Krisis

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Autor: Grete Meisel-Heß
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Titel: Krisis
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aus: Suchende Seelen
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Erscheinungsdatum: 1903
Verlag: Hermann Seemann Nachfolger
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Erscheinungsort: Leipzig
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[105]


Krisis.


„Wisse dein Kreuz zu tragen und glaube!“
(Tschechoff: Die Möve)

[107]

Friedrich Florian kam von der Universität. Der Wind wehte frisch und kühl durch die Straßen, und die Luft war voll von Blütenduft. – Als er die vier Treppen hinauf geklettert war, und die Tür seiner Mansarde öffnete, sah er auf dem Fußboden bei der Tür, unter der Spalte, die er zu diesem Zweck hatte machen lassen, einen Brief liegen. Er sah den gedruckten Kopf des Couverts – hastig bückte er sich danach; das kam [108] von einer Redaktion. Der Inhalt war kurz: „Geehrter Herr Florian! Wollen Sie uns im Laufe des Nachmittags gefälligst aufsuchen. Wir haben Ihnen eine Proposition zu machen, die Ihren uns bekannten Wünschen entsprechen dürfte. Hochachtungsvoll die Redaktion.“

Er atmete auf. Endlich, endlich! Eine lichte Röte war in sein Gesicht gestiegen. Seine Augen leuchteten. Endlich Brot, endlich Sicherheit! Freilich, daß es gerade von diesem Tagesblatt kommen würde, hatte er nicht vermutet – er hatte an die andere Seite gedacht … Aber wenn es nur etwas Sicheres, Fixes war, etwas, auf das man sich verlassen und mit dem man bestimmt rechnen konnte. Nicht mehr [109] angewiesen sein auf das unsichere Erträgnis seiner Mitarbeiterschaft bei den wenigen Zeitschriften, die allein für ihn in Frage kamen, auf den „Gang“ seiner Bücher, den zu beschleunigen er so wenig verstand. Nicht mehr gequält sein von der Sorge um das Notwendige, und frei von den peinigenden Selbstvorwürfen der Unpraxis, der Unfähigkeit, an Geld zu denken, während man arbeitete … Er schrieb seine Bücher, weil er sie schreiben mußte, in heißem latenten Ringen, in fortwährendem Werben – Zurückweichen und Wiederbeginnen, Fliehen und Nähern – Werben um das Lichte, das über den Dingen lag, um die verzauberte Wahrheit, die in ihnen steckte, und die nur [110] herausgeholt werden konnte durch heißen Kampf – die Märchenprinzessin, die sich nur erlösen ließ, wenn man zu ihr drang durch Dornen und Flammen. Ach, und wie konnte man da an Brot denken – im Banne dieser süßen Magie! An Brot und all das andere, das aber doch das Leben reich und vielfarbig macht, an Geld, den Schlüssel zu Formen und Farben, Geld als Mittel zum Zweck – zu Schönheit, Freude, Kultur.


Er saß dem Chefredakteur gegenüber und bemühte sich, seine freudige Aufregung zu verbergen. Der Journalist strich sich durch den graumelierten Bart [111] und klopfte mit den Fingern der andern Hand auf die Tischplatte.

„Ja also, Herr Florian – es ist uns bekannt, daß Sie sich um eine fixe, redaktionelle Stelle bewerben; und da jetzt gerade bei uns etwas frei geworden ist –“

Florian machte von seinem Sessel aus eine leichte Verbeugung: „Es ist sehr ehrenvoll für mich, Herr Redakteur, daß Ihre Wahl –“

„Hm – ja. Wir kennen Sie, das heißt Ihre Bücher, die ja mit so viel – – Interesse gelesen werden, wenn sie auch manchmal ziemlich viel – hm, wie soll ich sagen – Widerspruch erregen … Aber es steckt was drin – viel Talent – [112] das ist ganz zweifellos; und vor allem eine – Kraft, die wir für unsere Zwecke brauchen können …“

Er schwieg und sah dem jungen Mann prüfend ins Gesicht.

