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ADB:Arneth, Alfred Ritter von

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Artikel „Arneth, Alfred Ritter von“ von Hanns Schlitter in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 45–51, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Arneth,_Alfred_Ritter_von&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 14:22 Uhr UTC)
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Arneth: Alfred Ritter von A. wurde am 10. Juli 1819 zu Wien als der zweite Sohn des Numismatikers und Archäologen Joseph v. A. geboren. Ein romantischer Schimmer umkleidete sein Leben, der von dem Namen seiner Mutter, der gefeierten Burgschauspielerin und einstigen Braut Theodor Körner’s, Antonie Adamberger ausging. Von dieser erbte A. den feinen Sinn für das Gefällige und Schöne, die Gabe künstlerischer Gestaltung, von seinem Vater aber den Drang nach wissenschaftlicher Bethätigung. Ihn, der edlere Ziele verfolgte, konnten daher die Geschäfte, denen er als junger Praktikant bei der Cameralgefällverwaltung obliegen mußte, keineswegs befriedigen; er suchte in eine Umgebung zu gelangen, die seinen Fähigkeiten und seinem Wissensdurst entsprach und er fand sie im Staatsarchiv, in das er zu Anfang des Jahres 1841 eintrat. Nicht lange sollte er dort verbleiben; die ausgedehnten Sprachkenntnisse und die schöne Schrift Arneth’s bewogen seinen obersten Chef, Fürsten Metternich, ihm eine freigewordene Officialstelle in der Staatskanzlei zu verleihen.

Infolge dieser Wendung seines Geschickes sah A. die Möglichkeit vor sich, das Mädchen zu freien, dem seine erste Liebe galt: Nina v. Schaeffer, der Grillparzer folgendes Distichon gewidmet hatte:

Einst auf denselben Bänken
Saßen Dein Vater und ich;
Des Guten und Schönen zu denken,
Der Vorsatz uns nimmer entwich,
Und daß wir’s nicht gänzlich verfehlten,
Das zeigte die Zeit, die verstrich,
All was wir schufen und wählten;
Und jeder läßt sterbend nach sich
Die Kinder voll Anmuth und Sitten–
Neid, weißt du es anders, so sprich!
Ich Sapphon und Melitten,
Dein Vater, o Liebliche, Dich.

Noch verhielt sich Arneth’s Vater völlig ablehnend, da er aus finanziellen Gründen von einer so frühen Ehe seines Sohnes nichts wissen wollte. Um diesen Widerstand zu brechen, entschloß sich A. die von seinem Vater verfaßte und etwas veraltete Geschichte Oesterreichs einer gründlichen, den neuen Anschauungen entsprechenden Umarbeitung zu unterziehen. Er erreichte in der That seinen Zweck, aber ihm war zugleich auch die Lust zu größeren historischen Arbeiten erwacht.

Mächtig zog ihn die ritterliche Gestalt des Feldmarschalls Grafen Guido Starhemberg an und ihr galt sein erstes historisches Werk, das nach dem Ausspruche Häusser’s nicht allein eine Biographie des Feldherrn, sondern auch eine Kriegsgeschichte der Jahre 1683 bis 1714 genannt werden kann. Angeeifert durch solches Lob, griff A. abermals zur Feder und entwarf ein Bild des Prinzen Eugen, wie keiner es zuvor geschaffen. Denn erst aus Arneth’s Darstellung [46] lernen wir den ruhmbekränzten und so oft besungenen Helden auch als Förderer der Künste und Wissenschaften, sowie als Staatsmann kennen, und als solcher war er in der That der größte, den Oesterreich je besessen hatte.

Bald erschlossen sich A. die Pforten des ersten wissenschaftlichen Instituts der Monarchie: im Mai 1858 wurde er zum correspondirenden Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften gewählt.

