Aus dem Leben deutscher Schauspieler (2)

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Autor: Max Ring
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Titel: Aus dem Leben deutscher Schauspieler - Theodor Döring
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus dem Leben deutscher Schauspieler.
2. Theodor Döring.

Auf seinem Krankenbette lag ein vierjähriger Knabe; der Arzt hatte ihn so eben verlassen, und die Mutter, eine sanfte Frau mit feinen, milden Zügen, war damit beschäftigt, ihrem Liebling den verordneten Heiltrank zu bereiten, ab und zu einen sorgsamen Blick auf den kleinen Patienten werfend. Dieser befand sich bereits in der Besserung, und da er ein sehr lebhaftes Temperament besaß, quälte er die gute Mutter mit seinen unaufhörlichen Wünschen und Fragen, so daß diese zuletzt sich genöthigt sah, ihm mit dem Arzte zu drohen, der ein alter, sehr ernster Herr war.

„Weißt Du auch Mama,“ fragte das frühreife Kind, ohne

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Theodor Döring als Malvolio.


sich einschüchtern zu lassen, „was der Doctor für ein Gesicht macht, wenn er böse ist?“

„Nun, Du kleiner Affe?“

„So sieht der Herr Doctor aus, gerade so.“

Dabei rümpfte das Kind seine kleine Nase, zog die Augenbrauen zusammen und copirte den würdigen Mann so treffend und wunderbar, daß die nachsichtige Mutter sich des Lachens kaum enthalten konnte.

„Willst Du wohl, Du Taugenichts!“ drohte sie dem Knaben, dessen mimisches Talent sie im Stillen bewundern mußte.

[454] Dieser kleine vierjährige Künstler war der jetzige Hofschauspieler Theodor Döring in Berlin. Er wurde im Jahre 1805 in Warschau geboren, wo sein Vater das Amt eines königlich preußischen Salzinspectors bekleidete. Durch die nachfolgenden politischen Ereignisse und den unglücklichen Frieden von Tilsit verlor derselbe seinen Posten und mußte sich mit seiner Familie kümmerlich ernähren, bis er in späterer Zeit wieder eine Anstellung erhielt, die es ihm möglich machte, den talentvollen Knaben auf das Joachimsthaler Gymnasium in Berlin zu schicken. Auch hier zeichnete sich der kleine Theodor durch seine dramatische Begabung aus, Lehrer und Schüler nannten ihn nur „den Schauspieler“ oder den „kleinen Roscius“, und bei jeder Festfeier oder öffentlichen Gelegenheit glänzte er durch seine Deklamationen und Vorträge. Sein mimisches Talent entwickelte sich mit den Jahren immer mehr, verursachte ihm aber auch zuweilen manche Unannehmlichkeit. Es fehlte nicht an Strafen und selbst an Prügel von Seiten der Beleidigten, die sich nur oft zu getroffen fanden. Ursprünglich zum Theologen bestimmt, zwang ihn die traurige Lage seiner Eltern, dem Studium zu entsagen und sich dem Handelsstande zu widmen. Er trat als Lehrling in ein Tuchgeschäft, mit dem zugleich eine Weinhandlung verbunden war. Aber Döring war einmal zum Schauspieler geboren und deshalb zum Kaufmann verdorben. So oft er konnte, stahl er sich in’s Theater, um sich von Künstlern wie Beschort, Lemm, Wolff etc. entzücken zu lassen, sein Liebling aber war der berühmte Ludwig Devrient, den er sich zum Vorbild machte. Mit der Zeit wuchs seine Liebhaberei zur wahren Leidenschaft; er wurde Mitglied des Liebhaber-Theaters „Urania“, dieser Pflanzstätte und Wiege manches großen Talents, in Berlin und spielte daselbst in kleinen Rollen, ohne jedoch die Aufmerksamkeit in irgend einer Weise auf sich zu ziehen.

