Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Christoph Ritter von Gluck
Unter den Sternen am Himmel der deutschen Tonkunst
einer der strahlendsten, unter den deutschen Meistern
der Tondichtung einer der unerreichten – vielleicht
kaum erreichbaren. Der unbedeutende Ort Weidengen
in der Oberpfalz ließ Gluck das Licht der
Welt erblicken, der böhmischen Grenze nah, und der
musikalische Genius, der über Böhmens Bergen schwebt,
küßte dem Knaben den Kuß der Weihe. Frühzeitig
der Musik mit vollem Seelenantheil sich zuwendend,
kam Gluck nach Prag, bildete dort sich aus und reiste
im Jahr 1738 nach dem klangreichen Italien, fand
in Mailand bei dem Prinzen Melzi zuerst eine feste
Stellung und entfaltete nun mehr und mehr die mächtigen
Schwingen seines Genius. Es genügte Gluck
nicht, auf die höchste Stufe der Opernschöpfung zu
treten, wie letztere damals war, er wollte neue Bahnen
brechen in seiner Kunst, das veraltete beseitigen, den
Schlendrian und schnöden Klingklang bannen; der
vollste musikalische Ausdruck der Gedanken und Gefühle
und die reinste Wahrheit waren die Endziele seines
kräftigen Strebens. Die erste Oper, mit welcher Gluck
vor das Publikum trat und es entzückte, war Artaxerxes,
schon ein Werk voll Mannesreife, den Text
begreifend und richtig würdigend, nicht ihn unterordnend
und nicht, wie so viele Tondichter thun, ihn
als den todten Leichnam betrachtend, dem sie erst Leben
und Seele einhauchen, indem sie ihn mit der
möglichsten Willkühr mißhandeln und verstümmeln
oder durch endlose selbstgefällige Wiederholungen ihn
ausspinnen und dehnen. Alles, was bisher für ansprechend
und schön gegolten hatte, die wälschen Schnörkel
und unnützes Beiwerk, verwarf Gluck und gründete
sich dauernden Ruhm auch durch seine folgenden
Opern: Demetrius, der Sturz der Giganten,
zuerst 1745 in London zur Aufführung gebracht, dann
Orpheus, Alzeste, Armida. Kopenhagen, Wien
und Paris sahen nun nacheinander den großen Tonkünstler
in ihren Mauern, und in letzter Stadt kam
Glucks unsterbliche Iphigenie in Aulis, Text
von dem französischen Dichter Bailli de Rouet zur
Aufführung, alle Herzen entzückend, obschon der Aufführung
Anfangs große Schwierigkeiten entgegengethürmt
[Ξ] wurden, wie das kaum anders sein konnte, die
Pariser einem Ausländer, einem Deutschen gegenüber.
Aber da erschien Gluck, der nun schon ein Mann von
60 Jahren war, kam, ward gehört und siegte. Bald
verdrängten auf eine Zeit lang seine aus dem italienischen
in das französische übertragenen Opern alle
übrigen, eine großartige Umwandlung des Geschmackes
in der theatralischen Musik erfolgte, wie sie auch in
der Gegenwart uns bevorsteht, wenn auch viele dieß
noch bestreiten und an die neue Epoche der dramatischen
Musik nicht glauben wollen. Die entzückten Franzosen
setzten Gluck eine Pension von 6000 Livres auf Lebenszeit
aus, ernannten ihn zum Pensionair der Akademie
der Musik, und stellten seine Büste neben denen
ihrer größten und gefeiertsten Tonkünstler auf. Binnen
2 Jahren ging Iphigenie 170 mal über die Bühne
der großen Oper, ein damals außerordentlicher Erfolg.
Gluck schuf noch die Opern Iphigenie in Tauris und
Echo und Narciß, welche ebenfals den größten Beifall
fanden. Mit einem ansehnlichen Vermögen, denn
seine Werke wurden sehr gut honorirt, ging Gluck im
Jahre 1787 nach Wien zurück; er war ein Freund
Mozarts, dessen Stern damals im Zenith des Ruhmes
Deutschland bestrahlte, und früher als die Freunde
ahneten, ging Glucks Lebensstern unter, noch in demselben
Jahre. Was Gluck so groß, seinen Ruhm und
seine Werke so dauernd machte, war die Würdigung
des deklamatorischen Ausdrucks; er opferte den Text
nicht den Launen der Sänger, denen ganz einerlei
ist, ob sie Unsinn singen, wenn sie nur schön singen.
Daher fand er auch Gegner; solche, die nur Melodie
und nichts als Melodie von der Oper forderten, und
die ihn nicht begriffen, nicht die Höhe seiner Originalität,
nicht die Tiefe des künstlerischen Geistes seiner
Tonschöpfungen. Klassisch einfach und großartig, mächtig
ergreifend und überwältigend wirkt Glucks Musik
heute noch. Keiner bat Gluck übertroffen, wenige
reichen an ihn hinan. Zu diesen wenigen zählt in der
Neuzeit Richard Wagner, der Dichter und Tonsetzer
des Lohengrin, des Tannhäuser. In ihm lebt
Glucks Genius, er wird die deutsche Oper läutern,
oder in seinem hohen Streben untergehen; in beiden
Fällen wird es ihm ergehen wie es Gluck erging, er
wird mehr bewundert, als geliebt sterben.