Am 28. November desselben Jahres starb Joseph Chmel, Vicedirector des Staatsarchivs, ein Ereigniß, das in seiner Nachwirkung einen entscheidenden und überaus günstigen Einfluß auf das Schicksal Arneth’s ausübte. Allmählich war in diesem die Sehnsucht stärker geworden, sich von der eigentlichen Laufbahn eines Beamten vollständig loszulösen und einzig und allein der historischen Wissenschaft zu leben. Im Staatsarchiv winkte ihm die Gelegenheit, seinen lebhaften Wunsch erfüllt zu sehen und er bewarb sich um die durch Chmel’s Ableben erledigte Stelle eines Vicedirectors. Aber man zögerte lange mit dem Entschluß, das Staatsarchiv, das bisher sowol vom Ministerium selbst als von der Archivverwaltung als ein Sammelpunkt ängstlich zu hütender Staatsgeheimnisse betrachtet und deshalb, wenigstens insofern es die neuere Zeit betraf, vor jedem profanen Auge sorgfältig verschlossen worden war, nun plötzlich einem Manne unbedingt zugänglich zu machen, der ganz offen als seinen Hauptzweck bezeichnete, die dort aufgehäuften handschriftlichen Schätze litterarisch zu verwerthen. Schon vor Erfüllung seines Wunsches trug sich A. mit dem Plane zu einer historischen Arbeit, die an Umfang und an Bedeutung für Oesterreich sein Buch über den Prinzen Eugen noch weit übertreffen sollte. Es war dies eine pragmatische Geschichte der Kaiserin Maria Theresia, der glänzendsten Erscheinung, von welcher die Geschichte Oesterreichs zu berichten weiß. „Sie vollbrachte fürwahr – sagte A. – eine Neugestaltung des Reiches, wie Oesterreich sie unter keinem seiner früheren Herrscher auch nur in annähernder Weise erlebt hatte. Mit schöpferischer Kraft wußte sie aus einem losen Verbande ungleichartiger, stets sich fremd gebliebener Gebiete ein einheitliches Reich zu schaffen. Mit solcher Entschiedenheit und doch zugleich in so milder Form verstand sie diese Aufgabe zu vollführen, daß kein einziges jener Länder, so schwer sie auch sonst zu behandeln sein mochten, sich auflehnte wider die durchgreifende Veränderung, welche in seiner Stellung zur Centralregierung und zu den übrigen Provinzen in seinen inneren Zuständen hervorgebracht wurde.“

Endlich, nach zweijähriger Bewerbung, am 8. November 1860, erhielt A. die Vicedirectorstelle im Staatsarchiv und somit war dieses Ziel seiner Sehnsucht glücklich erreicht. Nun konnte er sich ungestört und sogar unter den Auspicien des auswärtigen Amtes seiner Aufgabe widmen. Durch fast zwanzig Jahre that er dies mit rastlosem Bemühen, bis endlich Ende April 1879 die Biographie der Kaiserin in zehn Bänden abgeschlossen vor ihm lag, ein Werk, von dem Döllinger schrieb, es sei ein Denkmal „dauernder als Erz“.

Damit hatte A. einen Zeitabschnitt behandelt, der bis auf ihn noch im Dunkeln lag. Forschung, kritische Methode und Darstellung waren die Fackel, mit der er ihn beleuchtete und siegreich fiel das Licht auf das Bild der Kaiserin, deren Züge man bisher nur entstellt gesehen hatte. A. aber konnte sich der wehmüthigen Empfindung nicht entschlagen, daß die beste Arbeit seines Lebens gethan sei und er eine ähnliche nicht mehr zu Stande bringen werde.

Man pflegt A. den österreichischen Ranke zu nennen. Es ist insbesondere ein Moment, dem er diese ehrenvolle Bezeichnung verdankt: die Kunst, die Ereignisse der Zeit um den Helden seiner Erzählung zu gruppiren. Und eben darin übertrifft er Leopold v. Ranke. Denn schärfer als bei diesem tritt bei A. die Persönlichkeit in den Vordergrund, sie ist es, welche das Ganze beherrscht [47] und das biographische Moment ist es, worin Arneth’s eigentliche Größe liegt. Immer wieder zog es ihn dahin, und diesem Drange verdanken wir seine prächtige Monographie über Bartenstein, seine eigene Lebensbeschreibung, sein Buch über Schmerling und sein letztes über den Minister Wessenberg. Mit menschlichen Empfindungen rechnete A. und nicht mit Problemen; in diesem Sinne wollte er der geschichtlichen Erkenntniß dienen und sie dem Volke näher bringen. Eine philosophische Auffassung der Begebenheiten, wie Ranke sie besaß oder wie dessen Gegner Lamprecht sie vertritt, ist A. stets fremd geblieben. Die Wahl des Stoffes entsprang der gesunden Weltanschauung, mit der er begnadet war und der harmonischen Ausgleichung, die sich schon früh in seinem Innern vollzogen hatte. Widerwillen empfand er gegen die, die man als Menschen der Katastrophen bezeichnen darf. Stürmer und Dränger stießen ihn ab, nur Vernunft, gepaart mit zielbewußtem, rechtschaffenem Handeln, konnte ihm Achtung einflößen, die er in diesem Falle auch dem Gegner nicht versagte. Mit Vorliebe ruhte daher sein Blick auf jenen Gestalten vaterländischer Geschichte, die nicht allein durch Staatskunst, sondern auch durch Rechtschaffenheit des Charakters gleich ausgezeichnet waren. Sie, die nicht in den Winkelzügen des Macchiavellismus, sondern auf der geraden Bahn einer offenen und ehrlichen Politik die naturgemäße Ausgestaltung des Reiches anstrebten, fesselten ihn zumeist und regten ihn an, ihre Geschichte darzustellen. Ihm ging das Menschliche an dem Menschen über Alles. So fragte ihn Kaiserin Augusta eines Tages in Baden-Baden, warum er Friedrich dem Großen, „dem Herrscher mit den elementaren Qualitäten“ in dem Buche über Maria Theresia nicht gerecht geworden sei? Freimüthig antwortete A.: „Weil der große König rachsüchtig war“.