„Übrigens wird die Disziplin im festgezogenen Rahmen eines Blattes Ihrem etwas – individualistischem Talente gut tun, junger Mann …“

Florian konnte sich nicht enthalten zu lächeln. Diese seltsamen Schlagworte, die von gewissen Seiten auf alle möglichen und unmöglichen Betätigungen angewendet wurden, hatten für ihn eine starke Komik. „Jetzt kommt die ‚Secession‘,“ dachte er bei sich. Und da sagte auch schon der Redakteur: [113]

„Wie wir sind, wissen Sie ja: wir sind nicht secessionistisch (‚nein‘ – dachte Florian – ‚das sind sie wahrlich nicht‘) und nicht übertrieben modern – wir sind fortschrittlich bis zu gewissen Grenzen …“

„Die Grenzen,“ dachte Florian, „ – ach ja O diese, ‚Fortschrittlichen‘ Sie billigen die Eisenbahn, das Dampfschiff und andere schöne Dinge – wenn sie hundert Jahre approbiert sind …“

„Zu tun hätten Sie bei uns alles, was Ihnen zugewiesen wird. Darum heißt es auch, Vor- oder Nachmittag, sowie in den Abendstunden da sein.“

Florian neigte zustimmend den Kopf, wenn es sich ihm auch schwer ums Herz [114] legte. Fast den ganzen Tag! – Aber es war ja nur Handwerk, das von ihm gefordert wurde, und handwerklich arbeiten mußte jeder, der nach sicherem Unterhalt verlangte. Und es blieb ihm ja trotzdem noch genug freie Zeit – für sich selbst.

Der Redakteur fuhr fort: „Im übrigen hätten Sie uns wöchentlich zwei Feuilletons zu liefern – leichte, volkstümliche Sachen, wie sie für unsern Leserkreis passen.“

Florian erschrak. Wie? Konnte man denn das? Erfinden mit der Pünktlichkeit einer Uhr? Und Skizzen im „Volkstümlichen“ Biedermeierton dieser Zeitung – zweimal wöchentlich – die sollte er schreiben? [115]

„Natürlich müssen die Sachen durchaus – einwandfrei sein,“ fuhr der Redakteur fort, – „Sie verstehen, – ohne ein einziges Klippchen, an dem man Anstoß nehmen könnte … Und auch wenn Sie – privatim schreiben, werden wir Sie, – wenn Sie mal bei uns Redakteur sind, bitten müssen, – diese Tatsache nicht aus dem Auge zu verlieren ...“

Er machte eine Pause, wie um dem andern Zeit zur Entgegnung zu lassen. Dann fuhr er fort:

„Dafür bieten wir Ihnen – dasselbe wie Ihrem Vorgänger.“

Und er nannte die Summe.

Friedrich Florian durchfuhr es wie ein elektrischer Schlag. Herrgott, diese [116] Summe – jeden Monat Alle seine Skrupel waren verflogen.

„Also Sie sind einverstanden, Herr Florian?“

„Gewiß, gewiß,“ stammelte er mit rotem Gesicht.

„Also kommen Sie Montag wieder, da werden wir den Kontrakt unterzeichnen. – Auf Wiedersehen.“

„Ich habe die Ehre, Herr Redakteur.“


* * *


Er eilte hinunter. Instinktiv schlug er die Richtung ein, in der er wohnte. Plötzlich bog er ab. Nein, nicht nach Hause, hinein in die Stadt wollte er, untertauchen in einem Gewühl von Menschen, nicht [117] sich einschließen mit dem Aufruhr, der in ihm stürmte. Er hatte nicht gedacht, daß es ihn so durchwühlen würde, – wenn er endlich das erreichte, was er nun schon so lange erstrebte.

