Aus der schwäbischen Dichterwelt

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Autor: G. Arnold
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Titel: Aus der schwäbischen Dichterwelt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 708–711
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[708]

Aus der schwäbischen Dichterwelt.

Wer im September auf der Eisenbahn oder in den abgelegeneren Gegenden Württembergs auf dem Postwagen gegen Stuttgart reist, dem wird eine eigenthümliche Reisegesellschaft bald auffallen. Junge Bürschlein von vierzehn bis sechzehn Jahren, ängstlich und verzagt aussehend, von sorglichen Müttern oder von Vätern begleitet, deren Aeußeres den behäbigen Decan, den kinderreichen Landpfarrer oder den gedrückten Schulmeister verräth. Zuweilen trifft man auch Trupps von acht, zehn bis fünfzehn solcher jungen Leutchen, beaufsichtigt von einem Manne, dem wir im Gespräch eine wissenschaftliche Bildung anmerken, über den wir aber nicht ganz klar sind, ob er ein Oekonom oder ein weiter gebildeter Volksschullehrer ist. Die Anrede: „Herr Präceptor“ zeigt uns seinen Stand. Auf die Frage: „Wohin mit den jungen Leuten?“ heißt es kurzweg: „Sie werden eingeliefert!“ Betroffen fahren wir zurück: sollten diese unschuldigen, flachshaarigen Jünglinge Verbrecher sein, die in eine Strafanstalt gebracht werden? Auf nähere Nachfrage berichtet man uns, nächster Tage sei in Stuttgart Landexamen, und man ist höchlich erstaunt, daß wir da draußen in der Welt von dieser ganz Württemberg durchzitternden Kunde nichts wissen.

Als bei der Reformation Herzog Christoph die Kirchengüter einzog, ließ er fünf Klöster mit ihren bedeutenden Geldmitteln bestehen und verwandelte sie in Bildungsanstalten für protestantische Theologen. Kost, Wohnung, Unterricht ist frei, ja sogar ein Taschengeld wird gegeben. Natürlich ist der Zudrang zu diesen Anstalten ein gewaltiger, bis gegen zweihundert Bewerber sammeln sich in Stuttgart, aber Viele sind berufen, nur vierzig auserwählt. Wir sagen den Leuten Lebewohl, wünschen viel Glück und hoffen sie in Stuttgart wieder zu sehen. Dort gehen wir in die bekannte Restauration „Stotz“, ungeachtet der engen Straße ein beliebtes Haus für „kleine Leute“, um mit Hackländer zu reden. Es ist gegen fünf Uhr Abends. Bei trefflichem Stoff mustern wir die Umgebung und erkennen manche unserer älteren Mitreisenden, da treffen sich alte Bekannte, Universitätserinnerungen werden ausgetauscht, man bespricht das Examen und die Möglichkeit, ob Sohn, Neffe, Zöglinge, Bekannte durchkommen; Studenten in rothen Mützen, der Tübinger Königsgesellschaft angehörig, „Roigel“ geheißen, erwarten Brüder und Freunde und suchen Füchse zu „keilen“.

Jetzt strömen die jungen Leute aus dem Examen, siegesfroh oder niedergeschlagen. Furchtbar schwer waren die Aufgaben, denn Professoren aller Württembergischen Anstalten bilden den Prüfungsausschuß, entsetzliche Argumente, anderswo lateinischer Stil genannt, werden ersonnen, „scheußliche“ Sätze aus den Classikern, hier zu Land „Perioden“ geheißen, aufgegeben. Endlich wird das Ergebniß verkündet, die Namen der vierzig Glücklichen erschallen im [709] Lande, hochgeehrt ist die Schule, welche Einige durchgebracht hat, Beförderung und Zulage erwarten den glücklichen Einpauker und schaarenweise strömen Zöglinge dem Präceptor zu, der eine besondere Fähigkeit besitzt, das „Argumentle“ einzubläuen.