Die Correspondenzen, die A. theils allein, theils mit Geoffroy und Flammersmont herausgab, sind Quellenwerke, die nicht bloß einen tiefen Einblick in die Politik der Monarchie, sondern auch in das Innerste der Persönlichkeit gewähren, die sie leiteten. Maria Theresia, Joseph und Kaunitz sind uns menschlich näher gerückt, wir erkennen ihre Größe, aber auch ihre Schwächen. Nicht minder bedeutend sind diese Publicationen aus dem Grunde, weil sie irrige Anschauungen entkräfteten und der Wahrheit zu ihrem Rechte verhalfen. So brachte der Briefwechsel der Kaiserin mit Marie Antoinette in überzeugender Weise die Unechtheit der Briefe an den Tag, die Hunolstein und Feuillet de Conches herausgegeben hatten, und die geheime Correspondenz zwischen Josef II., Kaunitz und dem Grafen Mercy machte endgültig den Glauben zu nichte, daß die Königin Einfluß auf die Geschäfte gehabt und sie recht eigentlich geleitet habe.

Unzertrennbar von den Leistungen Arneth’s auf dem Gebiete der Geschichtswissenschaft sind seine Errungenschaften auf dem des Archivwesens. Er war es, der das erste erlösende Wort sprach, welches die Forschung von der beengenden Fessel befreite, die bis dahin auf ihr gelastet hatte. „Ein frischer Luftzug drang in die dumpfen Gewölbe“, die Freund und Feind, ohne Rücksicht auf die politische Parteistellung nun offen standen. Denn gerade die preußischen Historiker waren es, in Ansehung deren A. fest bei seiner Ueberzeugung blieb, „daß man ihnen vor allen Anderen die Einsicht in jene Urkunden gestatten müsse, an welchen sie die Gültigkeit ihrer Anschauungen erproben können“ (Heigel, Archivwesen und Geschichtsforschung, in seinem Buche: Geschichtliche Bilder und Skizzen, S. 184 u. ff.). Die Reformen, die auf seinen Antrag durchgeführt wurden, bedeuten eine Epoche in der Geschichte des Archivwesens, da auch die übrigen Staaten seinem Beispiele folgten und ihre Archive der Forschung zugänglich machten.

Am 27. Mai 1879 wurde A. einstimmig zum Präsidenten der kaiserlichen [48] Akademie der Wissenschaften gewählt, die seine Wahl nach je drei Jahren sechs Mal erneuerte, so daß er sich bis zu seinem Hinscheiden in dieser ehrenvollen Stellung befand. Im Juni 1880 aber erfolgte aus Anlaß der bevorstehenden Vollendung seines vierzigsten Dienstjahres seine Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rath.

Auch außerhalb der Monarchie drang sein Name in die wissenschaftliche Welt, und da erfüllte es A. mit größter Freude, als er in Bestätigung der Wahl der von König Max II. gestifteten Münchener „Historischen Commission“, deren ordentliches Mitglied er seit 1864 war, 1896 vom Prinz-Regenten zu ihrem Vorsitzenden ernannt wurde, eine Stellung, die vor ihm Ranke und Sybel bekleidet hatten.