Da war sie nun, die neue Direktive in seinem Leben. Hei, wie ging sich’s anders durch die Straßen, wenn man ein Mann ohne Sorgen war, ein Mann mit „festem Einkommen“. Vorüber das Hangen und Bangen. Freilich, schöner wäre es schon, wenn man frei bleiben könnte, abwarten bis auch jene „Unsicherheit“ des freien Schriftsteller-Erwerbes eine „Sicherheit“ bedeutete, – weil die Sache in großen Zügen ging. Aber das konnte, ja es mußte noch [118] Jahre dauern, wenn die Entwicklung nicht ungesund beschleunigt, überhastet werden sollte. Und man wollte doch endlich einmal heraus aus dem Bohèmetum, heraus aus der Mansarde, aus dem fliegenden Havelock, aus dem Entree der vierten Galerie, wo man sich zerquetschen ließ, um nur überhaupt teilzuhaben an der Herrlichkeit, Wagner genannt. Schließlich, – die Unfreiheit dort oben in der Redaktion, – Freiheit war’s ja, klingende Freiheit, die verschlossene Berge sprengte. Gold ruft: Sesam tu’ dich auf, – und weit öffnen sich verborgene Türen, und drin liegt alles Wunderbare hoch aufgehäuft –

Freilich, – dafür hieß es, den ganzen [119] Tag dort oben sitzen, immer „zu Befehl“, zu literarischen Lakaiendiensten bereit; aufschnappen alles, was hingeworfen wird und es „verarbeiten“; unwichtige Nichtigkeiten so lange drehen wenden und beschwatzen, bis sie wichtig erschienen …

Wie ein Schatten legte sich’s über ihn, und die Häuser schienen ihm nicht mehr so sonnig dazustehen in dem hellen Frühlingsnachmittag …

Aber schließlich, was für ein Recht hatte er denn, sich immer nur nach seinem Belieben betätigen und sozusagen von seiner Lust leben zu wollen? Arbeiten „nach Zeit“, ehrlich handwerklich arbeiten mußte man, wenn man leben wollte. [120]

„Ehrlich“ hm … Und die „volkstümlichen“ Feuilletons in dem bekannten „g’müatlichen“ Ton? O wie hatte er ihn immer angeekelt, dieser Ton einer feisten Verlogenheit, die die Mühseligen und Beladenen über ihr Elend hinwegtäuschen und ihre Besinnung über sich selbst klug verhindern wollte durch eine heuchlerische Rührseligkeit, durch Suggestion eines populären „Behagens“, das in Wirklichkeit nirgends für sie da war. Volk – Volk, mit den heiligen, ruhlosen Armen, mit den todesernsten Augen, die das Leuchten verlernt haben, weil sie hineinblicken in die schrecklichen Werk-Stätten des Lebens, aus denen alle Formen des Genusses und der Erhaltung hervorgehen, – [121] o für das Volk hätte man anders schreiben müssen

Aber konnte er das denn nicht? Wozu brauchte man denn sonst das, was sie dort oben „Talent“ nannten, – das Erblicken, Erschauen des wahren Kernes der Dinge und das Gestaltungsvermögen des Wirklichen? Konnte er denn nicht diese Skizzen des Alltags, die man von ihm verlangte, so schreiben, daß das Alltägliche mitteilenswert wurde und ein Stück Licht dorthin brachte, wo es gelesen wurde?

Aber halt Wie hatte der Redakteur gesagt –: „einwandfrei, – ohne ein einziges Klippchen“ Fein sachte erzählen, treulich abpinseln die Banalitäten [122] des Alltags Aber dort, wo eben das kommt, was dem Gesagten erst Lebensberechtigung geben soll, – dort heißt’s abschwenken

Eng und heiß wurde ihm plötzlich. Er knüpfte den Mantel auf. Natürlich, – er war so schnell gegangen, und die Frühlingssonne hatte jetzt schon brennende Strahlen –

Er verlangsamte sein Tempo … Eine Unruhe war in ihm, ein dumpfes, drückendes Unlustgefühl. Warum nahm er nur alles gleich so schwer, so wichtig? Warum immer so viel „Erleben“ bei allem?

Ja aber konnte er denn das, was man da oben von ihm verlangte, – selbst wenn er wollte? Verflachung und Volksverdummung [123] mitmachen helfen – konnte er denn das, war ihm das rein technisch überhaupt möglich? Ließ sich denn Phantasie zu solchen Funktionen zwingen?