In seinem zweiundzwanzigsten Jahre faßte er endlich den Entschluß, seine kaufmännische Carrière aufzugeben und sich ganz der Bühne zu widmen. Er ging von Berlin nach Bromberg, wo er bei der Gesellschaft des Director Gurray ein Engagement fand. Sein erstes Debut als Julius in dem „armen Poeten“ von Kotzebue fiel jedoch so unglücklich aus, daß der Vorhang sinken mußte, bevor er noch seine Rolle zu Ende gespielt hatte. Döring bekam nämlich das Lampenfieber, eine nicht seltene Krankheit bei angehenden Künstlern, der Anblick des Publicums wirkte vollkommen lähmend auf sein Gedächtniß und seine Bewegungen, das Wort blieb ihm in der zugeschnürten Kehle stecken, und statt zu sprechen, stotterte er vor unbesiegbarer Verlegenheit. Seit diesem traurigen Abende war er die Zielscheibe der Lacher im Parterre, und so oft er auftrat, wurde der Arme mit Spott und Hohn empfangen. Erst nach und nach legte er diese Furcht ab, und es gelang ihm sogar in Thorn, wohin sich die Gesellschaft indeß begeben hatte, als „Portechaisenträger“ in der „Schachmaschine“ durch ein geistreiches Impromptu den ersten Applaus zu gewinnen, der einen wunderbar belebenden Einfluß auf sein niedergedrücktes Gemüth ausübte. Geduldig ertrug er fortan die kleinen Leiden des Schauspielerlebens und seine Armuth, die bei seiner geringen Gage so groß war, daß er mehr als einmal sich hungrig zu Bett legen mußte. Mit vielem Humor erzählte Döring später seinen Freunden, wie er einmal, als er den „Prinzen“ in Körner’s „Rosamunde“ halbverhungert gespielt, noch im Hermelinmantel auf die Einladung seiner Wirthin, einer armen Buchdruckerfrau, sich zu der dampfenden Schüssel mit Kartoffeln gesetzt und sich einmal wieder seit langer Zeit satt gegessen, wobei er die Versicherung zu geben pflegte, daß es ihm nie in seinem Leben besser geschmeckt habe, als an jenem Abend. Die Begeisterung für die Kunst hielt ihn jedoch aufrecht, und sein angeborener Humor ließ ihn nicht verzweifeln.

Mit neun Thalern und sechs Groschen in der Tasche verließ Döring Bromberg und wanderte zu Fuß in grimmiger Decemberkälte nach Breslau, um daselbst ein Unterkommen zu finden. Sein Geld war bald zu Ende und seine Stiefeln so abgelaufen und durchlöchert, daß er sich unmöglich in diesem erbärmlichen Zustande präsentiren konnte. Seine ganze Garderobe bestand in einem abgeschabten, zeisiggrünen Leibrock mit hellen Metallknöpfen und in gelben Nankingbeinkleidern. Zum Glück erinnerte er sich an eine Freundin, die Schauspielerin Carlberg, mit der er zusammen auf dem Uraniatheater in Berlin aufgetreten. Diese streckte ihm einige Thaler vor, welche er zu dem nothwendigen Ankauf von einem Paar Stiefeln verwendete. So ausgerüstet stellte er sich dem Director Bierey vor, der ihm jedoch mit einem Seitenblick auf die traurige Garderobe ein Engagement rundweg abschlug. Seine inständigen Bitten und ein geschickt angebrachter Handkuß bei der Alles vermögenden Frau Directorin erweckten das Mitleid der gutmüthigen Dame und verschafften Döring ein Engagement mit einer wöchentlichen Gage von vier Thalern. Glücklich begab sich derselbe zu dem damaligen Regisseur Herrn Stawieski, der schon damals den Ruf eines ausgezeichneten Künstlers hatte, um sich pflichtschuldigst bei ihm als neuengagirtes Mitglied zu melden. Die ganze Erscheinung und vornehme Haltung Stawieski’s machte einen imponirenden Eindruck auf den armen Döring, besonders aber wirke das Arom des feinen holländischen Tabaks, den der Herr Regisseur aus seiner langen Pfeife rauchte, wahrhaft bezaubernd auf seine Sinne. Mit sichtlichem Wohlbehagen schlürfte er den würzigen Dampf ein, und sein ausdrucksvolles Gesicht verrieth so stark seinen Appetit nach einem ähnlichen lang entbehrten Genuß, daß sein jetziger Vorgesetzter ihm lächelnd eine gestopfte Pfeife anbot, wodurch er ihn in den siebenten Himmel versetzte. Seit jenem Tage wurden Döring und Stawieski Freunde für das ganze Leben, und noch heute erinnern sich Beide, wenn sie in der Weinhandlung bei Luther traulich beim Glase sitzen, lächelnd an diese erste Friedens- und Freundespfeife.