Auch auf politischem Gebiete errang sich A. einen angesehenen Namen. Von dem Wunsche geleitet, werkthätig an dem Aufbau eines neuen Oesterreich mitzuhelfen, bewarb er sich im J. 1848 in Neunkirchen um das Abgeordnetenmandat zum Frankfurter Parlament; über nicht weniger als zehn Candidaten, unter denen sich auch Perthaler befand, trug A. den Sieg davon.

In Frankfurt erhob er Einsprache gegen die Zerreißung des Verbandes Oesterreichs mit Deutschland und er bekämpfte die kleindeutschen Historiker, namentlich Gervinus, gegen den er in der Augsburger Allgemeinen Zeitung einen scharfen Artikel richtete. Eine Lösung der deutschen Frage wurde aber nicht erzielt und an die Oesterreicher trat nunmehr die Frage heran, ob sie angesichts der sich immer deutlicher herausstellenden Gewißheit, daß sich Oesterreich in dem neu zu gründenden deutschen Bundesstaat nicht einfügen könne und werde, überhaupt noch berechtigt seien, an der Gesetzgebung über diesen einen thätigen Antheil zu nehmen. Die Octroyirung der Verfassung vom 4. März 1849 mußte sie vollends erkennen lassen, daß ihre Mission als österreichische Abgeordnete als beendet zu betrachten sei. „Als Oesterreicher – so erzählt uns A. in seiner Selbstbiographie – freute ich mich aufrichtig des entschiedenen Schrittes, welchen die Regierung gethan, um einerseits den Völkern Oesterreichs den Fortgenuß der constitutionellen Freiheiten zu sichern und anderseits wieder ein gesetzmäßiges Gefüge in das arg zerrüttete Staatswesen zu bringen“. A. legte sein Mandat nieder, indem er von der Voraussetzung ausging, „daß es vielmehr im Interesse dieser Regierung liege, einer Situation freiwillig ein Ende zu machen, welche ihrem Einflusse in Deutschland nicht das Mindeste nütze, ihr Ansehen aber empfindlich benachtheilige“. In bescheidener, jedoch entschiedener Weise trat A. für diese seine Anschauungen ein, als er sich im Ministerium des Aeußern seinem neuen Chef, dem Fürsten Schwarzenberg vorstellte.

Erst zwölf Jahre später trat A. dem politischen Leben wieder näher. Von seinem Wahlbezirk Neunkirchen eingeladen, zu candidiren, wurde er im März 1861 in den niederösterreichischen Landtag gewählt. Daß er das Jahr vorher beauftragt worden war, den Sitzungen des verstärkten Reichsrathes beizuwohnen und die gehaltenen Reden zum Zweck ihrer Veröffentlichung zu redigiren, hatte nicht wenig beigetragen, sein Urtheil nach mancher Richtung hin zu schärfen. Auch jetzt betrachtete er als seine hauptsächliche Aufgabe, „das Ministerium Schmerling in seinen auf Einführung des Verfassungslebens in Oesterreich gerichteten Bestrebungen zu unterstützen und ihm keine wie immer gearteten Schwierigkeiten zu bereiten“. Bald mußte sich aber A. entscheiden, ob er vom Landtag in den Reichsrath oder in den niederösterreichischen Landesausschuß gewählt werden wolle. Umstände der verschiedensten Art veranlaßten ihn, eine Wahl in den Reichsrath nicht anzunehmen, wogegen er hoffte, im Landesausschuß eine wenn auch nicht glänzende, so doch ersprießliche Thätigkeit entwickeln zu können.

[49] Wenn sich auch A. durch seinen Verzicht auf eine Wahl in den Reichsrath von jeder größeren Bethätigung auf politischem Gebiete freiwillig ausgeschlossen hatte, so hinderte ihn dies nicht, alle Vorkommnisse mit regem Interesse zu verfolgen. Leider waren sie nicht derart, daß sie einen in altösterreichischen Traditionen aufgewachsenen Mann, wie A., mit großen Hoffnungen für die Zukunft erfüllen konnten. Mit wachsender Besorgniß sah A., wie sich die Kluft zwischen der deutsch-liberalen Partei und dem Ministerium Schmerling erweiterte. Dieses mußte dem Regime des Grafen Richard Belcredi Platz machen. Als mit Patent vom 20. September 1865 die Verfassung sistirt ward, trat an A. die Pflicht heran, in dem bevorstehenden Conflict zwischen Regierung und Landesvertretung Partei zu ergreifen und Farbe zu bekennen. Viele Jahre darnach konnte sich A. nicht von dem Vorwurf freisprechen, daß die Art und Weise, in der er den an und für sich gewiß nur zu billigenden Entschluß ausführte, sich gegen das September-Patent zu erklären „nicht gerade Lob sondern eher Tadel verdiente“. „Ich verfiel hierbei in den Fehler – gesteht er selbst – welchen wir Deutsche so oft begehen, und der vielleicht unserer Gewissenhaftigkeit und unserem persönlichen Charakter, nicht aber auch unserer politischen Einsicht zur Ehre gereicht. Nichts fällt uns schwerer, nichts kostet uns ein größeres Opfer, als die blinde Unterordnung unter die strenge Parteidisciplin, und doch ist sie die unerläßliche Vorbedingung zur Erreichung von Erfolgen auf politischem Gebiete. Auch mir ging es nicht anders.“