Ja, – dort oben sitzen und redaktionelle Arbeit leisten an vorhandenem Material, das hätte er wohl können und wollen. Den Einlauf prüfen, der da ist. Eine Auslese treffen, Schlechtes verbessern, einrichten und einrenken – immerhin. Denn es ist da. Ein Buch, ein Stück – etwas Vorhandenes – auf sich wirken lassen und beurteilen, – ja. Aber selber „mitdichten“ nach Vorschrift? Phantasie, die lichte, freie Geliebte, zu Stalldiensten erniedrigen? „Frei erfinden“ für einen bestimmten Tag, zu bestimmtem Zweck, [124] für bestimmtes Geld, in bestimmtem „Rahmen“ und – vor allem – in bestimmten „Grenzen“? Wie – und sogar bei seinen eigenen Arbeiten, die er nicht für die Redaktion schrieb, sollte er darauf Rücksicht nehmen, daß er dort oben angestellt war? – Hatte er denn recht verstanden?

Siedend heiß war’s in ihm, – vergraben in seine peinvollen Gedanken eilte er durch die Straßen. Unerträglich war ja das, was er da eben erlebte … An ihm vorbei fluteten die Menschen, hastig und mit ihren Gedanken beschäftigt, wie er, mit ernsten sorgenvollen Stirnen, denen man es ansah, daß sie hinter ihnen unaufhörlich das Problem wälzten, wie es [125] anzustellen sei, sich zu erhalten und durchzusetzen … Alles jagte dem Brot nach. Und war das nicht auch seine Pflicht, – war es nicht einfach seine Faulheit, die sich dagegen sträubte?

Herrgott, – die Menschen mußten doch noch ganz andere Dinge tun, um des Brotes willen. Er besann sich auf die vorige Nacht, wo er nach einem Theaterabend mit ein paar Freunden in einem Nachtcafé gestrandet war. „Volkssänger“ waren dort gewesen, und als sie hinkamen, hatte gerade eine dicke, alte Frau, die in einem schlichten schwarzen Kleide nicht unwürdig aussah, abgesammelt. Dann war sie verschwunden, und nach wenigen Minuten stand sie plötzlich [126] auf dem Podium: das müde, greisenhafte Gesicht war grell überschminkt, ein hochroter Atlasrock reichte ihr bis zu den Knien, und ein schwarzes, mit Flitter benähtes Mieder dekolletierte den enormen Busen. Auf dem grauen Kopf saß unternehmend ein grünes „Jagahüatl“. So war sie oben gestanden und hatte gejodelt: Juhuhu – Juhuhu – – –

Und es war so unsäglich traurig gewesen.

„Servus, Florian!“

Eine dünne, quiekige Stimme schlug an sein Ohr. Er wandte sich um und sah einen ehemaligen Schulkollegen vor sich stehen. Ein hageres, schwarzes, zappliges Männchen, das immer sehr eilig war. [127]

„Servus, Meier, – wohin denn?“ „Strümpfe verkaufen, – Geschäfte machen, mein Lieber. Ja, man muß fleißig sein. Ich habe jetzt nämlich eine Vertretung für Damenstrümpfe, – famoser Artikel.“

„So? Ich gratuliere.“

„Ja, ja, – der eine macht in Strümpfen, der andre in Geist. Übrigens – ich verkaufe meine Strümpfe gerade so gern, wie du deine Feuilletons.“

„Aber ich verkaufe sie ja gar nicht gern,“ sagte Florian und sein Gesicht verdüsterte sich.

„Nicht? Hehe! Na ja, ich begreife. Die Kritik, was? Dein letztes Buch haben sie ja gut angezapft.“

„Verfolgst du das?“ sagte Florian. [128]

„Freilich, – freilich, schon weil ich dich kenne. Und den Löblich auch, – deinen ehemaligen Intimus. Der hat umgesattelt und ist Journalist geworden. Das weißt du doch?“

„Jawohl, ich weiß. Der ist jetzt brav und fett.“

„Na recht hat er gehabt. Wenigstens sitzt er warm im Nest. Und der hat sich schön entrüstet über dein letztes Buch. Übrigens, – es soll ja kolossal interessant sein. Könntest du mir nicht – aber wart’ einmal“

Sie waren aus dem Straßengewühl abgebogen und schritten jetzt durch einen Park. Meier zog ein Paket aus der Tasche. [129]

„Da werde ich dir mal was Feines zeigen …“

Er packte es auf und eine Kollektion von Strümpfen kam zum Vorschein. In allen Farben, rot, grün, gelb, lila, weiß, schwarz.

