Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten/3. Der Graf Hahn
3. Der Graf Hahn. Von Adolf Meyer.
Die Romantik der deutschen Bühne ist dahin. Mit Hendrich’s Tode schloß sie das Thor ihrer Wundergärten und stieg mit ihrem letzten Repräsentanten in’s Grab. Nach und nach folgten ihr die treuen Trabanten, die sogenannten Bühnenoriginale. Sie nahm sie mit sich in’s Reich der Vergessenheit. Das Leben dieser Bühnen-Trabanten war ein Stück Poesie, ein Stück jener duftigen, zauberhaften Romantik, die sich über das ganze damalige Theaterleben gleichsam ergoß.
Die originellste Erscheinung, die mir auf meinem Bühne-Wanderpfade begegnete, war der Graf Karl Hahn-Neuhaus. Nie wird diese Begegnung aus meiner Erinnerung schwinden. Graf Hahn-Neuhaus verdient es, der Vergessenheit entrissen zu werden, um bei dem jungen Nachwuchs der deutschen Bühnenwelt in frischem Andenken fortzuleben; denn Keiner wohl hat wie er dem Theater so ungeheure Opfer gebracht, Keiner ist der Bühne bis zu seinem letzten Stündlein so treu geblieben, wie er. Ich will es versuchen, dem geneigten Leser aus dem so vielbewegten Leben dieses seltenen Mannes interessante Ereignisse mitzutheilen, die ich theils selbst mit ihm erlebte, theils der Mittheilung meiner Collegen, die früher als ich dem originellen Greise nahe gestanden, verdanke.
Graf Karl Hahn-Neuhaus erblickte das Licht der Welt auf dem Gute Remplin in Mecklenburg im Jahre 1782. Das Schicksal bettete den kleinen Grafensohn in den Schooß eines [460] ungeheuren Reichthums. Sein Vater besaß zur Zeit seiner Geburt neunundneunzig Rittergüter in Mecklenburg-Schwerin, war demnach der größte Grundbesitzer des nördlichen Deutschlands.
Das zarte Alter des keinen Grafen hütete eine sogenannte Bonne bis zu seinem achten Jahre, dann aber schickte ihn sein Herr Papa nach Stockholm zu einem Onkel, der dort ein Regiment commandirte, um ihn den Pagen des Königs Gustav des Dritten einzureihen. Die Prachtliebe und der hohe Kunstsinn des Schwedenkönigs legten die ersten Keime zu der nachherigen überschwenglichen Pracht- und Theaterliebe in die Seele des kleinen Grafen; gar oft sprach er als hochbetagter Greis mit jugendlichem Feuer von jener Zeit, die er als Kind in Stockholm verlebt hatte. Oft erzählte er uns von den prachtvollen Ausstattungen der Opern und Ballets, welchen er damals mit beigewohnt. Ganz deutlich erinnerte er sich jener Ballnacht im Opernhause, wo König Gustav der Dritte durch die Hand Ankarström’s fiel. Ich werde später Gelegenheit finden, den Grafen selbst jene so verhängnißvolle Katastrophe erzählen zu lassen.
Nach dem Tode des Königs Gustav des Dritten wurde der junge Graf von seinem Vater nach Schloß Remplin zurückgerufen, um unter Obhut eines Hofmeisters an den Hof nach Schwerin zu gehen, wo er später mit dem jungen Erbgroßherzog Franz innig befreundet wurde. In Schwerin erhielt der kleine Cavalier von seinem Vater einen förmlichen Hofstaat, um es womöglich dem jungen Erbgroßherzog gleich zu thun. Der damals erst zehnjährige Knabe hatte Jäger, Bediente, die kostbarsten Pferde und Equipagen zu seiner Disposition. Nebenbei erhielt der kleine Graf Hahn von seinem Herrn Papa ein sehr bedeutendes Taschengeld, das wohl mit dazu beitrug, daß er nie den Werth des Geldes zu schätzen verstand. Schon damals gab er davon ein eclatantes Beispiel.
Einst spielte er mit dem jungen Erbgroßherzog auf dem heiligen Damm bei Doberan am Strande der Ostsee das sogenannte Wasserhüpfen, indem die munteren Knaben die spiegelglatte Oberfläche der See mit eigens dazu ausgesuchten flachen Steinen bewarfen. Als der kleine Erbgroßherzog gewahrte, daß die Würfe seines Freundes besser gelangen als die seinigen, sagte er zu seinem Freund: „Karl, wie machst Du’s, daß Deine Steine viel öfter aufschlagen und weiter hüpfen als die meinen?“ „Ja,“ antwortete der kleine Hahn, „ich werfe nicht wie Du mit Steinen, sondern mit Dritteln.“[1]
Im Jahre 1799 lebte Graf Hahn mit einem älteren Bruder längere Zeit in Hamburg, wo eine französische Schauspielertruppe, die im Apollotheater auf der großen Drehbahn Vorstellungen gab, seine höchste Aufmerksamkeit erregte. Eben so interessierte das Stadttheater unter Schröder’s Leitung ihn ausnehmend.
Drei Jahre später finden wir den theaterliebenden Grafen als flotten Studenten auf der Universität Greifswalde, um allda Cameralia zu studiren. Dort beschäftigte er sich mehr mit der damals in Greifswalde spielenden Klos’schen Schauspielertruppe, als mit dem Studium. Klos benutzte die Schwäche des jungen Grafen, indem er von demselben bedeutende Summen lieh, die er mit schwarzer Kreide in den Schornstein schrieb.
Durch rasch hintereinander folgende Todesfälle in seiner Familie gelangte Graf Hahn 1803, in seinem kaum vollendeten einundzwanzigsten Jahre in den Vollbesitz eines kolossalen Vermögens, über welches ihm jedoch schon nach fünf Jahren, seiner ungeheuren Verschwendungssucht wegen, auf Antrag seiner Verwandten, die freie Disposition entzogen wurde. Man setzte ihm eine Jahresrente von achttausend Thalern aus.
Aus jener Zeit, wo dem Grafen Hahn vergönnt war über sein Vermögen frei zu disponiren, erzählt man sich die unerhörtesten Dinge von seiner maßlosen Verschwendung. So ließ er zum Beispiel in seinem Schlosse Remplin ein Theater bauen, das nahe an 60,000 Thaler gekostet haben soll. Als die Königin Louise von Preußen im Jahre 1805 ihre hohen Verwandten in Mecklenburg-Strelitz besuchte, führte sie ihr Weg über Remplin. Der galante junge Graf ließ es sich nicht nehmen, die vom Volke fast angebetete Fürstin auf seinem Grund und Boden mit wahrhaft königlichen Ehren zu empfangen. Die große Allee, die zum Schlosse führte, krönte eine Ehrenpforte, die durch die kostbarsten und seltensten Gewächse geschmückt war. Die Königin weilte bis zur einbrechenden Nacht in Remplin. Kaum hatte die eintretende Dunkelheit den mächtigen Park des Schlosses nach und nach in Nacht gehüllt, so ließ der Graf der Königin zu Ehren ein prachtvolles Feuerwerk abbrennen. Die hohe Frau nahm dasselbe von einem Zelte aus in Augenschein, das zu diesem Zwecke aus den kostbarsten orientalischen Stoffen in der Mitte des Parks errichtet war.