Unmittelbar nach Schluß der zweiten Landtagssession von 1866, am 2. Januar 1867, wurde das kaiserliche Patent erlassen, welches die Auflösung der Landtage und die unverzügliche Veranstaltung von Neuwahlen anordnete. Unter solchen Verhältnissen erachtete es A. „als ein Gebot der Ehre und der Pflicht“ sich neuerdings um das Landtagsmandat zu bewerben, das er auch dieses Mal für den Bezirk Neunkirchen erhielt. Am 7. Februar enthob der Kaiser den Grafen Belcredi seiner Functionen und ernannte den Minister des Aeußeren, Freiherrn v. Beust zum Präsidenten des Ministerrathes. Auf das lebhafteste bedauerte A. „daß ein Mann in das Ministerium berufen wurde, der nach seinem eigenen Geständnisse den inneren Verhältnissen Oesterreichs vollkommen fremd gegenüberstand“. Mit der ihm eigenen Offenheit erklärte er seinem neuen Chef, und zwar von ihm selbst hierzu aufgefordert, zwei Punkte seien es vor allem, an die ohne Zeitverlust Hand angelegt werden müsse: „der erste bestand in der entschiedenen und aufrichtigen Beseitigung der Sistirungspolitik, in der Wiedereinführung verfassungsmäßiger Zustände und in treuem Festhalten an denselben. Der zweite aber, in dem ernsten und unausgesetzten Bestreben, mit Ungarn einen dauernden Ausgleich auf der Grundlage von Bestimmungen zu Stande zu bringen, welche dem Gesammtstaate Oesterreich wesentlich günstiger wären, als diejenigen, die in den verschiedenen, größtentheils von dort herrührenden Staatsschriften enthalten seien“. Hinsichtlich des ersten Punktes erklärte sich Beust mit A. einverstanden. Was den zweiten Punkt betraf, wobei sich Beust auf Seite derer stellte, „welche auch für die Zukunft einen Gesammtstaat Oesterreich erhalten wissen wollten, innerhalb dessen Ungarn eine abgesonderte Stellung einnehmen könne“, konnte A. bald zur Ueberzeugung gelangen, daß seine Auseinandersetzungen Beust keineswegs zusagten.

Als die Landtage zusammentraten, legte ihnen die Regierung ein Rescript vor, kraft dessen die Sistirungspolitik und mit ihr die Einberufung eines außerordentlichen Reichsrathes vollständig fallen gelassen wurde. Bloß die Wahlen für den legalen Reichsrath sollten vorgenommen werden. Im niederösterreichischen Landtag selbst besaßen infolge der Neuwahlen, die während der Aera [50] Belcredi stattgefunden hatten, die extremen Richtungen nach beiden Seiten hin eine stärkere Vertretung als früher. Demungeachtet wurde A. abermals in den Landesausschuß entsendet. In seiner Selbstbiographie geht A. auf die Agenden dieser kurzen Session ebensowenig ein, wie auf die Verhandlungen des Reichsrathes. Er hätte zwar gewünscht, daß Regierung und Parlament etwas weniger nachgiebig gegen die Forderungen der Ungarn gewesen wären. „Nachdem aber einmal – lesen wir dort – der Ausgleich auf der Basis des Dualismus und der staatlichen Selbständigkeit Ungarns auf gesetzlichem Wege zu Stande kam, darf man auf beiden Seiten nichts anderes thun, als gewissenhaft an ihm festhalten.“