„Fein, was? Was würde dir denn da am besten gefallen?“

Florian deutete lächelnd auf ein Paar malvenfarbener à –jour-Strümpfe.

„Keinen übeln Geschmack hast du Also hör ’mal: du schickst mir dein Buch, und nimmst dafür – weil ich mir nichts schenken lass’ – die Strümpfe da. Wirst schon Verwendung dafür haben, was?“ Und er zwinkerte mit den Augen und lachte: „He he – he he – – Es klang wie ein Meckern. [130]

„Gemacht,“ sagte Florian. Er amüsierte sich. Und die Strümpfe konnte er ja der kleinen Kellnerin schenken, unten in dem Studentenwirtshaus, in dem er zu Mittag aß.

„Nun, und eine Widmung schreibst du mir doch auch hinein – wie?“

„Natürlich, – wenn du willst, – eine sehr poetische.“

„Also gut. Die Strümpfe da brauch’ ich heute. Aber ich schicke dir ganz dieselben mit der Post zu. Oder willst du sie vielleicht etwas länger oder kürzer?“

„So lang wie möglich natürlich,“ entgegnete Florian.

„Ja, – je länger, desto teuerer,“ sagte Meier mißvergnügt. „Und wenn ich dir [131] die ganz langen schicken soll, – dann muß auch die Widmung lang sein.“

Florian stand still. Er wußte nicht, ob er lachen oder grob werden sollte. Der andere nahm sein Stillstehen für ein Zeichen der Verabschiedung.

„Na ich will dich nicht stören. Ich weiß, du mußt jetzt dichten. Und ich habe auch keine Zeit, ich muß Strümpfe verkaufen. Also das Geschäft ist gemacht. Servus Und schick’s nur recht bald Auf Wiedersehen“

Dort eilte er schon geschäftig die Straße hinunter. Florian blickte ihm nach. Es würgte ihn an der Kehle, und plötzlich hatte er einen schalen, bitteren Geschmack im Munde. Trugen sie nicht alle ein [132] groteskes, entehrendes Kleid, die da dem Brot nachjagten, – geradeso wie die arme, alte Tingeltangel-Sängerin? Und ihm selbst, – ihm würde sein Journalistengewand auch nicht besser stehen, als jener dicken Dame ihr rotes Atlaskleid … Aber warum für sich eine Ausnahme beanspruchen, warum es besser haben wollen wie die anderen? Und schließlich, – mußte er denn gleich alles so schwer nehmen? Wenn er nebenbei, um Geld zu verdienen, journalistische Sachen schrieb, – was ging denn das den anderen Florian an? Der konnte doch trotzdem er selbst bleiben und unbeirrt seine wahren Ziele verfolgen.

Konnte er das, – wirklich? Würde [133] er nicht schließlich etwas Ähnliches werden wie – Albert Löblich geworden war, sein ehemaliger Intimus, in dem es kochte und gärte, daß der Freund voll Leben und Bewegung war, sich rührte und vorwärts kam, während er selbst – fest saß. Sie hatten sich überworfen und es war zum Bruch zwischen ihnen gekommen. Und dann war die Kritik über sein Buch erschienen, anonym, nur mit Buchstaben gezeichnet. Erst hatte es Florian nicht gewußt, daß sie von Löblich war, und die flache, obscöne Auffassung seines Buches, die an dem Wesentlichen blind vorbeitappte und Nebensächliches herausgriff, hatte ihn belustigt. Die dicksten Töne einer biederen Entrüstung wurden [134] da angeschlagen, und eine unflätige Auslegung hatte ernste, natürliche Dinge, die ernst und natürlich besprochen waren, – zu Zoten gewandelt. Mit dröhnendem Pathos gebärdete sich der Schreiber des Artikels als Verteidiger der gefährdeten Moral. Aber je weiter Florian las, desto ernster war er geworden: – denn da wurde der Held seines Buches unverfroren mit ihm selbst identifiziert und der Artikel strotzte von persönlichen Ausfällen. Da war es, – das Musterbeispiel, das er schon lange gesucht hatte: – für die Perfidie im Journalismus, die das Publikum in schmutzige Sackgassen leitete und dort hauste wie eine Seuche.