Als das Feuerwerk beendet, erhob sich die Königin, um in der bereits harrenden Equipage ihre Reise fortzusetzen. Galant bot Graf Hahn der wunderbar schönen, gefeierten Frau den Arm, um sie durch den Park zum Wagen zu geleiten. Kaum hatte die Königin die Allee betreten, die zum Ausgang führte, so verbreitete sich über den ganzen Park ein heller Feuerschein. Erschrocken blickte sich die Fürstin um und sah zu ihrem Schrecken das kostbare Zelt in hellen Flammen stehen. Graf Hahn, der das Erstaunen der hohen Frau sofort bemerkte, sagte mit ritterlicher Galanterie, indem er sich tief verneigte: „Nach Preußens angebeteter Monarchin soll kein Sterblicher mehr unter diesem Zelte weilen.“
Nicht sehr lange nach dieser theuren Brandstiftung gastirte Iffland, damals Generaldirector der königlichen Bühnen in Berlin, auf besonderen Wunsch des Großherzogs in Schwerin. Es versteht sich von selbst, daß Graf Hahn keinen Augenblick säumte nach Schwerin zu reisen, um den Darstellungen des berühmten Mimen beizuwohnen. Er war entzückt von der eminenten Künstlerschaft Iffland’s und ruhte nicht eher, bis Iffland ihm das Versprechen gab, auf seinem Schloßtheater zu spielen. Nach drei Wochen erschien der große Künstler wirklich als Gast des überglücklichen Grafen in Remplin. Der Graf schwamm in einem Meere von Seligkeit, und Iffland war entzückt über seine Aufnahme; er ließ es sich gefallen, dem Verlangen des Grafen nachzukommen, in Kotzebue’s Ritterkomödie „Die Kreuzfahrer“ den Balduin von Eichenhorst zu spielen. Graf Hahn selbst spielte den Emir. Die übrigen Rollen waren durch die Noblesse der Nachbarschaft vertreten, so daß Iffland sich in der ausgewähltesten Gesellschaft auf der Bühne befand.
Das Publicum, welches das Ritterstück mit anschauen sollte, war durchaus nicht so exclusiv, wie die Darsteller desselben. Die ersten Plätze im Theater waren der Noblesse vorbehalten, die übrigen – nahm eine sehr gemischte Gesellschaft ein. Kurz vor Beginn der Vorstellung trat Graf Hahn im kostbaren Costüm des Emirs auf die Bühne. Mit Kennerauge überflog er das Arrangement der Decorationen und versicherte sich, daß sämmtliche Requisiten vorhanden wären. Da bemerkte er, als er durch das Loch im Vorhange sah, daß die ganze Galerie unbesetzt geblieben. Sofort befahl er seinen Bedienten, die schon als Knappen und Türken costümiert waren, die vor dem Theater gaffenden Bauern in aller Eile auf die Galerie zu treiben. „Schafft mir die Tölpel in’s Theater! Iffland soll nicht bei mir vor leerem Hause spielen. Und daß mir die Lümmel tüchtig in die groben Hände schlagen, wenn Herr Iffland auf die Bühne kommt! Einer von Euch giebt den Tölpeln das Zeichen, wenn Herr Iffland auftritt!“
Nachdem er diesen Befehl ertheilt und noch einmal auf der Bühne eine strenge Musterung gehalten, führte er seinen gefeierten Gast in die Garderobe. Bei seinem Eintritt bemerkt Iffland auf einem sogenannten Garderobeständer eine prachtvolle, vollständige Ritterrüstung von gediegenem Silber. Erstaunt fragt der Künstler den vor Wonne strahlenden Grafen: „Soll ich in dieser kostbaren Rüstung den Balduin spielen?“ Indem er sich vor dem Künstler tief verneigt, erwidert der Graf: „Der König der Schauspielkunst möge diese Waffen als sein Eigen betrachten und solche auch zu anderen Rollen anlegen!“ Iffland verweilte, vom Grafen hochgefeiert, volle drei Wochen in Remplin; dann ließ der Graf mit den schönsten Pferden seines Marstalls ihm bis Berlin Relais legen. Als nun Iffland in Berlin anlangte, übergab ihm der Kutscher einen Brief des Grafen, der die Bitte enthielt: Wagen und Pferde als sein Eigen zu betrachten.
Nachdem ein Iffland auf seiner Schloßbühne gespielt, war Alles für den Grafen fader Dilettantenkram. Verstimmt rief er: „All’ die Herren Grafen, Barone und Baronessen, die Komödie spielen wollen, haben nicht den geringsten Schauspielerpli; sie sind steif wie die Latten und zieren sich. Von nun an will ich mit wirklichen Schauspielern und Schauspielerinnen von Fach verkehren.“ Diesem Entschlusse folgte die That.
Schnell reiste er nach Schwerin; denn dort, glaubte er, [461] würde sein Verlangen am ersten gestillt. Allein er täuschte sich. Lange schon hatte sein Jugendgespiele, der inzwischen Großherzog von Mecklenburg-Schwerin geworden war, die von Tage zu Tage wachsende Leidenschaft des Grafen für die Bühne und die Opfer, die er derselben brachte, sehr mißbilligend bemerkt. Er erklärte dem Grafen rundheraus, es ferner nicht dulden zu wollen, daß ein Graf Hahn-Neuhaus, Landmarschall von Mecklenburg-Schwerin, auf seiner Hofbühne dem Theatermeister in’s Handwerk pfusche. Zugleich verbot er sämmtlichen Mitgliedern seines Hoftheaters bei Strafe der Entlassung, von dem Grafen Hahn Geschenke anzunehmen oder ihm Geld abzuborgen. Ueber diesen kategorischen Imperativ war Graf Hahn außer sich, doch konnte er dagegen nichts machen; er kannte den energischen Charakter seines Fürsten zu gut, um nicht zu wissen, daß er von Dem, was er einmal beschlossen, nie abging.
An einem Orte zu leben, wo es ein Theater gab, und mit demselben nicht verkehren zu dürfen, war für den Grafen Hahn ein Ding der Unmöglichkeit. Augenblicklich erbat er sich vom Großherzog einen unbestimmten Urlaub. Die Antwort auf sein Gesuch war kurz und bündig: „Graf Hahn mag gehen und fortbleiben, so lange er will. Franz.“
Nun waren die Fesseln der Convenienz gefallen. Graf Hahn war frei, ungebunden. Schnell reiste er nach Altona, wo das dortige Stadttheater von einem Doctor Albrecht geleitet wurde. Dort angelangt, ergötzte sich unser Graf nach Herzenslust; hier konnte der Großherzog von Schwerin seinem Landmarschall nicht verbieten, mit Schauspielern und Schauspielerinnen zu verkehren, ihnen Präsente zu machen und sich nach Herzenslust anpumpen zu lassen. Doch diese Herrlichkeit dauerte nicht lange. Der Oberpräsident von Holstein, Graf Blücher, legte auf Veranlassung des Großherzogs von Schwerin dem Grafen Hahn das Handwerk, indem er bei Entziehung der Concession dem Director Albrecht verbot, den Grafen Hahn die Bühne betreten zu lassen. Darüber empört, verließ Graf Hahn Altona und trat im Jahre 1813 in russische Dienste. Als Adjutant des Generals Tettenborn zog er mit diesem 1814 in Hamburg ein.