Unter der Leitung des trefflichen Stawieski entwickelte sich Döring’s Talent mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit; er gefiel dem Publicum besonders im Fache der Intriganten und in komischen Rollen. Aber trotz dieser Erfolge und des allgemeinen Beifalls wurde sein Einkommen erst nach drei Jahren um einen Thaler für die Woche erhöht und seine Bitte um eine Verbesserung seiner Lage als eine sträfliche Anmaßung zurückgewiesen. Unter diesen Umständen folgte Döring dem tüchtigen Schauspieler August Haake, als dieser das Theater in Mainz übernahm, dorthin nach mit einer alle seine Erwartungen übersteigenden Gage von 1200 Gulden jährlich. Haake selbst war ein anerkannter Künstler und übte besonders auf Döring einen höchst günstigen Einfluß aus. Ihm verdankte er zum großen Theil seine bessere Richtung und seine höhere Entwicklung, indem ihn Haake durch sein Beispiel und seine Belehrung wesentlich hob und förderte. In Mainz spielte Döring zuerst und mit großem Beifall jene Rollen wie „Schewa“, „Polonius“, „Lanzelot Gobo“ und den „Orgon“ in Molière’s „Tartuffe“, welche den Grundstein zu seinem Künstlerrufe legten. Immer klarer und bestimmter trat sein Talent hervor, immer entschiedener wendete er sich dem von ihm in der glänzendsten Weise vertretenen Charakterfach zu, nachdem er früher ohne Auswahl sich in den verschiedensten Rollen, als Liebhaber, Komiker und Intrigant, wenn auch immer mit Erfolg, versucht hatte und dadurch in die Gefahr gerathen war, sich allmählich zu verflachen. – In Mainz lernte Döring auch die Tochter eines angesehenen Arztes kennen, mit der er sich verheirathete. Leider sollte das Glück dieser Ehe nur von kurzer Dauer sein, da die junge reizende Frau schon nach vier Monaten ihm durch ein nervöses Fieber wieder entrissen wurde.

Um so leichter entschloß er sich, ein Engagement in dem nahen Mannheim anzunehmen, das ihm von dem dortigen Intendanten, Grafen Luxburg, angeboten wurde. Dieser war ein ausgezeichneter Pferdekenner, besaß aber nebenbei einen gewissen theatralischen Instinct, der ihn selten einen Fehlgriff thun ließ, wie auch die Anstellung Döring’s durch ihn bewiesen hat. Zu den Eigenheiten des originellen Mannes gehörte es, daß er nachträglich jeden von ihm engagirten Schauspieler den Mund öffnen ließ, um die Zähne einer genauen Untersuchung zu unterwerfen, wie er sonst beim Kaufe seiner Pferde zu thun pflegte. Waren dieselben gesund und vollständig, so sagte der Herr Graf in seinem Dialekt: „Ich geb’ Ihne noch 200 Gulde zu, die Zähn’ sein gut.“ – Da Döring noch heute sehr schöne und fast vollzählige Zähne besitzt, so äußerte der wunderliche Intendant seine volle Zufriedenheit mit ihm und legte die gewiß sehr willkommenen 200 Gulden dem erfreuten Künstler zu. In Mannheim gefiel Döring dem Hofe und dem Publicum; wahrhaft Furore machte er aber daselbst in dem Bauernfeld’schen Lustspiele „die Bekenntnisse“ als „Banquier Müller“, eine Rolle, die zu den vorzüglichsten Leistungen der deutschen Schauspielkunst gehört und die er mehr als dreihundertmal in den verschiedensten Städten stets mit dem gleichen Beifall gegeben hat. Kein zweiter Künstler besitzt aber auch wie Döring diese genaue Kenntniß des jüdischen Volkscharakters mit allen seinen Schwächen und Vorzügen, wofür dieser Banquier Müller das glänzendste [455] Zeugniß ablegt. Hier ist jeder Zug dem Leben abgelauscht, wahr und natürlich, ohne jede Uebertreibung, ein vollendetes Genrebild.