Im J. 1869 wurde A. in das Herrenhaus des Reichsrathes berufen, wo ihn die Linke stets auf seinem Platze und auch stets bereit sah, mit den Wortführern der feudal-clericalen Partei die Waffen zu kreuzen. So trat er ganz entschieden für die Aufhebung des Concordates ein, wogegen der Cardinal-Fürsterzbischof Rauscher – am 10. April 1874 – erklärte, daß es noch gültig und rechtskräftig sei. A. widerlegte dies in einer Rede, in der er der Hierarchie das Recht bestritt, sich selbst immer als die Kirche zu betrachten. Er erinnerte den Kirchenfürsten an dessen eigenen Ausspruch, der Clerus habe sich fern zu halten von politischen Agitationen. Als es sich um die Errichtung der tschechischen Universität in Prag handelte und ein Mitglied des Hauses in tschechischem Sinne sprach und den Gedanken einer Versöhnung laut werden ließ, da erhob sich A., um ihm die bedeutungsvollen Worte zuzurufen: „Wenn fortwährend von Versöhnung gesprochen wird, so ist das nicht zutreffend. Die Versöhnung setzt Feindschaft voraus und wir sind keine Feinde, sondern politische Gegner. Wenn es da zu einer Versöhnung käme, dann müßten die mannhaften politischen Ueberzeugungen abdiciren“.

So zeichneten A. als Historiker und als Politiker die gleiche patriotische Gesinnung, das gleiche treue Festhalten an glorreichen Ueberlieferungen aus, und jederzeit trat er, in Wort und Schrift, für Oesterreichs Ehre und Machtstellung auf den Kampfplatz, für die Stärkung der Einheitsidee auf constitutioneller Grundlage, für die Förderung von Unterricht und Bildung in liberalem Sinne und für die Vertheidigung des Staates gegen die Bevormundung durch die Kirche.

Aber blutenden Herzens sah A. am Abend seines Lebens, daß auch die Sonne seiner Ideale unterging. Der Einfluß des Clerus drang in ein Gebiet, das außerhalb des Machtbereichs der Kirche lag, die Fluthen des Antisemitismus ergossen sich über die Gefilde josephinischer Aufklärung, und an der festesten Säule des Reiches wurde gerüttelt – das deutsche Volk in seinem Besitzstand bedroht. Da suchte er Trost in der Erfüllung einer edlen Sendung, indem er an die Spitze eines Vereines trat, der sich zur Aufgabe gemacht hatte, das geistige Niveau der untersten Classen zu heben. So wie A. als Director des Staatsarchivs, als Präsident der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften diese zu fördern suchte, so wollte er als Präsident des Volksbildungsvereins, daß ihre Früchte auch den Aermsten zu theil würden, auf daß mit der gesteigerten Erkenntniß auch die politische Reife vorbereitet und das Volk in seiner Gesammtheit zu einer höheren Auffassung der Dinge befähigt werde. In einem Alter, das ihn wohl berechtigt hätte, sich von allen Geschäften zurückzuziehen, stellte er den Glanz seines Namens in den Dienst der wissensdurstigen Menge und er verhalf ihr dazu, sich aus den Mühseligkeiten des Lebens in freiere Regionen zu flüchten.

Es war ein neuer Weg, den A. betreten hatte, und mit jugendlicher Begeisterung verfolgte er ihn; aber nicht lange sollte er ihn wandeln. Der schaffensfreudige [51] Greis wurde im Juni 1897 von einem tückischen Leiden befallen, dem er nach wenigen Wochen, am 30. Juli erlag.

Mit ihm starb der wackerste Kämpfer für Altoesterreichs Ehre und Ruhm. Ein edler Mann war er zugleich, edel im Handeln und in der Gesinnung. Kein Makel haftete an seiner Seele, die so treu und gütig aus blauen Augen blickte, aus dem Wohlklang seiner Stimme tönte, daß Keiner, ob Hoch, ob Nieder, einmal in seine Nähe gerückt, dem Zauber zu widerstehen vermochte, der in seinem Wesen lag. Wol kann von ihm gesagt werden, was Goethe den Manen Schiller’s nachrief:

„Und hinter ihm im wesenlosen Scheine
Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine“.

Arneth, Aus meinem Leben. 2 Bde., 1893. – Schlitter, Nekrolog in den Münchener Neuesten Nachrichten 1897, Nr. 377 und in Bettelheim’s Biograph. Jahrb. und Deutsch. Nekrolog II, 136 ff.