Zu dieser Zeit war Altona mit Truppen der Verbündeten außerordentlich gefüllt, so daß sich der Graf Blücher veranlaßt sah, die durch den Tod ihres Directors Albrecht verwaiste Truppe zu bestimmen, für eigene Rechnung in Altona theatralische Vorstellungen zu geben. Die kleine Künstlerrepublik kam dem Wunsche des Oberpräsidenten nach und stand sich sehr gut dabei. Das Theater war Abend für Abend überfüllt. Und dennoch drohte dem Unternehmen ein schnelles Ende. Intriguen aller Art verursachten in der Leitung des Ganzen eine chaotische Verwirrung. Jeder wollte herrschen, befehlen, anordnen. Den Ruin vor Augen sehend, wählte das Künstlervölkchen sich aus seiner Mitte einen Director, dem es das Steuer des lecken Schiffes anvertraute. Der Gewählte war ein Schauspieler Ruhland. Als Graf Hahn dies vernommen, hatte er nichts Eiligeres zu thun, als seinen Abschied zu nehmen, nach Altona zu eilen und sich dem neuen Director unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit als stiller Teilnehmer bei seinem Unternehmen anzubieten. Ruhland, der es voraussah, daß seine Directionsführung über kurz oder lang dennoch aus dem Leime gehen würde, wenn er sie selbstständig und allein fortführe, fand sich durch das Anerbieten des Grafen sehr geehrt und nahm dasselbe sofort an. Er ging auf alle Bedingungen, die ihm sein erlauchter Compagnon stellte, ein, die so ziemlich alle darin gipfelten, daß er sich um das Cassenwesen, der Graf aber unbeschränkt sich um die artistische Leitung des Unternehmens zu bekümmern habe.
Jetzt begann für das Altonaer Stadttheater eine Periode, die es wohl nie wieder erleben wird. Graf Hahn war nun in seinem Elemente. Die besten Künstler und Künstlerinnen von Ruf ließ er in Altona gastiren oder engagirte sie sogar mit großen Gagen. Eine kostbare Garderobe wurde nagelneu angefertigt. Von dem berühmten Decorationsmaler Qualio, der gerade zur Zeit in Hamburg war, ließ er die schönsten Decorationen malen, die allgemeine Bewunderung erregten, entführte seinem Großherzoge das ganze damals sehr berühmte Balletpersonal und brachte so den Altonaern wie den Hamburgern den ersten Begriff von einem Ballete bei. Auch das Orchester verstärkte er bedeutend und stellte an dessen Spitze den vortrefflichen Musikdirector Suck; kurz, wo er seine Prunk- und Verschwendungssucht walten lassen konnte, geschah es in reichem Maße.
Das Stadttheater in Hamburg vermochte mit dem Altonaer nicht zu rivalisiren. Altona sah eine Sophie Schröder in all’ ihren Glanzrollen und hörte den berühmten Tenor Gärstecker in seiner Blüthezeit. Jede damals lebende Bühnengröße Deutschlands veranlaßte Graf Hahn gegen große Honorare in Altona zu gastiren. Das Altonaer Publicum, an eine solche Pracht nicht gewöhnt, wurde verblüfft und stutzig; es fühlte sich nicht mehr behaglich in seinem Theater und ließ es nach und nach leer, wenn der Graf seine Prachtstücke und seinen Zauberspectakel losließ. Hamburg hätte wer weiß was darum gegeben, wären solche Opern und solche Pracht entwickelnde Spectakelstücke unter den damaligen Verhältnissen zu ermöglichen gewesen. Die Altonaer besuchten ihr Theater nur dann, wenn das Repertoire desselben sogenannte Rührstücke, wie „Menschenhaß und Reue“, „Das Kind der Liebe“, „Johanna von Montsaucon“ brachte. Ganz besonders machte damals der Klingemann’sche „Faust“ in Altona Furore. Dieses Schauder- und Zauberstück gab dem Grafen Gelegenheit, seinen ganzen Zauberapparat und Teufelsspectakel auf das Glänzendste loszulassen. Feuerregen, bengalische Flammen, Teufelsfratzen und Teufelslärmen wurde angebracht, wo es nur im Geringsten zu motiviren war. Innig vergnügt und munter tummelte Graf Hahn bei diesem Stücke sein Steckenpferd. Er nahm dem Stücke den einfachen Titel „Faust“ und nannte es auf seinem Theaterzettel bombastisch „Doctor Faust’s Thaten und Höllenfahrt“. Darob ergrimmte der Dr. Klingemann ganz gewaltig, schrieb dem Grafen einen groben Brief, worin er verlangte, sein Stück unter dem einfachen Titel „Faust“ in Scene gehen zu sehen. Graf Hahn antwortete dem wuthschnaubenden Dichter:
„Ihr Titel ‚Faust‘ behagt mir nicht; der meinige – zieht besser. Sie haben Ihr Honorar; ich habe Ihr Stück. Kaufen Sie sich für Ihr Honorar, was Sie wollen. Ich mache mit meinem Stück, was ich will.“
Die Altonaer Theaterherrlichkeit nahm ein sehr trauriges Ende. Der Herr Director Ruhland hielt es für angemessen, sich mit der Casse, ohne seinem erlauchten Compagnon Lebewohl zu sagen, aus dem Dunstkreise seiner vielen Gläubiger zurückzuziehen, und überließ es dem hochherzigen kunstliebenden Grafen, den Mitgliedern die letzte Monatsgage zu zahlen, die er, obgleich in Casse, zu anderen Zwecken zu verwenden gedachte.
Nach dieser so traurigen Katastrophe kehrte der Graf nach Schwerin zurück, um dem Großherzoge ein „pater peccavi“ zuzurufen. Der Großherzog empfing den Grafen Hahn sehr gnädig und erlaubte ihm sogar ganz nach Behagen sein Steckenpferd zu reiten, weil er einsah, daß es eine Unmöglichkeit sei, den Grafen von seiner Theaterleidenschaft zu heilen. In Schwerin selbst mußte sich der Graf doch einigermaßen Zwang anthun. Kaum aber tauchte irgendwo in der Nähe eine Schauspielertruppe auf, flugs war der Herr Landmarschall von Mecklenburg-Schwerin verschwunden, um mit dem Völkchen herumzigeunern zu können. Machte solche Truppe Schulden, so bezahlte er sie großmüthig; dafür hatte er dann das Recht, die Bühne aufschlagen zu dürfen, auf derselben zu hämmern und Decorationen zu befestigen, Abends die Schauspieler und Schauspielerinnen zu costümiren, zu schminken etc. Trat Ebbe in die Casse des Herrn Theaterprincipals, so brachte der Graf die Fluth hinein; konnte er es nicht, so sang er dem trauernden Director mit der heitersten Miene aus der Zauberflöte vor: „Ich kann nichts thun als Euch beklagen, weil ich zu schwach zu helfen bin.“
So trieb es dieser originelle Kunstmäcen bis zum Jahre 1835. Ruhelos wanderte er von Ort zu Ort, um Direction zu führen. Zu dieser Zeit war es mir vergönnt, diesen so seltenen Mann als hochbetagten Greis von Angesicht zu Angesicht zu sehen und kennen zu lernen. Sein Erscheinen wird mir zeitlebens unvergeßlich bleiben. An einem heiteren Septembermorgen des Jahres 1835 wanderte ich, von Mannheim kommend, wo ich meine Gesangsstudien bei Friedrich Diez gemacht, in Leipzig ein. Kaum hatte ich mich ein wenig restaurirt und etwas Toilette gemacht, so suchte ich das Hotel de Bavière auf, in welchem sich hinten auf dem Hofe, zwei Treppen hoch, das damals einzig existirende Theateragenturbüreau befand. Ein Herr von Alvensleben, der auch zugleich Redacteur der Theaterchronik von Sturm und [462] Koppe war, leitete das Theateragenturbüreau; er sollte mir ein Engagement für lyrische Tenorpartieen vermitteln. In derselben Etage, wo sich das Büreau des Herrn von Alvensleben befand, war auch die Buchdruckerei der Herren Sturm u. Koppe. Alles trug die Spuren der Druckerschwärze, selbst die Thür, die in das Heiligthum des Theatergeschäftsbüreaus führte. Auf derselben prangte in großen schwarzen Lettern: „Theatergeschäftsbüreau von Sturm u. Koppe“.