Auf Empfehlung eines ihm befreundeten Engländers reiste Döring im Jahre 1836 nach Hamburg zu einem Gastspiele bei dem originellen Theaterdirector Friedrich Ludwig Schmidt, der ihn jedoch keineswegs ermuthigend empfing. Die Jahreszeit war sehr ungünstig gewählt, da im heißen August das Theater nur wenig besucht wurde; außerdem war der fremde Künstler in Hamburg wenig oder gar nicht bekannt. Alle diese Umstände stellte der wackere Director in seiner derben Weise Döring vor, ohne daß dieser sich davon abschrecken ließ. Endlich wurden ihm drei Gastrollen mit einem Honorar von zwölf Friedrichsd’or bewilligt, wenn auch nur mit großem Widerstreben. Döring trat in Hamburg auf und zwar mit einem so großen und unerwarteten Erfolg, daß er statt der zugestandenen drei Rollen siebenzehmnal vor überfülltem Hause spielen mußte. Das Publicum war entzückt und hingerissen, der tüchtige Kritiker Reinhold sprach offen seine Bewunderung und sein Erstaunen aus, daß ein so genialer Künstler so lange in Deutschland unbekannt bleiben konnte. Der alte Schmidt, selbst ein ausgezeichneter Schauspieler und der würdige Nachfolger des berühmten Schröder, bot ihm einen Contract auf zehn Jahre mit einer jährlichen Gage von 2500 Thaler, eine für die Hamburger Bühne und die damaligen Verhältnisse ungeheuere Summe. – Drei Jahre verweilte Döring in seiner neuen Stellung unter dem Director Schmidt, dem er seine künstlerische Vollendung und Abrundung zu verdanken hatte. Manche Rolle, wie zum Beispiel der „Dorfrichter Adam“ in dem „zerbrochenen Krug“ von Heinrich Kleist, worin Döring noch jetzt die größten Triumphe feiert, zeigen deutlich die Spuren der Schmidt’schen originellen und stets bedeutenden Auffassung. – Auch auf dem Hofburgtheater in Wien eröffnete Döring ein mit dem glänzendsten Erfolge gekröntes Gastspiel, das jedoch zu keinem Engagement führte, da das von ihm beanspruchte Rollenfach anderweitig besetzt wurde. Unterdeß erhielt Döring, nachdem Seydelmann einem Rufe nach Berlin gefolgt war, den ehrenvollen Antrag, dessen Stelle in Stuttgart zu ersetzen. Trotzdem er noch auf mehrere Jahre in Hamburg gebunden war, entband ihn der wackere Schmidt von seinem Contract, um ihn nicht in seinem Fortkommen zu hindern. In Stuttgart gefiel zwar Döring dem Publicum, aber er selbst hatte mit manchen Theatercabalen zu kämpfen, welche ihm seinen Aufenthalt verleideten, so daß er nach Pauli’s Tod sich nach Dresden wendete, wo ihm ein lebenslängliches Engagement mit einem ansehnlichen Gehalt geboten wurde. Seine Stuttgarter Gegner hatten jedoch an den sächsischen Generalintendanten, Grafen von Lüttichau, Briefe geschrieben, worin sie vor Döring wegen seines unverträglichen und unzufriedenen Charakters warnten. Als Graf Lüttichau diesen Verleumdungen Glauben zu schenken schien und ihn deshalb zur Rede stellte, zerriß der leicht verletzte Künstler den eben unterschriebenen Contract mit den Worten: „Wenn Sie so mit mir sprechen, so zwingen Sie mich, Herr Graf, auch Ihnen meinen unzufriedenen Charakter zu zeigen.“

Vergebens eilte der gutmüthige Hofrath Winkler dem zornigen Döring nach, um ihn zu beschwichtigen. Dieser verließ sogleich Dresden und reiste nach Hannover, wohin er ebenfalls eine Einladung erhalten hatte. Hier wurde er unter glänzenden Bedingungen engagirt; sein Künstlerruf steigerte sich von Tag zu Tag, so daß der bekannte Generalintendant Herr von Küstner sich veranlaßt sah, ihn zu einem Gastspiel an der Berliner Hofbühne aufzufordern, wo Seydelmann’s Tod einen entsprechenden Ersatz dringend forderte. Zum zweiten Mal in seinem Leben sah sich jetzt Döring berufen, der Nachfolger des berühmten Seydelmann zu werden, ein Beweis seiner eigenen Künstlerhöhe. Es war jedoch keine kleine Aufgabe für ihn, das für Seydelmann[1] mit Recht begeisterte Berliner Publicum zu gewinnen. Indeß gelang dies Döring bei seinem ersten Gastspiel so vollständig, daß ihm ein lebenslänglicher Contract an dem Berliner Hoftheater angeboten wurde. Indeß erhob sich eine neue große Schwierigkeit, da der damalige König von Hannover, der bekannte Ernst August, ihn nicht aus seiner bisherigen Stellung gutwillig entlassen wollte, so dringend auch Döring ihn darum wiederholt ersuchte.