Die Glücklichen beziehen nun eine der Anstalten Maulbronn, Urach, Blaubeuern oder Schönthal, dort bleiben sie vier Jahre. Der Unterricht ist ausgezeichnet, vorzüglich in alten Sprachen, weniger in Realien, griechische und römische Autoren werden eifrig übersetzt, zum Theil metrisch übertragen, ja die jungen Leute machen selbst Verse in den alten Sprachen, mitunter geht es sogar so weit, daß die Zöglinge, wie ein früherer Stiftler versichert, Schiller’s Kampf mit dem Drachen ins Hebräische übersetzen mußten, Ausflüge in die herrliche Umgegend sind nicht selten, schwärmerische Jugendfreundschaften werden geschlossen; das strenge Verbot gegen Rauchen und Wirthshausbesuch weckt die jugendliche Erfindungskraft, das Verbot hier und da zu übertreten, und manch dichterischer Jüngling findet unter den Jungfrauen des Städtleins ein empfängliches Herz für seine ersten lyrischen Erzeugnisse, nicht selten auch eine Braut. Schnell verrinnen die vier Jahre, dann geht’s mit Sang und Klang zum Städtchen hinaus und nur zu oft heißt’s:

Jetzt komm ich, ach! an Liebchens Haus,
O Kind, schau noch einmal heraus!

Aber schnell vergessen ist das Vorrecht der glücklichen Jugend; nach nochmaligem Examen nimmt Tübingen den jungen Theologen auf, dieselbe Lebensordnung, nur mit mehr Freiheit, dauert weitere vier Jahre, und dann ist der Mann fertig und beginnt seine Laufbahn als Vicar.

Nehmen wir zu solcher Erziehung die Eindrücke der umgebenden Natur, ein Land reich an Naturschönheiten, das düstere Wäldermeer des Schwarzwaldes, das reizende Neckarthal, die kühn gezogene, blaue Albkette mit ihren Felsenhäuptern, Hohenstaufen, Teck, Neuffen, Urach, Rechberg, das schwäbische Meer, über welchem die Schneehäupter der Alpen herüberblicken, so giebt das ein Bild, zwar nicht so wild und gewaltig als die tief gefurchten Thäler des badischen Schwarzwaldes, nicht so erhaben wie die großartige Alpenwelt, aber sanft und idyllisch zu stillem Sinnen und Träumen einladend. Und wie reich ist die Geschichte dieses Bodens, wie wirkt sie auf die Einbildungskraft! Hier entstammten die Hohenstaufen, auf diesen Feldern schlugen sie sich mit ihren unversöhnlichen Gegnern, den Welfen, hier erschallte der Schlachtruf: „Hie Welf, hie Waiblingen!

Eduard Mörike.


Und auch in der württembergischen Landesgeschichte, welche gewaltigen Naturen! Der alte Greiner und sein Sohn Ulerich, der gerne war „wo’s eisern klang“, der edle Eberhard im Bart, die dämonische Gestalt des wilden Ulerich, der im Schönbuch wegen der schönen „Thumbia“ den Hutten erschlug; Herzog Alexander mit dem Juden Süß, der ‚Karl Herzog‘, der Held zahlloser Anekdoten und dazu der blühende Kranz von Reichsstädten, das feste Ulm, das gewerbsame Reutlingen, Eßlingen mit seinen schönen Mädchen, deren eine sogar das Herz des wilden Melac rührte, das reizend gelegene Hall mit der Limburg und der Geiersburg, in deren Nähe der Achill des Bauernkriegs Florian Geier fiel, das kleine Weil, wo der große Kepler das Licht der Welt erblickte.

Diese äußeren Eindrücke und Erinnerungen und die strenge Kloster- und Stiftserziehung (dies der Name des höhern Klosters zu Tübingen) giebt den jungen Leuten gründliche Kenntnisse und poetischen Gemüthern einen feinen Formsinn durch die tiefere Einsicht in die unerreichten Muster des classischen Alterthums. Aber trotzige Naturen sträuben sich gegen den Zwang und geben sich, wenn losgelassen, wilden Ausschweifungen hin, wie der geniale, aber unglückliche Waiblinger; zarte empfindsame Naturen dagegen, wie ein Hölderlin, bilden sich eine poetische Welt, werden, wenn sie ins Leben hinaustreten, von der rauhen Wirklichkeit abgestoßen und gehen an diesem Zwiespalt zu Grunde. Doch die Extreme sind selten, alle Stiftler aber behalten, wie der berühmte Aesthetiker Vischer schildert, ein gewisses „Geschmäckle“, d. h. ein linkisches verlegenes Wesen, namentlich dem schönen Geschlecht gegenüber, eine gewisse Unbeholfenheit klebt ihnen durch das ganze Leben an, entweder sind sie, wie derselbe feine Beobachter sagt, dumm blöde oder nach freundlicher Begegnung werden sie täppisch zutraulich, so daß sie etwa eine hohe Frau bitten, ihnen einen abgerissenen Knopf anzunähen. Manche bilden sich sogar auf dieses Geschmäckle etwas ein, sind stolz auf ihre Unbeholfenheit und halten sie für das sicherste Kennzeichen tiefer Gelehrsamkeit und hoher Genialität.