Nachdem ich durch einige Druckpapierballen, die ungenirt umherlagen, glücklich mich durchgewunden – ich war so unvorsichtig und leichtsinnig, ein weißes Beinkleid anzulegen, das, wäre es mit den Ballen in Berührung gekommen, zebraartig geworden wäre – zog ich vorsichtig meinen weißen Handschuh aus und klopfte leise an die Thüre des Büreaus. Ein sonores „Herein!“ tönte mir entgegen. Vor einem Pulte stand ein hagerer, noch junger Mann mit einem intelligenten Gesicht. Mit feiner Manier hieß er mich willkommen und fragte mich nach meinem Begehren. Der junge, liebenswürdige Mann war Herr von Alvensleben. Ganz ungenirt kippte er einen Stuhl um, auf dem ein Wust von Papieren, Büchern etc. lag, und lud mich zum Sitzen ein. Nachdem ich dem liebenswürdigen Agenten, an dem sich seine jetzigen Herren Collegen ein Beispiel nehmen können, wie man Engagement suchende Bühnenmitglieder zu behandeln und zu empfangen hat, mein Anliegen mitgetheilt, rief er sehr heiter aus. „Ah! Das paßt ja ganz vortrefflich. Der Graf Hahn, gegenwärtig in Altenburg, sucht einen lyrischen Tenor. – Sie haben, soviel ich weiß, dergleichen Partien inne, denn Sie sind in dem mir übersandten Repertoire verzeichnet. Hier liegt Contract, Vorschuß und Reisegeld zu Ihrer Disposition. Wollen Sie zum Grafen Hahn gehen? Die Gage ist nicht sonderlich; doch rathe ich, das Engagement zu acceptiren.“
Als Herr von Alvensleben den Grafen Hahn nannte, war mein Entschluß gefaßt. Ohne weiter den Contract einzusehen, unterschrieb ich denselben, quittirte Vorschuß und Reisegeld und empfahl mich dem liebenswürdigsten aller Theateragenten, die ich später zu meinem Schrecken von einer ganz anderen Seite kennen lernen sollte. –
Mit einem Vermögen von zwölf Thalern in der Tasche bestieg ich ein Lohnfuhrwerk, das mich à la Schnecke nach Altenburg beförderte, um mich allda vor dem Hôtel Gotha rippenerschüttert und todtmüde abzusetzen. Kaum graute der Morgen, so trieb mich die Ungeduld, den Grafen zu sehen, aus dem Bette. Im Zimmer stand ein Fortepiano; schnell öffnete ich es und sang zum Aerger der noch schlafenden Gäste meine Scala. Nachdem ich sorgsam Toilette gemacht, wanderte ich gegen neun Uhr Morgens dem herzoglichen Schlosse zu, welchem gegenüber Graf Hahn in einem Hôtel wohnen sollte.
Der zum Schlosse führenden Rampe gegenüber befand sich wohl eine Herberge, aber keineswegs ein Hôtel; so ärmlich schien mir das Haus, daß ich unmöglich annehmen konnte, daß der Mann, der über Paläste verfügen konnte, je darin wohnen könne. Es stieg in mir ein gelinder Zweifel auf, ob ich den Kellner der Stadt Gotha auch recht verstanden, als er mir die Wohnung des Grafen Hahn beschrieb. Es schien mir unmöglich, daß der Graf in einer solchen Spelunke hausen könnte; ich fragte daher ein Mädchen, das aus dem Thorweg jenes Hauses trat, ob hier der Graf Hahn wohne. „Graf Hahn?“ fragte das verwunderte Mädchen. „Ah, mein gutes Herrchen, Sie meenen wohl den alten Komödiantenherrn? Ja, mein Lieber, der wohnt auf Nummer 13, eine Treppe hoch links.“
Da stand ich wie erstarrt. Die ominöse Zahl 13 frappirte mich. Doch ich entschloß mich, meinem Geschick zu folgen, und erstieg muthig die wacklige, nicht sehr saubere Treppe, wo mir auf eine Thür gemalt, die 13 entgegenstarrte. Tiefathmend blieb ich ein Weilchen vor der Thür stehen, um mich einigermaßen von meinem Erstaunen zu erholen; dann erst klopfte ich leise, worauf sogleich ein à la Recitativ gesungenes „Herein!“ ertönte. Ich trat schüchtern ein. Eine imposante, hohe Gestalt, in einen alten sehr defecten Schlafrock gehüllt, tauchte aus einer ungeheuren Tabakswolke, die einem großen, rohen Meerschaumkopfe entquoll, vor mir auf und zeigte mir, gleichsam von Tabakswolken eingerahmt, den schönsten Kopf eines Greises, den ich je gesehen. Ein Kranz von lockigen, silberweißen Haaren umschloß bis zu den Schläfen den kahlen Schädel, auf dessen Stirn eine in die Höhe geschobene schwarze Hornbrille ruhte. Das Gesicht des Greises zeigte noch jugendliche Spuren; es war freundlich und rosig frisch; ein prachtvoller schneeweißer Schnurrbart zierte den intelligenten Mund. Jeder Flicken auf dem mit künstlerischer Gewandtheit drapirten Schlafrock dünke mir das Wappenschild eines alten Ritters. Jede Bewegung des alten Herrn war elegant, hocharistokratisch.
[470] „Was steht zu Ihren Diensten, mein Herr?“ fragte mich der alte Herr, indem er das Ungethüm von Meerschaumpfeife bei Seite setzte.
„Ich wünsche dem Herrn Grafen Hahn-Neuhaus meine Aufwartung zu machen,“ stotterte ich mit leiser Stimme.
„Der bin ich selbst, mein Herr,“ erwiderte er freundlich.
Das also ist der Graf Hahn? Mein Erstaunen kannte keine Grenzen. So hatte ich den merkwürdigen Mann nicht zu finden gedacht. Der Graf, der mein Erstaunen bemerken mochte, nickte mir freundlich zu, strich mit seiner eleganten Hand die Brille von seiner hohen Stirn auf das Nasenbein und fragte mich noch einmal, indem er seinen Silberbart durch die Finger gleiten ließ, auf das Freundlichste: „Was wünschen Sie von mir, mein Herr?“
Noch vermochte ich dem repräsentablen alten Herrn, der kerzengerade vor mir stand und mich so von oben herunter betrachtete, nicht zu antworten. Stumm überreichte ich ihm meinen Contract nebst Brief des Herrn von Alvensleben. Nachdem er Brief wie Contract gelesen, legte sich seine hohe intelligente Stirn in düstere Falten. Alle Freundlichkeit verschwand aus dem schönen Greisenantlitz. „Alle Donnerwetter!“ platzte er grimmig heraus. „Ist denn dieser Alvensleben verrückt? Wie kann der Mensch mir einen solchen Knirps von Tenor auf den Hals schicken! und gleich mit festem Contract! Herr, Sie sind ja fast noch ein Knabe!“
„Sehr gern, mein Herr Graf, entbinde ich Sie des Contractes,“ erwiderte ich gereizt.
Ohne darauf etwas zu erwidern, riß er heftig eine Thür auf und sang in höchst komischer Weise ein Recitativ, das ich dem geneigten Leser hier mittheile, in das geöffnete Zimmer hinein:
„Urspruch komm einmal sogleich!“
Ein gedrungener Mann mit einem mächtigen, grau melirten Haarwuchs und kupferrothem Gesicht erschien nach verklungenem Recitativ, trat mürrisch, mich wie einen Gaul musternd, in’s Zimmer und fragte den Grafen in nicht sehr noblem Tone: „Na, was soll’s schon wieder, Erlaucht?“
Dieser mürrische, wie es schien, mit sich selbst zerfallene Mensch war der in Cöln einst gefeierte Heldentenor Urspruch.