Und dann hatte er erfahren, daß der [135] Artikel von Löblich stammte, und er war traurig gewesen für jenen, er schämte sich in dessen Seele hinein.

Herrgott, – was war aus dem geworden!

Freilich, man mußte ja nicht werden wie der. Legte er nicht überhaupt dem Angebot, das ihm gemacht worden war, – der neuen Möglichkeit, die er ergreifen oder vermeiden konnte, – eine übertriebene Bedeutung bei?

Es sauste ihm in den Ohren, die Gedanken wirbelten durch sein Hirn, kämpfend und wild durcheinander stoßend. Tausend Stimmen schrien: greif zu, greif zu Und ihnen beipflichtend tönte ein dünnes, zages Stimmchen dazwischen: – überhaupt, – es ist ja nicht so wichtig, – [136] bausche doch die Sache nicht so auf, – greif zu und nimm das Ganze leichter – Aber hart und sonor tönte ein anderer Klang dazwischen: Entscheide dich Heut’ ist dein kritischer Tag! Entweder du setzest dich fest auf dem sicheren Grund, tauchst unter im Kleingewerbe der Zunft, – oder hinüber, hinüber – in die große Literatur …!

Es war wie ein rüttelndes Mahnwort: harr’ aus, – und steuere hinüber – hinüber –!

Seine Füße schmerzten. Stundenlang war er im Gewühl der Stadt herumgeirrt. Jetzt trieb es ihn, der Sonne zu folgen, dem sinkenden Tage nach. – Und er lenkte die Schritte seinem Heime zu. [137]

Hinüber – hinüber!

Konnte er denn das? Würde er wohl jemals drüben landen – an jener großen, stillen Küste, die leuchtend und unerschütterlich hineinragte in das tobende Meer?

War er denn – ein Dichter, oder doch einer, der den Keim dazu in sich trug?

Was hatte er schon Größeres geleistet? Noch nichts.

Aber seit Monaten trug er etwas in sich herum, – Formen und Seelen, die langsam dem Tage entgegenreiften, – Gestalten, die herauswachsen wollten über die Engen des Buches und nach einem weiteren Tummelplatz begehrten, – die [138] in heißem Kampfe die Ideen des Lebens vorbildlich verkörpern wollten, als lebendig Gewordenes dem Lebendigen gegenüber, von Angesicht zu Angesicht …

Aber wie konnte er erkennen, ob er ein Dichter war! Was bürgte ihm denn dafür? Das, was er geschaffen hatte? Ach, – über das Fertige, Niedergeschriebene hatte er selbst ja kein Urteil. Es verlor für ihn die Seele mit dem Augenblick, wo es sich von ihm loslöste und er es hinausflattern ließ in die Welt. – Oder der Zustand, in dem er schrieb, – die heiße Berauschung des Schaffens? War das das Merkmal des Dichters? Jene ekstatische Entzückung, in der ihm die Welt versank und nur die eigenen, [139] geheim geborenen Vorstellungen zu leben begannen, jene visionäre Entrücktheit des Sehers, vor dessen innerem, hypnotisch gebannten Blick urplötzlich die Hüllen zu fallen beginnen, die die Wesenheit der Dinge verkleiden. – In solchen Stunden glitt die Hand über das Papier, ohne daß

es dem Körper zum Bewußtsein kam, – losgelöst vom physischen Wissen vollzog das Hirn fast halluzinativ den heißen, aufbrauchenden Kampf mit dem Stoff. Worte und Rhythmen türmten sich zu schimmernden Bauten – und Kompositionen, deren Fabeln der Verstand schon lange durchdacht, erstanden wie das Werk eines Somnambulen.