„Warum,“ fragte ihn bei solcher Gelegenheit eines Tages der König in seinem gebrochenen Englisch-Deutsch. „warum willst Du fort von mir?“

„Eure Majestät,“ erwiderte der Künstler, „ich bin ein geborener Preuße und finde in meinem Vaterlande einen größeren Wirkungskreis.“

„Dummer Kerl!“ sagte der originelle Fürst wörtlich, „ich möchte auch lieber König sein von Engeland und muß doch hier bleiben in Hannover.“

Nur durch die Verwendung einer hochgestellten Dame, welche dem Könige sehr nahe stand, gelang es endlich Döring, seinen Abschied zu erhalten. Im Jahre 1844 kam er nach Berlin, wo er bald der Liebling des Publicums wurde und zu den ersten Künstlern nicht nur der Hofbühne, sondern in Deutschland überhaupt gerechnet wird. – Döring ist der geborene Schauspieler, eine wahrhaft geniale Künstlernatur, die in ihrer Vielseitigkeit unwillkürlich an den unübertroffenen Ludwig Devrient erinnert, mit dem er auch in seiner äußeren Erscheinung und Gesichtsbildung manche Aehnlichkeit zeigt. Wie dieser tritt auch Döring in den verschiedensten Fächern, in der ernsten Tragödie und im heiteren Lustspiel, mit gleichem Erfolge und gleicher Meisterschaft auf, indem er heute den „Franz Moor“ und „Shylock“, morgen den „Falstaff“ oder den schon erwähnten „Banquier Müller“ mit hinreißendem Talente spielt. Im höchsten Grade besitzt er das erste Erforderniß des darstellenden Künstlers, die proteische Gestaltungskraft und Verwandlungsfähigkeit, unterstützt durch sein ausdrucksvolles Gesicht und ein von Jugend auf geübtes und wunderbar entwickeltes Mienenspiel. Ohne Perrücke und Schminke, ohne alle gewöhnliche Hülfsmittel vermag Döring jeden beliebigen Charakter, jede Leidenschaft sogleich, blos durch die Gewalt, mit der er seine Züge beherrscht, vollkommen wahr und überraschend auszudrücken. Mit Hülfe eines weißen Taschentuches verwandelt er sich in eine alte Frau von so täuschender Aehnlichkeit, daß man das Gemälde eines niederländischen Meisters zu sehen glaubt. In demselben Grade, wie sein Gesicht, beherrscht er auch sein Organ, besitzt er die Fähigkeit jede Stimme, jeden Dialekt nachzuahmen, den er nur einmal gehört hat. Durch diese Eigenschaften übt er schon außerhalb der Bühne im alltäglichen Verkehr einen ganz eigentlichen Zauber auf seine Umgebung und seine näheren Bekannten und Freunde aus. Man kann sich nichts Interessanteres und Amusanteres denken, als wenn Döring irgend eine Geschichte, eine ganz gewöhnliche Begebenheit erzählt. Seine Züge beleben sich dabei, seine Mienen sind in fortwährender Spannung und begleiten jedes seiner Worte in sprechender Weise; man sieht die Personen, um die es sich handelt, man hört sie reden, und verkörpert steht ihr Bild vor unsern Augen. Das alltäglichste Ereigniß erhält daher in Döring’s Mund einen dramatischen Reiz, ein eigenthümliches Leben, eine fesselnde Gewalt. So oft der Künstler in der Weinhandlung von Luther, die er, wie der große Ludwig Devrient, gerne besucht, eine kleine Geschichte erzählt, sammelt sich ein Kreis von bewundernden Zuhörern um den vollendeten Mimiker. – Auf dem Theater verbindet Döring mit den genannten Eigenschaften eine lebendige, schöpferische Phantasie und eine wahrhaft geniale Gestaltungskraft. Den darzustellenden Charakter faßt er mit einer ihm eigenthümlichen Schärfe auf, die freilich zuweilen das Maß des Schönen überschreitet und ihm den Vorwurf der Carricatur, besonders in komischen Rollen, zuzieht. Immer bleiben aber seine Schöpfungen originell und von hinreißender Wirkung, und selbst sein „Elias Krumm“ in Kotzebue’s „Der gerade Weg ist der beste“, sein „Commissionsrath Frosch“ im „Verschwiegenen wider Willen“ sind trotz der Ausstellungen einer strengen Kritik nur unumstößliche Beweise einer Genialität, wie sie kein zweiter Schauspieler in Deutschland gegenwärtig aufzuweisen hat. Sein angeborener Humor, sein natürliches Gefühl für das Lächerliche, seine scharfe Charakteristik und ursprüngliche Komik weisen ihn vorzugsweise auf das Lustspiel an, wo er auch stets die glänzendsten Triumphe feiert.