„Da schickt mir der Alvensleben diesen kleinen Herrn als lyrischen Tenor,“ und dabei sah er mich spöttisch von der Seite an. Augenblicklich machte ich Miene, das Zimmer zu verlassen. „Halt da, junger Mann! Urspruch! lasse doch den jungen Herrn einmal etwas singen.“
Ohne eine Silbe zu erwidern, warf Urspruch sämmtliche Sachen, die auf einem Fortepiano lagen, Kleider, Waffen, Helme, Noten, Rollen, unbarmherzig auf den Boden, öffnete das Instrument und fragte mich kurz: „Was wollen Sie singen?“
Unter den so ohne alle Rücksicht heruntergeworfenen Sachen sah ich die Partitur von „Joseph in Aegypten“, halb von einem Rittermantel bedeckt, so hervorschauen, daß gerade der Titel der [471] Oper zu lesen war. Mein Entschluß war augenblicklich gefaßt. „Die Austrittsarie des Joseph,“ war meine schnelle Antwort. „Dort liegt die Partitur am Boden.“
Sogleich hob der Graf die Partitur auf und legte sie auf das Pult des Instrumentes. „Allons, Urspruch! Accompagnire dem Kleinen!“
Urspruch setzte sich, ohne ein Wort zu erwidern, an’s Instrument, schlug die Arie auf, und ich sang sie ohne alle Scheu. Meine Stimme schien Herrn Urspruch sehr zu gefallen, denn während des Accompagnements nickte er mehrere Male mit dem Kopfe, der Graf aber trippelte leise, sich die Hände reibend, im Zimmer umher. Nachdem die Arie beendet, rief er: „Sie bleiben bei mir!“ Er beehrte mich mit Lobsprüchen über meine Manier zu singen und nannte mich nach seiner Weise sogleich „Du“. „Charmant! Charmant!“ rief er ein über das andere Mal; „der Alvensleben hat doch keinen Mißgriff gethan. Hast Du den ganzen Joseph im Kopfe, mein Sohn?“ Als ich dies bejahte, sprang der alte Herr wie ein Jüngling im Zimmer umher, schlug Urspruch etwas sehr unsanft auf die Schulter und rief: „Na, dann heraus mit dem Joseph! Du singst den Simeon, die Stein singt den Benjamin, der Kleine hier den Joseph, Riese den Jakob, nota bene, wenn er nicht besoffen ist.“ Dieser Riese gehörte früher, zu Spontini’s Zeiten, der Berliner königlichen Oper an; er hatte eine prachtvolle, kolossale Baßstimme, die er leider gar zu oft unter Spiritus setzte. Plötzlich ließ der Graf ein zorniges Recitativ erschallen: „Wo bleibt der verdammte Knüpfer mit Bibliothek, Garderobe und Moneten?“ Der Graf hatte seinen Gläubigern in Magdeburg, wo er vor Altenburg war, Bibliothek und Garderobe als Pfand zurücklassen müssen. Dieser so besungene Knüpfer war das Factotum des Grafen, das von ihm nach Lübeck gesandt, um das auf den Strand gerathene Schiff wieder flott zu machen.
Ehe ich zum Auftreten kam, lernte ich sämmtliche Mitglieder der gräflichen Gesellschaft kennen, unter denen ich später eminente Talente fand. Besonders zeichnete sich die Gattin des Herrn Urspruch aus; obgleich eine lorbeerumrankte Ruine, war sie zu jener Zeit noch eine ganz vortreffliche dramatische Sängerin. Sehr begabt war ein Fräulein Emilie Handstein; sie spielte jugendliche Liebhaberrollen. Das Geschick war ihr nie hold. Als eine Frau Pfister fand ich sie später soufflirend bei verschiedenen Bühnen wieder. Bost, der gegenwärtig noch der königlichen Bühne in Berlin angehört, war damals schon ein vorzüglicher Baßbuffo und spielte viel im Lust- und Schauspiel; er war für das Unternehmen des Grafen eine sehr schätzbare Acquisition.
Endlich sollte ich den vom Grafen mit Sehnsucht erwarteten Knüpfer von Angesicht zu Angesicht kennen lernen. „Knüpfer ist da! Knüpfer ist da!“ so ging es von Munde zu Munde, und mit ihm Garderobe, Bibliothek und, was das Beste war, Geld! Dieser Herr Knüpfer wird mir unvergeßlich bleiben. Er war das Urbild eines echten Komödianten. Relegirt von irgend einer Universität, hatte er zu Thaliens Fahne geschworen, that jedoch in ihrem Tempel nur Laiendienste, seine Garderobe, die er mit einem großen Stolz trug, bestand aus einem schwarzen Sammetrock, der mit Schnüren besetzt war und so abgeschabte Flächen zeigte, daß man füglich die Sammetweberei daran studiren konnte; dazu trug er stets weiße Tricots, die gar oft mit ihrer Farbe im Zwiespalt waren und die sich in ungeheure Kanonenstiefeln mit klingenden Sporen verloren. Sein bemoostes Haupt zierte ein schwarzes ramponirtes Sammetbarett, das Abends, hatte er einen Ritter zu mimen, mit einer einmal weiß gewesenen Feder geschmückt wurde. Dergleichen Gestalten, wie die eben beschriebene, sah man damals nicht selten beim Theater; jetzt sind sie unmöglich geworden.
Endlich hörte bei Allen das dolce far niente auf. Der Graf entwickelte eine ungeheure Thätigkeit; überall sah man ihn hämmern, malen, kleben, Costüme zertrennen, sogar mit dem Garderobeschneider nähen; kurz, er war in seinem Elemente.
Die erste Vorstellung war der Joseph in Aegypten; sie übertraf die Erwartung des Publicums und des Hofes. Noch einmal tauchte ein Theil jener alten Prachtliebe des Grafen auf. Decorationen und Costüme waren glänzend. Das Arrangement des Triumphzuges leitete Graf Hahn selbst. Nach der Vorstellung ließ ihn der Herzog von Altenburg durch einen Kammerherrn in seine Loge rufen, um ihm seine Zufriedenheit auszudrücken.
Ritter- und Zauberstücke beherrschten von nun an das Repertoire. Selten kam eine Oper zu Stande. Bengalische Flammen leuchteten; Feuerwerk prasselte, wo es nur anzubringen war; Graf Hahn ließ es sich nicht nehmen, dasselbe anzuzünden.
Wie all dieser Teufelsspuk nicht mehr so recht ziehen wollte, entschloß sich der Graf, selbst aufzutreten. Er spielte den Herrn von Langsam in Kotzebue’s „Wirrwarr“. Mit ihm spielte der geniale, leider schon damals sehr verkommene Karl Unzelmann den Fritz Hurlebusch. Nie sah ich diese Rolle wieder so meisterhaft spielen. Um Unzelmann nüchtern zu erhalten, ließ ihn der Graf nicht aus den Augen. Jedes Glas Schnaps wurde sogleich entfernt, wenn er nahte. Dieser Vorsicht verdanken wir die herrlichste Kunstleistung. Auch spielte ferner der Graf den Thomas im „Geheimniß“; beide Rollen hatte er früher dem großen Unzelmann, Vater des Karl Unzelmann, abgelauscht. Graf Hahn gefiel dem Publicum ausnehmend, doch der Hof billigte diese Debuts durchaus nicht. Der Herzog äußerte dem Grafen gegenüber sein Mißbehagen, einen Grafen Hahn Komödie spielen zu sehen. Doch dies genirte den Grafen sehr wenig. – Eines Abends spielte er in dem Spectakelstück „Napoleon’s Anfang, Glück und Ende“ einen französischen Marschall. Bei seinem Auftritt sollten zwei Kanonenschüsse fallen. Als er auf sein Stichwort wartend an der Thüre stand, bemerkte er den Inspicienten, wie derselbe sich bereit machte, zwei Pistolen in ein leeres Faß abzuschießen, um so eine stärkere Detonation zu ermöglichen. Schnell entreißt er dem erschrockenen Inspicienten die Pistolen und hält sie gravitätisch, zum Abdrücken bereit, in’s Faß. „Jetzt, Herr Graf!“ ruft der das Scenarium führende Inspicient. Der Graf drückt los; beide Pistolen versagen. Ohne sich im Geringsten dadurch aus der Fassung bringen zu lassen, öffnet er schnell die Thür, macht, indem er die Bühne betritt, eine halbe Wendung und ruft nach rückwärts in die Scene: „Bum! Bum! Majestät, der Feind rückt an!“ Das Publikum bricht in ein wieherndes Gelächter aus, selbst der große Franzosenkaiser, der auf der Scene stand, vermochte vor Lachen keine Silbe mehr hervorzubringen.
