Ständen bedeutenden Anhang gewonnen, zu einer „Feuerversicherungsbank für Deutschland“ sich erweitert hatte, wurde im Jahre 1834 dem Begründer des großen Vereins von dessen Mitgliedern eine Ehrengabe dankbar dargebracht.

Die nach der Niederlegung der Direction gewonnene Muße gab Arnoldi die Möglichkeit, sich der Erwägung und Ausführung eines gleich großen, ja noch großartigeren Projectes zu widmen: der Begründung einer Lebensversicherung auf derselben [345] Grundlage der Gegenseitigkeit. Noch kein einziges deutsches Institut existirte, welches bei der Ungewißheit der Dauer des menschlichen Lebens dem für die Seinigen besorgten Familienvater es möglich machte, seiner Familie ein gewisses Vermögen zu hinterlassen. Nur englische Versicherungsanstalten bestanden mit ihren blos auf großen Geldgewinn angelegten Tarifen. Wie, wenn auch dies englische Monopol lahm gelegt wurde? Am Abende des Tages, da ihm von den drei leitenden Beamten der Feuerversicherungsbank zum Zeichen der Dankbarkeit und Verehrung ein silberner Pokal überreicht worden war, im September 1823, verfaßte er eine Denkschrift, in welcher er die schon längere Zeit durchdachte Idee der Gründung einer deutschen Lebensversicherungsanstalt zu erörtern und die ihm selbst dagegen gekommenen Bedenken „zu besiegen“ suchte.

Aber auch äußere Anlässe fehlten für ihn nicht, der Sache näher zu treten. In der „Gartenlaube“ Jahrgang 1865, S. 12 ff., 123 ff., 152 ff. hat in dem Artikel „Das Werk eines deutschen BürgersLudwig Walesrode eine lebhafte und ausführliche Schilderung der damaligen seltsamen Vorkommnisse gegeben: der kostspieligen Tollheiten des Herzogs August von Gotha, der Schulden desselben bei den Bürgern Gotha’s und der Insolvenz seines Nachlasses – hat unseren Lesern berichtet, wie sodann Herzog Friedrich der Vierte von seinen „Unterthanen“ in englische Lebensversicherungen eingekauft wurde, und den nach des geistesschwachen Herzogs Tode entstandenen deutsch-englischen Lebensversicherungsproceß mit englischem Gerichtshofe in Gotha, schamlosen Zeugenaussagen und riesigen englischen Proceßkosten erzählt. An jenem Rechtshandel mit dem für die deutschen Interessenten so kläglichen Ausgange war auch Arnoldi betheiligt. Mußte nicht jener unerhörte Scandal, welcher es den deutschen Klägern unmöglich machte, zu Anerkennung ihres guten Rechtes zu gelangen, einen genialen, thatkräftigen Mann wie Arnoldi zu neuem Nachdenken darüber veranlassen, wie der Alleinherrschaft so wenig vertrauenswürdiger englischer Versicherungsgesellschaften auch auf diesem Gebiete in Deutschland ein Ziel zu setzen sei? Hierzu kam nun endlich noch eine unmittelbare öffentliche Aufforderung von befreundeter Seite. Im Frühlinge 1827 gab der Obermedicinalrath Dr. L. F. von Froriep zu Weimar, der verdiente medicinische Schriftsteller und Lehrer, in dem von ihm geleiteten, von seinem Schwiegervater Bertuch gegründeten Landesindustriecomptoir in Weimar die „Vergleichende Darstellung der verschiedenen Lebensassecuranzgesellschaften“ des englischen Mathematikers Babbage in deutscher Uebersetzung heraus und widmete diese Schrift „dem durch Errichtung der großen wechselseitigen Feuerversicherungsanstalt in Deutschland hochverdienten Herrn Wilhelm Ernst Arnoldi zu Gotha, mit dem Wunsche, daß derselbe sich auch für Einführung einer Lebensassecuranzgesellschaft auf dem Grundsatze der Wechselseitigkeit in Deutschland mit Erfolg interessiren möge“.