In solchem Lande, von solchen geschichtlichen Erinnerungen umgeben, in solcher strengen Zucht wuchs Eduard Mörike heran, und seine Persönlichkeit, sowie der Charakter seiner Schriften wird uns verständlicher, wenn wir den Boden kennen, aus dem sie herausgewachsen sind.

Eduard Mörike ist im Jahr 1805 in Ludwigsburg geboren, dem württembergischen Potsdam, einer Stadt, die auch Vischer und David Strauß zu den Ihrigen zählt. Aber nur wenige Jahre verlebte der Dichter in dieser langweilig öden Soldatenstadt, nach dem frühen Tode seines Vaters, eines angesehenen Arztes, siedelte die Mutter nach Stuttgart über. Die dortige reizende Umgebung gab dem erwachenden Natursinn des Knaben reichliche Nahrung, und von seiner Wohnung in der Büchsenstraße, vom lärmenden Mittelpunkt des Verkehrs mehr noch als jetzt entfernt, durchstreifte er die umliegendenden Höhen und Wälder. Wie manche begabte Naturen fand auch er wenig Geschmack an den Anfangsgründen der alten Sprachen, und mit Widerstreben zwang er, wie Schwab sagt, ‚mit dem Kiele der Römersprache Herbigkeit‘. Und doch bestand er das schwere Landexamen, denn ein angeborener feiner Sprachsinn half ihm über alle Schwierigkeiten der Uebersetzung weg. Im vierzehnten Jahre tritt Mörike in Urach ein und da eröffnete sich dem angehenden Jüngling eine neue Welt; durch [710] anregende Lehrer begeistert las er mit Begierde die Alten oder streifte mit gleichgesinnten Freunden auf der herrlichen Alb umher, in den anderthalb Erholungsstunden im Winter nach Tisch und weitern anderthalb Stunden an den Sommerabenden.

In einer Felsenspalte machte er sich eine Grotte zurecht und in träumerischem Sinnen regte sich in ihm das erste Wehen des Dichtergeistes. Nur zu schnell entschwand diese Zeit, nach den üblichen vier Jahren ging’s nach Tübingen. Was Vischer in seinem „Schartenmeier“ von einem Theologen singt:

„Wie ein Ochs vor seiner Mulde
Stand er dort vor seinem Pulte
Und studirt das Testament
Und was sonst für Bücher send.

Das galt von unserm Mörike nicht, die Classiker und jetzt auch unsere deutschen Meister, später auch Shakespeare galten ihm mehr, als die altlutherische Orthodoxie, der Umgang mit Vischer, Strauß, Zimmermann, Waiblinger diente auch nicht dazu ihn zu einer Kirchensäule zu gestalten, doch bestand er das theologische Examen und zu Kleversulzbach bei Weinsberg treffen wir ihn als wohlbestallten Pfarrer. Doch nicht lange blieb er im Pfarramt, wenn er auch das Pfarrleben in reizender Idylle beschreibt; bald nach seiner Verheirathung zog er sich in das romantisch gelegene Hall zurück, wo er in dichterischer Muße den größeren Theil seiner Schöpfungen, einen Roman „Maler Nolten“, eine „Idylle vom Bodensee“ und eine Sammlung Gedichte herausgab. Später berief ihn König Wilhelm als Professor der deutschen Literatur an das Katharinenstift, eine höhere weibliche Lehranstalt, nach Stuttgart, eine Stellung, die seiner Neigung völlig zusagte und wo seine Schülerinnen besonders durch seine hinreißende Gabe im Vorlesen der classischen Meisterwerke entzückt wurden. Nach längerer erfolgreicher Thätigkeit machten es ihm Gesundheitsumstände unmöglich sein Amt weiter zu bekleiden, und so lebt er denn jetzt in dem anmuthigen Remsthal, zu Lorch, am Fuß des Staufen in der Nähe des sang- und liederreichen Gmünd.