Unzelmann trieb, in Altenburg sich selbst überlassen, einen solchen Unfug, daß sich die Behörde veranlaßt sah, den täglich betrunkenen Menschen per Schub aus der Stadt zu schaffen, was dem Grafen, obgleich Unzelmann nicht mehr zu retten war, sehr nahe ging. Ueberhaupt hörte die Herrlichkeit in Altenburg bald auf. Die Theatersaison ging ohnedies zu Ende. Ich kann nicht umhin, noch eine sehr komische Episode hier einzuschalten, die sich noch mit dem oben erwähnten Karl Unzelmann kurz vor Schluß der Saison ereignete.
Die letzte Oper in der Saison war „Romeo und Julia“. Vor Anfang der Probe zur genannten Oper stand das ganze Personal vor dem Theater um den Grafen geschaart, seinen Erzählungen zu lauschen. Graf Hahn, in Mitte einer seiner Erzählungen die schwarze Hornbrille auf seine Sokratesstirn schiebend, zeigte mit dem Finger auf den Weg nach Borna hin. Plötzlich rief er: „Alle Wetter, was giebt es da!?“ Alles sah nach der vom Grafen angegebenen Richtung. Ein Gensdarm hoch zu Roß, umgeben von einer Schaar Menschen, führte am Steigbügel gebunden einen Menschen als Arrestanten mit sich. Als sich uns diese seltsame Karawane näherte, brüllte eine mächtige Stimme aus dem Menschenhaufen: „Herr Graf, retten Sie mich! Man arretirt mich als Mordbrenner!“ Alle erschraken. Der Arrestant war Karl Unzelmann. Nachdem der Graf den vernichteten Unzelmann einigermaßen beruhigt hatte, fragte er den Diener des Gesetzes, wie er dazu käme, den Mann zu verhaften? Darauf erwiderte der Gensdarm sehr höflich: „Ja, sehen Sie, mein Herr, der Mensch hier heißt Moor.“ – „Unzelmann heiße ich!“ brüllte der geknebelte Mime, doch der Gensdarm fuhr in seinem Berichte unverdrossen fort: „Sehen Sie, mein Herr, der Lump hier ist Ihnen ein Mordbrenner, den ich von Borna nach Altenburg zu transportiren habe.“ Und damit zog er mit dem verzweifelten Unzelmann unter dem Jubel der Straßenjungen dem Stadtgefängnisse zu. Die Arretirungsgeschichte Unzelmann’s löste sich auf eine höchst komische Weise.
[472] Unzelmann hatte sich unweit Borna in einem Kruge betrunken und fing in seinem Rausche mit den ebenfalls angeheiterten Bauern Händel an. Die Bauern setzten den schimpfenden Mimen ohne Weiteres an die Luft. Erzürnt über seine schnelle Beförderung, schrie er von draußen den tobenden Bauern zu: „Hallunken! Wißt Ihr, wer ich bin? Moor bin ich! Karl Moor, Räuber und Mordbrenner! Ich zünde Euch Eure Baracken über den Köpfen an.“ Und damit taumelte er von dannen, um sich irgendwo ein Plätzchen zu suchen, seinen Rausch auszuschlafen. In derselben Nacht bricht zu des Mimen Unglück in der Nähe ein Feuer aus. Sofort wird von den Bauern auf den Räuber Moor eifrig gefahndet. Endlich finden sie unsern Mimen in tiefem Schlummer in einer Scheune liegen. Der Ortsschulze rüttelt den Schläfer etwas unsanft und fragt. „Sie da, mein Gutester! Heißen Sie Moor?“ Karl Unzelmann, noch im Dusel, springt sofort auf und ruft: „Ja wohl! Räuber und Mordbrenner!“ Ehe er sich’s versah, war er gebunden und dem Amte in Borna übergeben.
Graf Hahn befreite Unzelmann, nachdem er fünf Tage als Räuber Moor im Stadtgefängniß gefangen gesessen, aus seiner Haft, indem er dem Herzog von Altenburg die Arretirung Unzelmann’s mittheilte, der herzlich über die Geschichte lachte und den Befehl gab, Unzelmann in Freiheit zu setzen und ihm ein Reisegeld unter der Bedingung zu geben, nie wieder Altenburg mit seiner holden Gegenwart zu beglücken. Das Ende dieses so reich begabten Künstlers war ein höchst tragisches. Einige Jahre später fand man die Leiche Unzelmann’s im Goldfischteich des Berliner Thiergartens.
Nachdem in Altenburg die Theatersaison beendet, verließ ich den Grafen, um in Schwerin ein Engagement als lyrischer Tenor anzutreten. Doch interessierte mich das Leben und Treiben des alten liebenswürdigen Herrn so sehr, daß ich mir von demselben stets Nachricht zu verschaffen wußte. Von Altenburg wanderte er mit dem Stamm seiner Gesellschaft nach Gera, Chemnitz, Erfurt etc.
Im Jahre 1837 übernahm Graf Hahn abermals das Theater in Altona. Dort erkranke er und entließ demnach seine ganze Gesellschaft, lebte nach seiner Genesung theils bei seinem Sohn in Neuhaus, oder hielt sich, wenn er Theatersehnsucht bekam, in Lübeck auf, wo er dann an der artistischen Leitung des Stadttheaters sehr regen Antheil nahm; denn hier konnte er seinen seltsamen Passionen, Statisten zu schminken, den Souffleur zu spielen, zu donnern und zu blitzen, bei Zügen als Anführer zu figuriren, die Jungen von der Bühne zu treiben, die sich dort eingeschlichen, so recht den Zügel schießen lassen.
Das Schicksal wollte es, daß mich der Graf Hahn von Königsberg in Preußen aus im Jahre 1842 zum zweiten Male engagirte. Er hatte das Kieler Stadttheater übernommen. Als er mich in’s Zimmer treten sah, sang er aus Weigel’s Schweizerfamilie mir entgegen: „Ich habe Dich wieder – noch glaub’ ich es kaum“, drückte mir dabei herzlich die Hand und gab mir eine feine Havannacigarre, die er stets für ganz besondere Gäste bereit hielt. Er selbst aber rauchte noch immer aus dem mir bekannten Meerschaumkopf. Ich fand den alten Herrn trotz seiner Gicht, die ihn eben plagte, sehr heiter und wohl, ja unverändert. Nun mußte ich ihm meine ganzen Erlebnisse erzählen; denn er fragte, wo ich während unserer Trennung überall gespielt habe, erkundigte sich nach diesem oder jenem Schauspieler, der einmal bei ihm engagiert gewesen etc. Die Gicht plagte damals den alten Herrn so, daß er nicht im Stande war, sich vom Platze zu regen. Nachdem wir noch ein Weilchen geplaudert, brach er mit einem Male kurz die Unterhaltung ab und sang nach seiner gewohnten Weise:
„Reiche mir einmal das Glöckchen, mein Sohn!“
„Erlauben Sie, daß ich läute?“ erwiderte ich.