Aber war er da der Künstler, der [140] Dichter, während solches mit ihm geschah, – während tief Vergrabenes, das in Stunden des wachen, wirklichen Lebens Gefühl geworden war, – nun in

anderer Form dämmernd aus der Tiefe emporstieg, – wie die versunkene Stadt emportaucht in stiller Zaubernacht ....? In solchen Stunden, wo er das Geheimnis der göttlichen Dreieinigkeit an sich selbst erlebte – Kraft und Stoff, die heiß aufeinander stoßen, in wildem Werben umeinander ringend, bis sie endlich vermählt miteinander verschmelzen und ein Neues zeugen: Das Bewußtsein, – in solchen Stunden, wo er Fabeln formte, deren bloße Ideen er einstens in durchwühlendem Aufruhr mit eigenem Blute erlebt, [141] - da war er nicht der Künstler mit klarem Sinn und forschender Seele, sondern nur das Werkzeug einer heißen Verzückung. – Also wo lag das Kriterium?

Er stand still. Plötzlich war es in ihm aufgeblitzt, wie ein Licht auf dunklem Wege: ja, aber damals, – als er erlebte …? So wie er jetzt erlebte, – die Qualen seiner Krisis – so brennend und tief und aufrührerisch! Da eben, – während er erlebte – da vollzog sich das Entscheidende. Was er heute erlebte, – war denn das etwas Besonderes? Nein. Nur das typische Erlebnis des jungen Schriftstellers: die Schlingen und Netze, die der Journalismus nach ihm [142] auswirft, die Zeitungsgefahr, in der er sich zu verfangen droht ...!

Und auf einmal war es ihm klar, ein jubelndes Licht drang in seine Zweifel und verjagte die Schatten: Was er erlebte, waren ja nur typische Schicksale, die tausend anderen begegneten wie ihm, – aber wie man erlebte – das war’s Nicht erst im letzten Prozeß des Schaffens, sondern in seinem Erleben war der Dichter der Dichter. – Er beschleunigte seinen Schritt, Freude erfüllte ihn, daß er die Antwort auf sein banges Fragen gefunden hatte: Wie wir erleben! Der Grad unseres Leides, die Tiefe jener vergrabenen Schlünde, in die wir unter Grauen und Gefahr hinuntersteigen in [143] der Stunde des Erlebens, die Intensität des Fühlens und Erfassens – das ist das Kriterium des Dichters. Und nur wer so erlebt, dem ballt sich die Essenz des Erlebten in feste, unverdrängbare Formen, die nach Ausdruck ringen; der erkennt in visionärer Ferne die Geheimnisse des Werdens und Fliehens, die verborgenen Motoren jener typischen, alltäglichen Erscheinungen, die ihm begegnen wie so vielen anderen, – und nur der reift im Banne seines durchwühlenden Erlebens jener Verzückung zu, in der die bunte Verschlungenheit sich entwirrt und die gelösten Rätsel dem Chaos entsteigen, wie der blühende Leib der Anadyomene dem Aufruhr der Flut, – [144] wie die Form sich dem Nebel entrang, da die Stimme des Schöpfers ertönte: Es werde Licht.

Wie? Und er hatte sich vorgeworfen, nur von seinem „Belieben“, seiner „Lust“ leben zu wollen? Lust, – der tausendfache Qual vorherging, ein Schaffen, bei dem das eigene Blut dahinströmt, ein Zustand, aus dem man erwacht wie aus schwerer Hypnose, mit erschöpftem Leib und erdfremder Seele. – Das hatte er jetzt erfahren, und das wußte er nun: Dichter nur der, der mit Blut und Seele, mit allen Nerven und Sinnen, mit der Aufopferung des eigenen Leibes an seinem Kunstwerk baut

Und nun, in dieser Stunde, da er im [145] Aufruhr der eigenen Krisis erkannt hatte, was das Wesen des Dichters war, nun begriff er auch, was ihm so oft Überschätzung geschienen hatte: daß die wahren Dichter, die ausgeharrt haben in Kampf und Sturm, bis sie an jener fernen, feierlichen Küste landen konnten, gefeiert wurden von der Begeisterung der Völker.