War so sein Leben ein mehr innerliches, durch äußere Schicksale wenig bewegtes, so auch seine Dichtung. Abgesehen vom Dramatischen, zu dem alle Dichter der schwäbischen Schule wenig Zug und Neigung haben, überließ er das Feld der Romanze und Ballade, der vaterländischen Sage und Geschichte einem Knapp, Krais, Schwab, Uhland; die politischen und religiösen Kämpfe, welche den Letztern zum Einstehen für „das alte gute Recht“ in die Schranken riefen, einem Pfizer glühende Worte gegen die Tyrannei der heiligen Allianz eingaben, den Geisterseher Kerner für die Polen entflammten, Herwegh zur Theilnahme an der badischen Revolution trieben und seine Freunde Vischer, Strauß, Märklin gegen die Pietisten in’s Feld riefen, berührten ihn nicht. Desto tiefer aber versenkt er sich in sein eigentliches Gebiet, die lyrische Dichtung und die Idylle, und neben dem Inhalt entzückt uns auch die vollendete Form. Reine Form freilich allein macht noch keinen großen Dichter, denn die Form ist ja nur, so zu sagen, ein gewandtes Roß, der Gaukler tummelt es im Circus zu eitlem Spiel, aber den Feldherrn trägt es auf dem Feld der Ehre zu großen Thaten. Betrachten wir uns einige Gedichte Mörike’s näher.

Eines seiner frühesten aus dem Künstlerroman „Maler Nolten“, einem Buche voll herrlicher Einzelheiten und des reinsten, tiefsten Gemüthslebens, aber zu phantastisch und schauerlich und unserer klaren Zeit nicht ganz mehr genießbar:

Das verlassene Mägdlein.
Früh, wann die Hähne kräh’n,
Eh’ die Sternlein verschwinden,
Muß ich am Herde steh’n,
Muß Feuer zünden.

5
Schön ist der Flammen Schein,

Es springen die Funken;
Ich schaue so drein,
In Leid versunken.
Plötzlich da kommt es mir,

10
Treuloser Knabe,

Daß ich die Nacht von Dir
Geträumet habe.
Thräne auf Thräne dann
Stürzet hernieder!

15
So kommt der Tag heran –

O ging er wieder!

Dieses Gedicht drückt in tief zum Herzen greifenden Tönen den öden Schmerz des verlassenen Mädchens aus.

Wie herrlich ist sein: „Mein Fluß“.

O Fluß, o Fluß im Morgenstrahl!
Empfange nun, empfange
Den sehnsuchtsvollen Leib einmal
Und küsse Brust und Wange!

5
Es schlüpft der gold’ne Sonnenschein

In Tropfen an mir nieder,
Die Woge wieget aus und ein
Die hingegebnen Glieder; etc.

Wer je schon in der Morgenfrische in einem Fluß gebadet hat, nicht in einem Badkasten, auch nicht in einer Schwimmanstalt, sondern in Gottes freier Natur unter Uferweiden und Erlen, beim Flüstern des Schilfs, umgaukelt von bunten Libellen, der versteht die ganze Naturwahrheit dieses Gedichtes, das sich in mancher Hinsicht neben Goethe’s Fischer stellen kann.

Und dann, welch’ köstlichen Humor, welch’ neckenden Scherz hat unser Dichter; ich greife nur heraus

Der Liebhaber an die heiße Quelle zu B.
Du heilest Den und tröstest Jenen,
O Quell, so hör’ auch meinen Schmerz;
Ich klage Dir mit bittern Thränen
Ein hartes, kaltes Mädchenherz.

5
Es zu erweichen, zu durchglühen,

Dir ist es eine leichte Pflicht;
Man kann ja Hühner in Dir brühen,
Warum ein junges Gänschen nicht?

An die Art Heine’s, aber ohne die ätzende Lauge dieses Dichters, erinnert: „an Philomele“. Er beginnt in antikem Versmaß eine Ode an die Sängerin:

O Sängerin, Dir möcht’ ich ein Liedchen weih’n
Voll Lieb und Sehnsucht!