„Nein, mein Sohn, das verstehst Du nicht. Die Bande da draußen ist nach Commando von mir dressirt. Sieh Dir einmal das Glöckchen an. Es hat keinen Knöpfel. Schlage ich mit dieser Scheere nur einmal an dieses Aladinsglöckchen, so kommt mein Theaterdiener Kramer, ein prächtiger Junge, sage ich Dir! zweimal, meine Haushälterin, die Schmidtchen; dreimal, Schlawittzer.“ Darauf berührte der Graf das Glöckchen dreimal mit der Scheere. Kaum waren die hellen Töne verklungen, so öffnete sich eine Thüre und herein schritt ein Männchen mit eingekniffenen Mundwinkeln, wie wenn es Essig verschluckt hätte, und fragte mit schnarrendem Tone, sich katzenartig dem Grafen nähernd:
„Was haben Erlaucht zu befehlen?“ Dabei streifte sein schielender Blick meine Wenigkeit.
„Das hier ist unser neuer Tenor,“ und indem er sich freundlich nickend zu mir wandte, sagte er: „Mein Sohn, das ist Schlawittzer, mein Factotum. Den Knüpfer hat der Satan geholt. Er war ein liederlicher, undankbarer Mensch. Dieser hier, sein Nachfolger, ist mein Secretair, Hausmakler, Regisseur und Bösewichtspieler.“
Dieser Herr Schlawittzer machte auf mich einen höchst unangenehmen Eindruck. Noch ehe wir ein Wort gewechselt, waren wir Feinde. Ich hatte mich nicht getäuscht, denn später lohnte er des Grafen Güte mit dem bittersten Undank.
Graf Hahn fing nun in Kiel an, seine ganze Thätigkeit zu entwickeln. Was hätte dieser Mann in der Welt für eine Rolle spielen können! Geburt, körperliche und geistige Anlagen, eine seltene Bildung und zu alledem ein fast unerschöpfliches Vermögen berechtigten ihn dazu, wie wenig Andere. Seine Welt waren nun einmal die Bretter, die die Welt bedeuten. Durch sie, für sie, auf ihnen zu wirken, erschien ihm die Mission seines Lebens und um diese zu erfüllen, war ihm kein Opfer, keine Erniedrigung in den Augen der Welt zu groß.
„Ich vollbringe das, wozu mich Gott berufen – auf Dank habe ich nie gerechnet und werde es auch nicht thun,“ sagte er oft.
O Ironie des Lebens! Eben für das, wofür sich Graf Hahn berufen fühlte, woran er Alles setzte, wofür er kämpfte, litt, duldete, um dessen willen er sich mit seinen Verwandten verfeindete – besaß er die allerwenigste Begabung. Er war nichts als ein leidenschaftlicher Dilettant in der Schauspielkunst. Von Goethe’s Dramen schätzte er nur den „Götz von Berlichingen“ wegen der vielen Verwandlungen und Gefechte, die darin vorkommen. Schiller’s „Jungfrau“ gab er nur des Krönungszuges wegen. Denselben zu arrangiren war sein Stolz, seine Lust. Allem aber zog er den „Freischütz“ vor, nicht der Musik, sondern der Wolfsschlucht wegen; für die Ausstattung desselben opferte er vieles Geld.
Wahrhaft rührend erschien es, daß der Graf Hahn in den kärglichsten Verhältnissen auch nicht einen Augenblick an der Wahrhaftigkeit seiner Mission den mindesten Zweifel hegte, denn einst sagte er zu mir in einer drückenden Situation. „Ich kann doch mit Heine sagen: Ich habe ein schönes Leben gelebt.“
Nun fing der Graf an, Vorbereitungen zu einem großen Unternehmen zu treffen. Niemand von uns wußte, was er vorhatte, selbst Schlawittzer nicht, und das wollte viel sagen. Während nun Garderobe angefertigt wurde, verreiste er sehr oft; Niemand wußte, wohin. Endlich offenbarte sich das Geheimniß. Der Graf hatte das Actientheater auf St. Pauli in Hamburg gepachtet. Dort sollte noch einmal ein matter Stern seiner ehemaligen Größe leuchten. Es wurden die bedeutendsten Opernkräfte engagirt. Der Chor wurde vervollständigt, die berühmte Balletgesellschaft Kobler gewonnen, kurz, der Graf wollte dem Stadttheater in Hamburg, damals unter Cornet’s und Mühling’s Leitung, Concurrenz machen.
Wenige Tage vor seiner Abreise von Kiel erhielt er plötzlich die Nachricht, daß der König von Dänemark der Stadt einen Besuch machen wolle. Ueber diese Nachricht war der Graf hocherfreut und nahm sich vor, in seinem Theater etwas Großartiges zu veranstalten und dazu die Majestät von Dänemark einzuladen. Er wählte den „Wasserträger“ von Cherubini.
Als der König eingetroffen, begab sich Graf Hahn in voller Galauniform, geschmückt mit Orden und Kammerherrenschlüssel, auf’s Schloß, um den König zu bitten, sein Theater mit dero hoher Gegenwart zu beglücken. Als der König den Grafen gewahrte, rief er:
„Ah sieh da, Graf Hahn! Treiben Sie sich denn immer noch mit Ihren Komödianten umher? Lassen Sie doch endlich einmal die verdammte Theaterwuth fahren und gehen Sie zu Ihrem Sohne nach Neuhaus, um dort Ihre Tage in Ruhe zu verleben!“
Darauf erwiderte Graf Hahn: „Majestät, mein einziger Wunsch ist, dermaleinst auf der Bühne zu sterben.“
[473] „Sie sind unverbesserlich,“ antwortete der König. „Gott befohlen! Ich komme heute Abend in’s Theater.“
Die Probe zu der genannten Oper war im vollen Gange, als der Graf in oben erwähntem Staate auf die Bühne kam. In demselben Momente sollte Graf Armand aus dem Fasse entfliehen. Der Karren, worauf das Faß lag, war sehr ungeschickt gebaut und daher sehr schwer zu regieren, so daß der Sänger des Wasserträgers seine Noth mit demselben hatte und durchaus damit nicht zurecht kommen konnte. Graf Hahn, der ein Weilchen den Sänger sich abquälen sah, rief: „Ach was da! Das Ding muß ja gehen,“ und spannte sich in voller Gala selbst vor den Karren. Auch half er, ohne sich umzukleiden, dem Theatermeister beim Arrangement der Scenerie.
Am Abend vor der Vorstellung stand er, ebenfalls in Gala, am Eingange des Theaters, um den König zu empfangen. Es machte sich höchst possierlich, den alten besternten Herrn die Jungen forttreiben zu sehen, die sich unentgeltlich in’s Theater schleichen wollten, oder einem Matrosen, der die Galerie besuchte, das Billet abnehmen zu sehen.
Endlich hörten die Vorstellungen in Kiel auf. Am 4. April 1843 reiste Graf Hahn mit seiner ganzen Gesellschaft per Extrapost, je zu Vier, nach Hamburg. Das Eintreffen der Gesellschaft erregte auf St. Pauli ein förmliches Aufsehen. Dort war man gar nicht gewohnt, solche Schauspieler und Schauspielerinnen zu sehen; man kannte dort nur Komödianten, die ganz ungenirt ihr Wesen trieben; mit einem Male gewahrte man anständige Menschen in feinen Toiletten und mit feinen Tournuren. Der Graf war entzückt über das Benehmen seiner Kinder, wie er uns stets nannte.