Vom nahen Turme der Vorstadtkirche läuteten die Glocken den Abend ein. Und die sonoren, metallenen Töne schienen ihm die Luft zu durchdröhnen mit eherner Stimme, und Orgelklang brauste dazwischen, der von irgendwo aus der weiten Ferne kam. Oder war es der wilde Frühjahrswind, der losgebrochen [146] war und nun sausend daherfuhr und die rosigen Blüten der Bäume durcheinander wirbelte im tollen Tanz?

Und sein Herz war voll von demütiger Huldigung für die Einsamen, die an jener Küste gelandet waren, und stärker noch als da oben sang und brauste es in ihm selbst: feiert ihn, der emporgestiegen ist über seine Leiden, – und bietet ihm dar die Köstlichkeiten des Lebens Feiert ihn, – denn in seinen eigenen Leib reißt er blutige Wunden, in sein eigenes Fleisch bohrt er den Stachel und auf sich selbst läßt er die Peitsche niedersausen, bis er, – wie der indische Seher – nach den Qualen in die Ekstase versinkt. Aber aus seinem Leid erwächst [147] das Schauen, von seinem Kreuz, das er hinaufträgt über das Golgatha seines vertieften und verschärften Erlebens, strömt neue Erleuchtung, und aus seinem Herzblut, das dahinströmt, erblühen die purpurnen Rosen, die die Tafel des Lebens schmücken. Feiert ihn, er ist der Erlöser, – denn Hosiannah und Glorie verklären die Wonnen dieser unheiligen Erde, wenn sie ein Dichter als Dichter erlebt, – und von Tausenden werden ihre Qualen genommen, wenn sie ein einziger tausendfach litt. –

Er stürmte die Straßen hinauf, er konnte es nicht erwarten, in seine Wohnung zu kommen, denn ihm war, als hätte der reiche Tag, der hinter ihm lag, [148] ein Neues in ihm, das als keimende Form wartend in ihm gelegen war, zu wachem Leben erweckt ... Eine energische, treibende Kraft war in ihm, und er fühlte, daß noch heute die Loslösung des Werdenden beginnen würde, das in schmerzvollem Wachsen seit langem in seiner Seele war.

Dämmerndes Abendlicht durchflutete sein kleines Zimmer, als er eintrat. Und in dem Halbdunkel leuchtete ihm das blaue Buch entgegen, das immer auf seinem Tische lag. Er schlug es auf, und wie als letzte Entscheidung grüßten ihn die Worte Emersons:

„Zweifle nicht, o Dichter, sondern sei standhaft Sprich: Es ist in mir und soll [149] heraus! Harre aus, stockend und stumm, stotternd und stammelnd, stehe kühn und kämpfe, bis endlich der heilige Zorn jene Traumgewalt aus dir heraustreibt, welche in jeder Nacht dir als deine eigene offenbart ward …“

Er trat vom Tisch weg zum offenen Fenster hin. Der Frühlingswind tollte unten in den Gärten und hoch oben in den Wolken, die von den Strahlen der Sonne, die hinter ihnen versunken war, noch golden und rötlich glühten. Er brauste hinein in das kleine Mansardenfenster und fuhr wild und übermütig in das dichte Blondhaar des jungen Mannes, – ließ es zurückflattern, daß die hohe, freie Stirn zum Vorschein kam, – das [150] Baldurzeichen der Natur für ihre Lieblingskinder.

In dem mächtigen Gehäuse aber stürmten die Gedanken, so lebendig wie draußen der Frühling. – Er sah hinaus ins Freie, bis hinüber, wo die Linien der Berge den Himmel berührten. Dort stritten die Wolken mit den Wind, der sie wild auseinander riß. Aber immer wieder ballten sie sich aufs neue und stürmten gegeneinander wie kämpfende Riesen.

Und in den mächtigen dunkeln Figuren, die drüben am Horizont gegen den Sturm kämpften, – in Verschlingung und Bewegung, Weichen und Wehren, Angriff und Lösung – sah er mit leuchtenden [151] Augen die Gestalten seines Dramas, mit denen er so lange gerungen, und die ihm nun endlich emporgestiegen waren aus dem Dunstkreis sozialer Tiefen – zu freieren Sphären empor.