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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Witz und Humor.


Der Witz in Mißcredit. – Von den Ursachen dieses Mißcredits. – Nur ein Kalauer! – Berliner Wortspiele. – Friedrich Wilhelm der Vierte und seine Bonmots. – Confusion, Gallimathias und Maculatur. – Witzige Abfertigungen. – Friedrich der Große und der Geisterbeschwörer. – Eine Probe von Jean Paul’s unsterblichem Humor.


Was ist aus unserm Witz geworden? Außer den Blättern, welche ihn zwangsweise machen, findet sich selten eine Zeitschrift, die ihn nur duldet! Und warum ist der Witz so in Mißcredit gekommen, warum sein Cours so niedrig? Weil die Actien so steigen, d. h. wegen des unersättlichen, gefräßigen und doch nie zu befriedigenden Materialismus unserer Zeit. Wir verhalten uns mehr begehrend als betrachtend zu den Menschen und Dingen um uns. So stehen wir unter dem Zwange unserer Begierden, die uns unfrei machen. Die Gegenstände beherrschen uns, nicht wir sie. Sind wir dagegen im Stande, Menschen und Dinge um uns blos zu beurtheilen, zu erkennen, zu betrachten, so nehmen wir rein ästhetische Vorstellungen von ihnen auf, die unsere Freiheit nicht beeinträchtigen, weil wir nichts von ihnen wollen, sondern weil sie im Gegentheil dazu dienen, uns den Genuß der Freiheit zu erhöhen. Wir spielen geistig mit den Eindrücken von außen und fühlen so die Herrschaft über die Dinge, denen wir diese Eindrücke verdanken. „Freiheit giebt Witz und Witz giebt Freiheit,“ sagt Jean Paul. „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.“ „In den heiteren Regionen, wo die reinen Formen wohnen, rauscht des Jammers trüber Sturm nicht mehr.“ (Schiller.) Darin liegt zugleich der Schlüssel zu den Geheimnissen der Witzlosigkeit unserer Zeit, der fieberhaft unersättlichen Begehrlichkeit, unserer Sclaverei unter dem Joche des Lebens, des Götzendienstes für die Molochs „Soll und Haben“.

Wir glauben uns deshalb ein Verdienst zu erwerben, wenn wir einmal wieder auf den Werth des Witzes und seine heiter befreiende Kraft aufmerksam machen. Wie herrlich sind schon dessen verschiedene Formen und Wandlungen! Alles Häßliche und Drückende in unserm Leben und den Erscheinungen um uns löst sich durch einen einzigen Blitz richtiger, uneigennütziger Erkenntniß in die beglückendste Heiterkeit auf, wenn uns der Contrast zwischen dieser Unnatur und dem Begriffe oder der Idee der Sache plötzlich durch ein treffendes Wort klar gemacht wird. Solche spielende Urtheile, in denen sich der Witz geltend macht, sind wahre Erlöser und Befreier. Was bisher in unseren Vorstellungen unverträglich war und uns selbst durch seine Mißverhältnisse quälte, wird durch den Witz ein glückliches Liebespaar. „Der Witz,“ sagt Jean Paul, „ist der verkleidete Priester, der jedes Paar traut und zwar die Paare am liebsten, deren Verbindung die ernsten interessirten Verwandten nicht dulden wollen.“

Wie oft stören uns die Ochsen am Berge des Fortschritts! Sie stoßen nicht uns, sondern wir sie aus unserm Wege fort, wenn wir mit Börne sagen: „Als Pythagoras seinen berühmten Lehrsatz entdeckt hatte, opferte er hundert Ochsen; seitdem zittern alle gehörnten Wesen dieser Art, so oft eine neue Wahrheit entdeckt wird.“ Das ist ein Witz, und die Dummheit der Welt, die uns bisher drückte und störte, erregt das Gelächter unseres freien Geistes. Ja, es ist eine Freude, blitzartig, d. h. mit Witz, zu erkennen und mit dem darauf folgenden Donner der Zwerchfelle die uns drückenden Fesseln abzuschütteln. Man lerne den Witz wieder ehren, und wer es irgend kann, lerne ihn machen oder vielmehr mit geschärftem Auge finden. Der Stoff dazu liegt überall umher. Man lerne vor allen Dingen sich höher, besser, freier fühlen, als die Dinge und Menschen, die uns drücken und ärgern. Der Witz entspringt aus dem sich erhebenden und befreienden Selbstgefühl und steigert dasselbe. Freilich um mit solchen spielenden Urtheilen blitzen zu können, dazu gehört nicht blos die Höhe, von welcher er herunterschießt, sondern auch die Kraft, welche den Blitz wirft. Wenigstens fühlt sich die Geisteskraft, wo sie blitzt, erhaben, frei und glücklich, und dies um so mehr, je mehr der Blitzschleuderer sieht, wie der Blitz zündete und die Leute um ihn her lachen und sich ebenfalls frei fühlen. Dies ist unendlich wohlthuend und ein dankbares Geschäft. Ein alter römischer Spottvogel sagte einmal: „Es ist schwer, keine Satire zu schreiben,“ und deshalb ist es auch nicht leicht, einen witzigen Einfall zu unterdrücken. Man gebe sich deshalb auch keine Mühe, sondern platze und blitze heraus, selbst auf die Gefahr hin, daß nichts herauskomme als ein „Kalauer“. Die Menschen um ihn her mögen nur dafür sorgen, daß sie den Witz verstehen, und sich vor allen Dingen hüten, ihn übelzunehmen.