Nun begannen für das Actientheater Vorstellungen, die vielleicht nie wieder dort stattfinden werden. Graf Hahn entwickelte eine Pracht, einen Luxus, daß sogar die Noblesse Hamburgs entzückt von diesen Vorstellungen war und daher das Theater fleißig besuchte. Ich habe den Grafen seine Recitative nie so vergnügt und heiter singen hören, als gerade zu dieser Zeit. Gab er irgend welchem Schauspieler eine Rolle, so sang er: „Hier, mein Sohn, hast Du eine schöne Rolle. Lerne und spiele sie gut!“
Im „Freischütz“, den er mit Massen von Feuerwerk und Hokuspokus in der Wolfsschlucht ausstattete, gab er selbst den Samiel. Hatte er einen Augenblick Zeit, so lief er als Teufel unter das Podium, zerrte den Souffleur aus dem Kasten und setzte sich ganz behaglich selbst hinein, um zu souffliren, aber auf eine ganz possierliche Weise. Bald rief er einer Chorsängerin zu, daß ihr Unterrock zu lang sei und vorsehe, bald blätterte er im Buche oder im Clavierauszuge umher, um eine Stelle zu lesen, die gerade sein Interesse erregte. Geschah nun auf der Bühne dadurch eine Verwirrung, so schlich er sich leise aus dem Kasten auf die Bühne und that so, als wenn er gar nicht in dem Souffleurkasten gesteckt hätte.
Auber’s Maskenball ging mit einer Pracht in Scene, die eines Hoftheaters würdig gewesen wäre. Der Balletmeister Kobler schmückte besonders den fünften Act der Oper durch sinnige Arrangements. Der Graf war unermüdlich, bald Dies, bald Jenes anzuordnen. Es lag ihm Alles daran, im fünften Acte die Ermordung des Königs durch Ankarström so treu wie möglich wiederzugeben. Hatte er doch, wie oben erzählt, selbst jene historische Ballnacht mit erlebt.
Bei dieser Gelegenheit schilderte uns der Graf das historische Ereigniß folgendermaßen: „Als der Schuß fiel, drangen durch alle Thüren die Garden, bildeten um alle Anwesenden einen Ring und bemächtigten sich sofort Ankarström’s. Vier Pagen, unter denen ich mich befand, holten einen großen Sessel herbei, worauf der zum Tode getroffene König von seinen Cavalieren aus dem Saal getragen wurde. Der König lebte noch vier Tage; ich und ein Graf Löwenskjold waren bei seinem Tode zugegen. Der Schandbube hatte den König mit gehacktem Blei in den Rücken getroffen. Es sind jetzt einundfünfzig Jahre verflossen, und dennoch erinnere ich mich ganz deutlich jener verhängnißvollen Ballnacht, sehe noch deutlich, wie man diesen Ankarström aus dem Saale mit Kolben stieß; wie ein Blödsinniger folgte er den Wachen. Der Bube war nicht einmal von Adel; er war nichts als ein dummer Projectenmacher, ein Querulant, der sich von einer gewissen Partei benutzen ließ, den König zu ermorden.“ Gerade so, wie der Graf die Ermordung des Königs uns schilderte, ließ er sie auf der Bühne darstellen. Alle Costüme waren treu der Zeit angemessen. Doch die Ausgaben überstiegen bei Weitem die Einnahmen. Ueberhaupt erregte das Treiben im Actientheater auf St. Pauli das größte Aufsehen. Die damaligen Directoren des Hamburger Stadttheaters, Cornet und Mühling, besuchten mit ihrem genialen Capellmeister Krebs, wenn möglich, fast jede Oper, die der Graf Hahn auf seinem Theater gab.
Das Unternehmen auf St. Pauli endete mit Schrecken. Graf Hahn sah sich mit einem Male mit einer Schuldenlast von beinahe vierzigtausend Mark belastet, die er seiner Theaterliebe zum Opfer gebracht hatte. Er selbst brauchte außerordentlich wenig, denn er lebte in jeder Beziehung sehr mäßig. Während sein Herr Cassirer S. Champagner trank und dazu Caviar oder Austern speiste, begnügte sich Graf Hahn mit einem leeren Butterbrode und trank dazu einen dänischen Kümmel. Er war blind in der Hauptsache; „das Geld“, es war ihm stets Nebensache. Er gab nie Acht darauf; wenn er nur donnern und blitzen und mit seinem Theatermeister hantiren konnte, ließ er Gott einen guten Mann sein. Nie, war das Unglück noch so groß, verlor er seine liebenswürdige Heiterkeit. Nur der Undank einiger Schauspieler, denen er früher so viel Gutes gethan, kränkte den alten Herrn tief. Zu diesen Undankbaren gehörte zu der Zeit ein Herr Benroth. Als die Noth am höchsten war, trat eines Tages dieser Herr Benroth in’s Zimmer des Grafen und forderte von demselben brutal den Rückstand seiner Gage.
„Herr Graf,“ brüllte der Mime, „ich verlange meine Gage, ich habe nichts zu essen!“
„Ah, das ist ja sehr traurig und bedauernswürdig,“ erwiderte der Graf. „Da muß ich Sie wohl zu Gaste laden, denn ich bin ja reicher als Sie, lieber Herr Benroth.“
Damit zog der Graf die Thür eines Schrankes auf und nahm aus demselben einen Teller, worauf einige kalte Kartoffeln und ein Stückchen Häring lagen. „Hier! theilen Sie mein Diner!“
Roth vor Scham, entfernte sich der Mime, ohne weiter eine Silbe hervorbringen zu können.
Bei meiner Abreise von Hamburg ersuchte mich der Graf, mit meinem Rückstande so lange zu warten, bis ihm bessere Zeiten würden. Der Sohn des Grafen deckte sämmtliche laufende Wechsel. Die Herrlichkeit auf St. Pauli hatte ihr Ende erreicht.
Mein Guthaben an Gage erhielt ich zwei Jahre später ganz unverhofft in Mainz, begleitet von einem kurzen Schreiben:
„Meine Schulden von St. Pauli!
Herzlichen Gruß von
Altona, den 10. Oktober 1844.
Carl Graf Hahn-Neuhaus.“
Des Grafen letzte Pilgerfahrt in der Theaterwelt fand im Jahre 1856 statt, wo er in Sommerhude bei Altona das Semmertheater leitete. Zunehmende Schwäche und Kränklichkeit hießen ihn endlich aufhören, Direction zu führen. Er bezog in Altona sein eigenes Haus. Alle seine Verbindlichkeiten wurden geordnet, so daß der alte Pilger sorglos die Stunde erwarten konnte, die den Vorhang seines Lebensspiels fallen lassen würde.
Von Gicht geplagt, Rollen und Noten zum Zeitvertreib abschreibend, lebte Graf Hahn-Neuhaus bis zum 25. Mai 1857; man fand ihn vom Schlage gerührt todt im Bette. Als ich gerade zur Zeit seines Todes in Hamburg eintraf, um dort ein Engagement anzutreten, folgte ich still und unbemerkt als einziger Repräsentant der deutschen Bühne seiner Leiche, die von den Spitzen der Stadt Altona bis zum Bahnhof geleitet wurde, um in der Familiengruft des gräflichen Hauses beigesetzt zu werden. Der Sarg des Verblichenen war mit der Grafenkrone und seinen sämmtlichen Orden geschmückt. Sanft ruhe des Biedermanns Asche!
- ↑ Zwanzig Silbergroschen.