Rollen wie „Falstaff“ und „Malvolio“ in Shakespeare’s „Was ihr wollt“ sind Döring’s Meisterstücke; hier entwickelt er einen unübertroffenen Humor, ein wahres Raketenfeuer von sprudelndem Witz, von bezaubernder Laune, von hinreißender Komik. Jede Miene, jede Bewegung, jeder Blick, jedes Lächeln übt einen unwiderstehlichen Zauber auf das Publicum, und selbst ein Cato wird sich des Lachens nicht enthalten, selbst der eingefleischteste Hypochonder nicht länger finster sehen, wenn Döring auf der Bühne erscheint. Oft reicht schon seine stets charakteristische Maske, seine bloße, stumme Erscheinung hin, um einen allgemeinen Jubel hervorzurufen. Aber auch im ernsten Schauspiel und selbst in der höheren Tragödie erzielt der Künstler ähnliche, wo nicht noch größere Erfolge. Sein [456] „Nathan“ in Lessing’s „Nathan dem Weisen“, sein „Shylock“ in Shakespeare’s „Kaufmann von Venedig“, sein „Mephisto“, „Jago“, und vor Allem sein „Tischlermeister Anton“ in Hebbel’s „Magdalena“ reihen sich den vorzüglichsten Schöpfungen des deutschen Theaters an und beweisen die geniale Vielseitigkeit Döring’s.

In der Gesellschaft und im Umgange ist Döring eine der liebenswürdigsten Erscheinungen, ein heiterer, harmloser, stets zum Scherz aufgelegter Camerad, der einen Spaß versteht und gern einen zum Besten giebt, fröhlich mit den Fröhlichen, aber auch betrübt mit den Betrübten und stets bereit die Leidenden zu trösten und nach Kräften ihnen zu helfen. Der Grundzug seines Charakters ist eine fast an Schwäche grenzende Gutmüthigkeit, verbunden mit einer hohen, bei Künstlern aber nicht seltenen Reizbarkeit. Leicht erregt, ist er auch schnell wieder besänftigt und bietet dann gern die Hand zur Versöhnung. Seine Reden klingen zuweilen scharf und verletzend, aber sein Herz weiß nichts von dem, was der Mund spricht. Sein Hang zur Satire, durch sein großes Nachahmungstalent noch gesteigert, artet nie in Bosheit aus, und zuletzt lacht auch der Beleidigte über den stets zutreffenden und nie bös gemeinten Scherz. In guten Stunden und wenn er heiterer Laune ist, gilt Döring mit Recht für den besten Gesellschafter, den man in der Welt finden kann. Solche Abende, wo er beim schäumenden Champagner seinem Humor die Zügel schießen läßt und die Schleußen seiner bezaubernden Heiterkeit öffnet, werden gewiß allen seinen Freunden und Bekannten unvergeßlich sein.

Der beigegebene Holzschnitt, welcher den Künstler in der Rolle des komischen Haushofmeisters „Malvolio“ in Shakespeare’s „Was ihr wollt“ darstellt, ist nach einer trefflichen Photographie des Herrn Hofphotographen Graf in Berlin gefertigt und zeichnet sich eben so sehr durch charakteristische Auffassung als durch sprechende Aehnlichkeit mit dem Künstler aus.

Max Ring.

  1. WS: Im Original Seidelmann