Wer weiter nichts kann, versteht oder macht vielleicht sogar gelegentlich eine leichteste Art von Witzen, einen bloßen Wort- oder Klangwitz. Auch diese Sorte kann zuweilen schon ganz würzig und wirksam gerathen. Früher jedoch gedieh er sogar auf Kanzeln, und Abraham a St. Clara in Wien war Meister darin. Schiller verdankt ihm für seine Capucinerpredigt im Wallenstein die meisten Wortspiele:

„Kümmert sich mehr um den Krug als den Krieg,
Wetzt lieber den Schnabel als den Sabel,
Hetzt sich lieber herum mit der Dirn’,
Frißt den Ochsen lieber als den Oxenstiern.
Das römische Reich, daß Gott erbarm’,
Sollte jetzt heißen: römisch arm.
Der Rheinstrom ist geworden zu einem Peinstrom,
Die Bisthümer sind verwandelt in Wüstthümer,
Die Abteien und Stifter
In Raubteien und Diebesklüfter.

Auch nicht übel vergleicht er den verlornen Sohn mit einem Irländer und dann wieder mit der Donau, die sich nach verschiedenen Irrfahrten mit der Sau verbindet. Die Sau ist bekanntlich ein Nebenfluß der Donau und der verlorne Sohn aß mit den Schweinen Trebern. Ein Hamburger Lotteriecollecteur sprach nach Heine mit Rothschild ganz „famillionär“, und wer Shakespeare’s Macbeth kennt, wird auch den Witz Heine’s gut finden: „Hier in Hamburg herrscht nicht der schändliche Macbeth, sondern Banko.“ Solche Wortwitze werden oft durch den Doppelsinn ziemlich werthvoll und wirksam. Die Philosophen theilen sich in Kantianer, Fichteianer, Hegelianer, Leibnitzianer etc., und da sie sehr oft an schlechter Verdauung leiden, gehören sie und viele Gelehrte oft zu der ganz besonderen Sorte der Unterleibnitzianer. Insofern hat auch der ehrliche Kalauer unter Umständen seine volle Berechtigung. Wir wollen hierbei bemerken, daß eine etwas bessere Sorte dieser Wortwitze besser Kalenburger genannt werden. Es ist dies eine kalauernde Uebersetzung der französischen Bezeichnung für schlechte Wort- und Klangspiele, Calembours. Diese gehen herab bis zu den dummen Witzen und dem höheren Blödsinn, z. B. Welche Ringe sind nicht rund? Die Heringe. Warum gießt man kein Wasser in’s Portemonnaie? Weil dies zu sehr in’s Geld laufen würde. Ein Fähndrich Fallstaff’s heißt Pistol. Populär sagt man zu einem unangenehmen Gaste: Drücke Dich! Wenn nun Fallstaff zu seinem Fähndrich sagt: „Drücke Dich aus unserer Gesellschaft ab, Pistol!“ so ist das zwar ein sehr wohlfeiler, aber gut abblitzender Schuß.

Das Gebiet des Wortspiels ist unendlich groß und erhebt sich von der niedrigsten Kalauerei des höheren Blödsinns bis zu den höchsten Gedankenblitzen, die aus einem einzigen Worte hervorzucken können. Alle diese Spiele sind je nach Ort und Zeit berechtigt. Wir verzeihen sogar lachend die Antwort auf die Frage: Wann liegt Berlin an einem Vulcan? Während des Wollmarktes, weil dann mancher „Wullkahn“ auf der Spree liegt. Auch die Lösung des Räthsels einer berühmten komischen Figur in Berlin ohne Ahnung eines Unterschiedes zwischen Dativ und Accusativ wird wenigstens einmal gern gehört: „Das Erste ist eine Kuh, das Zweite ein Pferd und das Ganze steht auf dem Boden, bis man verreist; was ist das? Ein Kuffert“ (Koffer). Während eines Winters sollten in Berlin vier Subscriptionsbälle stattfinden. Derselbe Papa gefragt, ob er einen oder den anderen besuchen werde, antwortete: „O, ich komme uff allen Vieren!“

Solche Art von Witz braucht übrigens nicht besonders cultivirt zu werden, destomehr das eigentliche Wortspiel, das gute Wort, bon mot, wie es die Franzosen nennen. Aus solch einem Worte mit Doppelladung blitzt dann auch ein weithintreffender Schuß.

Napoleon der Dritte, Kaiser der französischen Adler, nahm gleich im Anfange seiner glorreichen Regierung die Güter der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_298.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)