Diese Mahnung verfehlte ihren Zweck nicht. Unter dem 12. Mai 1827 sprach Arnoldi durch einen Brief an Froriep seine Freude, seinen Dank aus. „Seit drei Jahren,“ bemerkte er hierbei, „beschäftigt mich der Gedanke, meinem deutschen Vaterlande eine Lebensversicherungsbank zu verschaffen oder zu erschaffen, wie ich ihm eine Feuerversicherungsbank begründet habe, desgleichen keine zweite auf Erden ist.“ Er stellte die Vorlegung seines Planes in nächste Aussicht, bemerkte aber schon jetzt: „Diese Sache läßt sich nicht vom deutschen Handelsstande umgrenzen, sie nimmt alle Stände in Anspruch.“

Wohl waren hier die Schwierigkeiten viel bedeutender, als bei der Feuerversicherung, und leider nahm unter ihnen die in vielen Kreisen des Volkes gegen das neue Project herrschende Gleichgültigkeit eine der ersten Stellen ein; es fehlte überdies für dieses an jedem Vorbilde. Aber welche Schwierigkeit wäre für Arnoldi’s Finanzgenie und Thatkraft unüberwindlich gewesen, wo es wie hier ein Unternehmen deutschen Gemeingeistes Sicherung des Wohlstandes von tausend und abertausend Familien galt? Mit Feuereifer, in edelster, reinster, selbstlosester Absicht ging er an das Hauptwerk seines Lebens, unter Beihülfe von C. A. Becker und im Bunde mit von Froriep und Johann[WS 1] Bartholomäus Trommsdorf zu Erfurt. Am 9. Juli 1827, erfolgte die landesfürstliche Genehmigung des Planes, und nachdem, als das Ergebniß sorglicher Berathungen des provisorischen Ausschusses, die Verfassung festgestellt worden war, wurde die Lebensversicherungsbank in Gotha mit 846 Policen für 813 Personen und 1,452,100 Thalern Versicherungssumme am 1. Januar 1829 eröffnet. Arnoldi war ihr erster Director und blieb es bis an seinen Tod. In welchem Geiste er diese neue, ebenfalls auf Gegenseitigkeit und Oeffentlichkeit basirte Versicherungsbank begründet, erhellt aus dem charakteristischen Inhalt des ersten von ihm an die Agenten gerichteten Circulars vom 18. December 1827. „Es gilt hier keineswegs,“ sagt er ausdrücklich, „eigennützigen Unternehmern Vorschub zu leisten. Das Augenmerk der Beförderer des Unternehmens kann kein anderes sein, als für eine philanthropische Nationalanstalt mit Erfolg zu wirken, die als Eigenthum Aller, welche zum Besten der Ihrigen sich derselben anschließen werden, auch Allen ohne Ausnahme in einem und demselben Sinne zum Nutzen gereichen wird. Diese Betrachtungen sind es hauptsächlich, welche die Gründer der Bank begeistern. Stark durch gemeinschaftliches verständiges Streben für einen guten Zweck und durch gegenseitige Unterstützung, werden die Deutschen, mit Hülfe dieser ihnen ganz eigenthümlichen Anstalt, leicht jene Schätze überbieten, womit ganz vorzüglich die Lebensversicherungsanstalten der Engländer imponiren; unserer Anstalt wird die hier sich offenbarende Gesinnung mehr Licht verleihen, als jene Schätze, ständen sie ihr zu Gebote, ihr verleihen könnten, und unsere Zeit, überhaupt durch einen für wahre Menschenliebe empfänglichen Geist ausgezeichnet, wird durch Gründung der Lebensversicherungsbank sich ein bleibendes Verdienst um alle Zeiten erwerben.“

Sie hat sich dasselbe erworben, vor Allem aber Arnoldi, welcher sie Tausenden von Familien zum Segen geschaffen hat. Und er, ihr Begründer, freute sich dessen von Herzen.