Aber plötzlich fallt er in die derbe, schwäbische Wirklichkeit:

Verzeih! Im Jägerschlößchen ist frisches Bier
Und Kegelabend heut; ich versprach es halb
     Dem Oberamtsgerichtsverweser,
          Auch dem Notar und dem Oberförster.

Wie herrlich passen die schwäbischen Titel in’s antike Metrum, kein Philolog wird an dem „Oberamtsgerichtsverweser“ einen falschen Versfuß finden können.

Und so noch eine Reihe von gleich anziehenden Dichtungen, nur kurz möcht’ ich noch ein größeres erwähnen, in der „Herbstfeier“ verklärt der Dichter die schwäbische Weinlese in antiker Art, wie umgekehrt Hebel in seinem Statthalter von Schopfheim einen biblischen Stoff in die Sitten und die Anschauungsweise allemannischer Bauern übertragen hat.

Auf! Im traubenschwersten Thale
Stellt ein Fest des Bachus an!

Weiter heißt es dann:

Braune Männer, schöne Frauen
Soll man hier versammelt seh’n,
Greise auch, die ehrengrauen,
Dürfen nicht von ferne steh’n,

5
Und daß er vollkommen sei,

Treten zögernd auch die stillen
Mädchen unserm Kranze bei.

Auch das unschuldig naturalistische Element fehlt nicht:

Laßt mir doch den Alten machen,
Der sich dort zum Korbe bückt
Und den Krug mit hellem Lachen
Kindisch an die Wange drückt!

Solche Auftritte, mitunter stark rembrandtisch gefärbt, kann der Fremde, namentlich Sonntags, in Schwaben in Menge sehen.

Zum Schluß heißt’s:

Stimmet an die letzten Lieder!
Und so, Paar an Paar gereiht,
Steiget nun zum Fluß hernieder,
Wo ein festlich Schiff bereit.
Auf dem vordern Rand erhebe

5
Sich der Gott und führ’ uns an,

Und der Kiel mit Flüstern schwebe
Durch die mondbeglänzte Bahn!

Der Fluß ist aber weder Ilissus, noch Tiber, sondern unser vaterländischer Neckar, jene Brücke mit kühnem Bogen ist bei Untertürkheim, der Thurm, der dort mit vier Erkern in die Lüfte ragt, ist weder das Capitol noch das Parthenon, sondern der Pfarrthurm von Mettingen, und die Fahrt geht nicht gen Rom oder Athen, sondern nach Eßlingen oder Stuttgart, und auf den Rebhügeln prasselt’s von Schwärmern und Raketen und die schönen [711] schwäbischen Bacchantinnen im Nachen feuern etwas zagend, aber mit heroischem Muth die Sackpuffer ab, welche galante Herren ihnen bieten.

Und fragen wir nun, was soll ein so heiterer, harmloser, idyllisch sinniger Dichter in einer Zeit, wie die unsere, wo Handel und Industrie alle Kräfte in Anspruch nehmen, wo der blaue Neckar die Räder von zahllosen Fabriken treibt, wo Dampfschornsteine am Fuß der Rebenhügel rauchen, wo Schienenstränge in’s Herz der Alb dringen; in einer Zeit, wo ganz Europa ein Waffenlager ist, wo Trommelwirbel und der Knall des Zündnadelgewehres in entfernten Waldthälern die Ruhe des Dichters stören? Ist da noch Platz für solche Naturen? Und doch!

Wie wir nach einem Gang in’s Grüne beruhigt und versöhnt, erheitert und gekräftigt wiederkehren zu des Lebens schwerer Müh’ und Noth, so befreit uns die Naturfrische unseres Mörike, sein, um ein Wort von David Strauß anzuwenden, „milder, lösender Humor“ das bedrängte Herz, und über die sorgenvollen Züge gleitet ein erheitertes Lächeln und innig freuen wir uns, daß es in unserer zerrissenen Zeit noch so grundgesunde, heitere, genügsam frohe Herzen giebt, wie unser Mörike. Möge der jugendfrische Greis uns noch lange erhalten bleiben und uns durch noch manche Gabe seiner Muse erfreuen und erheben!

G. Arnold.