Mit voller innerer Befriedigung konnte er im Alter auf sein Leben und auf die segensreichen Resultate seiner blühenden Schöpfungen hinblicken. Im Jahre 1840, seinem vorletzten Lebensjahre, war bei der Feuerversicherungsbank die Versicherungssumme auf 784,456,101 Mark angewachsen, mit 2,837,817 Mark Prämieneinnahme, wovon nicht weniger als 1,754,034 Mark, also 63 Procent, den Versicherten als Ueberschuß zurückgewährt wurden; die Lebensversicherungsbank war in demselben Jahre auf 10,570 Versicherungen mit 51,850,500 Mark Versicherungssumme angewachsen.

Im folgenden Jahre, am 27. Mai 1841, wurde Arnoldi aus der Fülle seiner Thätigkeit, aus seiner regen, dem Gemeinwohl gewidmeten Arbeit durch den Tod abgerufen. Groß und allgemein war die Trauer um den Dahingeschiedenen und ließ schon wenige Tage nach seinem Tode einen Verein zur Stiftung eines Ehrengedächtnisses zusammentreten, welches denn auch in Form eines mit Arnoldi’s Bild gezierten Denkmals zwei Jahre später auf dem gegenwärtig seinen Namen tragenden Platz am Eingang der Stadt Gotha errichtet worden ist.

Das größte und herrlichste Denkmal hat er sich selbst in den von ihm in das Leben gerufenen segensreichen Instituten gesetzt. Noch blüht die Handelsschule, welche vor zehn Jahren ihr fünfzigjähriges Jubiläum gefeiert hat. Es blühen, in stetem Fortschritt erweitert und verstärkt, die beiden Versicherungsbanken. Der großen Concurrenz ungeachtet und obgleich sie beim Hamburger Brande 1842 selbst eine schwere Feuerprobe zu bestehen hatte, weist die Feuerversicherungsbank (mit 14 Generalagenturen und etwa 950 Agenturen) jetzt 2,684,164,000, also fast 3 Milliarden Mark Versicherungssumme mit 7,830,340 Mark Prämieneinnahme vom Jahre 1877 auf, wovon nicht weniger als 80 Procent als Ueberschuß zurückgewährt worden sind. In den verflossenen 57 Jahren ihres Bestandes hat die Bank im Ganzen von ihren Theilhabern über 193,000,000 Mark an Prämie erhoben, davon über 55,000,000 Mark für Brandschäden vergütet und über 120,000,000 Mark als Ueberschuß zurückgezahlt!

Ueber die Einrichtung der Lebensversicherungsbank in Gotha hat sich bereits der obenerwähnte Walesrode’sche „Gartenlauben“- Artikel von 1865 ausführlich verbreitet. Er hat uns die Bank geschildert, deren „Soll und Haben“ sich um Leben und Sterben dreht, er ist den Lesern ein Führer gewesen durch die Geschäftslocale im Gebäude der Lebensversicherungsbank in Gotha, in denen der Tod, der unheimliche Kunde der Bank, seine Wechsel präsentirt. Unter allmählicher Verdichtung des Agenturnetzes hat sich die Bank auch seit dem Jahre 1865 in erfreulichster Weise zum Segen unseres Gesammt-Vaterlandes weiter entwickelt. Das [346] Jahr 1876 weist an seinem Schlusse den kolossalen Bestand von 48,707 Teilhabern mit 307,551,700 Mark Versicherungssumme auf! Am 9. Juli 1877 feierte die Bank ihr fünfzigjähriges Bestehem, und Arnoldi’s ältestem Sohne, dem Bankbuchhalter Ernst August Arnoldi, welcher schon bei Eröffnung der Bank in deren Dienste getreten, war es von einem glücklichen Geschick beschieden, zugleich mit der Jubelfeier der Schöpfung seines Vaters sein eigenes goldenes Jubiläum zu feiern.

Jetzt feiert dankbar das gesammte Vaterland das hundertjährige Geburtsfest des edlen Mannes, der, ein schlichter deutscher Bürger, aus eigener Kraft, in Patriotismus und Menschenliebe für sein Volk und dessen Heil so Großes gewirkt und geschaffen hat. Mit allem Recht läßt von ihm sich sagen, was unser Altmeister Goethe seinen Faust sagen läßt:


          Es kann die Spur von seinen Erdetagen
          Nicht in Aeonen untergehn!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Johannn